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Rubrik: Lesen statt Hören
24. Januar 2010

Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen - und das Leben in der Praxis

von Gerhard Wagner

Die Konvention der Vereinten Nationen ist zutiefst den Menschenrechten und einem Ansatz der Gleichstellung und Selbstbestimmung verpflichtet. Doch gegen diese verbindliche Resolution wird in Wien mitunter gravierend verstoßen.

Blick von oben auf die Y-Türme der Vereinten Nationen

UNO-Wien (Pixelio.de)

Manche Servicefirmen, die von den behinderten Menschen bezahlt werden, respektieren nicht einmal die Zeiten, die für Hilfe beim Aufstehen in der Früh vereinbart sind - sondern legen sie in erster Linie nach den Bedürfnissen der eigenen Organisation fest. Über dieses Spannungsfeld berichtet die folgende Sendung:

Signation

Moderation: Heute: Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen - und das Leben in der Praxis

Sendungsgestaltung und Sprecher dieser Sendung: Gerhard Wagner; Sprecherin: Julia Wolkerstorfer

Sprecher: Seit Oktober 2008 gilt auch in Österreich der Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen der Vereinten Nationen. Im Dezember 2009 gab es im österreichischen Parlament dazu eine Fachtagung. Doch was steht eigentlich in dieser Konvention wie sieht die Umsetzung in der Praxis aus? Fördert sie tatsächlich die Selbstbestimmung von behinderten Menschen im Rahmen der Gleichstellung?

So spricht die UNO explizit etwa gemeindenahe Dienstleistungen als Grundlage für Gleichberechtigung an. Entspricht die derzeitige Situation den Vorstellungen der UNO? Dazu drei unterschiedliche Stellungnahmen von Franz Hoffmann über die Heimhilfe seiner Freundin, von Diplomingenieurin Evi Pohl-Iser vom Wiener Hilfswerk und zunächst von Katharina Zabransky, Mitglied der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung:

Katharina Zabransky: Wenn ich mir vorstelle, die Heimhilfe, oder wie man sie dann auch immer nennt, kommt am Samstag um eine dreiviertel Stunde zu früh - am Samstag! Dann finde ich, ist das wirklich eine Horrorvision! Wenn ich noch dazu, also ich zum Beispiel, mit meinem Partner im Bett liege - der rechnet ja auch mit einer anderen Zeit, nämlich die, die ich gesagt habe, dann betrifft das schon zwei Personen!

DI Evi Pohl-Iser: Wir bewegen uns hier in einer Organisation, wo wir Rahmenbedingungen von mehreren Seiten bekommen: Vom Klienten und Kunden, das sind die wichtigsten Bedingungen: die Zufriedenheit des Klienten und Kunden - aber wir haben auch gewisse Verpflichtungen seitens des FSW und der Stadt Wien, den Vertrag zu erfüllen.

Franz Hoffmann: Es ist wirklich ein Graus, wie mit Menschen mit Behinderung umgegangen wird, vor allem wie sie drübergefahren ist über die Menschen. Und wenn das Realität ist, dass sie höchstens zur Antwort geben: "Ja wir machen das, was Vorschrift ist", dann ist das irgendwie keine gute Betreuung.

Sprecher: Genau diesen strukturellen Behinderungen will die UNO-Resolution entgegenwirken und sieht dies als folgerichtige Weiterentwicklung ihrer Menschenrechtscharta.

Sprecherin: Zweck dieses Übereinkommens ist es, den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern (…) in der Erkenntnis, dass die Vereinten Nationen in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und in den Internationalen Menschenrechtspakten verkündet haben und übereingekommen sind, dass jeder Mensch ohne Unterschied Anspruch auf alle darin aufgeführten Rechte und Freiheiten hat,

besorgt darüber, dass sich Menschen mit Behinderungen trotz dieser verschiedenen Dokumente und Verpflichtungen in allen Teilen der Welt nach wie vor Hindernissen für ihre Teilhabe als gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft sowie Verletzungen ihrer Menschenrechte gegenübersehen, in der Erkenntnis, wie wichtig die individuelle Autonomie und Unabhängigkeit für Menschen mit Behinderungen ist, einschließlich der Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen.

