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.Auf die Bedürfnisse hören
Der Paketversanddienst TNT Express zeigt, was All Inclusive in einem Unternehmen heißt. Seit 2003 gibt es zwei gehörlose Menschen unter den Beschäftigten in Wien, seit 2007 sind es vier.
Wolfgang Leithner fährt mit einem Scanner über ein Paket und klebt ein Etikett darauf. Ein Kollege kommt und deutet ihm etwas mit seinen Händen. Wolfgang Leithner nickt, antwortet mit den Händen, lacht und macht weiter. Herr Leithner hört nicht. Sein Kollege hört. Die beiden verständigen sich mit Gebärden. Seit 2003 gehört das zum Alltag im Lager von TNT Express unweit des Flughafens in Schwechat.
TNT Express ist ein globaler Paketversanddienst und in Holland zusätzlich ein normaler Postdienst, mit weltweit 161.500 Beschäftigten. Die Zentrale befindet sich in Holland. Die Österreich-Tochter beschäftigt rund 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es ist eine bunte Truppe und entspricht in ihrer Zusammensetzung ziemlich genau der Bevölkerung. Frauen stellen 47 Prozent der Beschäftigten, die ursprünglich aus 25 Nationen stammen. Es gibt Menschen mit Behinderungen darunter. Vier Mitarbeiter sind gehörlos. Kürzlich heiratete ein Mitarbeiter seinen Freund, dafür bekam er vom Unternehmen die übliche Heiratsprämie.
Eigentlich wolle man ja kein Tamtam rund um solche Dinge machen. „Es ist nicht so, dass wir eine Fahne vor uns hertragen und sagen: ‚Kommt doch zu uns, wir haben so viel Diversität", sagt Erich Neuwirth, Personalmanager bei TNT Österreich. Aber stolz ist man schon darauf, immer wieder mal einen Diversity-Preis zu bekommen.
Bewusst Ältere und MigrantInnen gesucht
Dabei begann alles mit einem Mangel. Mit einem Mangel an guten Leuten, die bei TNT arbeiten wollten. Das war in den späten 1990er Jahren. Damals wollten alle das große Geld mit Internet und E-Business und Telekom machen. Das zog die Investitionen an, und es zog die Leute an. Dagegen war ein Paketzustelldienst gar nicht attraktiv: Transportbranche, schmutzig wird man dabei, und die Arbeitszeit ist auch nicht von 9 bis 5 Uhr. Im Lager etwa wird überwiegend abends, bis Mitternacht und noch später, gearbeitet. Da saßen also die Manager von TNT Express und dachten nach, wie sie zu guten Leuten kommen konnten. „Wir suchten den Arbeitsmarkt nach Talenten ab, die von den anderen nicht erkannt wurden“, erzählt Neuwirth. „Wir haben bewusst ältere ArbeitnehmerInnen oder Menschen mit Migrationshintergrund gesucht.“
Diese Offenheit hat sich herumgesprochen. Im Sommer 2003 fragte WITAF an, ob man sich vorstellen könne, gehörlose Menschen im Lager zu beschäftigen. Prinzipiell konnte man. Aber ganz so einfach war es dann doch nicht. Verschiedene Prozesse mussten erst adaptiert werden. So wollte das Arbeitsinspektorat sicherstellen, dass der Feueralarm auch von den gehörlosen Mitarbeitern gehört würde. Die haben nun einen Pager, der durch Vibrationen Alarm auslöst.
So begannen 2003, zwei gehörlose Männer im Lager zu arbeiten. Die beiden sind noch immer bei TNT. Zwei weitere gehörlose Männer sind seit 2005 beziehungsweise 2007 beschäftigt. „Es ist ein angenehmes Klima hier, sehr offen, wir haben viel Spaß miteinander“, sagen sie fast unisono. Ihre Geschichten aus dem früheren Arbeitsleben klingen genauso unisono: lange Suche nach einer Lehrstelle, viele Jobwechsel, zwischendurch immer wieder längere Arbeitslosigkeit. Einer hatte eine Tischlerlehre gemacht und war dann bei verschiedenen Unternehmen. Ein anderer hatte eine Maschinenschlosserlehre gemacht und hat siebenmal gewechselt. Wieder ein anderer hatte eine Lehre abgebrochen und dann viele Jobs gemacht.
Mehrere Faktoren spielen eine Rolle, warum sie sich nun bei TNT wohl fühlen. Erstens sind sie nicht allein. „Es war klar, dass es wenig Sinn macht, eine einzelne Person zu nehmen“, sagt Neuwirth. „Wir haben mit zwei begonnen. Das hat auch Berührungsängste bei den Hörenden genommen.“ Zweitens war die Unterstützung durch öffentliche Stellen wie WITAF, AMS und Bundessozialamt sowie die intensive Einschulung mit GebärdensprachdolmetscherInnen hilfreich. Drittens fanden sich im Unternehmen etliche Leute, die einen Gebärdensprachkurs machten und die auch ohne Kurs von ihren Kollegen gerne Gebärden lernen.
Diversity ist der Normalzustand
Viertens gibt es bei TNT wohl grundsätzlich eine Offenheit dafür, dass Menschen, die „anders“ sind, doch nicht so anders sind. Das zeigt sich auch an der Haltung zu schwulen, lesbischen und bisexuellen Menschen. „Die sexuelle Orientierung der MitarbeiterInnen hat ein Unternehmen grundsätzlich nicht zu interessieren“, sagt Neuwirth. „Doch es muss möglich sein, einen gleichgeschlechtlichen Partner zu einer Firmenveranstaltung mitzunehmen oder den Kollegen zu erzählen, was man am Wochenende gemacht hat.“ Aufgabe des Unternehmens sei es, so eine Kultur zu schaffen. Ein holländischer Konzern zu sein ist da sicher ein Vorteil – der Zugang zu diesem Thema ist in Holland offener. Im Konzern gibt es ein Gay, Lesbian, Bisexual and Transgender Network, und ein Mitglied dieses Netzwerks gehört zur erweiterten Geschäftsleitung.
Der Konzernbericht 2009 vermerkt auch, wie viele Menschen mit einer Behinderung im Konzern arbeiten: 2018 Personen, das sind 1,6 Prozent. Hinter diesen nackten Zahlen stehen in Österreich die Gesichter von Mario Zahlbruckner, Markus Hamedl, Zoran Stanojevic und Wolfgang Leithner.
„Wir haben die allerbesten Erfahrungen mit unseren Kollegen gemacht“, sagt Neuwirth. Doch grundsätzlich gehe es darum, Diversity nicht als etwas Außergewöhnliches zu sehen. Sondern als Normalzustand zu begreifen. „Diversity ist in Österreich eine gelebte Realität. Schauen Sie sich doch um – im Supermarkt, im Restaurant, beim Friseur, egal, was Sie tun: Sie leben in einem vielfältigen Umfeld.“
Dieser Beitrag ist im Rahmen des Projektes "Lebens- und Arbeitswelten" erschienen.