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.Arbeit schafft Arbeit
Freak-Moderatorin: Menschen mit Behinderung können am richtigen Arbeitsplatz eingesetzt volle Leistung erbringen. Geht es aber darum, eine geeignete Arbeitsstelle zu finden, so führt der Weg oftmals zu Clearing oder Arbeitsassistenz, denn manchmal braucht es auch Hilfe von außen. Ein Coach kann helfen. Internationale Unternehmen setzen auf Mentoring, das heißt erfahrene Mitarbeiter geben ihr Wissen an junge Kollegen weiter. Die folgende Sendung zeigt die Arbeit derer, die arbeiten, damit andere arbeiten können.
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Heide Gubala: Diese Chance zu bekommen, zu zeigen, was ich kann ist eines der wichtigsten Dinge.
Freak-Sprecher: Clearing ist ein Angebot für Jugendliche, die ins Berufsleben einsteigen wollen. Der Abklärungsprozeß kann bis zu sechs Monaten dauern. Er setzt am Übergang zwischen Schule und Beruf an. Der diplomierte Sozialarbeiter Christoph Schreiner arbeitet bei WUK Domino.
Der Verein WUK betreibt neben Kunstprojekten auch eine Beratungsstelle für Arbeit suchende Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Gemeint sind damit beispielsweise Jugendliche, die Unterstützung brauchen, weil sie Lernschwierigkeiten oder soziale Auffälligkeiten haben. Christoph Schreiner berät Jugendliche mit Lernbehinderung bei der Berufsorientierung.
Christoph Schreiner: Es geht darum herauszufinden bzw. klar zu machen, wohin können die Schüler, nachdem sie quasi die Schulpflicht absolviert haben gehen, in welche Richtung kann es gehen und auch gleichzeitig zu schauen, wo sind meine Stärken, wo habe ich meine Talente, um dann in weiterer Folge zu sehen, wo könnte eine passende berufliche Karriere bzw. ein passender Beruf für mich sein.
Freak-Sprecher: Clearing hat das Ziel, Jugendlichen berufliche Perspektiven aufzuzeigen. Viele Jugendliche haben mehr als eine Behinderung. Der Clearing-Prozess soll dabei helfen, Entscheidungen für die berufliche Zukunft zu treffen.
Christoph Schreiner: Wir arbeiten mit verschiedensten Methoden, das können Beratungsgespräche sein, wir haben verschiedene Arbeitsblätter, die wir mit ihnen durchgehen, wo es darum geht eine Orientierung zu bekommen, wo sind so die Stärken der Jugendlichen, wo sind so ihre Interessen, wo liegen die. Wir arbeiten auch mit verschiedenen Tests, die wir mit den Jugendlichen machen, in weiterer Folge machen wir mit den Jugendlichen oder vereinbaren wir mit den Jugendlichen und Firmen gemeinsam Praktika. Das ist immer ein sehr wichtiger Punkt in diesem ganzen Prozess. Das ist einerseits für die Jugendlichen recht wichtig, weil sie hier einmal sehen können, ist der Beruf wirklich für mich geeignet, ist das wirklich so, wie ich mir das vorstelle. Es ist andererseits auch eine wichtige Rückmeldung für den Clearer oder die CLearerin, weil sie natürlich dann von der Firma eine Rückmeldung bekommen, ist der Jugendliche überhaupt geeignet für den Beruf, ist er nicht geeignet. Das sind so ein paar Methoden, die wir hier einsetzen.
Freak-Sprecher: Wer wollte als Kind nicht den Beruf des Vaters oder der Mutter ergreifen? Jugendlichen mit Behinderung ergeht es nicht anders.
Christoph Schreiner: Das Vorbild der Eltern spielt in der Regel eine große Rolle und wenn der Papa einen Beruf hat, dann will der Sohn auch oft in diesen Beruf hinein, das färbt dann natürlich oft ab. Und da muss man sich auch mit den Eltern, mit den Jugendlichen intensiv auseinandersetzen und eben auch sagen, ja, ok, manchmal passt es. Wenn der Jugendliche sagt, ich möchte Maler werden, weil mein Papa ist Maler, dann passt es oft. Manchmal passt es nicht und man muss sich etwas anderes überlegen, schauen, was könnte besser passen für den einzelnen Jugendlichen.