Sprecher: Die Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen: Für viele von uns ist das eine Selbstverständlichkeit: Wir sind es gewohnt, und meist auch stolz darauf, eigene Entscheidungen für uns selbst vorzunehmen.

Auch wenn wir Dienstleistungen in Anspruch nehmen und für diese bezahlen, dann erwarten die meisten, dass in unsere Intim- und Privatsphäre nicht gegen unseren Willen eingegriffen wird. Von Achtung vor der Würde spricht daher auch die UNO-Resolution und auch von Hindernissen in der gleichberechtigten Teilnahme und einer ständigen Weiterentwicklung derselben.

Übrigens ist diese Resolution rechtsverbindlich. Sie ist Teil eines internationalen Vertrages, den Österreich unterzeichnet hat.

Wenn der deutsche Schriftsteller Wolfgang Koeppen 1976 in seiner Autobiographie die Praxis beschreibt, dass Menschen mit Behinderung "eingeschlossen und verwahrt" werden und "in Heil und Pflege ohne Heil und Liebe" verwahrt werden, zeichnet die UN-Resolution ein ganz anderes Bild: Weg vom behinderten Menschen als Patient oder als Klient, hin zum Menschen als Kunden, weg von Menschen, die nach Bedürfnissen von Institutionen verwaltet werden hin zu einer Orientierung als Service nach den individuellen Bedürfnissen.

Dies betrifft etwa das grundlegende Bedürfnis, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann man aufsteht und aus dem Bett gebracht wird. In Wien sehen das manche Organisationen, die dieses Service anbieten, anders.

Dabei die Auseinandersetzungen beginnen schon bei der Begrifflichkeit. Denn das Wiener Hilfswerk spricht beispielsweise permanent nur von "Klienten" wie Evi Pohl-Iser vom Wiener Hilfswerk ausführt:

DI Evi Pohl-Iser: Klient ist bei uns der Kunde. Ja das ist der Kunde, die Person, die unsere Stützung, Betreuung oder Pflege zuhause, denn wir sind ambulant tätig, benötigt.

Sprecher: Der Begriff Klient kommt aus dem Lateinischen und bezeichnete dort die Schutzbefohlenen, Hörigen und die Vasallen. Solch eine Begrifflichkeit steht der UN-Forderung nach gleichberechtigter Teilnahme diametral entgegen. Folgerichtig reduziert Evi Pohl-Iser vom Wiener Hilfswerk das grundlegende Recht auf Selbstbestimmung auf den Begriff "Mitsprache".

DI Evi Pohl-Iser: Eine Mitsprache ist für mich Selbstbestimmung.

Sprecher: Diese Interpretation wird vom Doktor der Sonder- und Heilpädagogik, Peter Singer, selbst Kunde von Heimhilfe, allerdings verworfen.

Peter Singer: Es bedeutet das, was das Wort bezeichnet. Selbstbestimmung: Ich bestimme mich selbst: was ich tue und wie ich lebe. Also ich komme mir absolut nicht bestimmt durch andere vor oder nur in dem Rahmen, wie es mir auch die gesellschaftliche Konvention vorgibt.

Sprecher: Wie sieht nun die Selbstbestimmung oder die "Mitsprache" im Alltag für behinderte Menschen tatsächlich aus?

Brigitte Wallner wohnt im 22. Wiener Gemeindebezirk in teilbetreutem Wohnen, das von BALANCE - Verein für Integration und Chancengleichheit von Menschen mit Behinderung betreut wird. Frau Wallner wohnt hier seit einem Jahr und fühlt dort sehr wohl.

Brigitte Wallner: Also ich bin dort total begeistert: Die Betreuer kommen nur, wenn ich es brauche - wenn ich wirklich Unterstützung brauche. Weil sie uns wirklich als Mensch aufnehmen und uns akzeptieren, so wie wir sind.

Sprecher: Brigitte Wallner lebt jetzt in ihrer eigenen Wohnung. Das genießt sie sehr. Denn sie kann hier mit ihrem Freund wohnen, aber sie kann auch in die Wohngemeinschaft gehen, die gleich benachbart ist.

