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.Aufstieg ohne Hindernisse? Arbeiten trotz Behinderung
Einen schönen guten Abend und herzlich Willkommen bei einer Freak-Radio Magazinsendung sagt Ihnen Julia Karrer. In der heutigen Sendung hören Sie zwei Beiträge. Für den ersten Bericht hat sich Valerie Kattenfeld zur Veranstaltung „Arbeit, Alltag, Assistenz - Leben mit Persönlicher Assistenz in Niederösterreich“ nach St. Pölten begeben. Danach informiert Marlies Neumüller über die aktuelle Studie „Frauen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen am Salzburger Arbeitsmarkt“.
Sprecherinnen: Valerie Kattenfeld und Julia Karrer
Gestaltung und Sendungsverantwortung: Valerie Kattenfeld
Christoph Dirnbacher, Geschäftsstellenleiter der "WAG - Assistenzgenossenschaft NÖ": Unter Persönlicher Assistenz ist jede Hilfeleistung zu verstehen, die behinderten Menschen ermöglicht, ihr Leben selbstbestimmt und eigenverantwortlich zu leben. Ganz wichtig dabei ist, dass der Mensch mit Behinderung, dass der Kunde mit Behinderung, selbst bestimmen kann und muss: "Wer, Was, Wann, Wie, Wo und mit Wem". Es ist ein wieder Zurückholen der Macht von den selbst Betroffenen.
Valerie Kattenfeld, Moderatorin: Am Mittwoch, dem 1. Oktober hat in St. Pölten eine Informationsveranstaltung der Wiener Assistenzgenossenschaft - kurz WAG - zum Thema „Persönliche Assistenz für behinderte Menschen“ stattgefunden. Was Sie soeben gehört haben war ein Ausschnitt der Rede von Christoph Dirnbacher, Geschäftsstellenleiter der WAG - Assistenzgenossenschaft Niederösterreich. Mit dem Stichwort Selbstbestimmung bringt er die Essenz der Dienstleistung auf den Punkt. Nicht der behinderte Mensch kommt zur Hilfe, sondern die Hilfe kommt zu ihm und handelt entsprechend seinen Vorgaben. Genau darin liegt auch der Unterschied zur Betreuung, bei der die Betroffenen oft kein Mitbestimmungsrecht auf ihre Tagesgestaltung haben. Die Veranstaltung der WAG wird auch musikalisch von Mc Ron untermalt.
Musik (Mc Ron - "Dieser Weg wird kein leichter sein")
Christoph Dirnbacher, Geschäftsstellenleiter der WAG - Assistenzgenossenschaft Niederösterreich: "Dieser Weg wird kein leichter sein" haben wir gerade gehört. Auch das Leben mit Persönlicher Assistenz und der Weg dorthin ist nicht immer ein leichter. Wir, die WAG - Assistenzgenossenschaft Niederösterreich sind angetreten, um den Menschen ihr Leben ein Stück weit zurückzugeben. Anders formuliert, möchten wir ihnen ermöglichen, sich ihr Leben selbst wieder zu holen. Wir haben momentan 29 Menschen, die die Dienste der WAG in Anspruch nehmen: sei es nun für Assistenz außerhalb der Arbeit, die in Niederösterreich von der niederösterreichischen Landesregierung finanziert wird, oder sei es auch für jene mittlerweile 14 Personen, die Persönliche Assistenz am Arbeitsplatz in Anspruch nehmen, welche vom Bundessozialamt finanziert wird.
Valerie Kattenfeld, Moderatorin: Das Bundessozialamt ist an diesem Tag durch Manfred Rötzer vertreten, der sich für die Integration behinderter Menschen am Arbeitsplatz stark macht.
Manfred Rötzer, Bundessozialamt: Ein großes Standbein seit ungefähr 20 Jahren ist der Bereich „berufliche Rehabilitation“. Dabei geht es darum, Menschen mit einer Beeinträchtigung, sei es jetzt geburtsbehindert, sei es unfallbedingt, sei es durch Krankheiten, mit Fördergeldern und anderen Unterstützungsmaßnahmen in den ersten Arbeitsmarkt hinein zu bekommen.