Freak-Sprecher: Clearing hat in erster Linie die Wahl des passenden Berufes zum Ziel. Im Gegensatz dazu bieten Qualifizierungsprojekte die Möglichkeit, Kenntnisse zu erwerben und zu vertiefen, die auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind.
Das Projekt "Prima Donna" von Jugend am Werk ermöglicht jungen Frauen mit Lernbehinderung die Vorbereitung auf eine berufliche Laufbahn. In Kleingruppen können die Teilnehmerinnen Fertigkeiten vertiefen, die sie in der Schule erworben haben. Außerdem bekommen die jungen Frauen Einblicke in verschiedene Berufsbereiche. Auf die Nähe zur beruflichen Praxis wird dabei besonders Wert gelegt, wie die Projektleiterin Ingeborg Palusinski erklärt. Verschiedene Alltagssituationen werden in praktischen Übungen trainiert - wie etwa der Umgang mit Konflikten am Arbeitsplatz.
Ingeborg Palusinski: Gerade junge Frauen mit einer Behinderung sind sehr leicht Opfer, weil sie sich sehr schlecht abgrenzen können. Das heißt, hier trainieren wir auch sehr viel Konfliktmanagement, auch das ist wichtig im Hinblick auf spätere Arbeitssituationen: Wie gut komme ich aus einer schwierigen Situation heraus. Wir machen Allgemeinbildung und Lebenspraktisches, das heißt, alles, was die junge Frau braucht, um selbstständig Dinge erledigen zu können, wie einen Arzttermin oder wie beantrage ich einen Meldezettel oder Reisepass oder ein Bankkonto. Da versuchen wir auch Hilfestellung zu geben, weil das nicht immer die Eltern machen werden, irgendwann will man das selber tun.
Freak-Sprecher: Zusätzlich zu den Schulungseinheiten absolvieren die jungen Frauen berufliche Praktika. Die Teilnehmerinnen bekommen dadurch einen direkten Einblick in die Arbeitswelt und können Berufserfahrung sammeln. Angeboten werden außerdem Exkursionen zu verschiedenen Arbeitgebern. Im Rahmen des Projektes sollen die Teilnehmerinnen eine realistische berufliche Perspektive entwickeln und selbstständig eine Berufsentscheidung treffen. Ziel ist die Vermittlung in den gewünschten Beruf.
Ingeborg Palusinski: Das Ziel ist entweder ein sozialversicherungspflichtiges Dienstverhältnis im Mindestausmaß von 20 Stunden. Die besten geben wir in eine integrative Berufsausbildung. Das kann entweder sein eine verlängerte Lehre oder eine Teilqualifizierung. Das Ziel ist berufliche Integration.
Freak-Sprecher: Mona ist 17 Jahre alt und in Albanien geboren. Als Fünfjährige ist sie mit ihrer Familie nach Wien gekommen und hat hier die Schule besucht. Im Rahmen des Projekts Prima Donna hat sie bereits einige Praktika absolviert.
Mona: Schneidereigehilfin, Küchengehilfin haben wir gemacht und es gefällt mir sehr gut, ich bin jetzt eineinhalb Jahre hier. Momentan habe ich keinen Job. Es ist schwer für mich. Mein Traumberuf ist Friseurin.
Freak-Sprecher: Den richtigen Job zu finden um auf eigenen Beinen zu stehen, ist der sehnlichste Wunsch von Mona für die nähere Zukunft. Und, dass die Jobsuche sobald wie möglich erfolgreich ist.
Mona: Dass sie für mich früher einen Job finden und ich nicht so lange warten muss.
