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Behinderung und Homosexualität - Ein Tabu?
"Um Gottes Willen, mein Kind ist behindert und ist ein sexuelles Wesen. - Homsexualität hat dann noch gerade noch gefehlt. Dr. Dieter Schmutzer wird von überforderten Eltern oft mit einer Bitte konfrontiert: Reden Sie mit dem Kind! Das geht nicht!"
Dieter Schmutzer: Um Gottes Willen, mein Kind ist behindert und ist ein sexuelles Wesen.
- Schwul ist da noch ein Sahnehäubchen drauf….- Ich habe mir gedacht ich komme zu Ihnen, weil Sie befassen sich doch mit dem Thema und reden Sie mit dem Kind – und das Kind kann auch vierzig sein, und sagen Sie ihm: Das geht nicht!“
Freak Trailer
Willkommen bei Freak Radio. Am Mikrofon begrüßt Sie Katharina Zabransky. Das Thema der heutigen Sendung ist Homosexualität und Behinderung.
Am 1. September 2009 fand im EGA Frauenzentrum in Wien eine Podiumsdiskussion zum Thema Homosexualität und Behinderung – Ein Tabu? statt. Organisiert wurde sie durch die sozialdemokratische Homosexuellenorganisation SOHO.
Nach einführenden Worten der Moderatorin spricht der erste Redner des Abends, der Biologe, Umweltpädagoge, Sexualpädagoge und Sexualberater Thomas Rattay. Er ist Mitarbeiter im deutschen Jugendnetzwerk Lamda, Leiter der Sexualberatungsstelle "Na Sowas" in Schleswig Holstein, und freier Mitarbeiter bei Pro Familia in Lübeck. Sein Buch „Volle Fahrt voraus, Schwule und Lesben mit Behinderung“ ist 2007 erschienen
Moderatorin Martina Letter: Ich freue mich, dass ich Sie heute hier begrüßen darf und durch den Abend Homosexualität und Behinderung – Ein Tabu? führen darf. Ich bedanke mich natürlich auch bei unseren Dolmetscherinnen. Vielen Dank.
Leider, Sexualität und Behinderung ist bei uns in der Gesellschaft noch ein Tabu. Behinderte haben in der Vorstellung von sogenannten „Normalen“ kein Sexualleben.
Es ist einfach alles ganz verzwickt, verzwackt, man will darüber nicht reden. Und obwohl wir im 21. Jahrhundert leben, ist Homosexualität vor dem Recht noch nicht gleichgestellt, nicht gleichgestellt mit der Liebe von Heterosexuellen.
Dabei sollte doch Liebe einfach für alle Menschen das gleiche schöne Gefühl sein. Für mich ist es nur sehr, sehr schwer vorstellbar, was Menschen durchmachen, die eine Behinderung haben und die vielleicht auch noch homosexuell sind.
Nicht nur die Wirren der Pubertät, sondern auch noch die Wirren nachher, wie ist es, wie wird die Gesellschaft mit mir umgehen, wie werde ich Arbeit finden, wie wird meine Liebe aussehen (sind wesentliche Fragen).
Ich bin froh, dass wir heute hier darüber reden und ich hoffe, dass Sie nachher auch eifrig bei der Diskussion mitmachen, dass Sie zeigen, was Sie erlebt haben, was Sie interessiert.
Zur Entstehung des Buches …..
Thomas Rattay: Ich würde gerne erstmal kurz etwas sagen, wie das Buch entstanden ist. Das Jugendnetzwerk Lamda ist in Deutschland der bundesweite, also in ganz Deutschland verbreitete Jugendverband für junge Lesben, Schwule, bisexuelle und transidente Jugendliche. In dem Zusammenhang gibt es eine Bundesgeschäftsführung und da gibt es ein Referat speziell für Jugendliche mit Behinderung.
Ich habe dieses Referat 2002 sozusagen als Arbeit übernommen, habe dann angefangen auch die Öffentlichkeitsarbeit für den Bereich zu machen. Ein Teil davon ist neben Beratung für Jugendliche und Eltern, auch die Fortbildung für Fachkräfte.
Ich kam in einem Gespräch mit jungen Lesben und Schwulen, die auch zum Beispiel in unserem Büro gearbeitet haben, auf das Thema, dass sie gesagt haben: „Na ihr macht Öffentlichkeitsarbeit, aber wenn wir zum Beispiel in die Verbandszeitschrift gucken, da waren damals nie junge Lesben und Schwule vorhanden.“ Das war der Grund dafür, das erste Interview, mit einem jungen Mann, der bei uns Praktikant im Büro war, zu machen.
