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Durchblick mit Sehbehinderung
Die Überwindung der eigenen Barriere im Kopf. Das Erkennen, dass die Menschen einen wertschätzen – egal, ob man jetzt gut oder weniger gut sieht. Man ist ein Arschloch oder man ist keines, aber das hat nichts damit zu tun, ob man eine Behinderung hat oder nicht.
Sprecher: Wolfgang Slapansky
Sprecherin: Julia Karrer
Gestaltung und Sendungsverantwortung: Wolfgang Slapansky
Transkription: Alexandre Laloux
Sprecherin: Durchblick trotz Sehbehinderung. Ein Porträt des schwer sehbehinderten Topmanagers Julian Hadschieff. Eine Sendung anlässlich der Tagung "Barrierefrei - Karriere frei" am 10. Dezember 2008 in Wien. Von Wolfgang Slapansky.
Sprecher: Julian Hadschieff, Jahrgang 1959, ist in Tirol aufgewachsen, genauer gesagt in Innsbruck. Bis zu seinem 7. Lebensjahr verlief seine Kindheit ganz normal, wie bei jedem anderen Kind. In den ersten Jahren in der Schule jedoch wurde für Julian Hadschieff das Sehen zunehmend schwieriger.
Julian Hadschieff, Manager: In der zweiten Klasse ist dann evident geworden, dass ich sehr schlecht sehe. Ich war damals schon recht groß und bin in der letzten Reihe gesessen und habe irgendwann einmal geschwätzt. Und bei der Anfrage was denn auf der Tafel so vor sich geht, konnte ich das nicht entziffern, wurde damals schwer getadelt. Und, naja, irgendwie sind sie dann darauf gekommen, dass ich nicht weil ich schwätze, nicht weiß was draußen los ist, sondern weil ich es nicht sehe.
Sprecher: Zahlreiche Untersuchungen bei Fachärzten waren die Folge. Schon bald ist die Diagnose festgestanden: Juvenile Maculadegeneration. Eine unheilbare Augenkrankheit, die rasch fortschreitet.
Julian Hadschieff, Manager: Ich habe das als Kind nicht wahnsinnig tragisch genommen, ich habe einfach zunehmend schlechter gesehen. Bis zwölf konnte ich noch lesen, dann nur mehr mit Lupe - so einer Kugellupe - musste sogar Silbe für Silbe entziffern. Ich war anfangs kein schlechter Schüler, ich habe auch die erste Klasse Gymnasium noch mit Vorzug gemeistert. Und dann wurde ich aber zunehmend schlechter und habe dann auch von der fünften auf die sechste Klasse Gymnasium die Schule gewechselt. Ich bin vom akademischen in ein musisch-pädagogisches Oberstufenrealgymnasium gegangen und zwar deswegen, weil es mir nicht möglich war Latein zu bewältigen. Und es war damals noch so, dass ein Lehrer mir gesagt hat, oder meinen Eltern vielmehr gesagt hat: Wer im akademischen Gymnasium vom Blatt weg nicht übersetzen kann, der hat in dem Gymnasium halt nichts verloren. Und ich denke, allein dieser Ausspruch, dieser Zugang dieses Lehrers zeigt, wie viel sich in den letzten vierzig Jahren für uns behinderte Menschen geändert hat.
Sprecher: Trotz seiner Sehbehinderung, die das Lesen kaum mehr möglich machte, hat Julian Hadschieff die Matura geschafft. Anschließend hat er sich vor allem dem Sport gewidmet.
Julian Hadschieff, Manager: Ich war im Eisschnelllauf-Nationalteam. Manche kennen vielleicht meinen Bruder Michael, der ja ein sehr, sehr erfolgreicher Weltklasseathlet für viele Jahre war – er war Weltmeister, Olympiamedaillengewinner. Ich bin 1981 aus dem Nationalteam hinaus - also nach vier Jahren ungefähr im Nationalteam. Ich habe mich dann dem Studium gewidmet und habe dann auch nach einer Sonderausbildung für Diplomierte Exportleute noch das Magisterium in Betriebswirtschaft gemacht. - Und habe dabei eigentlich dann auch gelernt, was so die wesentlichen Erfolgsfaktoren für jemanden mit einer sehr starken Einschränkung oder Seheinschränkung sind.