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Freak-Sprecher: Seit dem Jahr 2004 gibt es in Österreich die Möglichkeit der integrativen Berufsausbildung. Dabei stehen Jugendlichen mit Behinderungen zwei Wege offen: Verlängerte Lehrverhältnisse oder eine Ausbildung in Teilqualifikationen.
Auch WUK Domino begleitet junge Menschen bei der integrativen Berufsausbildung. Als Integrationsbegleiterin erlebt Walpurga Eder in ihrer täglichen Arbeit, wie Berufswünsche in Erfüllung gehen. Auch, wenn die Voraussetzungen dafür in manchen Fällen zunächst oft nicht günstig erscheinen.
Walpurga Eder: Ein Beispiel ist eine Jugendliche, die vor zwei Wochen eine Jobzusage bekommen hat, als Verwaltungsassistentin im Ministerium. Für mich ist das deswegen besonders, weil die Jugendliche eine schwere Dyskalkulie hat. Das heißt, sie hat ganz große Schwierigkeiten mit Mengen, Mengenbegriffen und große mathematische Schwierigkeiten. Die Dyskalkulie ist wirklich sehr gravierend. Sie weiß beispielsweise nicht, dass sieben mehr ist als null. Trotzdem hat sie eine Jobzusage bekommen und das ist ein sehr schwieriger Beruf, Verwaltungsassistentin. Es ist sozusagen ein Traum in Erfüllung gegangen, den wir vor einem Jahr noch nicht zu träumen gewagt hätten. Sie ist sonst, in Rechtschreibung und Merkfähigkeit und in ihrem Lernverhalten, sehr gut, allerdings hat sie diese schwere Dyskalkulie.
Freak-Sprecher: Im Rahmen einer Teilqualifizierungslehre erlernen Jugendliche mit Lernbehinderung nur einen bestimmten Teil eines Berufsbildes. Individuelle Stärken und Schwächen eines Lehrlings können auf diese Weise gut berücksichtigt werden. So ist etwa trotz einer Rechenschwäche eine Bürolehre möglich.
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Freak-Sprecher: Auch Menschen mit körperlichen Behinderungen brauchen manchmal jemanden, der ihnen bei der Jobsuche behilflich ist. Die Arbeitsassistenz des Österreichischen Zivil-Invalidenverbands ÖZIV unterstützt beim Erstellen von Bewerbungsunterlagen und bietet Bewerbungstrainings an. Jobs wachsen nicht auf den Bäumen. Der diplomierte Sozialarbeiter Alfred Müller begleitet seine Klienten meist über mehrere Monate hinweg.
Alfred Müller: Wir sind Spezialisten, wenn es um die Unterstützung von Menschen mit Behinderungen bei der Jobsuche geht. Gleichzeitig sind wir auch Ansprechperson für Firmen, bei der Beschäftigung von Menschen mit Behinderung. Das Angebot an die Firmen richten, das Recruiting für einen Arbeitsplatz zu machen, zielgenau das richtige Personal zu finden, das ist für die Firma gratis. Außerdem können wir über Förderungen informieren. Unabhängig davon, ob sich diese Einschränkungen aufgrund der Behinderung auf den konkreten Arbeitsplatz auswirken oder nicht.
Freak-Sprecher: Alfred Müller leitet seit fünf Jahren die ÖZIV-Arbeitsassistenz. Gerne erinnert er sich zurück an eine junge Frau mit Epilepsie. Sie hatte zwar einen Schulabschluss, aber keine fundierte Ausbildung. Ihre Berufserfahrung bestand aus mehreren kurzen Beschäftigungsverhältnissen.
Alfred Müller: Wie sie gekommen ist, ist mir gleich ihre äußerst sympathische Art aufgefallen und ihre Freundlichkeit. Es hat sich dann auch so verwirklichen lassen, dass wir diese Qualitäten haben einsetzen können. Sie arbeitet jetzt in einem großen Hotel und kann dort diese Qualitäten gut einbringen und der Dienstgeber ist sehr zufrieden mit ihr.
