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.Damit Studierende mit Behinderungen nicht ohne Unterstützung dastehen
Marlene Fuhrmann-Ehn ist die Behindertenbeauftragte der Technischen Universität Wien und Mitglied im Verein Uniability. In diesem Interview, das im Rahmen der Projektsendung 4 aufgenommen worden ist, geht es um die Möglichkeiten von Behindertenbeautragten an den Universitäten oder von Instituten, Studierende mit Behinderungen bei ihrem Studium zu unterstützen
Freak-Radio: Sie sind Behindertenbeauftragte der Technischen Universität Wien. Was ist die Aufgabe eines oder einer Behindertenbeauftragten der Universitäten?
Mag. Marlene Fuhrmann-Ehn: Die Aufgabe der Behindertenbeauftragten an den einzelnen Universitäten ist es, das Thema Behinderung an den Universitäten zu thematisieren, in jeder Form. Das ist einerseits die Studienunterstützung direkt, also die direkte Studienunterstützung der behinderten Studierenden, wenn diese das wünschen: Also wenn sie zu uns kommen und von uns in irgendeiner Weise unterstützt werden wollen, dann werden sie das auch.
Oder das Einbringen des Themas Behinderung in die Lehre, in die Forschung, in den organisatorischen Bereich, in den Verwaltungsbereich, Maßnahmen im baulichen Bereich. Alles, was das Thema Behinderung und Studieren umfasst.
Freak-Radio: Nehmen wir einmal ein praktisches Beispiel: Es studiert jemand an der Technischen Universität oder möchte gerade anfangen zu studieren und kommt jetzt an die Universität. Erfährt man dort eigentlich, dass es Behindertenbeauftragte gibt?
Mag. Marlene Fuhrmann-Ehn: An und für sich sollte man das erfahren. Es sollte auf allen Homepages sein, bei uns ist es sogar in der Inskriptionsmappe. Es gibt einen Hinweis darauf auf der Inskriptionsmappe - und die Inskriptionsmappe bekommt jeder, der neu inskribiert, in die Hand.
Studierende mit verschiedenen Behinderungen und mit verschiedenen Anliegen
Freak-Radio: Jetzt kommt so jemand zu dieser Stelle, zur Behindertenbeauftragten, und was kann der- oder diejenige dort bei Ihnen erfahren?
Mag. Marlene Fuhrmann-Ehn: Erfahren kann sie, welche Form der Studienunterstützung es gibt, das ist sehr unterschiedlich, da gibt es nichts Einheitliches, das kommt eben auf die Universität an.
Wir haben sehr viele Studierende, die eine Körperbehinderung haben - und da ist es oft der Fall, dass die Studentinnen und Studenten Tutoren zur Verfügung gestellt bekommen, die ihnen zum Beispiel in der Vorlesung mitschreiben.
Man kann Unterlagen aufbereitet bekommen, wenn man sehbehindert ist. Wir bemühen uns wirklich darum, unser Angebot soweit das geht, nach dem Bedarf der Studierenden zu richten.
Freak-Radio: Jetzt ist die Technische Universität ja eine Universität, die eben Technik lehrt, weswegen man sich vielleicht auch mit einer körperlichen Behinderung ein bisschen schwerer tut. Ist das eigentlich bis jetzt ein Problem gewesen? Es gibt ja sicher einige Studienrichtungen wie Architektur, oder wenn man im Labor arbeiten muss...
Mag. Marlene Fuhrmann-Ehn: In der Zeit, in der ich da bin, hat es noch keine Probleme in dieser Richtung gegeben. Die Studierenden, die behindert sind und hier studieren, studieren zumeist Informatik. Das scheint ziemlich problemlos abzulaufen. Ich kann natürlich immer nur von denen sprechen, die ich kenne. Es wird vielleicht viele andere geben, aber die haben scheinbar ohnehin keine Probleme, sonst wären sie wahrscheinlich zu mir gekommen. Ich weiß aus Erzählungen von einer Chemiestudentin, einer Austauschstudentin aus Schweden, bei der es am Anfang einige Probleme gegeben hat, allerdings örtlicher Natur, was die Zugänglichkeit zu den Labors et cetera betrifft. Das hat man aber dann versucht zu lösen.
Freak-Radio: Gibt es im Hause auch bei großen Hörsälen Induktionsanlagen?