Sprecher: Willenskraft und eine positive Einstellung seien der Schlüssel zu seinem Erfolg, sagt Julian Hadschieff. Die starke Sehbehinderung als Teil seiner Persönlichkeit anzunehmen, sei dafür eine absolute Voraussetzung gewesen. Ein langer, oft schmerzlicher Prozess.
Julian Hadschieff, Manager: Ich habe damals erfahren, dass es wichtig ist, sich auf die eigenen - naja - Schwächen, oder auch auf die Behinderung einzulassen. Als ich so mit neunzehn, zwanzig - zwar schon sehr schlecht sehend – meinen Sport gemacht habe, im Eisschnelllaufteam war, hätte ich mich nie als behinderter Mensch bezeichnet. Ich habe damals auch nicht darüber gesprochen, dass ich schlecht sehe. Ich habe versucht alles das zu tun, was alle anderen gemacht haben. Ich konnte nicht Auto fahren, habe dann ab und an einmal das Auto meiner Mutter geklaut und bin damit herum gefahren - mehr schlecht als recht. Ich habe auch immer wieder einmal irgendwo einen Blechschaden verursacht. Bin mit dem Motorrad gefahren - war ein ziemlicher Freak, weil ich natürlich die Kurven sehr spät gesehen habe und mich dann halt extrem hineinlegen musste, um überhaupt noch herum zu kommen. - Damals einen Riesenschutzengel gehabt. Ich bin auch Radrennen gefahren – ich war einmal Vizebergmeister in Tirol beim Bergfahren. Den Berg hinauffahren ging ja - da war ja kein Problem - aber hinunter war es ein bisschen kritischer dann. Also, ich habe mir es nicht eingestanden.
Sprecher: Dieses nicht Eingestehen hat sich für Julian Hadschieff durch alle Lebensbereiche gezogen. Jahrelang war für ihn die Verdrängung seiner Behinderung seine Überlebensstrategie.
Julian Hadschieff: Ich habe erst langsam gelernt - Anfang zwanzig - mich zu konfrontieren mit der Behinderung und habe eigentlich gelernt, dass die Barriere, die sich für mich als eine sehr große dargestellt hat, primär eine Barriere für mich im Kopf war. - Weil ich mir nicht eingestehen wollte, dass es in der Wertschätzung der Mitmenschen völlig egal ist, ob ich jetzt behindert bin, ob ich sehbehindert bin oder nicht. Ich habe mir gedacht: Wenn jemand weiß, dass ich nicht sehe, dann mögen sie mich vielleicht nicht. Habe also von da her auch versucht, das alles zu vertuschen. Wenn ich mit einer Freundin ins Kino gegangen bin, habe ich mich in die letzte Reihe gesetzt, habe draußen an sich nur so farbige Schlieren gesehen und halt den Ton mitbekommen und habe mir dann eingeredet: Ich gehe eh nicht wegen des Kinos, sondern eben eher wegen des Mädels neben mir ins Kino.
Sprecher: In allen Bereichen des Alltags hat sich Julian Hadschieff unterschiedliche Handlungsstrategien zurecht gelegt gehabt, um seine Sehbehinderung vor anderen zu verstecken.