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Freak-Sprecher: Wenn die Sucht den Alltag bestimmt, dann ist viel passiert. Aber es ist noch nicht zu spät, um wieder die Kontrolle über das eigene Leben zu erlangen. Der Grüne Kreis zählt zu den größten Organisationen in Österreich, die Suchtkranke auffängt. Der Verein begleitet Menschen auf ihrem Weg zurück in die Gesellschaft und in die Arbeitswelt. Der Grüne Kreis, als Verein zur Rehabilitation und Integration suchtkranker Menschen, verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz: Das ist die Psychotherapie, die Arbeitstherapie, die aktive Freizeit sowie die medizinische Betreuung. Das heißt die Arbeitstherapie ist eine Säule in der Behandlung von suchtkranken Menschen, wie Brigitte Wimmer es beschreibt. Grundsätzlich geht es um das clean werden, clean bleiben, Aufgaben finden. Seinen Platz finden.
Brigitte Wimmer: Diese Integration in den Arbeitsmarkt ist ganz, ganz wichtig, weil Patienten eine Struktur brauchen, einen Platz, wo sie hinkommen. Dann die soziale und auch die finanzielle Selbstständigkeit und Unabhängigkeit ist eine Voraussetzung um clean zu bleiben, um stabil zu bleiben und sich selbst in einem selbstständigen Umfeld den Tag zu strukturieren und das nötige Geld zu verdienen.
Freak-Sprecher: Von der Arbeit in der Natur über detailverliebte Kunstprojekte, bis hin zur Arbeit im Partyservice. Die Angebote sind bunt, die Nachfrage ist groß.
Brigitte Wimmer: Es gibt die Möglichkeit in der Landwirtschaft zu arbeiten, in der Tierpflege, in der Tierzucht. Es gibt ein ganz ein tolles sozialökonomisches Projekt, das ist das Catering des Grünen Kreises, wo Patienten in der Einrichtung WIlda beschäftigt sind, diese Caterings vorzubereiten und aktiv im Kundenkontakt Caterings abwickeln. Was eine sehr, sehr gute Wirkung nach außen hat. Die Öffentlichkeit sieht, dass Suchtkranke sehr wohl am Arbeitsmarkt bestehen können, und ihre Aufgaben sehr gut erfüllen können.
Ein weiteres sozialökonomisches Projekt ist der Gartenbau Grüner Kreis, da werden Transitarbeiter angestellt, die dann eine Ausbildung fertig machen und am freien Arbeitsmarkt einen guten Platz finden.
Freak-Sprecher: In der Endphase von Kurz- und Langzeittherapie bietet der Grüne Kreis in Kooperation mit dem Arbeitsmarktservice und dem Berufsförderungsinstitut ergänzend das Projekt "Neue Wege" an. Patientinnen und Patienten können dabei Schnuppertage in Betrieben absolvieren. Auch Bewerbungstrainings und Präsentationstipps werden geboten.
Suchtkranke Menschen, die derzeit auf Arbeitssuche sind und Hilfe brauchen, können sich in Niederösterreich über die Suchtberatung des Arbeitsmarktservice Unterstützung holen. Mitarbeiterinnen des Grünen Kreises beraten Betroffene anonym und kostenlos.
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Freak-Sprecher: Menschen mit psychischen Behinderungen haben es beim Einstieg in den Arbeitsmarkt oft nicht leicht. Unter den Begriff "psychische Behinderung" fallen zum Beispiel psychiatrische Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen oder Schizophrenie. Betroffene stoßen in der Arbeitswelt oft auf Unverständnis, da ihre Erkrankung für die Umwelt nicht sichtbar ist. Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes ist allgegenwärtig.
Gerhard Oberenzer von Pro Mente ist Peerberater. Er kennt das Gefühl, wenn die eigenen Kraftreserven verbraucht sind. Heute berät er Menschen, denen es ähnlich ergangen ist wie ihm.
