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."Die ÖBB ist mein Liebling"
Theresia Haidlmayr spricht im Interview über Ihren politischen Abgang, die Zukunft der Behindertenpolitik und erzählt, warum sie mit der ÖBB so gerne streitet.
Werden Sie für die Grünen in irgendeiner Form beruflich tätig bleiben?
Nein. Ich war 14 Jahre lang Abgeordnete und das habe ich gern gemacht. Nun sind die 14 Jahre vorbei.
Werden Sie für Menschen mit Behinderungen tätig bleiben?
Natürlich werden mich diese Themen immer interessieren. Es ist nicht so, dass ich sage, jetzt bin ich böse und will mit den Grünen und behinderten Menschen nichts mehr zu tun haben. Mein Abgang war nicht so, wie ich ihn mir vorgestellt habe. Ich hätte es noch gerne ein paar Jahre gemacht.
Für wen werden Sie bei der Nationalratswahl stimmen?
Ich bin eine Grüne und bleibe eine Grüne.
Wie war Ihr erster Tag im Parlament, wenn Sie sich heute zurück erinnern?
Da gab’s ein steiles Erlebnis an meinem ersten Tag: Vor dem Plenarsaal gibt es einen Gang und dort gab es früher Aschenbecher an der Wand. Nachdem ich Raucherin bin, bin ich eben dort gesessen und hab eine Zigarette geraucht. In dem Bereich war es ziemlich leer. Plötzlich kam ein Abgeordneter heraus, mit Kärntneranzug und einer Weizenähre im Knopfloch, der ebenfalls angelobt wurde. Er stellt sich in meiner Nähe und seufzt tief und laut. Er seufzte ein zweites Mal. Es war aber niemand da und ich habe mir gedacht, vielleicht sollte ich ihn anreden. Also frage ich ihn, warum er so seufzt. Sagt er: „Mein Gott, das ist schon arg, wenn man so krank ist.“ Ich frage, wer denn so krank sei. Sagt er auf meine Frage: „Na, Sie.“ Sage ich: „Ich bin nur behindert, wenn ich krank bin, liege ich im Bett.“ Das war ihm zu steil.
Die Arbeit im Parlament ist schon etwas Besonderes. Es war nicht selbstverständlich, die ganzen 14 Jahre lang. Wenn ich zum Sitzungssaal durch die Säulenhalle gefahren bin, hatte ich immer Ehrfurcht. Ich habe in meinem Leben viel mehr erreicht, als ich mir habe träumen lassen.
Was hat sich im Vergleich zu Ihren ersten Tagen im Parlament verändert?
Man wird professioneller. Vor meiner ersten Rede hatte ich die Hosen gestrichen voll. Da habe ich mir noch meine Rede ordentlich zu Hause am Computer geschrieben, und ausgedruckt. Ich hatte ein Diktaphon, damit habe ich die Rede dann in der Nacht noch drei Mal geübt. Nach ein, zwei Jahren schreibt man keine Rede mehr, entweder man hat es im Hirn, oder man lässt es bleiben.
Was hat sich für Sie in den 14 Jahren sonst noch geändert?
Ich denke an den gesamten öffentlichen Personennahverkehr. In Wien bin ich mit dem Rollstuhl ohne öffentliche Verkehrsmittel ins Parlament gefahren. Da hatte ich noch einen E-Rollstuhl, bei dem die Batterie nur für acht Kilometer gereicht hat. Da bin ich ins Parlament gefahren, habe mich dort ein bisschen bewegt und dann wieder nach Hause gefahren. Dann war die Batterie aus. Das war's. Das war mein Aktionsradius. Dass ich heute mit einem öffentlichen Verkehrsmittel fahre, ist selbstverständlich.
Sie sind für Ihre Auseinandersetzungen mit der ÖBB bekannt. Welche sind hier die positiven und negativen Highlights?
Die ÖBB war für mich Sport und Hobby. Die ÖBB ist mein Liebling. Ich bin auch immer mit der Bahn gefahren. Vielleicht schaffe ich es auch einmal, dass ich über die ÖBB ein Buch schreibe, das wäre echt lustig. Da habe ich wirklich alles erlebt.