Julian Hadschieff, Manager: Wenn ich in ein Lokal gegangen bin, habe ich dort ein Schnitzel bestellt und habe zuerst so die Speisekarte aufgeschlagen, habe hinein geschaut und habe dann gesagt: Naja, ein Schnitzel. Dann hat er gesagt: Wir haben kein Schnitzel. Dann habe ich gesagt: Aha. Ja, dann, was empfehlen Sie mir denn? Er: Ja, essen Sie dieses. Dann habe ich gesagt: Ok, dann nehme ich das. - Was auch ok war. Da bin ich zumindest - sozusagen - habe ich entweder das gegessen, was weg musste in dem Lokal, oder ich habe einen guten Vorschlag bekommen vom Küchenchef. Durch Bekannte, durch Freundinnen von mir, die ein bisschen älter waren als ich, habe ich dann irgendwann einmal gelernt, dass es überhaupt kein Thema ist, dass man sich in einem Lokal die Speisekarte vorlesen lässt.
Sprecher: Nach und nach hat Julian Hadschieff gelernt, mit seiner Sehbehinderung umzugehen und diese nicht zu verheimlichen. Dabei haben ihm die positiven Reaktionen der Umwelt ermutigt, zu dem zu stehen, wie es um seine Sehkraft bestellt war.
Julia Hadschieff, Manager: Ich muss dazu sagen, dass es eigentlich weibliche Studentinnen - also weibliche Mitglieder der Gesellschaft - dass diese viel sensitiver waren. Sie waren die ersten, die gesagt haben – was weiß ich: Susanne. Das war mir fast unangenehm, dass sie sich mir vorgestellt haben, weil ich ja sonst an sich ... – so getan habe, als hätte ich ohnehin gewusst, wer mir gegenübersteht. Die Frauen waren da viel sensitiver im Umgang mit den vermeintlichen Defiziten: Nie abschätzend, nie despektierlich, nie unangenehm. – Vielleicht ein bisschen unangenehm, weil sie so sensitiv waren, aber das ist – war - auch ein wichtiger Lernfaktor für mich in der Folge. Und das merke ich immer wieder, dass es für die nicht behinderten Menschen ja oft so schwierig ist, mit einem Menschen mit einem besonderen Bedürfnis umzugehen, weil man nicht weiß, wie viel Unterstützung man überhaupt anbieten darf, ohne dass es für den anderen diskriminierend wirkt. Dieser Umgang zwischen vermeintlich nicht und schon behinderten Menschen, der ist glaube ich, auch die große Kunst für ein gutes Zusammenleben.
Musik
Sprecher: Heute hören Sie in Freak Radio das Porträt eines schwer sehbehinderten Topmanagers. Julian Hadschieff ist heute im Spitalsmanagement tätig. Er ist erfolgreicher Unternehmer. Der Weg dorthin war jedoch ein schwerer. - Besonders seine Behinderung sich selbst gegenüber einzugestehen und in der Öffentlichkeit nicht zu verbergen.
Julian Hadschieff, Manager: Dass ich davon spreche, dass ich eine Behinderung habe, das tue ich vielleicht jetzt zehn Jahre maximal. Also, diese Entwicklung zu gehen, ist für einen jungen Menschen nicht einfach, obwohl er sehr spielerisch sich diesem Thema nähern kann. Ich denke, es ist umso schwerer, wenn einen ein Ereignis irgendwann in seinem Leben trifft und man viele Jahre gewöhnt war, alle Dinge alleine machen zu können. - Dann plötzlich merkt, dass es nur dann erfolgreich weitergehen kann, wenn man sich darauf einlässt, dass man mit Anderen Dinge macht. Und das war, denke ich, eine der wichtigsten Erkenntnisse für mich: Ein guter Bergsteiger ist der, der eine Seilschaft gut hinauf und gut hinunter bringt. Die erfolgreiche Seilschaft am Berg ist die, die genau das Tempo so anpasst, dass der Schwächste im Glied mitgehen kann. Und dann kommt man auch auf den Berg hinauf und wieder entsprechend hinunter.
Sprecher: Julian Hadschieff hat an der Universität Innsbruck Betriebswirtschaft studiert. Und auch an ausländischen Universitäten, unter anderem an der renommierten Harvard Universität in den USA.
