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.Es fehlen noch viele Gesetze zur Gleichstellung!
Freak-Radio hat anlässlich der Sendung "Gleich per Gesetz" folgendes Interview mit Martin Ladstätter geführt. Dabei wurden verschiedene Apekte zum Thema "Gleichstellung" angesprochen. Von den Umsetzungsmöglichkeiten bis zu Schlichtungsverfahren von der Umsetzung in den Bundesländern bis zu praktischen Beispielen. Hier finden Sie nun die komplette Fassung dieses Interviews.
Die Fragen haben Katharina Zabransky und Gerhard Wagner gestellt.
Martin Ladstätter: Behinderte Menschen werden im Alltag regelmäßig diskriminiert, manchmal auch systematisch diskriminiert. Und damit man diese Diskriminierungen bekämpfen kann, braucht man ein umfassendes Behindertengleichstellungsgesetz.
Was ist der Unterschied zwischen Gleichbehandlung und Gleichstellung? Das ist eine gute Frage. Man könnte auch noch einwerfen: Und was bedeutet Gleichberechtigung?
Ohne da einen sprachwissenschaftlichen Exkurs machen zu wollen: Es geht grundsätzlich darum, wie man Menschen behandelt. Wenn man zwei Menschen absolut gleich behandelt, kann das auch eine Diskriminierung sein. Also eine reine Gleichbehandlung wäre in vielen Fällen eine Diskriminierung. Wenn ich zum Beispiel einen Autobus habe, der nicht zugänglich ist, und der Fahrer sagt: "Bei uns dürfen alle einsteigen! Ich behandle alle sowieso gleich", dann hilft das dem, der ohne eine Einstiegshilfe, sprich: ohne eine Rampe nicht in den Autobus kommt, überhaupt nicht. Eine reine Gleichbehandlung würde nicht helfen. Eine Gleichberechtigung/Gleichstellung würde bedeuten, man wird Maßnahmen setzen, damit er den Bus gleichberechtigt benutzen kann. Sprich: Man baut eine Rampe ein.
Freak-Radio: In der Schule spricht man von Individualisierung und Differenzierung. Wäre das hier auch anzuwenden?
Martin Ladstätter: Das Gleichstellungsgesetz, das wir haben, ist erstens kein umfassendes, zweitens: Die Individualisierung in der Gleichstellung ist ein Problem, weil im Moment nur jene Menschen recht bekommen, die individuell den Weg einer Schlichtung oder einer Klage auf sich nehmen. Und sie setzen dann etwas durch für sich persönlich - und nur in den seltensten Fällen ist das Gegenüber dann überhaupt bereit, dieses Ergebnis dann für andere auch gelten zu lassen. Das ist der große Nachteil!
Freak-Radio: Wie zufriedenstellend ist dieses Gesetz?
Martin Ladstätter: Das Behinderten-Gleichstellungsgesetz ist ein wichtiges Gesetz für behinderte Menschen in Österreich. Das Problem ist, dass dieses Behinderten-Gleichstellungsgesetz nicht umfassend ist. Es ist ein Ansatz, es ist ein Schadenersatzrecht, was in einigen Bereichen sehr wirksam sein wird, aber gibt ganz wesentliche Bereiche für behinderte Menschen, wo dieses Gesetz nicht oder nur sehr ungenügend wirkt. Das ist das, wo wir in den nächsten Jahren sehr viel daran arbeiten müssen: Ich sage zwei Stichworte: Im Bildungsbereich wirkt dieses Gesetz sehr wenig und im Bereich barrierefreies Bauen wirkt es auch sehr wenig, weil das in den Bereich der Bundesländer fällt.
Freak-Radio: Und wo wirkt es?
Martin Ladstätter: Konsumentenschutzrecht! Wenn behinderte KonsumentInnen schlechter behandelt werden als nicht behinderte KonsumentInnen. Und da ist dieses Gesetz mit seinem Schadenersatz - sowohl materieller als auch immaterieller - also Schaden, der mir wirklich entstanden ist und Kränkungsschaden... Da ist dieses Gesetz gut und wirkt auch jetzt schon.