Gerhard Oberenzer: Die Beratung erfolgt immer von gleicher Krankheit zu gleicher Krankheit. Das heißt, wir versuchen, wenn einer Angst und Depression hat, ihm einen Berater zur Verfügung zu stellen, der die gleiche Krankheit gehabt hat und sie aufarbeiten konnte. Das heißt der Betroffene spricht immer mit einem Gleichgesinnten.
Freak-Sprecher: Die Probleme sind so vielfältig wie das Angebot. Angst und Depression, Sozialphobie und Burnout sind die Themenbereiche bei Pro Mente, bei denen die Nachfrage derzeit am größten ist. Die Peerberatung richtet sich an alle Menschen, die während der Jobsuche Probleme haben oder schon im Berufsleben stehen und dort mit Krisen konfrontiert sind. Am schwierigsten erscheint oft der erste Schritt, um sich Hilfe zu holen.
Gerhard Oberenzer: Man hat selbst oft das Gefühl, man ist verrückt und oft wird man von der Gesellschaft ausgeschlossen. Und wenn wir unsere Erfahrung weiter geben und so den Leidensweg eines Betroffenen abkürzen können, dann haben wir mit diesem Projekt Erfolg.
Freak-Sprecher: Die Rechnung scheint aufzugehen. Im ersten Projektjahr haben rund 130 Personen von der Peerberatung Gebrauch gemacht. Fast 90 Prozent der Betroffenen erlebten im Bezug auf die Arbeitssituation eine Verbesserung. Im Zentrum steht, dass Menschen trotz ihrer psychischen Konflikte am beruflichen und gesellschaftlichen Leben weiterhin teilnehmen können. Rudolf Wagner, Mediziner und Geschäftsführer von Pro Mente:
Rudolf Wagner: Bei psychischen Erkrankungen ist es im Gegensatz zu Behinderungen so, dass die Leistungsfähigkeit in allen Belangen nicht konstant eingeschränkt ist, sondern dass der Verlauf häufig schwankend ist. Natürlich gibt es Phasen in einer Depression, in denen jemand über zwei Monate nicht aus dem Bett kommt, aber genauso kann er dann die nächsten 18 Monate arbeitsfähig sein. Es geht darum, auch diese Menschen nicht permanent von der Teilhabe, insbesondere von der Teilhabe am Arbeitsmarkt, auszuschließen.
Freak-Sprecher: Georg Oberenzer dazu:
Georg Oberenzer: Die Hauptprobleme bestehen in der Natur der Erkrankung. Das heißt, ein Mensch der Depressionen oder Ängste hat, fühlt sich oft nicht gewollt. Und das sind aber Dinge, die für das menschliche Zusammenleben und auch für das Berufsleben wichtig sind.
Freak-Sprecher: Nicht immer geht es darum, für alles eine Antwort zu finden oder alles aufzuarbeiten. Oft ist es wichtig, einfach mit jemandem über die eigenen Probleme reden zu können. Mit einem Menschen, der ähnliche Erfahrungen gemacht hat und jetzt unterstützend zur Seite steht.
Rudolf Wagner: Die Peer Specialists versuchen nicht, der andere oder gar bessere Sozialarbeiter oder Therapeut zu sein. Das wäre ein Kunstfehler, darum geht es nicht, sondern es geht darum, dass sie ihre eigene spezielle Erfahrung, ihr Expertentum in eigener Sache zur Verfügung stellen.
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Freak-Sprecher: Heide Gubala arbeitet als Resonanz-Coach bei ÖZIV Support. Dieses Angebot des Österreichischen Zivilinvalidenverbandes, bietet kostenloses Coaching und Beratung für Menschen mit Körper- oder Sinnesbehinderungen an. Ihre Klienten sind meist nicht im klassischen Sinne behindert. Menschen, die zu Heide Gubala kommen, haben oft ein einschneidendes Erlebnis hinter sich: Diabetes, Herzinfarkt oder Krebs verändern das ganze Leben. Der Arbeitsplatz geht verloren, finanzielle Sorgen sind vorprogrammiert.