Die Zusammenarbeit findet in diesem Fall klassischerweise oft mit den Kollegen vom AMS, beziehungsweise Ihnen (=in diesem Bereich engagierte Gruppen / Vereine wie z.B. die WAG etc.; Anmerkung der Redaktion), statt. Durch eine gezielte Förderung versuchen wir den Erhalt dieses Arbeitsplatzes zu sichern. Wenn ein junger Mensch einen Motorradunfall erleidet und mit 20 Jahren als hoher Querschnitt im Rollstuhl sitzt, fragt er sich vielleicht: Was mache ich jetzt? Wer soll mich jetzt anstellen?
Wir können ihn dann dort mit zahlen, wir können versuchen, ihm den Zugang zum Unternehmen zu erleichtern. Wir können mit zahlen, ihm den Arbeitsplatz zu unterstellen, wir können dem Dienstgeber eine Minderleistung entgelten.
Eine andere Gruppe ist die der Menschen "50+". Mit einer Behinderung und erhöhten Krankenstandszeiten kann man oft nicht mehr so mit. Wenn der Dienstgeber hier meint, jemand würde ihm zu teuer kommen, dann können wir da auch etwas machen. Um sich das besser vorstellen zu können: 1988 hatten wir hier in Österreich rund 41 000 begünstigte Personen. Jetzt, zwanzig Jahre später, liegen wir bei 94 000. Das ist eine Verdopplung! Aufgrund der budgetären Bedeckungen seitens des Ausgleichstaxfonds der europäischen Sozialfonds und der "Behindertenmilliarde" für Behindertenmaßnahmen dieser Art kommt es österreichweit zur Leistung von 150 Millionen Euro, in Niederösterreich sind dies 25 Millionen Euro. Ich möchte diesen Betrag jetzt nicht in Schilling umrechnen, das ist mir zu anstrengend. Wie man sieht gibt es in diesem Bereich sehr viel Geld und es wird versucht, dieses Geld möglichst zweckgerichtet einzusetzen.
Valerie Kattenfeld, Moderatorin: Markus Fritsch, 33-jähriger Programmierer aus Linz, ist so jemand, der von dieser Fördermaßnahme profitiert. Nach Matura und Studium ist er für seinen Beruf in einer Computerfirma voll qualifiziert, schafft aber als im Rollstuhl Sitzender den Weg in die Arbeit nicht ohne Unterstützung. Dank seiner Ausbildung erfüllt er die Rahmenbedingungen der Inanspruchnahme der Persönlichen Assistenz am Arbeitsplatz. Diese Bedingungen werden von Christoph Dirnbacher folgendermaßen definiert:
Christoph Dirnbacher, Geschäftsstellenleiter der WAG - Assistenzgenossenschaft Niederösterreich: Wichtig bei der Persönlichen Assistenz, vor allem auch bei der Persönlichen Assistenz am Arbeitsplatz ist, dass derjenige, der die Assistenz in Anspruch nimmt, selbst die fachliche und auch die persönliche Eignung hat für den Job den er / sie ausführt. Das heißt, Persönliche AssistentInnen übernehmen all jene Handreichungen, die behinderungsbedingt einfach nicht möglich sind. Das kann sein: Hilfe beim Anziehen, Frühstück machen, der Weg zur Arbeit, in der Arbeit den Stift halten, etwas vom Regal geben, Tippen auf Ansage, Hilfe am WC, den Telefonhörer halten,...
Valerie Kattenfeld, Moderatorin: Im Fall von Markus Fritsch besteht die Persönliche Assistenz am Arbeitsplatz in erster Linie von morgens zur Arbeit fahren und danach wieder abholen. Insgesamt hat er vier AssistentInnen. Eine davon ist Silvia Kehrer, die ihn seit etwa einem Jahr unterstützt.