Freak-Radio: Im Gesetz ist eine Verbandsklage vorgesehen, also ein einziges kleines Instrument, mit dem diese Individualisierung ein wenig unterbrochen. Hat es schon nach einem Jahr und zwei Monaten so eine gegeben?
Martin Ladstätter: Das Gesetz spricht zwar von einer Verbandsklage, aber das ist de facto keine Verbandsklage. Das ist ein Recht auf Antrag einer Verbandsklage, weil ein Gremium entscheidet, ob diese Verbandsklage durchgeführt wird oder nicht. In diesem Gremium entscheiden primär nicht Betroffene, ob das eine Diskriminierung ist. Nämlich ganz konkret: Wenn die Organisation, die verbandsklageberechtigt ist, bekämpfen will, dann kann man nicht sagen, das ist jetzt eine Verbandsklage. Denn dann wird dieser Wunsch, oder dieser Antrag, nach einer Schlichtung dem Bundesbehindertenbeirat vorgelegt, und der entscheidet dann, ob überhaupt eine Verbandsklage zugelassen wird. Es ist also keine Verbandsklage im klassischen Sinn, sondern ein Wunsch oder ein Antrag auf eine Verbandsklage.
Freak-Radio: Ein praktisches Beispiel: Wie könnte es denn zu dieser mehr als individuellen Sache kommen. Was müsste konkret geschehen, dass es wirklich zu einer Verbandsklage kommen kann?
Martin Ladstätter: Verbandsklagen brauchen erstens einmal Organisationen, die diese Verbandsklagen einbringen. Und andererseits muss es auch ein klares Ziel geben, was ich mit einer Verbandsklage erreiche:
Ein großes Manko ist es, dass man keinen Unterlassungsanspruch hat. Ein Ziel einer Verbandsklage muss aber dieser Unterlassungsanspruch sein, nämlich dass ein Unternehmen in einer Klage verliert und den Auftrag bekommt, etwas zu machen - oder den Auftrag bekommt, etwas zu unterlassen. Das gibt das Gesetz ja nicht her! Deshalb werden viele Möglichkeiten, bei denen man sich eine Verbandsklage schon vorher überlegt, scheitern, weil man das, was man eigentlich erreichen will, mit diesem Gesetz sowieso nicht bekommt.
Freak-Radio: Wie beurteilen Sie die Entstehung des Gesetzes?
Martin Ladstätter: Das Behinderten-Gleichstellungsgesetz hat eine lange Tradition in Österreich. Wir kämpfen seit fast 15 Jahren für ein umfassendes Behinderten-Gleichstellungsgesetz. Ich sage deshalb "kämpfen", weil unser Kampf dafür noch nicht beendet ist, wir wollen ja ein umfassendes, nicht dieses Gesetz, das es im Moment gibt. Das Behinderten-Gleichstellungsgesetz ist sicher eines jener Gesetze, bei dem Betroffene sehr viel mitgearbeitet haben - ähnlich wie bei der Pflegevorsorge, aber man muss auch kritisch sagen: Mit dem Ergebnis sind wir nicht zufrieden! Denn unser Gesetz, wenn wir es alleine schreiben hätten können, viel schärfer, viel umfassender gewesen wäre. Trotzdem sage ich: Es ist ein wichtiger Zwischenschritt auf dem Weg zur Gleichstellung.
Ähnlich wie der Artikel 7 in der Bundesverfassung, damals 1997. Das war ein wichtiger Zwischenschritt.
Freak-Radio: Warum gibt es auf Bundesebene Regelungen, die es auf Länderebene noch nicht gibt?