Daraufhin hat eine junge Frau gesagt: „ Ist ja hübsch wenn ihr wieder mal einen Schwulen in der Zeitung zeigt, ich als Lesbe erscheine mal wieder nicht.“
Moderatorin, Katharina Zabransky: So kam es zum zweiten Interview. Weitere Interviews ergaben sich, beziehungsweise kamen aus dem Bauch heraus.
Thomas Rattay: Ich werde immer gefragt, wer die Idee zu dem Buch hatte. Ich weiß es nicht mehr. Irgendwann gab es so viele Interviews, dass wir gesagt haben, Mensch, da wäre doch die Chance mehr draus zu machen!
Moderatorin, Katharina Zabransky: Nun liest Thomas Rattay Ausschnitte aus seinem Buch. Davor noch eine grundsätzliche Bemerkung.
Thomas Rattay: Jugendliche Lesben und Schwule mit Behinderung müssen zusätzlich zu den ganz normalen alltäglichen pubertären Entwicklungsaufgaben den konfliktreichen Aspekt des Andersseins einerseits in Bezug auf ihre sexuelle Orientierung und andererseits in Bezug auf das Thema Behinderung verarbeiten.
Außerdem müssen sie zusätzliche Entwicklungsaufgaben bewältigen,
in Bezug auf die Wahl der Liebes- und SexualpartnerInnen, die gelebte Sexualität - und was ich dann auch wirklich wichtig finde- auf die daraus resultierenden besonderen Lebensperspektiven.
Moderatorin, Katharina Zabransky: Als nächstes hören wir einen kurzen Bericht über die 29jährige Paula.
Doppelte Stigmatisierung und zweifaches Coming-out
Thomas Rattay: Während meiner Pubertät stand die Auseinandersetzung mit der Erblindung im Vordergrund. Daher habe ich mich nicht bewusst mit meiner Sexualität auseinandergesetzt. Ich hatte das Gefühl, das Leben würde, ohne etwas Besonderes für mich bereit zu halten, an mir vorüber gehen. Ich denke, daher ließ ich mich, meist betrunken auf unschöne sexuelle Erfahrungen mit Typen ein. Ich konnte mir damals auch vorstellen, eine Beziehung mit einer Frau zu haben, da ich Frauen schon immer anziehend fand. Als ich dann jedoch die ersten körperlichen Erfahrungen mit einer Frau hatte, stürzte mich das in absolute Verwirrung. Obwohl auch das eine „Partyerfahrung“ war, fand ich das Küssen mit einer Frau sehr schön.
Trotz allem fiel es mir schwer zu akzeptieren, dass ich mich zu Frauen hingezogen fühle und ich ging der Auseinandersetzung damit weitestgehend aus dem Weg.
Ich hatte gerade mit dem Prozess meine Behinderung zu akzeptieren abgeschlossen, und nun drohte die nächste Stigmatisierung. Diese Auseinandersetzung begann ich erst zu führen, nachdem mir meine erste Liebe begegnete. Für mich war diese Begegnung mit dieser Frau der Beginn mein lesbisch sein zu akzeptieren.
Jens 24 Jahre: Zweifaches Coming- out.
Bei Lamda gibt es für die Angebote für Jugendliche mit Behinderung den Titel „ Doppelt anders- doppelt gefordert“. Ich finde diesen Titel sehr passend. Viele sind ja erst behindert und dann schwul beziehungsweise lesbisch oder transgender.
Ich denke, dass man es akzeptieren muss, dass man eine Behinderung hat. Es ist wichtig, sich mit den damit verbundenen Problemen auseinander zu setzen, zum Beispiel mit dem Wunsch nach Akzeptanz in der Gesellschaft. Die nächste Behinderung ist dann, dass man nicht hetero ist. Dafür gilt es, sich auch erst seinen Platz in der Gesellschaft zu erkämpfen. Ich finde schon, dass beides Coming- out- Prozesse sind, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen und mit unterschiedlichen Rahmenbedingungen.
Wenn das „erste Coming- out“ mit der Behinderung gut gelaufen ist, hat man eine Menge mehr Selbstvertrauen als ein nicht behinderten Coming- outler. Das wird die wahrscheinlich erst klar, wenn du das zweiten Coming- out hinter dir hast und dann darüber nachdenkst. Zumindest war das bei mir so. Ich weiß nicht, ob der Umkehrschluss auch stimmt. Ich denke, wenn jemand seine Behinderung nicht akzeptiert und vielleicht viel Ablehnung erfahren hat, dann wird er auch größere Probleme bei sexuellen Coming- out haben. Mich hat in beiden Prozessen sehr unterstützt, wenn ich gemerkt habe, dass andere mich akzeptieren, wie ich bin. Das hat mir geholfen, mich selbst zu akzeptieren. Es ist ein Stück harter Arbeit, einen Platz in der Gesellschaft erkämpfen zu müssen. Es ist ein schönes Gefühl angenommen zu sein, wie man ist und geliebt zu werden.