Weil sie bewegungsbehindert ist und auch den Rollstuhl benutzt, braucht sie für alltägliche Handgriffe Hilfe. Diese wird vom Wiener Hilfswerk in Absprache mit dem Fonds Soziales Wien organisiert, wie Diplomingenieur Evi Pohl-Iser ausführt.

DI Evi Pohl-Iser: Die Einsätze der Heimhilfe sind im Auftrag des FSW (Fonds Soziales Wien), sprich der Stadt Wien, von uns übernommen und werden zugeteilt. Es wird uns das Stundenausmaß und die Tätigkeit festgelegt, die die Heimhilfe in diesem Stundenausmaß zu erledigen hat - und das wird im Vorfeld ohne unser Beisein von der Schwester im FSW vom Info-Beratungscenter mit dem Klienten besprochen. Wir bekommen das weiter und übernehmen diese Einsätze und führen das aus.

Sprecher: Es gibt viele Dienste, mit denen Frau Wallner sehr zufrieden ist. Am Tag des Interviews etwa, führt sie aus, habe sie eine kompetente Heimhilfe gehabt, die auf all ihre Bedürfnisse eingegangen sei.

Doch seit Anfang Dezember 2009 kommt es immer wieder vor, dass ihre grundlegenden Bedürfnisse nicht berücksichtigt werden.

So ist für das Wochenende mündlich vereinbart worden, dass in der Regel die Heimhilfe am Wochenende um 9.15 kommt. Frau Wallner hat auch ihren Schlafrhytmus darauf eingestellt und freut sich, dass sie mit ihrem Freund am Freitag und Samstag auch einmal länger aufbleiben kann.

Doch eines Tages tauchte plötzlich rund eine Stunde früher als ausgemacht eine Heimhilfe auf und wollte, dass Frau Wallner nun aufsteht.

Brigitte Wallner: Um 8.30, das war die Frau Bettina. Ich wollte sie aus der Wohnung herausschicken und sie ist aber nicht gegangen. Ich habe ihr gesagt, sie solle bitte draußen warten, und sie ist einfach nicht gegangen.

Sprecher: Auch der damalige Freund von Frau Wallner, Franz Hoffmann, war damals anwesend und bestätigt die Vorgangsweise der Heimhelferin.

Franz Hoffmann: Sie kann nicht läuten, nur klopfen, ich habe damals die Türe aufgemacht. Die Frau Wallner hat dann gesagt, dass der Einsatz zu früh ist. Die Heimhilfe hat sich daraufhin irgendwie eingeschnappt gefühlt oder ich weiß nicht, jedenfalls ist sie eine dreiviertel Stunde, statt dass sie das Geschirr gewaschen hätte, mit verschränkten Armen auf der Bank gesessen und hat sie dauernd angeschaut.

Sprecher: Katharina Zabransky, die mit Persönlicher Assistenz lebt, sieht in solch einer Vorgangsweise nicht nur einen massiven willkürlichen Eingriff in das Privatleben, sondern auch eine ungebührliche Vorgangsweise gegenüber einem Kunden.

Katharina Zabransky: Persönliche Assistenten kommen einfach nicht eine dreiviertel Stunde zu früh. Also das ist mir wirklich noch nicht passiert!

Wenn ich mir vorstelle, die Heimhilfe, oder wie man sie dann auch immer nennt, kommt am Samstag um eine dreiviertel Stunde zu früh - am Samstag! Dann finde ich, ist das wirklich eine Horrorvision! Wenn ich noch dazu, also ich zum Beispiel, mit meinem Partner im Bett liege - der rechnet ja auch mit einer anderen Zeit, nämlich die, die ich gesagt habe, dann betrifft das schon zwei Personen! Und die kommt einfach in meine Wohnung oder in unsere Wohnung, die sieht, was ich am Abend vielleicht gegessen, geraucht oder sonst etwas habe, dann mag ich die nicht eine halbe Stunde in der Wohnung herumsitzen haben.