Martin Ladstätter: Ich war ja Mitglied der Arbeitsgruppe der Bundesregierung zur Schaffung eines Behindertengleichstellungsgesetzes. Wenn dieses Gesetz schlecht ist oder überhaupt nicht wirkt, war es das Ergebnis von Lobby-Interessen: Die Bundesländer haben ganz klar gesagt: Sie wollen von diesem Gesetz nicht umfasst sein. Die Wirtschaft hat in einigen Bereichen gesagt, sie will manche Bereiche nicht haben, wie zum Beispiel den Unterlassungsanspruch. Und da haben wir uns in den Verhandlungen nicht durchsetzen können und deshalb schaut das Gesetz jetzt auch so aus, wie es aussieht.
Freak-Radio: Es gibt ja die 15a-Vereinbarungen, das sind Vereinbarungen der Länder mit dem Bund, die es in diesem Bereich noch nicht in befriedigender Weise gibt. Einerseits wäre das die Umsetzung der Gleichstellung auch in den Ländern und andererseits eine Koordination der Baunormen der verschiedenen Länder. Woran liegt das, dass man sich in beiden Fällen noch nicht geeinigt hat und woran spießt es sich?
Martin Ladstätter: Bevor wir jetzt zu technisch werden, erstens einmal: Niemand versteht, dass ein Behinderten-Gleichstellungsgesetz den wichtigen Bereich des Bauens nicht umfassend umfasst. Das versteht niemand! Aber es war nicht durchsetzbar in der Arbeitsgruppe, weil sehr große Interessen dagegen gesprochen haben - nämlich seitens der Länder. Also hat man gesagt: Gut, wenn man das nicht schafft, also sie nicht verpflichten kann, dann hofft man mit ihnen zumindest eine freiwillige Vereinbarung zu treffen, dass man eine gemeinsame Regelung schafft. Das ist geschafft worden. Man hat gesagt: Wir werden in Zukunft irgendwann einmal 15a-Vereinbarungen festschreiben, damit barrierefreies Bauen in allen Bundesländern gleich gesehen wird.
Denn im Moment haben wir ja die Situation, dass beispielsweise barrierefreie WCs ganz unterschiedlich in jedem Bundesland ausschauen. Manche schreiben dies vor, manche schreiben das vor, manche schreiben gar nichts vor.
Wir wollen gleiche Regelungen, aber mehr als ein Versprechen haben behinderte Menschen bis jetzt noch nicht bekommen! Die Bundesländer haben gesagt, sie werden sich irgendwann einmal mit dem Bund auf eine Vereinbarung einlassen. Technisch gesprochen heißt diese: 15a-Vereinbarung. Aber wir haben nichts in der Hand, ob so eine Vereinbarung wirklich jemals kommen wird. Mehr als eine Absichtserklärung ist das nicht! Und der zweite Punkt: Natürlich, und das ist auch ein Projekt das schon seit über dreißig Jahren läuft, sollen Bauordnungen in Österreich harmonisiert werden. Aber auch das ist nur ein Versprechen, es werde daran ganz hart gearbeitet. Doch was dann drinnen stehen wird, weiß niemand!
Und vor allem: ob es überhaupt jemals zustande kommt, weiß auch niemand.
Freak-Radio: Bei den Bauverhandlungen soll es sich an zwei Bundesländern spießen. Welche sind das, und warum?
Martin Ladstätter: Das stimmt. Es gibt Bedenken, ob dieser 15a-Vertrag verfassungsrechtlich richtig abgeschlossen werden kann oder nicht. Hier gibt es vehemente Widerstände aus den Bundesländern. Zum Beispiel aus Salzburg.
Bündelgesetze
Freak-Radio: Es sind ja einige Gesetze damit geändert worden. Aber eben nicht alle. Was ist geändert worden und was ist draußen geblieben?