Mag. Marlene Fuhrmann-Ehn: Ja, im Hörsaal 1 gibt es das und bei den umgebauten Hörsälen am Karlsplatz wurden ebenfalls Induktionsanlagen eingebaut und die Technische Universität ist ja gerade dabei, sich umzustrukturieren und dabei ist das ein großes Thema. Da ist Barrierefreiheit ein ganz großes Thema.
Freak-Radio: Mit welchen Anliegen kommen denn die Leute hierher, was ist hier der Alltag?
Mag. Marlene Fuhrmann-Ehn: Der Alltag ist hier so: Mitschreib-Tutoren organisieren, sich die Unterlagen abholen, Mitschriften abholen, Unterlagen einscannen lassen, eventuell manchmal auch formelle Dinge zu erledigen, Verwaltungsdinge wie Inskribieren... Solche Dinge gehören hauptsächlich zu unserem Alltag.
Freak-Radio: Mit welchen unterschiedlichen Behinderungen kommen denn die Leute hierher?
Mag. Marlene Fuhrmann-Ehn: Mit allen Behinderungsformen.
Freak-Radio: Ich nehme an, dass das Einscannen eher für Menschen mit Sehbehinderung gedacht ist?
Mag. Marlene Fuhrmann-Ehn: Es gibt hier eine sehbehinderte Studierende, die die Studienberechtigungsprüfung macht. Sehbehinderte Studierende haben wir wenige, aber es sind doch alle Behinderungsformen vertreten.
Heute war eine gehörlose Studierende bei mir, die sich für das kommende Studienjahr erkundigt hat, wie es mit Tutorenunterstützung aussieht, ob sie jemanden bekommt, der ihr mitschreibt.
Freak-Radio: So etwas gibt es?
Mag. Marlene Fuhrmann-Ehn: Ja, so etwas gibt es. Wir an der Technischen Universität nennen das »Tutoren zur Studienunterstützung behinderter Studierender«. Das sind meistens Studierende aus demselben Fach, wenn das möglich ist, weil die ja wissen sollen was sie mitschreiben. Ich könnte zum Beispiel für niemanden mitschreiben, weil ich die Sachen dann auch nicht verstehe.
Freak-Radio: Wen unterstützen diese Tutorinnen und Tutoren?
Mag. Marlene Fuhrmann-Ehn: Die unterstützen die Studierenden, die das wollen. Die Studierenden kommen hierher, und fragen, ob wir ihnen so jemanden zur Verfügung stellen können, der für sie mitschreibt.
Freak-Radio: Wie viele von diesen Tutoren gibt es denn?
Mag. Marlene Fuhrmann-Ehn: Zurzeit haben wir fünf Tutoren, die uns zur Verfügung gestellt werden.
Freak-Radio: Im Grunde genommen habe ich jetzt schon relativ wichtige Dinge erfahren. Was hilft den Studierenden ganz besonders zu einem selbstbestimmten Leben?
Mag. Marlene Fuhrmann-Ehn: Die Tutoren passen meiner Meinung nach ganz toll zu Selbstbestimmung, weil das nicht irgendwelche netten Kollegen sind, die mir zufällig mitschreiben, es ist verbindlich. Die Tutoren sind hier angestellt, bekommen für das Mitschreiben auch bezahlt und die haben das einzuhalten. Der kann sich das nicht überlegen, dass es ihn einmal nicht freut, denn er hat einen Dienstvertrag, den er erfüllen muss. Dieses Modell ist so etwas ähnliches wie persönliche Assistenz am Arbeitsplatz im Studium. Gerade Tutoren tragen sehr viel zur Selbstbestimmung bei!
Freak-Radio: Die zahlt die Universität oder der Staat?
Mag. Marlene Fuhrmann-Ehn: Bei uns wird das von der Universität finanziert. Wir haben ein Institut, das uns die Tutoren zur Verfügung stellt.
Freak-Radio: Welches Institut ist das? Gibt es ein eigenes Institut dass sich auch mit Barrierefreiheit an der technischen Universität beschäftigt?
Mag. Marlene Fuhrmann-Ehn: Es gibt das Institut "Fortec" das ist ein Forschungsinstitut für Rehabilitations-Technologie.
Freak-Radio: Engagiert sich dieses auch für Studierende mit Behinderungen?