Julian Hadschieff, Manager: Ich habe einfach gelernt, sehr selbständig zu agieren. Ich habe zwar nie gesehen, wohin ich muss, habe halt dann gefragt, wohin ich muss und üblicherweise haben mir die Leute auch das Richtige gesagt. Und für mich war es so, dass ich im Rahmen des Studiums in einer Lerngemeinschaft mitgemacht habe. Freunde haben vorgelesen, ich habe dann wiederholt was in diesen Absätzen und Seiten drinnen war, habe das kurz zusammengefasst, habe mein Hirn sicherlich geschult. Ich konnte mir - Gott sei dank – sehr, sehr viel merken. Damit bringe ich heute auch noch meinen Finanzchef oder meine leitenden Mitarbeiter immer wieder in Bedrängnis, wenn ich sage: Passen Sie auf: Sie haben mir vor drei Monaten gesagt, dass die und die Zahl herauskommt - und was ist jetzt? Oder meine Controller sagen mir beispielsweise: Das sind andere Prozentsätze. Naja, da haben wir uns dann noch geirrt. Sozusagen: Mein Büro findet in meinem Kopf statt. Das hat mir geholfen. - Also, das hohe Denkvermögen, aber insbesondere auch die Erkenntnis, dass ich es alleine nicht schaffen könnte - dass ich eben jemanden brauche der mir das, was da steht, in Kurzfassung näher bringt. Und so gestaltet sich auch mein heutiger Arbeitsablauf: Dass eben meine Sekretärin mir vorliest, was in meinen E-Mails, in der Post und sonst wo steht - dass sie kurz sagt: Das und das ist drinnen. - Wenn ich dann sage: Ok, beantworten Sie bitte wie folgt...
Sprecher: Eine der wichtigsten Erkenntnisse für Julian Hadschieff ist es, dass ohne Willenskraft nichts zu schaffen ist. Und man muss konsequent seine Ziele verfolgen. Natürlich ist es auch notwendig, von anderen Menschen unterstützt und motiviert zu werden.
Julian Hadschieff, Manager: Mit meiner Frau bin ich jetzt 26 Jahre zusammen, sie hat studiert. Sie war übrigens ein ganz ein wichtiger Motor für mich. Sie hat mich dazu gebracht, dass ich wirklich studiert habe und nicht nur Schi und Surfbretter verkauft und Basketballtourneen für amerikanische Colleges in Europa organisiert habe. Also, ich habe viel getan, aber viele Jahre auch ohne wirkliches Ziel. Und irgendwann ist dieser Groschen gefallen und ich habe gesagt: Ich muss konsequent an mir arbeiten, wenn ich erfolgreich sein will, denn so von selber kommt es nicht, von selber geht es nicht. Insbesondere, wenn man eine Einschränkung hat, geht das nicht von selber. Man muss sich dieser Einschränkung stellen, man muss sich ein Ziel vor Augen führen und man muss an dem hart arbeiten. Und dann vielleicht noch eines lernen: Gläser halb voll zu sehen und nicht halb leer. Wenn ich heute ein Thema habe - und es gelingen ja auch bei uns viele Projekte nicht - dann sage ich halt: Ok, das geht jetzt so nicht, aber was können wir aus dem machen? Was lernen wir daraus, wie können wir anders damit umgehen? Welche andere Opportunities - welchen anderen Chancen - bietet uns die Tatsache, dass wir diesen einen Weg jetzt nicht gehen können? - Und nicht in eine Krisendepression zu verfallen, dass Dinge gerade nicht gehen.
Sprecher: 1986 hat Julian Hadschieff das Studium erfolgreich abgeschlossen. Das neue Selbstbewusstsein, das er durch das Sprechen über seine Sehbehinderung erlangt hat, hat er auch im Sport umsetzen können. Sportlich war er immer - nunmehr ist er zum Spitzensportler im Behindertensport avanciert.