Martin Ladstätter: Nachdem die Verfassung 1997 geändert wurde, wo jetzt drinnen steht: "Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden", haben wir begonnen, diskriminierende Gesetze zu sammeln.(22.50) Und 1999 wurde ein erstes Bündelgesetz verabschiedet, in dem diskriminierende Gesetzesstellen beseitigt wurden. Dann ist viele Jahre nichts passiert und im Vorjahr gab es ein zweites Bündelgesetz, in dem diskriminierende Gesetze beseitigt wurden. Es fehlen uns noch sehr viele Bündelgesetze, weil noch sehr viele Gesetze diskriminieren. Der Notariatszwang wäre in diesem zweiten Bündelgesetz eigentlich drinnen gewesen, wurde aber auf politischen Druck in letzter Minute wieder herausgenommen.
Es sind sehr viele Bestimmungen über Eignung im Arbeitsbereich drinnen. Dass behinderte Menschen also nicht grundsätzlich als ungeeignet angesehen werden. Klassisches Beispiel: Lehrerinnen und Lehrer.
1. Lokal mit Stufen
Freak-Radio: Wir haben jetzt einige Beispiele: Ein neues Lokal wird in einer Einkaufsstraße eröffnet: Es gibt zwei Stufen hinein. Was kann ein Rollstuhlfahrer jetzt dagegen tun?
Martin Ladstätter: Gute Frage. Konkret, eigentlich nicht sehr viel! Die wahrscheinlich zielführendste und nervenschonendste Variante ist es, in ein anderes Lokal zu gehen. Wenn er aber doch unbedingt in dieses Lokal gehen möchte, dann wird es ihn für ihn sehr anstrengend. Dieses Behinderten-Gleichstellungsgesetz hat nämlich auch einen großen Systemfehler drinnen: Es individualisiert. Er muss jetzt persönlich mit diesem Lokal einen Kampf beginnen, ein Schlichtungsverfahren eröffnen (18.00), vielleicht sogar einmal eine Klage einleiten, und nicht, so wie man eigentlich annehmen könnte, der Gesetzgeber schreibt ganz genau vor, wie Lokale grundsätzlich ausschauen sollten, denn das wäre eigentlich die sinnvollere Lösung.
Konkret könnte er jetzt also zum Beispiel eine Schlichtung einleiten gegen dieses Lokal - und sich bei der Schlichtungsstelle Bundessozialamt mit dem Lokalbesitzer zu irgendeiner Art von Maßnahme einigen. Sei diese zum Beispiel, dass er ihm das Essen nach Hause bringt oder dass er vielleicht eine Rampe auflegen lässt oder wozu sich diese zwei überhaupt einigen...
Es könnte aber auch herauskommen, dass der Lokalbesitzer sagt: Ich habe mich da erkundigt, das fällt ja gar nicht unter das Behinderten-GG, ich will mich gar nicht einigen! Und dann hätte er ein Problem: Denn dann kann er nämlich entweder eine Klage einleiten, wo er keine guten Aussichten hat, oder er geht wirklich in ein anderes Lokal.
Freak-Radio: Wenn aber in einem bestehenden Lokal zwei Eingänge sind, der eine wäre barrierefrei, der andere führt mit Stufen hinauf, der barrierefreie Eingang ist allerdings ein Nebeneingang, ist ständig versperrt und Kisten stehen davor: Gibt es dann Handhabe?
Martin Ladstätter: Ja, dann hat er gute Chancen. Denn das ist dann eine organisatorische Maßnahme und keine bautechnische! Und das wäre zum Beispiel durchsetzbar.
2. Notariatsakt für blinde Menschen?
Freak-Radio: Ein blinder freiberuflich arbeitender Mensch möchte ein Konto eröffnen. Die Bank lässt ihn das aber nicht, weil er nicht unterschreiben kann und verlangt einen Notariatsakt: Wie kann er seine Gleichstellung bekommen?
Martin Ladstätter: De facto hat er schlechte Karten, muss man ganz offen sagen. Hier widerspricht ein Gesetz einem anderen, nämlich das Behindertengleichstellungsgesetz einem anderen Gesetz, das diesen Zwang vorschreibt. Und deswegen ist von der Behindertenbewegung immer gefordert worden: Einerseits Rechte mit dem Behinderten-GG schaffen und andererseits diskriminierende Gesetze verbessern! Dieser Notariatszwang ist schon seit zehn Jahren als diskriminierend aufgezeigt worden, und von zwei Regierungen ist versprochen worden, diese Diskriminierung zu beseitigen. Bisher hat es keine gemacht. Die neue Regierung hat es wieder versprochen.