Gespräch zwischen Markus Fritsch und seiner Assistentin Silvia Kehrer: „Leerst du mir das Getränk bitte raus?" "Ja. Möchtest Du es mit einem Strohhalm oder einfach so trinken?" "Nein, ein Glas reicht. Geht schon, danke Dir!"
Valerie Kattenfeld, Moderatorin: Zusammengefunden haben die beiden über den oberösterreichischen Verein Miteinander Leben. Dieser bietet - genau wie die WAG - ein Service für jene an, die AssistentInnen brauchen.
Markus Fritsch, Programmierer: In Linz ist es so, dass im Vorfeld abgeklärt wird, welche Assistentin oder welcher Assistent passen könnte. Dann stellen sich Assistenten bei mir vor. Das kann man sich so vorstellen wie ein richtiges Vorstellungsgespräch. Dann sage ich dem Verein Miteinander Leben welchen Assistenten ich nehmen werde und welchen nicht. Danach gibt es eine Probezeit und nach dieser Probezeit bekommen die Assistentin oder der Assistent einen richtigen BAGS - Kollektivvertrag. Es kommt damit zu einem voll sozialrechtlichen Arbeitsverhältnis zwischen dem Verein Miteinander Leben und dem Assistenten. Ich habe also primär nur die Aufgabe einen Assistenten auszusuchen und meine Pflichten als Arbeitgeber zu erfüllen.
Valerie Kattenfeld, Moderatorin: Zu den Pflichten des Arbeitgebers gehört in erster Linie das Festlegen der Aufgaben. Silvia Kehrer ist für Markus Fritsch in beiden Bereichen tätig. Sowohl in der Freizeit als auch in der Arbeit. Der Zeitpunkt, zu dem ihre Rolle wechselt, lässt sich ziemlich genau mit dem Betreten der Wohnung festlegen.
Markus Fritsch, Programmierer: Eines muss man klar unterscheiden: Sobald Silvia bei mir die Türe betritt ist das nicht mehr Arbeitsassistenz sondern Persönliche Assistenz.
Valerie Kattenfeld, Moderatorin: Da die beiden Bereiche unterschiedliche Förderer haben, hat dieser Übergang für Markus Fritsch eine finanzielle Bedeutung. Nun zahlt nicht mehr das Bundessozialamt für die Persönliche Assistenz am Arbeitsplatz, sondern die Oberösterreichische Landesregierung für Persönliche Assistenz in der Freizeit. Die Höhe dieser Unterstützung ist in Österreich nicht einheitlich geregelt.
Markus Fritsch, Programmierer: Die Arbeitsassistenz ist für mich komplett gratis, die Persönliche Assistenz ist bei uns in Oberösterreich wieder eine ganz andere Geschichte. Bei der Persönlichen Assistenz bezahle ich pro Stunde 4,50 € selbst. Das hört sich nicht viel an, doch wenn meine Angestellte mit mir unterwegs ist, muss ich für alle Nebenkosten aufkommen. Wenn ich mit ihr ins Kino gehe, muss ich z.B. die Kinokarte, die Getränke, „alles rundherum“ bezahlen. Bezüglich des Geldes sollte man aber genau aufpassen. Sie ist meine Mitarbeiterin, ich bin ihr Chef. Da es sich um ein Arbeitsverhältnis handelt, sollte man die professionelle Distanz zueinander wahren - ganz wie in anderen beruflichen Beziehungen auch.
Valerie Kattenfeld, Moderatorin: Genauso wie die Beziehung zum Assistenten, trotz freundschaftlichen Umgangs miteinander, als Dienstleistung definiert bleibt, ist darauf zu achten, die tatsächlichen Freunde nicht als Hilfen im Alltag auszunutzen. Die Persönliche Assistenz stellt somit eine notwendige Entlastung persönlicher Beziehungen dar.