Julian Hadschieff, Manager: Ich bin dann einige Jahre im Behindertenskiteam gefahren, also bin bei den Paralympics gewesen. Bin ein bisschen ein Adrenalinfreak. Also ich brauche das manchmal, dass ich mich irgendwo hinunter haue und das mit - was weiß ich - mit hundert km/h bei einem Super-G. Und ich fahre meinem Vorfahrer nach, wohl wissend, dass das ein gewisses Risiko ist. Denn wenn ich auf sein Kommando hopp etwas zu schnell und zu stark auf die Kante gehe, ich ins Tor hinein krache. Und das ist bei einem Steilhang nicht irrsinnig ersprießlich, wenn es einen mit neunzig km/h da hinunter haut. Also dieses Austesten: Was geht? Was bringe ich zusammen? Das ist mir geblieben, sicherlich. Und das war wohl auch ein Punkt: Besonderes erreichen zu wollen, was mich ich im Beruflichen dann weiter gebracht hat. Also, diesen irrsinnigen Willen, Dinge erreichen zu können, diesen unheimlichen Ehrgeiz, große Disziplin, große Hartnäckigkeit, Dinge zu machen. Da hat mir der Sport sehr geholfen. Aber das Lernen, dass es einen Schmerz und die Überwindung des Schmerzes braucht, um erfolgreich zu sein. Wenn du heute in einem Sport wie im Eisschnelllaufen, erfolgreich sein musst, dann weißt du, dass du jeden Tag beim Training Schmerzen hast. Sonst kommst du nie an die Weltklasse. Und das hilft später - auch im Berufsleben - auch wenn ich heute nicht darauf stehe, dass ich jeden Tag Schmerzen habe, aber zumindest weiß ich, wenn es hart auf hart geht, dann weiß ich auch, wie ich Dinge durchsetzen kann. Oder zumindest überlege ich es mir und fürchte mich nicht vor einer Diskussion, vor einem Disput, vor einem Konflikt.
Sprecher: Heute beträgt Julian Hadschieffs Sehvermögen unter drei Prozent. Das heißt, ein schemenhaftes Sehen über Kontraste ist möglich. Trotz dieses Handicaps war er zwei Mal österreichischer Staatsmeister im Alpinen Schilauf und hat 2006 an den Paralympics in Turin und Sestriere teilgenommen. Er wurde siebenter im Super-G und zehnter im Riesentorlauf. Seit 2006 ist Julian Hadschieff Vizepräsident des österreichischen Behindertensportverbandes. Das Sich-Öffnen, das Reden über die eigene Behinderung, und vor allem das positive Denken seien Faktoren, die zum Erfolg führen können.
Julian Hadschieff, Manager: Ich denke, diese Erfahrungen haben mich gestärkt, dass es sinnvoller ist, mich auch zu erklären. Heute sage ich so, wenn ich jemanden kennen lerne: Und übrigens, ich sehe schlecht. Also, wenn ich Sie wieder treffe, bitte müssen Sie mich ansprechen, sonst gehe ich an Ihnen vorbei. - Weil ich noch weiß, als ich vor etwa 18 Jahren nach Wien gekommen bin und auch damals noch nicht so drüber stand mit dreißig Jahren. Ich weiß noch, die Leute auf... - habe ich dann gehört: So ein arroganter Hund! Der kann nicht einmal grüßen. - Weil man mir es ja so nicht ansieht. Ich latsche durch die Gegend, jemand sagt 'Hallo', geht zwei Meter neben mir vorbei oder sitzt am Nebentisch in einem Lokal und grüßt so freundlich herüber - und ich ignoriere ihn. Naja, deswegen ist es gut, dass man sagt: Ich sehe es nicht. Vor allem dann, wenn die Behinderung nicht augenscheinlich ist. Aber das zu tun, war eine Überwindung und war eine Überwindung der eigenen Barriere im Kopf. Das Erkennen, dass die Menschen einen wertschätzen – egal ob man jetzt gut oder weniger gut sieht. Man ist ein Arschloch oder man ist keines, aber das hat nichts damit zu tun, ob man eine Behinderung hat oder nicht. Ich glaube, die Verteilung ist wahrscheinlich eine gleiche. - Bei Leuten mit einer Diskriminierung oder besonderen Bedürfnissen oder nicht. Aber diese Erkenntnisse, die brauchen offensichtlich Zeit. Zumindest bei mir haben sie diese Zeit gebraucht. Und ich habe dann gelernt, dass ich - auch wenn ich mich öffne und darüber spreche, auch über meine Bedürfnisse spreche - das eigentlich eine Stärke ist.