Und ich will betonen, dass auch das Kommen in die Wohnung das Betreten einer Intimsphäre ist. Und wenn die eine halbe Stunde, oder auch nur zehn Minuten zu früh kommt, dann ist das eine Zumutung, also das ist echt arg!

Sprecher: Übrigens spricht die UNO-Resolution im Artikel 22 wörtlich davon, dass Menschen mit Behinderungen keinen willkürlichen Eingriffen in ihr Privatleben oder ihre Wohnung ausgesetzt werden dürfen.

Und es wird auch von geeigneten Maßnahmen gesprochen, um dies abzustellen:

Sprecherin: Die Vertragsstaaten verpflichten sich, alle geeigneten Maßnahmen einschließlich gesetzgeberischer Maßnahmen zur Änderung oder Aufhebung bestehender Gesetze, Verordnungen, Gepflogenheiten und Praktiken zu treffen, die eine Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen darstellen.

Sprecher: Das Wiener Hilfswerk, darauf angesprochen, wie es dazu kommen kann, macht darauf aufmerksam, dass sie die Klienten einen Vertrag unterschreiben lassen, in denen nur von Rahmenzeiten gesprochen wird. So kann der Frühdienst zwischen sechs und zehn Uhr kommen.

DI Evi Pohl-Iser: Das ist ein Rahmen. Wir haben einen viergeteilten Tag. Zwischen Früh, Mittag, Abend und einem Egal-Einsatz, der kann nachmittags oder vormittags sein. Und in diesem Rahmen bekommen wir den Einsatz. Da gibt es Rahmeneinsatz-Zeiten. Wir versuchen den Bedürfnissen oder dem Wunsch des Termins nachzukommen, aber es gibt keine Garantie. Es ist so, dass die Beratungsschwester fragt: Was ist ihre liebste Zeit? Aber wir können nicht garantieren, dass wir pünktlich kommen.

Sprecher: Verschiebungen von Frau Wallner seien deshalb zustande gekommen, weil ein Dienst ausgefallen sei. Die Heimhilfen seien angewiesen, in diesem Fall sofort früher zur nächsten Kundin zu fahren. Diese wird im Vorhinein jedoch gar nicht informiert - mit Verweis auf den Rahmenvertrag.

Mit dieser Regelung ist Frau Wallner sehr unzufrieden, wenn sie immer wieder damit rechnen muss, dass eine Stunde früher oder später die Heimhilfe in ihrer Wohnung ist und sie davon gar nichts weiß.

Brigitte Wallner: Das passt mir nämlich gar nicht. Man muss mit mir vorher sprechen.

Sprecher: Und im Extremfall kann es sogar vorkommen, dass statt um zehn Uhr bereits um sechs Uhr eine Heimhilfe in der Wohnung steht.

DI Evi Pohl-Iser: Ja das ist das extremste. Natürlich: Wenn Sie es jetzt ganz überspitzt sagen, ist es so. Das ist ein Früheinsatz. Wir werden das vermeiden und dem Klienten natürlich immer mitteilen. Solch eine Verschiebung ist extrem.

Sprecher: Von Mitbestimmung, ja gar von Selbstbestimmung kann keine Rede mehr sein, wenn jemand am Wochenende damit rechnen muss, nur vier statt sieben Stunden zu schlafen oder während der Woche zu spät zu einem Termin zu kommen, nur weil es in der Logistik des Wiener Hilfswerks, die sich auf Richtlinien mit dem Fonds Soziales Wien beruft, so besser passt. Evi Pohl-Iser geht noch einmal auf den anderen Zugang des Hilfswerks zum Thema Selbstbestimmung ein:

Evi Pohl-Iser: Die Selbstbestimmung ist vielleicht ein Thema, das in dieser Pflege und Betreuung anders gesehen wird. Die Selbstbestimmung verstehe ich und wollen wir auch Anerkennung zum Beispiel, wenn jemand sagt: Wir sollen nicht um 6 Uhr kommen. Das ist auch nicht der Fall!

Musik: Ratatat - Dura

Sprecher: Sie hören Freak-Radio auf Ö1campus, diesmal über die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen - und das Leben in der Praxis.