Freak-Radio: Jetzt gibt es ja die elektronische Signatur. Es gibt im elektronischen Bereich sehr viele Dinge, dass auch blinde Menschen feststellen können - denn die Argumentation war ja immer die, dass dies nur zum eigenen Schutz der blinden Kontoinhaber geschieht, weil er nicht sieht, was er unterschreibt und dass ihm das nachweislich kundgemacht werden muss - aber bei der elektronischen Signatur wäre das ja möglich. Bietet man so etwas an, oder ist das angedacht und in Überlegung beim Gesetzgeber oder ist das überhaupt nicht in Diskussion?
Martin Ladstätter: Es gäbe natürlich die Möglichkeit, andere Maßnahmen, zum Beispiel die Bedingungen für Bankkonten elektronisch zu lesen als blinder Mensch, und das soll ja auch die Zielrichtung einer Änderung sein. Die Arbeiten in diesem Bereich sind auch sehr weit fortgeschritten. Aber es kam dann doch nicht zu einer Änderung des Gesetzes und es wurde auf die nächsten Jahre verschoben und wir hoffen, dass jetzt, vor dem Sommer, ein Anlauf unternommen wird. De facto gilt aber die Regelung, ein Notariatszwang ist für blinde Menschen noch immer geltendes Recht!
Freak-Radio: Das hätte ja im so genannten Bündelgesetz drinnen sein sollen.
Martin Ladstätter: Das war sogar drinnen und ist wieder herausgestrichen worden.
3. Körperliche Eignung im Beruf
Freak-Radio: Eine gehörlose Lehramtsabsolventin der Universität Innsbruck erhält wegen angeblicher fehlender körperlicher Eignung keine Lehrstelle an einer AHS oder BHS. Sie ist gehörlos. Was kann sie tun?
Martin Ladstätter: Meiner Meinung nach müsste sie eigentlich gute Chancen haben gemäß Behinderteneinstellungsnovelle, dies als Diskriminierung geltend zu machen. In diesem konkreten Fall müsste man nachschauen, wie hoch der Schaden ist. Da geht es dann auch darum, wie klar es ist, dass sie diesen Arbeitsplatz bekommen hätte oder nicht. Denn da gibt es unterschiedliche Höhen: In einem Fall bekommt man einen Betrag, im anderen Fall kann es bis zu einem Monatsgehalt gehen. Ich würde dieser Frau raten, eine Schlichtung beim Bundessozialamt einzuleiten und sich mit kundigen Personen vorher abzusprechen, was sie genau haben möchte. Es sieht eigentlich recht gut aus.
Freak-Radio: Warum?
Martin Ladstätter: Weil das für mich, wenn ich den Fall richtig verstanden habe, einer Diskriminierung entspricht, und die Novelle Behinderteneinstellungsgesetzes als Umsetzung der EU-Richtlinie genau das bekämpfen wollte. Interessant an diesem Fall ist, das die EU-Richtlinie von abschreckenden Strafzahlungen spricht, und dieser Diskriminierer müsste eigentlich der Bund sein, wenn es eine Bundesschule ist - und ich bin sehr gespannt, wie hoch die abschreckende Strafzahlung dann sein würde.
Freak-Radio: Ist nicht genau das, dass man diese "körperliche Eignung", sowohl an Höheren Schulen, als im Pflichtschulbereich im letzten Bündelgesetz gestrichen hat?