Massive Anpassungsleistungen sind gefragt
Moderatorin, Katharina Zabransky: Junge Lesben und Schwule müssen in ihrem Leben große Anpassungsleistungen vollziehen, für die ist es sehr schwierig EIGENE Lebensperspektiven und ihren eigenen Weg zu finden. Manchmal führen die Probleme sogar zu Selbstmordgedanken. Jahrelange Auseinandersetzungen mit sich selbst und Depressionen sind normal.
Thomas Rattay: Ein Aspekt, der für Jugendliche auch ganz wichtig ist, und das hört sich, wenn man das so vorliest, dann immer ganz schnell an.. - Das sind oft jahrelange Auseinandersetzungen, innerliches Ringen, innerliche Konflikte, Rückfälle, teilweise Depressionen. Ich habe manche in der Beratung, die sogar versucht haben, sich selbst zu töten, weil sie gesagt haben: “Ich komm damit nicht klar.“
Moderatorin, Katharina Zabransky: Der nächste Redner am Podium ist der Lebens- und Sozialberater Dr. Dieter Schmutzer. Für ihn ist die Angehörigenarbeit und die Arbeit mit Betreuungspersonen wichtig, – oft liegen die eigentlichen Probleme bei der Umwelt und nicht beim Betroffenen selbst.
Eine eigene Herausforderung: die Angehörigen
Dieter Schmutzer: Es gibt in meiner Arbeit zum Thema Behinderung und Sexualität insgesamt und Homosexualität im Besonderen, so eine (Feststellung), über die Jahrzehnte, wo ich glaube, es ist wichtig zu sagen…
Das größte Problem, und daher die wichtigste Arbeit, ist immer die Arbeit mit Angehörigen. Dann kommt so irgendwie – die Arbeit mit Betreuungspersonen, auch in Einrichtungen, und last but not least glaube ich, ist es wichtig, mit den behinderten Menschen zu arbeiten.
Die brauchen im wesentlichen Unterstützung und jemanden der einfach sagt, es ist o.k. was du tust.
Ich habe, das sehr oft erlebt, dass Eltern kommen und sagen: „Um Gottes Willen mein Kind ist behindert und möchte irgendwie, redet von Sexualität oder ist ein sexuelles Wesen, oder…“ Und schwul ist da noch ein Sahnehäubchen drauf, oder lesbisch,- ganz schlimm ist dann noch Transgender, dann ist überhaupt Ende.
„Ich habe mir gedacht, ich komm zu Ihnen, weil Sie befassen sich doch mit dem Thema und reden Sie mit dem Kind. -“ Und das Kind kann auch vierzig sein. „- und sagen Sie ihm: Das geht nicht!“
Und dann sage ich, o.k. ,ich rede gern einmal mit Ihrem Kind, und wir arbeiten gerne, aber ich halte es für wichtig, dass wir uns einmal unterhalten, und dass wir ein Stückchen anschauen, was da an Ängsten, Befürchtungen, Unverständnis bei Angehörigen, aber auch Betreuungspersonen ist.
Probleme in der Arbeitswelt
Moderatorin, Katharina Zabransky:Herbert Pichler leitet das Büro „Chancen nutzen“ im ÖGB. Er ist eine Schnittstelle zwischen Arbeitswelt, Gesellschaft und Behinderten Community. Wie geht die Arbeitswelt mit Behinderung um?
Herbert Pichler: Homosexualität oder Sexualität und Behinderung ist in der Arbeitswelt kaum oder überhaupt kein Thema. Und ich glaube, das hängt auch damit zusammen, dass das Thema Homosexualität in der Arbeitswelt stark tabuisiert wird. Das kriegen wir auch immer wieder mit, weil gerade der Österreichische Gewerkschaftsbund sehr stark für Gleichstellung eintritt und wir auch in diesem Themenbereich, was Vielfalt, Diversity, Integration, Inklusion bedeutet, tätig sind. Das einzige, was dann auftaucht, jetzt sag ich aber absichtlich: Behinderung extra, Sexualität extra, wenn es Probleme gibt. Zusammen ist mir in meiner sechseinhalb jährigen Tätigkeit Sexualität und Behinderung in der Arbeitswelt noch kein einziges Mal begegnet.