Diese in Österreich mittlerweile verbindliche UNO-Resolution unterstützt also, so wie Frau Wallner alle Menschen, sodass sie, auch wenn sie behindert sind, in Grundfragen des Lebens - und dazu gehört auch das Wohnen und Dienstleistungen in diesen Wohnungen - gleichberechtigt wie alle anderen Menschen leben können.

Da gerade das Aufstehen, Duschen, die Morgentoilette und das Ankleiden zutiefst intime und individuelle Angelegenheiten sind, ist hier ein besonderer Respekt vor dem Leben der einzelnen behinderten Menschen notwendig.

Frau Wallner hatte noch andere Probleme. So beschwert sie sich über manche Heimhilfe, die sie körperlich für nicht geeignet hält:

Brigitte Wallner: Da ist zum Beispiel eine gekommen und macht die Badezimmertüre auf und sagt: "Um Gottes Willen, auf diesen Dusch-Sessel bringe ich sie aber nicht hinauf!" Weil sie das kraftmäßig nicht schafft. Die anderen haben mit mir überhaupt kein Problem, die kommen mit mir sehr gut zurecht und die beschweren sich auch nicht.

Sprecher: Auch wenn es nur selten der Fall ist, dass Hilfen zu Brigitte Wallner kommen, die körperlich schwächer sind, so ist dies für sie sehr unangenehm:

Brigitte Wallner: Bei mir ist es zumindest so, wenn eine Schwächere kommt, habe ich sofort Angst. Dann fange ich zum Zittern an und lasse alles hängen.

Sprecher: Kurz darauf erhielt erhielt Frau Wallner einen anderen unerwarteten Besuch:

Brigitte Wallner: Um 9.15 ist die Heimhilfe gekommen und hat mir gesagt, fünf Minuten, bevor die Schwester gekommen ist, dass heute die Schwester vorbei kommt, ohne dass ich vorher davon gewusst hab.

Sprecher: Auch der Verein Balance, der für die Wohnung und die Betreuung vor allem in der Nacht zuständig ist, wurde von diesem Termin nicht informiert. Vom Wiener Hilfswerk-Pflegemanagement weist Esmir Kavazovic darauf hin, dass die Kunden benachrichtigt würden und er auch in diesem Fall erfahren habe, dass Frau Wallner einen Tag zuvor informiert worden sei.

Frau Wallner, ihr anwesender Freund und auch der Verein Balance, der sie ja in der Nacht betreut, waren von diesem plötzlichen Auftauchen jedenfalls überrascht und wussten auch gar nicht, worum es ging.

Frau Wallner empfand das Auftreten der Schwester jedenfalls sehr bevormundend. Sie saß allein der Schwester und der Heimhilfe gegenüber, denn diese schrieb Protrokoll. Frau Wallner hatte auch das Gefühl, dass ihr die Schwester nicht zuhörte und schon gar keine Mitsprache zuließ, sondern alles besser wusste.

Brigitte Wallner: (stotternd) Ich hab kein Mitspracherecht gehabt, das find ich total unfair. Ja ich wollte etwas dazu sagen, aber die zwei Frauen haben mich nicht einmal zu Wort kommen lassen.

Sprecher: Letztendlich ging es darum, das die Schwester der Meinung war, dass Frau Wallner längere Dienstzeiten brauche - obwohl bis auf wenige Ausnahmen, wie sie und ihr Freund angeben, diese immer gut eingehalten werden konnten.

Kritisiert wird vor allem, wie man von ihr verlangt hat, einen Antrag an den Fonds Soziales Wien zu unterschreiben. Ihr Freund Franz Hoffmann war damals in der Wohnung anwesend und hat alles mitgehört.

Franz Hoffmann: Es war so, dass die Frau Wallner mehrmals, mindestens dreimal der diplomierten Krankenschwester gesagt hat, sie brauche nicht mehr Bedarf, denn es gibt andere Heimhilfen, die das in einer dreiviertel Stunde auch schaffen, daraufhin hat sie von der diplomierten Krankenschwester die Antwort bekommen: Solange Sie bei unserem Verein gepflegt werden, entscheiden wir, was passiert! Und sie müsse das unterschreiben.