Musik
Sprecher: Heute hören Sie in Freak Radio das Porträt eines schwer sehbehinderten Topmanagers. Julian Hadschieff ist heute im Spitalsmanagement tätig. Sein erfolgreicher beruflicher Werdegang begann für den Betriebswirt 1986 beim Land Tirol.
Julian Hadschieff, Manager: Ich war in Tirol beim Land, wurde dort in den Landesdienst aufgenommen, weil ich zum Landesrat für Personal gegangen bin und gesagt habe: Sie, ich habe eine Idee: ( - Damals war gerade der AKH-Skandal) Wir brauchen nicht nur deutsche und schweizer Berater im Spitals- und Gesundheitsbereich. Bilden wir doch eigene Experten aus! Ich würde das gerne machen. Damals gab es noch keine Ausbildungen dafür. Ich habe gesagt: Wenn Sie mir im Land Tirol die Möglichkeiten schaffen, dann verspreche ich Ihnen, dass ich hart dafür arbeiten werde! Mir ist das Vertrauen geschenkt - auch ein wichtiger Punkt in der Arbeitswelt, dass Arbeitgeber einem Menschen mit einer Behinderung das Vertrauen schenken. Ich weiß noch gut: meine Einstellungsuntersuchung. Dass ich nicht viel lesen konnte, das hat sich davor schon herumgesprochen gehabt. Dann hat man versucht, diesen rot-grün Test zu machen. Und das war natürlich für mich aufgrund des Sehvermögens schon nicht möglich, diese grünen Punkte zu erkennen. Also, ich habe das - das hat ja mit Rotgrünschwäche nichts zu tun, ich hätte es aber nicht gesehen. Er hat gesagt: Er sieht nichts, eine rot-grün Schwäche hat er auch noch, aber zumindest hören tut er.
Sprecher: Obwohl bei den Einstellungstests seine Sehbehinderung offensichtlich war, hat Julian Hadschieff das Vertrauen erhalten. Nun konnte er seine Konzeptvorschläge in die Praxis umsetzen.
Julian Hadschieff, Manager: Ich war dann Projektleiter für die Ausgliederung der TILAG – der Tiroler Landeskrankenanstalten Gesellschaft. Also, die Landesspitäler wurden in eine eigene GmbH überführt. Ich hatte auch das Glück, dass ich damals von meinem Landesrat in die ganze Welt geschickt wurde, um dort andere Projekte, also 'Best Practice Modelle' zu sehen. Naja, und dann gab es die Ausgliederung und ich bin dann nicht dort in die Geschäftsleitung hinein, sondern nach Wien. Ich wurde eingeladen, hier eine Firma mitzugründen - die 'Humanomed'. Ich habe dann einige Jahre später noch mit Partnern die 'Humanocare' gegründet. Die Humanomed ist ein Unternehmen mit heute 120 Millionen Euro Umsatz. Gehört den großen Versicherungen: Uniqa, Städtische und Merkur und ich bin auch mit beteiligt als - glaube ich - letzter Einzelgesellschafter dort. Und die Humanocare, das ist eine Einrichtung die Seniorenbetreuungseinrichtungen und Behinderteneinrichtungen führt. - Derzeit elf an der Zahl in ganz Österreich. Und da übernehme ich jetzt gerade von einem Versicherer, von der Wiener Städtischen die Mehrheitsanteile.