Markus Fritsch, Programmierer: Man darf nie vergessen, worauf ich einfach explizit Wert lege - auch bei meinen Freunden: Freundschaft darf nicht ausgenutzt werden! Wenn ich merke: Ok, der muss mich jetzt abholen... - Dann ist es selbstverständlich, dass ich mit dem Taxi dorthin komme, weil es ihn jetzt nicht interessiert, wenn er mir helfen muss. Ich glaube es ist eine Art Grundbedingung, damit Freundschaft funktioniert. Zum Beispiel gehe ich mit ihnen nicht schwimmen, wenn ich schwimmen gehe. Ich habe meine Assistentin dabei. Sie hilft mir dann beim Ausziehen und Anziehen, denn das wäre eine Art Ausbeutung von der Freundschaft, das tue ich nicht.
Valerie Kattenfeld, Moderatorin: Zurück zur Veranstaltung der WAG: Um auch einen gewissen Überblick über die generelle Situation in Europa zu erhalten, spricht ein Experte aus Deutschland:
Andreas Vega, Zentrum für Selbstbestimmtes Leben (München): Vielen Dank für die Einladung! Mein Name ist Andreas Vega, ich bin aus München, von einem Zentrum für Selbstbestimmtes Leben. Unsere Aufgabe in München ist es, Menschen zu beraten und zu unterstützen, die ein selbstbestimmtes Leben in ihren vier Wänden, eben außerhalb von Einrichtungen, führen wollen. Ich denke, Persönliche Assistenz ist ein wichtiger Schlüssel, um eine gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen in der Gemeinde zu ermöglichen.
In Europa ist es so, dass es ein Vorzeigeland gibt - sage ich jetzt einmal. Das ist Schweden. In Schweden wurde 1994 ein Gesetz eingeführt - trotz einer Rezession - das nennt sich etwa "Gesetz zur Erstattung von Assistenzkosten". Dort wurde die Zuständigkeit für Persönliche Assistenz auf den Bund verlagert, also nicht von der Gemeinde weg, um die Gemeinden eben finanziell auch zu entlasten. Auf einen Schlag sind mit diesem Gesetz 45.000 Arbeitsplätze geschaffen worden. Persönliche Assistenz ist also auch ein Wirtschaftsfaktor. Ebenso meine ich, dass Persönliche Assistenz für die soziale Entwicklung einer humanen Gesellschaft ein ganz wichtiger Schlüssel ist.
In Europa ist es sehr unterschiedlich: In Deutschland haben wir Persönliche Assistenz in einigen Hochburgen. Eine Hochburg ist München. In den ländlichen Gebieten wird es immer schwieriger. Dort fehlen Strukturen. Es gibt keine Bereitschaft der Kommunen, die entsprechenden Finanzierungen und Kosten zu übernehmen. Da wird deutlich, dass Persönliche Assistenz auch eine gesamt gesellschaftspolitische Frage ist.
In den anderen Ländern schaut es noch viel schlimmer aus. Ich sage einmal: In Südeuropa hinkt man sehr hinterher. In Italien ist es so, dass dort nach Kassenlage finanziert wird. Dadurch findet man Persönliche Assistenz hier natürlich im reicheren Norden. In Osteuropa gab es vereinzelt von der EU finanzierte Projekte in Sofia, Belgrad, etc. Leider konnte das politisch - meines Wissens nach - nicht umgesetzt werden.
Oft ist es wirklich so, dass die EU Sachen initiiert, auch in Belgien. In Flandern beispielsweise gab es mehrere Projekte, die Persönliche Assistenz gefördert haben - allerdings mit einem gedeckelten Budget. Gedeckeltes Budget bedeutet immer, dass man davon ausgehen muss, dass eine bedarfsfähige Assistenz nicht gewährleistet wird. Es gibt z.B. eine bestimmte Stundenanzahl am Tag. Wenn Sie einmal mehr brauchen, müssen Sie eben sehen, wie Sie das anders regeln. Oder Sie müssen doch wieder in eine Einrichtung.