Mag. Marlene Fuhrmann-Ehn: Ja, wenn man dorthin kommt und sagt, dass man eine spezielle Tastatur oder ähnliches braucht, wird das entwickelt - oder es wird versucht, so etwas zu entwickeln.
Freak-Radio: Das heißt, an der Technischen Universität hat man noch den Vorteil, dass man eventuell auch Hilfsmittel ganz speziell für seine individuellen Bedürfnisse zur Verfügung gestellt bekommt.
Mag. Marlene Fuhrmann-Ehn: Ja, wenn das möglich ist, wenn wir das umsetzen können.
Freak-Radio: Wer ist dafür zuständig und wie ist das entstanden?
Mag. Marlene Fuhrmann-Ehn: Unser Institut, das Institut, dem auch die Behindertenbeauftragte angehört, ist das Institut "Integriert studieren". Das ist ein Institut das zwei Teilbereiche hat.
Forschungsgruppe FORTEC
Das eine ist eben das ehemalige Behindertenreferat zur Studienunterstützung behinderter Studierender und das andere ist die Forschungsgruppe Fortec, die sich mit Forschung und Lehre im Bereich der Rehabilitationstechnologie beschäftigt. Leiter und Vorstand der Forschungsgruppe Fortec ist Prof. Zagler (siehe Bild).
Die Gruppe entwickelt Rehabilitationstechnologie und Dinge, die Studierende mit Behinderungen brauchen. Man kann sich natürlich jederzeit an die Gruppe wenden und Fortec versucht dann, hier etwas zu entwickeln.
Ein Beispiel ist das Autonom. Das Autonom ist ein technisches Assistenzsystem, das es schon länger gibt. Ein behinderter Student, der Informatik studiert, ist zu uns gekommen und man hat versucht das System für ihn zu adaptieren, so dass er es zum Informatikstudium verwenden kann.
Freak-Radio: Welche Behinderung hatte dieser Student und wie ist dieses Hilfsmittel beschaffen?
Mag. Marlene Fuhrmann-Ehn: Er hat eine spastische Behinderung, das Autonom ist für ihn mehr als ein Hilfsmittel, das ist eigentlich sein Arbeitsgerät. Er studiert Informatik und hat einen ganz normalen PC wie jeder andere, nur wo andere eine Tastatur haben, hat er noch den Laptop als Tastatur, wo die einzelnen Icons drauf sind, die er braucht zum Programmieren. Bedienen kann er das System mit einem Fußschalter mit seinem linken Fuß. Das kann man sich auf der Homepage anschauen.
Freak-Radio: Wenn wir schon dabei sind: Wie ist die Homepage-Adresse?
Mag. Marlene Fuhrmann-Ehn: www.is.tuwien.ac.at
Freak-Radio: Ich habe noch eine Frage zu den Behindertenbeauftragten. Ich habe den Eindruck dass die Behindertenbeauftragten den österreichischen Universitäten auch ein Netzwerk bilden. Gibt es da einen Austausch?
Mag. Marlene Fuhrmann-Ehn: Ja, unser Netzwerk ist "Uniability". Das ist sozusagen der Dachverband der Behindertenbeauftragten - und es gibt einen sehr regen Austausch: über e-Mail, wir treffen uns, da wir ja über ganz Österreich verstreut sind, ungefähr halbjährlich und es gibt jetzt auch regelmäßige Konferenzen zirka einmal die Woche über Skype.
Freak-Radio: Es ist doch so, dass manche Universitäten keinen Behindertenbeauftragten haben. Versucht man auch, von Uniability zu schauen, dass solche Stellen eingerichtet werden?
Mag. Marlene Fuhrmann-Ehn: Und ob wir das versuchen!! Wir sind etwa im Juni 2006 an die österreichische Rektorenkonferenz herangetreten und haben ein Papier entwickelt. In diesem sind Grundstandards der Studienunterstützung für behinderte Studierende an den Universitäten festgehalten enthalten, damit die Studienbedingungen in Österreich möglichst einheitlich werden. Zurzeit ist es so, dass es nicht nur eine "Diskriminierung" aufgrund von Behinderung gibt, sondern es gibt auch unter den einzelnen Universitäten Unterschiede, was die Möglichkeiten für behinderte Studierende betrifft. Einfach, weil es dort, wo es jemanden gibt, ganz gut funktioniert und dort, wo niemand ist, stehen die Studenten natürlich ohne Unterstützung da, wenn sie welche brauchen.