Sprecher: Rund 1600 Mitarbeiter sind im Gesamtunternehmen beschäftigt. Seit dem Jahr 2000 ist Julian Hadschieff Obmann der Fachgruppe und des Fachverbandes der Privatkrankenanstalten und Kurbetriebe der Wirtschaftskammer Wien und der Wirtschaftskammer Österreich. Er war außerdem Lektor der Wissenschaftlichen Landesakademie Niederösterreich, der Universität Innsbruck und Lehrbeauftragter der Wirtschaftsuniversität Wien. Für seine Verdienste wurde er mit zahlreichen Ehrungen ausgezeichnet, unter anderem vor vier Jahren mit dem Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste für die Republik Österreich. Im vergangenen Jahr hat Julian Hadschieff den "Live Award" in der Sparte Wirtschaft und Gesellschaft verliehen bekommen.
Julian Hadschieff, Manager: Ich bin mir sicher, dass ich ohne meine Behinderung das nicht erreicht hätte, was ich heute erreicht habe und habe vor allem durch diesem 'Sich- mehr-Befassen mit der eigenen Behinderung' und mit Behinderungen anderer Menschen für mich irrsinnig viel gelernt. Und ich denke, dass es auch eine Chance ist, für die „nicht behinderten Menschen“. In Zusammenarbeit mit uns oder in dem Sehen, wie behinderte Menschen ihr Leben meistern können, für sich etwas zu gewinnen. Wenn ich heute sehe, wie meine Sportkollegen die Querschnitte haben, früher Skirennläufer gewesen sind, heute mit 120 km/h in diesen Monococks Skipisten hinunter fahren. In Sestriere sind wir bei den Paralympics die gleiche Piste gefahren wie die Herren, die ihre Abfahrtsstrecke hatten. Auf dieser sehr schnellen Rennstrecke sind Bode Miller, Maier und Co. gefahren und wir sind drei Wochen später gefahren. Und man sieht, mit welcher Lebensfreude diese ihr Leben bewältigen. Sie haben natürlich auch ihre Kompensationsmechanismen gefunden, um ihr Leben zu meistern. Aber das tun sie in einem hohem Maße mit großer Freude, mit einer irrsinnigen Zuversicht und ich glaube, dass ist das, was wir oft weitergeben können: die Zuversicht, die wir haben.
Sprecher: Natürlich: Nicht jeder mit einer Behinderung schafft das, schränkt Julian Hadschieff ein. Und nicht jedem sei es gegeben, diese Zuversicht zu entwickeln. Doch vielen sei dies gelungen. Und diese positiven Beispiele hätten die Aufgabe, mitzuhelfen, die Gesellschaft zu verändern.
Julian Hadschieff, Manager: Aber ich glaube es ist wichtig, auch Perspektiven zu schaffen. Und was sind dann die Perspektiven die wir brauchen? - Erstens einmal den Abbau von Barrieren im Kopf, bei uns wie bei den Anderen. Vertrauen, Vertrauen in die Leistungsfähigkeit von Menschen mit Behinderung, bessere Bildungschancen. Ein viel früheres Einsehen, dass jemand, der schwerst sehbehindert, blind ist, in einem Rollstuhl ist, die gleichen Chancen haben muss in der Berufswelt. Ich finde es super, dass heute In der Parallelklasse meiner ältesten Tochter ein Mädel gewesen ist mit einer Mehrfachbehinderung, die einen Assistenten dabei gehabt hat und somit ihre - in der Wenzgasse - die Mittelschule bestehen konnte. - Wäre in meiner Zeit undenkbar gewesen. Aber das ist nicht nur ein Gewinn für das Mädel, das ist ein Gewinn für die gesamte Gesellschaft, für die Schule dort. Weil sie lernen, auf Leute mit anderen Bedürfnissen einzugehen. Und ich denke, das schafft auch neue Potentiale in einer Gesellschaft, die wir frei machen müssen.
Sprecher: Die positiven Beispiele müssten viel mehr bekannt werden. Sie hätten Vorbildcharakter, nicht nur für Behinderte. Das ist das Plädoyer von Julian Hadschieff. Sie könnten die Vorreiter für eine bessere Zukunft sein.