Ein Coach, der so eine Erfahrung selbst gemacht hat, kann helfend eingreifen. Heide Gubala ist gelernte Friseurin, die Coaching-Ausbildung hat sie erst vor vier Jahren gemacht. Auslöser war ihre Hepatitis C-Diagnose. Sie ist überzeugt, dass die eigene Erkrankung eine entscheidende Rolle im Umgang mit ihren Klienten spielt.
Heide Gubala: So wie ich es immer wieder bei meinen Klienten erlebe, ist es sehr, sehr wichtig. Viele kommen zu mir, mir sieht man äußerlich meine 50 Prozent Behinderung nicht an. Jeder denkt, da sitzt eine gesunde Frau vor mir, was will mir die erzählen. Dann erzähle ich ihnen meine Geschichte und sage ihnen, wie es mir gegangen ist. Und man merkt sofort beim Klienten, dass ein Rollladen, der zuerst geschlossen war, wieder auf geht. Er ist einfach offener dafür, mit mir zu arbeiten.
Freak-Sprecher: Coaching ist Hilfe zur Selbsthilfe. Der Coach kann keine Wunder vollbringen, er unterstützt aber dabei, die eigenen Fähigkeiten zu entdecken. Der ÖZIV Support bietet Coaching in ganz Österreich an.
Heide Gubala: Wenn der Klient zu mir kommt, in ein Erstgespräch, halten wir seine persönliche Situation fest: dann erarbeiten wir seine Fähigkeiten, damit er seine Eigenwertigkeit, sein Selbstvertrauen, seine Motivation wieder findet. Es geht darum jemanden so zu "lenken", dass er sich wieder arbeitsfähig fühlt.
Freak-Sprecher: Ernie Novosel ist stark kurzsichtig. Sie hat auf jedem Auge nur mehr 40 Prozent Sehkraft. Ohne Kontaktlinsen wäre es für sie unmöglich, ihren Beruf auszuüben. Außerdem hat sie Probleme mit dem Bewegungsapparat. Auch eine Nierenerkrankung kommt hinzu.
Ernie Novosel: Ich bin bis jetzt so umgegangen, dass ich versucht habe, dass das nicht auffällt. Ich wollte mindestens so schnell sein wie die anderen, im Gehen. Ich habe versucht Krankenstände zu vermeiden, was nicht immer gelingt.
Freak-Sprecher: Das Angebot von ÖZIV-Support hat sie eher zufällig entdeckt:
Ernie Novosel: Ich habe es über das Internet gefunden. Ich habe eine Begleitung für meine Kursteilnehmer gesucht und habe dann gesehen, dass dieses Angebot eigentlich genau auf mich zugeschnitten ist.
Freak-Sprecher: Nach vielen Jahren als Sekretärin im Büro hat Ernie Novosel beschlossen, ihr Leben komplett umzukrempeln. Sie wollte einen sozialen Beruf ergreifen und hat zwei Jahre lang als Betreuerin für wohnungslose Frauen im Haus Miriam bei der Caritas gearbeitet. Mit 48 ist sie dann arbeitslos geworden.
Über eine Förderung des Arbeitsmarktservice hat sie eine Ausbildung zur Berufsorientierungstrainerin absolvieren können. Nach einer Weile hat sie selbst eine Stelle als Trainerin bekommen. Seither berät sie andere Menschen bei der Arbeitssuche und ist über diese neue Aufgabe sehr glücklich.
Ernie Novosel: Von meinen eigenen Erfahrungen profitiere ich sehr und ich versuche meinen Kursteilnehmern etwas davon mitzugeben. Die Hoffnung mitzugeben, wenn man 48 oder 50 ist, dass ist nicht das Ende der Berufslaufbahn. Es kann ein Start sein, ein wirklicher ein Neustart.
Freak-Sprecher: Ernie Novosel möchte in ihrer Pension eine Bildungs- und Begegnungsstätte eröffnen. Dort sollen sich Menschen in verschiedenen Lebenslagen miteinander austauschen können. Sie will künftig offen zu ihrer Behinderung stehen und einen Behindertenpass beantragen. Im Coaching hat Ernie Novosel gelernt, Konflikten nicht aus dem Weg zu gehen. Sie spricht sofort an, was sie stört.