Valerie Kattenfeld, Moderatorin: Um die Einweisung ins Heim zu vermeiden, bedarf es weiterer Förderungen von Persönlichen Assistenten. Eine bundeseinheitliche Regelung von Persönlicher Assistenz für alle Lebensbereiche gehört zu den primären Zielen der WAG. Es geht darum, behinderte Menschen nachhaltig in die Gesellschaft zu integrieren.
Christoph Dirnbacher, Geschäftsstellenleiter der WAG - Assistenzgenossenschaft Niederösterreich: Mit Persönlicher Assistenz werden Menschen mit Behinderungen sichtbar. Sie nehmen am Alltagsleben teil, sie nehmen am Berufsleben teil. Sie nehmen im Grunde an der Gesellschaft teil. Das ist zwar recht platt formuliert, aber wenn man sich überlegt, was dahinter steht, so ist das eigentlich das Ziel wo wir hin müssen.
Julia Karrer, Sprecherin: Gestaltung: Valerie Kattenfeld. Technik: Andreas Karlberger
Musik
Denise Feldmann, Sprecherin: Behinderte Frauen sind in Beruf und Ausbildung häufig Diskriminierungen ausgesetzt. Wegen ihres Geschlechts und ihrer Behinderung. Dies zeigt eine neue Studie aus Salzburg, um die es im nächsten Bericht geht.
Gestaltung und Sendungsverantwortung: Marlies Neumüller
Interviews: Tamara Lugstein
Sprecherin: Denise Feldmann
Sprecher: Raphael Sas
Technik: Harald Landgraf
Raphael Sas, Sprecher: Behinderte Frauen haben es besonders schwer, Arbeit zu finden. Sie werden doppelt diskriminiert: als Frau und als Mensch mit Behinderung. Was viele Betroffene immer schon geahnt haben, ist erstmals in Österreich wissenschaftlich belegt: Die Diskriminierung beginnt schon in der Ausbildungszeit und setzt sich das ganze Berufsleben hindurch fort. Die Ergebnisse sind dementsprechend ernüchternd, weiß Dagmar Stranzinger, Frauenbeauftragte der Stadt Salzburg:
Dagmar Stranzinger, Frauenbeauftragte der Stadt Salzburg: Die aktuelle Situation der Frauen mit Behinderung am Arbeitsmarkt ist wirklich schlecht. Zum einen ist es schon ein großes Problem, dass sie vielfach nicht die Ausbildung machen konnten, die sie eigentlich gerne machen hätten wollen. Viele junge Frauen haben nur eine sehr eingeschränkte Berufsausbildung. Da tragen auch die Eltern dazu bei, indem sie Mädchen schon gar nicht so die Chancen geben, in ihrem beruflichen Fortkommen unterstützt zu werden. In vielen Bereichen gibt es auch Barrieren, dass Frauen mit Behinderung auch wirklich einen Ausbildungsplatz bekommen.
Raphael Sas, Sprecher: In der Studie mit dem Titel "Frauen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen am Salzburger Arbeitsmarkt" hat das Land Salzburg erheben lassen, wie es behinderten Frauen am Salzburger Arbeitsmarkt geht und welche Verbesserungsmöglichkeiten es gibt. Die Idee zur Studie wurde 2003, dem europäischen Jahr für Menschen mit Behinderungen, entwickelt, erzählt Martina Berthold. Sie ist Mitarbeiterin des Büros für Frauenfragen und Chancengleichheit der Stadt Salzburg, das an der Studie beteiligt war.
Martina Berthold, Büro für Frauenfragen und Chancengleichheit der Stadt Salzburg: Wir haben 2003 einen Frauentag gehabt zum Thema „Frauen mit Behinderungen“. Wir sind im Zuge des Frauentages darauf gekommen, dass es in Salzburg dazu noch wenig gibt. Daraufhin haben wir gemeinsam mit dem Frauenbüro der Stadt Salzburg ein Projekt gestartet. In dieser Auseinandersetzung in den Workshops mit den Frauen wurde klar, dass es eine grundlegende Untersuchung zum Thema „Frauen mit Behinderung“ nicht gibt. Es gibt wenig Zahlenmaterial: nur ganz wenig ist geschlechtsspezifisch aufgeschlüsselt. Vor allem die Themen „Existenzabsicherung von Frauen“, „Eigenständigkeit“ sowie „Erwerbsarbeit“ wurden bisher nicht erforscht und erarbeitet.