Julian Hadschieff, Manager: Es muss heute klar sein, dass jemand mit einer Behinderung alles machen kann. Er kann Politiker werden an obersten Funktionen, er kann Manager, Unternehmer werden. Was weiß ich. - Herr Hanlo mit dem Hanlo Haus... Es gibt so viele gute Beispiele. Vorgestern war der Life-Award in Innsbruck, die Auszeichnung für Menschen mit Handicap, die besondere Leistungen erbracht haben. Tolle Persönlichkeiten, die dort waren! Der Adidas Manager, sehr erfolgreicher, im Rollstuhl. Eine Frau im Rollstuhl, die mit dreißig einen schweren Unfall hatte - einen Autounfall - und sich zum Ziel gesetzt hat, insbesondere Menschen mit Behinderung im Rollstuhl die Selbstverteidigung zu lehren, um sich vor Missbrauch zu schützen. - Hat, glaube ich, den dritten Dan in Karate oder den schwarzen Gürtel Karate. Ist x-fache Professorin, unterrichtet selbst, ist Niederländerin. Oder die Frau Tenberken, glaube ich heißt sie, eine Blinde, die in Tibet Blindenschulen entwickelt hat. Und die mit einer Begeisterung über das spricht, was sie gemeinsam mit ihrem Mann tut, um Menschen zu integrieren, dass es beeindruckend ist für alle, die da im Landestheater mit dabei gesessen sind. Und die es geschafft hat, vom offiziellen China unter die 15 Ausländer gereiht zu werden, die am meisten vom Ausland für die chinesische Gesellschaft getan haben, weil sie die Brailleschrift ins Chinesische transformiert hat. Also, ich denke, es gibt so viele Leuchtfiguren und Lichtgestalten mit Behinderungen, an denen wir uns durchaus aufrichten können.
Sprecher: Die Begriffe „behindert“ und „nicht behindert“ würden langsam verschwimmen - davon ist Julian Hadschieff überzeugt. Das Ziel müsse es sein, nicht nur am Arbeitsmarkt, sondern in der gesamten Gesellschaft die nach wie vor bestehenden Barrieren für Behinderte zu beseitigen. Und vor allem die Barrieren, die sich nach wie vor in den Köpfen der Menschen befinden.
Julian Hadschieff, Manager: Und ich denke, wir können auch mit Selbstbewusstsein sagen, dass viele, die nach üblichen Kriterien als nicht behinderte Menschen gelten, sich emotional mindestens so behindert sehen wie wir. Die sich in der Früh, wenn sie aufstehen, in den Spiegel sehen und sagen: Um Himmels Willen, ich hätte so gerne glatte Haare wie die - weiß nicht wer - und ich habe so curly Hair. Oder: Mein Busen ist zu groß, zu klein... Oder: Meine Ohren stehen ab... Oder die emotional keine Freude empfinden können. Das sind Behinderungen im Leben. - Nicht ob ich einen Rollstuhl fahren muss oder nicht. Objektiv mag das schon richtig sein, ich werde halt manche Dinge mit einem Rollstuhl nicht schaffen. Wenn es uns gelingt, in einer Gesellschaft diese Barrieren, die objektiven Barrieren zu reduzieren und es uns insbesonders gelingt, den Menschen zu zeigen, dass die Barriere im Kopf wegkommen muss, dann wird es für die Menschen, die eine Behinderung tatsächlich haben - also besondere Bedürfnisse haben - viel einfacher sein, ein ganz normales Mitglied einer Gesellschaft zu sein, in der Behinderung allerorten da ist. – Bei manchen eben ersichtlicher als bei anderen.
Sprecherin: Sie hörten: Durchblick trotz Sehbehinderung. Ein Porträt des schwer sehbehinderten Topmanagers Julian Hadschieff. Eine Sendung anlässlich der Tagung "Barrierefrei - Karriere frei" am 10. Dezember 2008 in Wien. Von Wolfgang Slapansky.