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.Ausfall der Pflegegelderhöhung enttäuscht nicht nur behinderte Menschen
Im aktuellen Regierungsprogramm ist statt einer jährlichen Valorisierung (= Wertanpassung) des Pflegegeldes, die von allen Parteien - auch von SPÖ und ÖVP - in der Pflegediskussion gefordert worden waren, nur mehr eine einmalige Erhöhung in dieser Legislaturperiode (etwa in drei Jahren kurz vor den Wahlen?) festgeschrieben:
"Das Pflegegeld des Bundes ist in dieser Gesetzgebungsperiode einmal selektiv nach Pflegestufe zu valorisieren; die Einteilung der Pflegestufen ist zu überprüfen" (vgl. (BIZEPS) / (derStandard). Valorisieren heißt: An den Wert anpassen. Nur an welchen - den von 1995, den der letzten Legislaturperiode oder etwa nur an den des jeweiligen Vorjahres? Was einen veritablen Verlust bedeuten würde.
Gusenbauer vor der Wahl
Der jetzige Bundeskanzler Dr. Gusenbauer hatte in der Pflegedebatte im Nationalrats-Wahlkampf den vergangenen Regierungen vorgeworfen, das Debakel im Pflegebereich sei nicht zuletzt durch die permanente jährliche Nichtvalorisierung des Pflegegeldes entstanden.
Lapp und Huainigg
Die Behindertensprecherin der SPÖ, Christine Lapp, die in der Vergangenheit sehr offensiv von der vorigen Bundesregierung und auch der jeweiligen Sozialminister eine jährliche Valorisierung gefordert hatte, bestätigte auf Anfrage von Freak-Radio bei ihrer Pressekonferenz am 15.Jänner 2007, die sie gemeinsam mit dem Behindertensprecher der ÖVP abhielt, dass sie darüber nicht glücklich sei. Es sei bei den Regierungsverhandlungen an der Finanzgruppe gescheitert. Wie früher schon die Juniorpartner (FPÖ, BZÖ) unter Bundeskanzler Schüssel immer wieder bezüglich Wertanpassung betont hatten, soll »die ÖVP« dies verhindert haben. Es wäre sehr bedenklich, wenn die Kanzlerpartei unter Dr. Gusenbauer in diesem Punkt, nun dem Juniorpartner (ÖVP) nachgegeben hätte. Noch beschämender wäre aber, wenn dies von der SPÖ gar nicht (vehement genug) gefordert worden wäre. Lapp und Huainigg zeigten sich allerdings ansonsten mit dem Regierungsprogramm im Behindertenbereich zufrieden.
Sozialminister Buchinger
Der neue Sozialminister Dr. Erwin Buchinger, SPÖ, meinte in der ersten Parlamentssitzung am 16. Jänner 2007 auf eine diesbezügliche Anfrage des BZÖ, eine Einmalerhöhung des Pflegegeldes in dieser Legislaturperiode sei das Minimalziel - "wenn es sich finanziell jedoch ausgehe", solle eine Erhöhung öfter erfolgen. Diese Äusserung macht deutlich, dass es eine Frage des politischen Willens ist, welche Priorität Menschen mit Behinderungen im Budget eingeräumt wird. Eine leistbare Pflege, so Buchinger weiter, solle in einer Arbeitsgruppe ausgearbeitet werden (Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge - Pflegeversicherungsmodell, eventuell mit Volksabstimmung).
Buchinger ist persönlich kein Freund dieses Modells, hofft aber auf konstruktive Vorschläge der Arbeitsgruppe, die am 1. Juli 2007 Vorschläge vorlegen solle.
Die sogenannte Behindertenmilliarde (= Euro-BehindertenEinVierzehntelMilliarde) soll es übrigens weiter geben - unter dem Titel "Beschäftigungsoffensive".
Wertanpassung von mehr als 25% des Pflegegeldes bis spätestens 2010?
Vielleicht sollten wir die neue Regierung tatsächlich beim Wort nehmen dürfen? Als Kinder haben wir gelernt: "Versprochen ist versprochen und wird auch nicht gebrochen!" Das Paket des Koalitionspaktes kann, nach übereinstimmenden Kommentaren beider Parteien, auch nicht mehr aufgeschnürt werden. Da nun einmal eine einmalige Valorisierung beschlossen ist, sollten wir uns vielleicht schon auf eine tatsächliche Wertanpassung spätestens bis 2010 freuen dürfen! Diese müsste, inflationsbedingt, mehr als 25% ausmachen, nach dem »Preisindex für Pensionistenhaushalte« (die meisten Pflegegeldbezieher sind leider Pensionisten) sogar noch mehr!