Raphael Sas, Sprecher: Neu an der Studie ist auch, dass Frauen mit Behinderungen nicht nur als Forschungsobjekt dienten, sondern auch aktiv am Prozess teilgenommen haben.
Martina Berthold, Büro für Frauenfragen und Chancengleichheit der Stadt Salzburg: Besonders an der Studie ist auch, dass Wissenschafterinnen nicht nur einen bestimmten Bereich oder ein Thema beforschten, sondern in der Reflexionsgruppe auch Frauen mit Behinderungen diese Studie begleitet und immer wieder kritisch durchleuchtet haben, was die Forscherinnen beforscht, erarbeitet, zusammengeschrieben haben. Dadurch ist es auch wirklich eine Studie von Betroffenen und Mit-Betroffenen.
Raphael Sas, Sprecher: Für die Studie wurden statistische Daten erhoben. Weiters erzählten 37 Frauen mit Behinderungen im Alter zwischen 15 und 60 Jahren in Interviews über ihre Erfahrungen mit Arbeit und Ausbildung. Ihre Behinderungen sind unterschiedlich und reichen von Körper-, Seh- oder Hörbehinderung, über Lernschwierigkeiten bis zu psychischen Beeinträchtigungen. So verschieden die Behinderungen aber auch sind, so sehr ähneln sich oft die erfahrenen Diskriminierungen. So wurde in der Berufsausbildung auf die Wünsche der Frauen oft keine Rücksicht genommen. Einige mussten in einem anderen Bundesland, weit weg von ihren Familien, eine Sonderschule mit Internat besuchen, um überhaupt irgendeine Art von Ausbildung zu bekommen. Nach Abschluss ihrer Ausbildungslaufbahn bekamen viele der Interviewpartnerinnen nicht jene Arbeitsstellen, die ihren Wünschen und Qualifikationen entsprachen. Aber auch der Arbeitsalltag hatte es in sich: Mobbing durch Vorgesetzte und Kollegen war keine Seltenheit, erzählt Barbara Stranzinger.
Dagmar Stranzinger, Frauenbeauftragte der Stadt Salzburg: Das wirklich Gravierende ist die Erfahrung am Arbeitsmarkt selbst: die tagtäglichen Diskriminierungen. Zu spüren, dass die Frauen mit Behinderung nicht ganz dazugehören… Anfeindungen auch von den Kolleginnen und Kollegen am Arbeitsplatz. All das sind Faktoren, die es schwer machen und die dann häufig auch dazu führen, dass Frauen sagen: Ich schaffe diesen Job nicht mehr! Ich tue mir das nicht mehr an! Ich sehe keine Perspektiven für mich hier wirklich gut weiter zu kommen!
Raphael Sas, Sprecher: Oft ist ein schlechtes Arbeitsklima aber nur die Vorstufe zu noch Schlimmerem. Viele der interviewten Frauen sind am Arbeitsplatz und in ihrer Ausbildung Opfer von Gewalt geworden, beschreibt Studienautorin Birgit Buchinger die Situation.
Birgit Buchinger, Studienautorin: 40 % der Frauen, mit denen wir Interviews gemacht haben, hatten / haben Gewalterfahrungen - viele sexuelle Gewalterfahrungen als ein zentraler Themenstrang. Manchmal dachten wir uns: Wie konnten diese Frauen überleben und so stark bleiben, dass sie nach wie vor im Kampf um Erwerbsarbeitsplätze unterwegs sind?
Raphael Sas, Sprecher: Erfahrungen mit sexueller Gewalt hat auch eine sehbeeinträchtigte Interviewpartnerin gemacht. Sie erinnerte sich im Interview mit den Forscherinnen an Vorfälle während ihrer Ausbildungszeit im Internat.