Freak-Radio: Die schon erwähnte Studierende der Wirtschaftsuniversität hat eine Behindertenbeauftragte irgendwo im Netz gefunden und wollte mit ihr in Kontakt treten. Sie hat dann erfahren, dass es sich um ein Missverständnis handelt, die Dame sei nur für das Personal zuständig. Das heißt, dass eigentlich so eine große Universität wie die Wirtschaftsuniversität gar nicht über eine behindertenbeauftragte Person verfügt. Kann denn so etwas überhaupt sein? Ist das nicht in den gesetzlichen Richtlinien festgelegt, gibt es da keine gesetzliche Verpflichtung?
Mag. Marlene Fuhrmann-Ehn: Das geben die gesetzlichen Richtlinien insofern her, als die Universitäten zwar laut Universitätsgesetz verpflichtet wären gleichberechtigte Studienbedingungen für behinderte Studierende zu schaffen. Es steht aber nicht in welcher Form das passieren muss.
Freak-Radio: Welche Versuche gibt es da jetzt konkret?
Mag. Marlene Fuhrmann-Ehn: Wir haben jetzt ein Schreiben an die Rektorenkonferenz eingebracht, damit ist es natürlich nicht getan, wir wollen weiter dranbleiben. Ich persönlich tue mir damit etwas schwer, über andere Universitäten etwas zu sagen, das kommt nie gut an. Ich hätte es auch nicht gerne, dass das irgendjemand tut. Aber gerade über die Wirtschaftsuniversität kann ich sagen, dass wir uns da gemeinsam mit der Österreichischen Hochschülerschaft sehr bemüht haben, einen Behindertenbeauftragten einzusetzen.
Das ist uns aber nicht gelungen, es ist an der Universität ein hartes Stück Arbeit, viel schwieriger als es sich die meisten vorstellen. Ich sage immer 150 Prozent Einsatz ergeben ungefähr zwanzig Prozent Ergebnis, so ist es leider oft. Ich glaube, das kennt man allgemein im Behindertenbereich, aber es wird immer besser.
Was sich verbessert ...
Freak-Radio: Vielleicht eine letzte Frage: Kann man sagen, dass sich etwas nachhaltig verbessert? Kann man das von der Technischen Universität sagen, dass sich die Situation für behinderte Menschen verbessert hätte oder kann man vielleicht sogar im Gegensatz sagen, es gibt auch Verschlechterungen?
Mag. Marlene Fuhrmann-Ehn: Ich glaube, wir sind ganz gut bei der Studienunterstützung behinderter Studierender, vor allem bewegungsbehinderter Studierender, eventuell auch sehbehinderter Studierender.
Wo wir noch einen sehr großen Nachholbedarf haben und wo es an vielem fehlt, vor allem auch an Ressourcen für Gebärdendolmetscher, ist der Bereich der gehörlosen Studierenden. Da haben wir sicher noch einen sehr großen Nachholbedarf.
Freak-Radio: Wie finden Studierende mit chronischen Krankheiten mit Barrieren im Studium, durch die sie behindert sind, zu Ihnen?
Mag. Marlene Fuhrmann-Ehn: Ja, ich würde mich gerne an die behinderten Studentinnen und Studenten wenden. Ich kann das in meinem Namen und auch im Namen meiner Kolleginnen und Kollegen sagen: Damit wir möglichst etwas für behinderte Studierende tun können, ist eine Voraussetzung die, dass sich auch die Studierenden mit Behinderung bei uns melden.
Meldet euch! Traut euch! Wir sind keine Stelle, wo man wieder in eine Schublade gesteckt wird, die Beratung kann auch anonym erfolgen. Bitte nicht zuwarten bis es bereits Schwierigkeiten gibt, wir sehen uns als Servicestelle und wirklich diese Servicestelle in Anspruch nehmen!
Freak-Radio: Also lieber sich gleich am Anfang erkundigen, welche Möglichkeiten es gibt!
Mag. Marlene Fuhrmann-Ehn: Am besten schon, bevor man überhaupt zu studieren beginnt: sich die Universität anschauen, wie schaut es mit der Zugänglichkeit aus, welche Möglichkeiten habe ich da, wo kann ich mir was holen?
Freak-Radio: Vielen Dank für dieses Gespräch.