Über Ausmaß und Zeitpunkt dieser einmaligen Valorisierung wurde jedoch noch nichts festgelegt.
Bitterer Nachgeschmack: Eine Nachzahlung der von den Pflegegeldbeziehern in den letzten elf Jahren verlustig gegangenen Mittel (etwa das Pflegegeld eines gesamten Jahres) bleibt wohl Illusion. Wir wollen keine falschen Hoffnungen wecken: Vielleicht läuft es ähnlich wie in der letzten ÖVP/BZÖ- Regierung, die die einmalige, marginale 2%- Erhöhung von 2005, der einzigen in den elf Jahren(!) von 1996 bis 2006, auch schon als "Valorisierung" verkauft hat und als Erfolg verbuchen wollte. Nun haben sich offenbar viele schon daran gewöhnt, fälschlich von Wertanpassungen zu sprechen.
Bessere Lösung geplant?
Abgesehen davon, wie das nun mit der Valorisierung gemeint sein könnte - Erinnern wir uns: Der im Dezember 2006 von der Opposition eingebrachte Antrag zur Erhöhung und jährlichen Anpassung wurde von SPÖ/ÖVP mit der Rechtfertigung, man könne einer »besseren Lösung« nicht vorgreifen, abgelehnt.
Bundeskanzler Dr. Gusenbauer hat in der Regierungserklärung (16.01.2007) angekündigt: "Jeder und jede soll sich für die Art von Pflege entscheiden dürfen, die den jeweiligen Bedürfnissen entspricht - sei es zuhause, im Kreis der Angehörigen, sei es durch die professionelle Betreuung mobiler Dienste oder sei es durch die engagierten Kräfte in den Heimen und Senioreneinrichtungen."
Dann jedoch wäre bei hohem Pflege- und Betreuungsbedarf mindestens das Vier- bis Zwanzigfache der bisherigen Pflegegeldleistungen (in welcher Form auch immer) nötig! Fragt sich nur, wie man das machen will. Bleiben wir also gespannt!
Wie kann die Regierung wieder das Vertrauen behinderter Menschen erlangen?
Wir wollen nicht alles mies machen, noch dazu, wo das meiste noch nicht konkretisiert wurde: Das Regierungsprogramm enthält viele Schlagworte und Worthülsen. Machen Sie sich selbst ein Bild, lesen Sie das Regierungsabkommen, zumal ja ein Regierungsprogramm eine Absichtserklärung ist. Speziell behinderte Menschen sind nach den gebrochenen Wahlversprechen in ihrem Vertrauen erschüttert. Es bedarf nicht nur guter Öffentlichkeitsarbeit, sondern auch der Realisierung aller guten Ansätze im Regierungsprogramm für behinderte Menschen. Beispielsweise die Ankündigung über bedürfnisgerechte Pflege mit Wahlfreiheit der Wohn- und Betreuungsform für jeden (also unabhängig von Art der Behinderung oder Alter). Oder auch die effektive Umsetzung und Weiterentwicklung des Behindertengleichstellungsgesetzes - wie ein barrierefreier öffentlicher Raum (Arztpraxen, Schulen, Amtsgebäude, Kultur- und Sportstätten, Gehsteigabsenkungen, akustische Ampeln und Leitlinien, öffentliche Verkehrsmittel etc.) oder die Schaffung von bundeseinheitlichen Mindeststandards in den jeweiligen Bauordnungen der Bundesländer (15A-Vereinbarungen). Auch sollte barrierefreies Gestalten Pflichtfach in der Ausbildung aller ArchitektInnen und BaumeisterInnen sein. Die Änderung der Gewerbeordnung, z.B. für barrierefreie Lokalitäten und Geschäfte wäre eine weitere von vielen anderen Erfordernissen. Nur so könnte die Ausgrenzung behinderter Menschen vom öffentlichen Leben der Vergangenheit angehören. Vielleicht ist dies in zehn bis zwanzig Jahren Selbstverständlichkeit - doch die richtigen Schritte müssen jetzt von der Politik konsequent vorangetrieben werden.
Die vollständige Umsetzung der hochgesteckten und lobenswerten Ziele wäre ein »Jahrhundert-Wurf«. Mit diesem könnte das Vertrauen der Bevölkerung, insbesondere das der behinderten Menschen, wieder erlangt werden...