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Rubrik: Freak-MP3
18. Dezember 2012

Der behinderte Mensch als Leistungssubjekt

von Margarete Endl

Finden Sie, dass es genug Auseinandersetzung in der Gesellschaft gibt, nämlich von Menschen mit einer Behinderung und nichtbehinderten Menschen, zu diesem Thema?

Naja, ich finde, die Disability Studies – schauen Sie, wenn ich mich als Philosoph akademisch mit dem Thema beschäftigen wollte, es wäre schwierig, einen Platz zu finden. Es ist kein wirklich pädagogisches Forschungsfeld, es ist auch kein rein politikwissenschaftliches Feld. Es ist ganz eindeutig ein interdisziplinäres Feld. Und eigentlich denke ich, nein, es gibt noch nicht genug Auseinandersetzung, und es wäre dringend notwendig, das stärker auch ins Akademische und stärker in die Hochschulen hineinzubringen, sei es auf die Universitäten, sei es auf Fachhochschulen. Ich halte die Disability Studies nicht nur deswegen so wichtig, weil ich selbst ein behinderter Mensch bin, sondern weil ich denke, dass dieses Nachdenken, wie es die Disability Studies betreiben, durchaus auch eine viel breitere – das kann uns quasi Einsichten liefern über das Funktionieren des gesellschaftlichen Ganzen und nicht nur speziell über Behinderung uns etwas sagen. Hier geht es um viel breitere Themen, insofern müsste man das natürlich weiter ausbauen.

Ich habe kürzlich mit Martin Habacher ein Gespräch darüber geführt, wie er wahrgenommen wird in der Öffentlichkeit. Martin Habacher ist kleinwüchsig und sitzt im Rollstuhl. Es passiert ihm, dass er nicht nur mitleidig angesprochen wird, sondern dass man ihm Geld zusteckt, 50 Cent oder so, aus einem falsch verstandenen Ansatz von Helfenwollen. Was er natürlich als extrem entwürdigend empfindet. Es passiert ihm auch, dass ihn Leute ansprechen und ihn fragen, ob er an Gott glaubt. Sie sind Philosoph, Sie sind sehr gebildet, sehr eloquent. Passiert es Ihnen auch, dass Sie so unangenehme Erfahrungen auf der Straße haben?

Was die Erfahrung als behinderter Mensch betrifft, kann ich einerseits sagen, dass ich diese Erfahrung auch kenne – vom Geldgeben. Wobei ich sagen muss, dass es schon ein paar Jahre her ist, dass mir eine Frau Geld zustecken wollte. Was ich aber schon merke, ist, dass man als behinderter Mensch vor allem dann, wenn man bestimmte Fähigkeiten mitbringt, vor allem als Leistungssubjekt wahrgenommen wird. Die Leute interessieren sich sehr stark für das, was man beruflich zu leisten imstande ist. Die andere, affektive, private Seite wird dann gerne aus dem Blickfeld gedrängt. Das halte ich für eine wichtige gegenwärtige Wahrnehmungsweise von behinderten Menschen. An behinderte Menschen wird der Anspruch herangetragen zu arbeiten wie alle anderen auch. Es gibt diesen Anspruch auf Leistung, auf Disziplin, auf Interesse bezüglich dessen, was man zu leisten imstande ist, bei gleichzeitigem tendenziellem Nicht-zur-Kenntnis-nehmen-wollen von anderen, privateren, affektiveren Geschichten.


Dateien:
Michael_Turinsky_Interview.MP3
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