Zitat: "Die Mädchen haben im Internat in dem Stock gewohnt in dem auch der Direktor seine Wohnung hatte, in der eine Glastür war. Es gab eine Anweisung des Direktors: Wir Mädchen müssten uns unbekleidet im Waschraum waschen. Keine Erzieherin hat uns damals geholfen. Wir waren den Autoritätspersonen völlig ausgeliefert. Es wurde auch jeder Brief geöffnet den wir bekommen haben. Die Mädchen haben untereinander darüber nicht gesprochen, wahrscheinlich aus Scham. Meine Eltern haben uns auch keinen Beistand geleistet. Die trauten sich aber sicher nichts zu sagen, weil sie mehrere Töchter im Internat hatten und die Kosten der Staat übernahm.“
Raphael Sas, Sprecher: Erfahrungen wie diese sind auch der Grund, warum vermehrt integrative Angebote in der Frauenberatung geplant sind. In Salzburg will man in Zukunft darauf achten, dass auch behinderte Frauen alle Beratungsstellen in Anspruch nehmen können, meint Martina Berthold.
Martina Berthold, Büro für Frauenfragen und Chancengleichheit der Stadt Salzburg: Es ist uns wichtig, dass das Thema Kompetenz oder Integration von Behinderung auch in unseren Förderkriterien des Frauenbüros des Landes aufscheint. Hier sind auch die Fraueneinrichtungen aufgefordert, sich dieses Thema selbst, bzw. mit unserer Unterstützung, zu erarbeiten, sowie auf wirklich integrative Angebote zu setzen. - Also, dass Frauen mit Behinderungen nicht auf Spezialbereiche verwiesen werden müssen, sondern dass in einer Beratungsstelle wie „Frau und Arbeit“, in einem Frauengesundheitszentrum,... auch integrativ die ganzen Angebote für Frauen mit Behinderungen zugänglich sind.
Raphael Sas, Sprecher: Um Frauen mit Behinderung in den Beratungszentren auch kompetente Unterstützung bieten zu können, ist jedoch viel Wissen um die Probleme und Bedürfnisse von Frauen mit Behinderungen notwendig. In Ausbildungen für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Frauenberatungszentren soll es deshalb eigene Fortbildungen zum Thema Behinderung geben. Bei diesen Seminaren werden auch selbst behinderte Frauen mitwirken, so Dagmar Stranzinger, Frauenbeauftragte der Stadt Salzburg.
Dagmar Stranzinger, Frauenbeauftragte der Stadt Salzburg: Um hier eine Erleichterung zu bieten, gibt es erstmals ab Oktober 2008 ein Fortbildungscurriculum für Beraterinnen in Fraueneinrichtungen. Dieses setzt auf zwei Schienen an: Eine ist Information. Hier sollen alle Beraterinnen alle rechtlichen und sonstigen Information parat haben. Ebenso wichtig ist, dass es ein Wissen über die unterschiedlichen Formen von Behinderung und Beeinträchtigung gibt und dass die Beraterinnen auch frei genug sind, adäquat reagieren zu können. Selbst aufgeschlossene Menschen haben immer noch Ängste, weil sie oft nicht wissen: Wie gehe ich mit einer sehbehinderten Frau um? Wie gehe ich mit einer Rollstuhlfahrerin um, darf ich da fragen ob ich helfen kann?
Raphael Sas, Sprecher: Diese Maßnahmen sind ein erster Schritt, um die Situation von Frauen mit Behinderung in Salzburg zu verbessern. Als behinderte Frau an der Studie teilgenommen hat auch Gabriele Pöhacker, Behindertenreferentin der Erzdiözese Salzburg. Für sie ist es ein positives Zeichen, dass sich Stadt und Land Salzburg nun aktiver mit dem Thema Frauen und Behinderung auseinandersetzen wollen. Wichtig ist aber auch, dass sich behinderte Frauen untereinander vernetzen, meint Pöhacker.