Sprecher: Schließlich hat Brigitte Wallner, ohne es eigentlich zu wollen, unterschrieben.

Brigitte Wallner: Und dann haben sie zu mir gesagt, ich muss das unterschreiben, obwohl ich viermal oder fünfmal gesagt habe: Ich will das nicht!

Sprecher: Einen Tag später hat sie diesen Antrag dann widerrufen. Ihr Freund Franz Hoffmann sieht indes elementare rechtsstaatliche Grundlagen durch diese Vorgangsweise verletzt.

Franz Hoffmann: Sie hat nicht einmal die Gelegenheit gehabt, den Vertrag durchzulesen. Sie hat keine Möglichkeit gehabt, eine Kopie zu haben von einem Vertrag. Wenn ich heute schon einen Vertrag mache, dann kriege ich wenigstens eine Kopie!

Aber die haben nichts hergegeben. Es ist wirklich ein Graus, wie mit Menschen mit Behinderung umgegangen wird, vor allem wie sie drübergefahren ist über die Menschen. Und wenn das Realität ist, dass sie höchstens zur Antwort geben: Ja wir machen das, was Vorschrift ist, dann ist das irgendwie keine gute Betreuung.

Sprecher: Die Anregung einer Kopie nimmt die die Wiener Hilfswerk-Abteilungsleiterin Pohl-Iser gerne an und möchte prinzipiell für diese Verträge beim Fonds Soziales Wien Duplikate für den Kunden anregen.

DI Evi Pohl-Iser: Dass auch im Nachhinein wirklich jeder Klient auch weiß, was er da unterschrieben hat.

Sprecher: In der Frage der Frühdienste am Wochenende hingegen bestimmte die Organisation weiterhin, wann sie am Morgen aufzustehen habe - gegen den Willen ihrer Kundin:

Zwischen dem 9. Dezember und 6. Jänner wurden nach Angaben der Kundin Brigitte Wallner und ihres Freundes nur noch Wochenend- und Feiertagsdienste um 7.30 oder um 8 Uhr eingeteilt, statt wie ursprünglich angegeben, um 9.15.

Dies erfuhr Frau Wallner zwar bereits im Vorfeld, aber nur, weil sie selbst zuvor im Wiener Hilfswerk angerufen hatte. Alle diese Dienste vor 9 Uhr musste Frau Wallner daher absagen, weil sie für ihre Bedürfnisse unbrauchbar waren. Sie musste eine eigene Hilfe in der Früh organisieren. Daher fühlt sie sich als Kundin nicht gut betreut und als Klientin nicht einmal zu jener "Mitsprache" berechtigt, von der die Hilfswerk-Abteilungsleiterin Pohl-Iser gesprochen hatte.

Katharina Zabransky erklärt, dass ihre persönliche Assistenten sie auch bei beruflicher Tätigkeit bei jenen Dingen unterstützen, die sie aufgrund ihrer Behinderung nicht tun kann, etwa, wenn sie Radiosendungen macht.

Katharina Zabransky: Die machen das, was ich will und brauche. Also es ist natürlich, wenn es um kompliziertere Dinge geht wie ein bestimmtes Computerprogramm bedienen oder mitarbeiten, dann eigentlich schwieriger, denn da muss man sich wirklich einarbeiten. Sonst: Schreiben und Tippen eben.

Sprecher: Für Dr. Peter Singer ist die Verlässlichkeit seiner Heimhilfe sehr wichtig. Er und die Heimhelferinnen vom Verein Sozial Global sind bereits ein eingespieltes Team. Für ihn ist es auch wichtig, dass er sich auf sie verlassen kann. Zwar ist er mit fast 64 Jahren schon im Pensionsalter, aber er arbeitet ehrenamtlich am Institut für Bildungswissenschaft in Seminaren zu Heil- und integrativer Pädagogik.