Ernie Novosel: Ich brauche kein Mitleid. Das ist etwas, was mich wütend macht, wenn ich das Gefühl habe, dass mich jemand heruntermacht, "die ist ohnehin schon alt und ein bisserl hatschert ist sie und mit den Augen dürfte sie was haben". Ich brauche kein Mitleid und ich mag es nicht so heruntergemacht zu werden. Ich beharre deshalb vielleicht mehr auf menschlicher Würde und menschlichem Respekt und gegenseitiger Wertschätzung, als jemand, der keine offensichtliche Einschränkung hat.
Freak-Sprecher: Die gelernte Industriekauffrau hat umgesetzt, wovon andere träumen. Sie hat ihre Passion zum Beruf gemacht. Ihr Zielsatz, den sie gemeinsam mit ihrem Coach erarbeitet hat, bringt es auf den Punkt:
Ernie Novosel: Ich bin ein Coach mit Hirn, Herz und Bauch.
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Freak-Sprecher: Ähnlich wie ein Coach unterstützt auch ein Mentor bei der persönlichen und beruflichen Entwicklung. Mentor, das bedeutet soviel wie der geistige Anleiter und Ratgeber eines Jüngeren. Mentoring ist ein beliebtes Personalentwicklungsinstrument in großen Firmen. Als Mentoren fungieren erfahrene Mitarbeiter, die ihren Mentees zu vereinbarten Zeiten zur Verfügung stehen. Der Computer- und Softwarehersteller IBM, die International Business Machines Corporation, bietet jungen Menschen kostenfreies Mentoring. Kommuniziert wird über eine Internetplattform, die weltweit eingesetzt wird. Richtig spannend wird es, wenn persönliche Kontakte entstehen.
Christian Rothmüller: Die positive Einstellung dieser Menschen ist für mich das Faszinierendste, da hört man kein Raunzen, das ist quasi die Nicht-Raunzer-Zone. Mit ihnen zusammen zu sein, bedeutet einfach Spaß.
Freak-Sprecher: Christian Rothmüller leitet den Bereich Unternehmenskommunikation bei IBM Österreich. Astrid Lanscha ist eine seiner Kolleginnen. Angefangen hat alles mit einem Ferialpraktikum. Die damalige Schülerin der Handelsakademie hat am Mentoring Programm teilgenommen. Heute ist sie Sales Assistent. Als junge Mitarbeiterin einer großen Firma legt sie viel Wert auf Teamwork. Manchmal ist es störend, dass sie in der Caféteria nicht auf Augenhöhe mit ihren Kollegen kommunizieren kann. Ihr Rollstuhl ist zu niedrig. Oder viel mehr: die Tische sind zu hoch.
Astrid Lanscha: Das ist mein unbewusstes Ziel, dass ich den Kollegen in meiner Umgebung zeige, ich bin genauso wie ihr, ich kann genauso einen guten Job machen. Ich profitiere von ihnen und sie profitieren sicher von mir und meiner positiven Einstellung.
Freak-Sprecher: Eine Mitarbeiterin, die selbst eine Behinderung hat, scheint manchmal mehr verändern zu können als viele Vorträge und Seminare. Behinderung ist eine Chance, sich selbst und das Unternehmen zu sensibilisieren.