In Steyr gab es zum Beispiel keinen Hublift zum Einsteigen. Die Bahn wollte keinen Hublift, weil sie sich gefürchtet hat, dass dann mehr behinderte Leute aussteigen. Wenn mich das Personal in den Zug gezerrt hat, hat man mich zuerst aus dem Rollstuhl geholt. Zwei Leute haben mich bei den Füßen, zwei bei den Händen angepackt – wie ein Schwein. Dann haben sie mich von meinen 1,17 Meter auf 1,40 Meter auseinandergezerrt und halb ausgezogen. Das Gewand hatte ich schon weiß Gott wo. Wir waren früher bei der ÖBB ein Sonderfrachtgut. Als Mensch habe ich mich lang nicht gefühlt. Das hat sich schon geändert.
Was mir besonders gefällt ist, dass es jetzt wenige aber immerhin doch einige barrierefreie Schlafwagons gibt. Ich bin schon einmal damit von Wien nach Vorarlberg gefahren. Das war sehr lässig. Da habe ich so richtig in dem Abteil gethront. Und dann habe ich mir gedacht, „So könnte es sein, wenn man sich selber die Jalousien runterziehen kann, wenn man selber auf die Toilette gehen kann." Das war eines meiner schönsten Erlebnisse.
Worüber wird man in der Behindertenpolitik in zehn Jahren reden?
Damit man darüber reden kann, wie die Behindertenpolitik in zehn Jahren ausschauen kann, muss man sich vergegenwärtigen, wie die derzeitige Entwicklung ist. Wenn es Schule macht, dass im Parlament Menschen mit Behinderungen nicht mehr das Selbstvertretungsrecht haben, oder nicht in allen Fraktionen bekommen, wird dieses Thema sofort wieder heruntergefahren. Wenn bei den Grünen unter Umständen niemand mit Behinderung mehr ist, der dort den Motor für Behindertenpolitik macht, dann ist das Thema weg. Bei der SPÖ war es nie da, denn die hatten noch nie jemanden im Parlament, der selbst betroffen ist. Wenn wir Betroffenen jetzt wieder aus dem Parlament fliegen, dann wird es wieder ein Weihnachtsthema, dann seh ich nicht unbedingt positiv in die Zukunft.
Wenn wir allerdings in allen Fraktionen die Chance haben, uns zu
vertreten, dann ist in zehn Jahren, das Recht auf Selbstbestimmung einen Schritt weiter und ich hoffe ein Stück selbstverständlicher.
Auf der anderen Seite sehe ich auch die Gefahr, dass der allgemeine Druck der Gleichmacherei größer wird und die Lebensbedingungen von Menschen mit Behinderungen schwieriger werden. Es ist ja heute schon so, dass, wenn man ein behindertes Kind zur Welt bringt, dieses als Schadensfall abgetan wird. Da wird es sicher schwieriger werden. Was ganz wichtig für die nächsten Jahre ist, dass der Paragraph 97, der Abtreibungsparagraph überdacht wird und der Passus der eugenischen Indikation ersatzlos gestrichen wird. Es wird nicht anders gehen. Ansonsten wird man nur noch die behinderten Menschen akzeptieren, die im Laufe des Lebens behindert werden, denn das lässt sich nicht vermeiden.
Gerade die Pflegedebatte wird oft auf ältere Leute reduziert. Man hört von behinderten Leuten, inklusive Ihnen, eigentlich nicht sehr viel. Warum ist das so?
Das hat einen Grund: Diese typische Pflegedebatte mit der 24-Stunden-Betreuung ist ein Modell, das für uns Menschen mit Behinderung, die wir autonom leben, nicht geeignet ist. Unser Modell ist die Persönliche Assistenz. Darum habe ich mich auf diese Debatte nicht eingelassen. Sonst fährt man über Menschen mit Behinderung bei diesen Gesetzesvorschlägen einfach drüber, als würde sich alles gleich regeln lassen. Für mich ist es schon ein Unterschied, ob jemand altersbedingt Assistenz hat oder ob dies ein Teil meines Lebens ist, den ich auch ins Alter mitnehme. Jüngere behinderte Menschen haben ja ganz andere Vorstellungen als jemand, der mit 80 Jahren einen Schlaganfall hat und dann nicht mehr gehen kann. Da sind Welten dazwischen.
Wie möchte Sie als Parlamentarierin in Erinnerung behalten werden?
Das ist mir egal. Ich war nicht 14 Jahre lang im Parlament um irgendjemandem Genüge zu tun, sondern ich war im Parlament weil ich für Menschen mit Behinderungen etwas verändern wollte. Wenn ich gewollt hätte, dass mich alle super finden, dann hätte ich ganz brav sein müssen. Das war ich nicht. Aber sonst wär ich auch nie ins Parlament gekommen.