Und er schreibt regelmäßig an einem Buch:

Peter Singer: Ich beschreibe mein Leben. Und zwar ist das mehr oder minder die Fortsetzung der Dissertation, in der ich ja nur teilweise persönlich sein konnte und jetzt beschreibe ich mein Leben. Aber nicht in der Arg und Weise: Bewundert mich: Bin ich nicht toll? Oder: Bedauert mich: Bin ich nicht arm? Sondern ich beschreibe vier wichtige Stationen meines Lebens. So wie ich sie als wichtig bezeichne, um anderen zu zeigen, wie man als Mensch mit Behinderung lebt und wie ich es gemacht habe - um für andere eventuell einen Rat parat zu haben.

Sprecher: Während eines Monats wird Dr. Singer meist von derselben Heimhilfe betreut, durchschnittlich sind es fünf. Auch diese kennt er bereits seit Jahren gut.

Peter Singer: Meine Heimhilfe kommt um dreiviertel acht. Es kann aber auch sein, sie kommt um acht oder viertel neun. Aber das sagt sie mir vorher, also am Tag zuvor - auch mit der Begründung, warum das so ist: Also ich bin nicht unvorbereitet.

Sprecher: Durch gute Organisation ist für vielerlei Kleinigkeiten des Alltags Platz und Zeit. Der Tagesablauf ist von beiden Seiten gut strukturiert, geplant und organisiert.

Peter Singer: Dann kann auch in der Früh sein, dass, wenn sie da ist, sie mir noch Schmutzwäsche in die Waschmaschine gibt, sodass, wenn sie dann zu Mittag kommt, sie die Wäsche aufhängt. Sie macht mir dann nach dem Mittagessen oder vorher noch das Nachtmahl in der Form, dass ich alleine mit der Gabel etwas essen kann. Sie bereitet mir dann die Brote, oder was auch immer ich essen will, so vor, dass ich es alleine nehmen kann.

Sprecher: Anders als bei Frau Wallner kann Dr. Peter Singer immer darauf rechnen, dass seine Heimhilfe pünktlich kommt. Damit ist gewährleistet, dass er seine Lebensplanung so einhalten kann, wie er es braucht. Selbst in den seltenen Fällen, wenn es einmal zu einer Verspätung kommen sollte, ist er davon informiert:

Peter Singer: Da ruft dann die Teamleitung an: Herr Doktor, das und das ist vorgefallen. Kann die Heimhilfe auch erst dann und dann kommen?

Ich weiß es also zumindest einen Tag vorher, aber ich weiß es, wenn etwas Gravierendes wäre, mindestens zwei, drei Tage vorher. Also, ich kann mich auch emotional darauf einstellen. Man hört es ja auch an meiner Sprache: Ich habe eine cerebrale Bewegungsbehinderung mit der Auswirkung, dass ich, wenn auf mich etwas Unvorhergesehenes zukommt, dass ich verkrampfter werde und alles das muss ich nicht befürchten.

Sprecher: Somit zeigt die Heimhilfe wie sie bei Dr. Peter Singer organisiert ist, Teilhabe an der Gesellschaft im Sinne der UNO-Resolution ist möglich.

Es gibt also verschiedene Modelle, wie ein Leben mit Behinderung in Wien organisiert ist. Im einen Fall funktioniert es besser, im anderen schlechter. Doch der Paradigmenwechsel ist im Gange: Nicht zuletzt durch die Konvention der Vereinten Nationen, die Menschenrechte und Grundfreiheiten für Menschen mit Behinderungen mit "vollem Genuss dieser Rechte und Freiheiten" ohne Diskriminierung garantiert.

Die in Österreich verpflichtende UNO-Resolution hat den Weg des sozialen Modells gewählt: Es wird erkannt, dass es die Rahmenbedingungen und respektvolle Einstellungen sind, die Behinderungen vermeiden können. Wenn behinderte Menschen am Leben gleichberechtigt teilhaben können, dann steigt nicht nur die subjektive Lebensqualität, dann kann die Gesellschaft auch etwas zurück erhalten.

Musik: Ratatat - Bruleé

©Freak-Online, Gerhard Wagner (Zitate mit genauer Quellenangabe möglich)

Dieser Beitrag ist im Rahmen des Projektes "Lebens- und Arbeitswelten" erschienen.


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