Gabriele Pöhacker, Behindertenreferentin der Erzdiözese Salzburg: Hoffnung gibt mir auch, dass bei der Studie nochmals so klar wurde, wie wichtig es ist, dass wir uns über die Behinderungen weg solidarisieren, und wie viel Potential da drinnen ist. Ich glaube, eines der wichtigen Dinge ist, dass diese Vereinzelung aufhört. Wir tun uns deshalb so schwer, die Dinge durchzusetzen, die wir wirklich brauchen, weil sich Frauen mit Behinderung immer wieder schämen. Ich merke das in Gesprächen, als wäre es ein Makel, den man möglichst vertuscht. Dann braucht das normale Leben so viel Kraft, dass nichts mehr übrig bleibt, um sich zusammenzutun und politisch zu arbeiten.
Raphael Sas, Sprecher: Die verstärkte Zusammenarbeit von behinderten Frauen ist ein künftiges Projekt. Doch auch heute kann Gabriele Pöhacker eine positive Zwischenbilanz ziehen. Die Zusammenarbeit mit den Forscherinnen ist für sie gut verlaufen. - Das, obwohl sie am Anfang an der Studie gar nicht teilnehmen wollte.
Gabriele Pöhacker, Behindertenreferentin der Erzdiözese Salzburg: Ich werde nie vergessen, wie ich ein Mail erhalten habe, ob ich mich für ein Interview zur Verfügung stelle und bereit bin, bei der Reflexionsgruppe mitzuarbeiten. Ich habe damals ein ziemlich unwilliges Mail zurück geschrieben und mir gedacht: Das gibt wieder einen Haufen Papier. Und wieder werden das Frauen sein, die über uns richten, Frauen die selbst keine Behinderung haben. Das wollte ich nicht mehr machen.
Raphael Sas, Sprecher: Schließlich hat sich Gabriele Pöhacker trotzdem überreden lassen und war von der Arbeitsweise der beiden Studienautorinnen Ulrike Gschwandtner und Birigt Buchinger positiv überrascht:
Gabriele Pöhacker, Behindertenreferentin der Erzdiözese Salzburg: Wir hatten mit zwei Frauen zu tun, die wirklich ein Stück des Weges mit uns Frauen mit Behinderung gegangen sind. Das ist so wirklich noch nie passiert. Ich nehme mit, dass ich auch Frauen ohne sichtbarer Behinderung vertrauen kann, nämlich so vertrauen kann, dass man wirkliche alle Sorgen, alle Bekümmernisse, alle Erschwernisse aussprechen kann, ohne dadurch in eine Rolle zu kommen, in der man jemand wird, um den man sich kümmern muss.
Raphael Sas, Sprecher: Positives Feedback kommt aber nicht nur von Seiten der behinderten Teilnehmerinnen. Auch bei der Studienautorin Birgit Buchinger bleiben vor allem positive Erinnerungen zurück.
Birgit Buchinger, Studienautorin: Meine Kollegin Ulli Gschwandtner und mich hat im Rahmen dieser Studie unheimlich Vieles bewegt. Zum einen waren die Begegnungen mit den Frauen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen so etwas von beeindruckend: Quer durch alle Behinderungs- und Altersformen auf so viele, unglaublich kompetente und unglaublich strategisch denkende Frauen zu treffen! - Das, obwohl ihnen im öffentlichen Raum die verschiedensten Systeme wie Arbeitsmarkt, Schulsysteme, etc. so mannigfaltige Barrieren und Behinderungen in den Weg legen…
Raphael Sas, Sprecher: Die vielen Barrieren, die behinderte Frauen im Alltag überwinden müssen, wurden in der Studie aufgezeigt. Ob sie auch beseitigt werden, wird die Zukunft zeigen.
Denise Feldmann, Sprecherin: Die in diesem Beitrag verwendeten Interview-Ausschnitte wurden uns von der Radiofabrik Salzburg zur Verfügung gestellt.
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