Christian Rothmüller: Es war eindeutig etwas Neues. Ich habe den Umgang mit Behinderung eigentlich durch Astrid Lanscha gelernt. Sie war die erste Person, mit der ich wirklich eng zusammen gearbeitet habe, die eine Behinderung hatte. Und es ist interessant, ich bin ein sehr offener und lustiger Mensch, wir haben immer eine "Hetz" miteinander gehabt und es gab eigentlich kein Problem. Aber wenn man mit ihr zum Beispiel in die Caféteria geht, dann fällt auf, dass viele Menschen, die das nicht gewohnt sind, Berührungsängste haben. Diese entstehen aus einer Unwissenheit und aus einer gewissen Scheu heraus. Wie soll ich mich diesem Menschen gegenüber verhalten? Das einfachste ist, ich verhalte mich immer ganz normal. Ich habe einen guten Draht zu ihr Ich habe mit ihr geredet, man muss sie halt auch fragen: Soll ich den Rollstuhl schieben oder willst du selber fahren. Aber viele Menschen haben eine Scheu. Man hat es gemerkt. Als Astrid als Ferialpraktikantin hier war und dann später als Mitarbeiterin, mussten sich viele an diesen Umgang mit ihr erst gewöhnen. Aber jetzt betrachten das die meisten als ganz normal, sie gehört einfach zu unserem Team dazu.
Freak-Sprecher: Astrid Lanscha ist heute für ihre Kolleginnen und Kollegen eine Mitarbeiterin wie jede andere. Es war ihr schon immer zu wenig, Informationen aus dem Berufsleben ausschließlich nur über Schul- und Fachbücher zu bekommen. Das Mentoring-Projekt von IBM kam ihr da gerade recht. Astrid Lanscha wäre ohne das Mentoring Projekt, wie sie meint, heute vielleicht ein anderer Mensch.
Astrid Lanscha: Das Berufsleben prägt einen doch. Man verbringt mindestens acht Stunden pro Tag am Arbeitsplatz und wenn man sich da nicht wohlfühlt bleibt man auch nicht lange. Für mich ist das unverzichtbar, deswegen mache ich immer wieder gerne Werbung. Das müssen möglichst viele wissen und davon Gebrauch machen.
Freak-Sprecher: Stefanie Strubreiter, eine junge kreative Frau mit Hörbehinderung, nimmt auch am Mentoring-Programm teil. Ihr Mentor ist Christian Rothmüller. Beide Seiten freuen sich auf die neue Herausforderung. Stefanie Strubreiter steht noch am Anfang ihrer Berufslaufbahn. Für sie ist noch alles offen. Außer…
Christian Rothmüller: Außer dass sie im Juli Ferialpraxis da macht. Das ist nicht mehr offen, das ist schon fix.
Freak-Sprecher: Das Mentoring-Programm von IBM richtet sich hauptsächlich an Schüler der Oberstufen von Höheren und Mittleren Schulen sowie Fachhochschulen. Mitmachen können interessierte Schüler zwischen 15 und 22 Jahren, die Zugang zum Internet haben. Für junge Menschen kann Mentoring der Beginn einer Berufslaufbahn sein. Für Astrid Lanscha war das Mentoring-Programm der Start in ein eigenständiges Leben.
Christian Rothmüller: Es ist schon faszinierend, mit welchem Selbstbewusstsein sie heute auftritt, mit welcher Offenheit sie über Dinge spricht. Genau das ist es, was wir eigentlich mit diesem Programm bezwecken wollen, dass wir Schülerinnen und Schülern einfach das Selbstvertrauen geben und sagen traut euch, auch wenn ihr eine Behinderung habt, einfach aufzustehen und zu sagen, wir wollen auch einen interessanten Job. Astrid ist das beste Beispiel dafür, wie es gehen kann. Wir haben einen riesen Spaß mit ihr, als Mensch und als Mitarbeiterin.
Freak-Sprecherin: Arbeit schafft Arbeit, eine Sendung von Christoph Dirnbacher, Julia Wolkerstorfer und Katharina Zabransky. Coaching: Eva Binder, Sprecher: Wolfgang Slapansky, Technik: Gerhard Wald. Nächsten Sonntag hören Sie an dieser Stelle eine Aufzeichnung aus dem ORF-Kulturcafé: Vorsicht, blind! - vom vermeintlich richtigen Umgang mit sehbehinderten Menschen.
Jingle -Sie hörten eine Sendung der Schwerpunktreihe "best practice international 2008", die vom Bundessozialamt aus Mitteln der Beschäftigungsoffensive der österreichischen Bundesregierung gefördert wird.