Und ich denke, das liegt ganz stark daran,- ich möchte da an ein Wort anschließen, das Dieter Schmutzer gesagt hat: Der behinderte Mensch ist ein sexuelles Wesen!
Erfahrungen aus der Arbeit mit gehörlosen Menschen
Moderatorin, Katharina Zabransky: Frau Dr. Eva Munkenbeck von der Gehörlosenambulanz Wien spricht über die Problematik von Übergriffen bzw. sexueller Gewalt an gehörlosen Menschen.
Dr. Eva Munkenbeck: Ich kann nur von den Gehörlosen sprechen, weil ich mit gehörlosen Menschen arbeite. Ich glaube schon, dass behinderte Menschen vermehrt Missbrauchsopfer sind, weil, man glaubt Ihnen einmal nicht. „Sie phantasiert irgendwas daher, wer will denn die Behinderten schon überhaupt?“ Die Übergreifer sind, glaube ich, zu einem sehr, sehr hohen Prozentsatz aus dem Umfeld. Das heißt, es sind Betreuer oder sie sind aus der Familie, sind Freunde oder nahe Personen. Das ist halt dann sehr, sehr schwierig, dass das Opfer, das ohnehin in einer schwächeren Situation ist, sich dann überhaupt wehren kann.
Moderatorin, Katharina Zabransky: Thomas Rattay ergänzt dazu.
Ein Milieu für sexuelle Gewalt
Thomas Rattay: Ich glaube, da kommen zwei Dinge zusammen: wenn Sexualität ein Tabuthema ist und Leute nicht einmal Worte für ihre eigenen Geschlechtsorgane haben, wie sollen sie dann auch adäquat Missbrauch formulieren können? – Mit den Ergänzungen, die Sie schon gesagt haben,- dass sie auch nicht ernst genommen werden. In dem Sinne formen zwei Rahmenbedingungen ein gutes Milieu für Missbrauch.
Moderatorin, Katharina Zabransky: Dr. Dieter Schmutzer geht abschließend zurück zum Thema Selbstbewusstsein, Selbstbestimmung und Stolz. Oft fehlen behinderten Menschen Vorbilder, die auch vermittelt werden
Opferrolle oder Selbstbewusstsein?
Dieter Schmutzer: Also ich denke, die Opferrolle ist nicht unbedingt etwas, worum man sich giert, sondern es ist üblicherweise eine Position in die man hineingedrängt wird. Ich kann ja auch hergehen, und sagen: Ich bin stolz und lesbisch und ich bin stolz und behindert und ich bin stolz und behindert und transgender, was auch immer. Das erfordert aber, denke ich doch, ein sehr hohes Maß an Selbstbewusstsein und Eigenreflexion. Und die Frage ist, habe ich die Chance gehabt, das zu lernen?
Was ich einfach wahrnehme, ist, dass auf der einen Seite Lesben und Schwule noch lange nicht so viel positiv besetzte Vorbilder haben wie heterosexuelle Menschen. Und, dass behinderte Menschen extrem wenige Vorbilder oder Beispiele haben, wie man selbstbewusst und selbstbestimmt, und schon gar in der Sexualität selbstbewusst und selbstbestimmt sein kann.
Das ist ein Stückchen weit unsere Aufgabe und auch eine politische Aufgabe, deutlich Gegenbilder zu zeichnen, damit mehr und mehr und mehr Menschen in die Situation kommen zu sagen: Ja ich bin so und ich bin stolz darauf. Aber das ist ja auch nichts, was einem üblicherweise in die Wiege gelegt wird, sondern das ist etwas was man sich mühsam erwerben muss.
Moderatorin, Katharina Zabransky: Somit sind wir am Ende der heutigen Sendung. Bedanken möchte ich mich noch bei Dilawa Ötztürk, dem Techniker im EGA. Guten Abend und auf Wiederhören bei Freak – Radio.
Diskussionsteilnehmer:
- Dr. Eva Munkenbeck, Leiterin der Gehörlosenambulanz im Spital der Barmherzigen Brüder, Wien
- Thomas Rattay, Buchautor
- Dr. Dieter Schmutzer, Lebens- und Sozialberater
- Herbert Pichler,ÖGB
- Manfred Schütz, Betroffener
Idee: Peter Steinkellner
Anmerkung von Katharina Zabransky: Als selbst betroffene Person war Manfred Schütz an der Podiumsdiskussion beteiligt.
Menschen mit Lernschwierigkeiten kommen in der Transkription explizit nicht vor, sind als von Behinderung und Homosexualität Betroffene jedoch auch gemeint.