Martin Ladstätter: Da muss man zwei Sachen unterscheiden: Es geht darum, ob man den Lehrerberuf erlernen kann, und dann, ob man ihn ausüben kann. Wenn ein fertig ausgebildeter Lehrer einen Beruf ausüben möchte und der gehindert wird, weil man sagt, er sei körperlich nicht geeignet - wie ich es verstehe, wäre es eine Diskriminierung, die dieses Gesetz eigentlich bekämpfbar gemacht hat - seit 1.1.2006. Es gibt auch eine Rechtsmeinung, dass das auch schon vorher so war, weil Österreich die EU-Richtlinien nicht zeitgerecht umgesetzt hat, denn seit Dezember 2003 hätte das schon umgesetzt sein müssen.
Freak-Radio: Jetzt haben wir einige Bespiele genannt. Gibt es auch noch andere wichtige Beispiele, die zeigen können, wo das Gleichstellungsgesetz wirkt, oder andere Beispiele, die wir nicht genannt haben, wo nach wie vor diskriminiert wird?
Martin Ladstätter: Ich würde gerne Beispiele bringen, wo man um das Menschenbild diskutiert. Wenn zum Beispiel ein Unternehmen in die Bedienungsanleitung schreibt, dass ein Gerät Kinder und behinderte Menschen nur unter Aufsicht benutze dürfen, dann ist das eine klassische Diskriminierung, die bekämpfbar ist, oder wenn ein Verkehrsbetrieb ohne sachliche Rechtfertigung in seinen Beförderungsbedingungen drinnen stehen hat, dass dieses oder jenes Fahrzeug nur mit Begleitperson benutzt werden darf...
Freak-Radio: ...zum Beispiel bei Rollstuhlfahrern...
Martin Ladstätter: Ja genau. Und in beiden Fällen gibt es konkrete Schlichtungen - und in beiden Fällen gibt es auch - so wie es aussieht - positive Ergebnisse, weil das eine klassische Diskriminierung ist, wenn man ohne sachliche Rechtfertigung etwas vorschreibt.
Vielleicht ganz topaktuell: Wir sind draufgekommen, dass ein Bundesgebäude eine Hausordnung hat, die Rollstuhlfahrern verpflichtend eine Begleitperson vorschreibt, also eine Diskriminierung. Dieses Gebäude ist das Parlament, also jenes Gebäude, also jener Ort, in dem das Behinderten-Gleichstellungs-Gesetz beschlossen worden ist und das erzeugt jetzt Irritation, weil eine Abgeordnete, die selbst Rollstuhlfahrerin ist, meint, das sei diskriminierend, gemäß diesem Gesetz, und das müsse schleunigst geändert werden.
Freak-Radio: Wie sind die Reaktionen?
Martin Ladstätter: Das werden wir sehen! Es ist so aktuell, dass ich noch keine Reaktionen habe.
Freak-Radio: Und Negativbeispiele?
Martin Ladstätter: Als Negativbeispiel möchte ich einen Verkehrsbetrieb erwähnen, der bewusst Fahrzeuge neun Tage vor Inkrafttreten des Gesetzes bewilligen hat lassen, um nicht barrierefreie Fahrzeuge in Betrieb zu setzen, das auch offen zugibt, dass ihm das gelungen ist, als Argument sagt, das hätte mehr gekostet und das wollen wir nicht und alle Möglichkeiten bis zu einer Anzeige bei der Staatsanwaltschaft ausgeschöpft wurden, aber es hilft nichts. Wenn jemand neun Tage vor Inkrafttreten des Gesetzes Fahrzeuge bewilligen lässt, die er dann die nächsten zwanzig Jahre fahren lässt, dann gilt das auch.
Das ist ein gutes Beispiel, es ist die Badner Bahn, die auch zu ihrer Entscheidung ganz bewusst steht. Wir werden aber trotzdem schauen, ob es auch andere Möglichkeiten gibt, das öffentlich zu machen, weil der Diskriminierer in diesem Fall das Land Wien ist. Das Land Wien leistet es sich ganz bewusst, Fahrzeuge anzuschaffen, die nicht zugänglich sind und erst irgendwann in Zukunft einmal im Rahmen eines Etappenplans zugänglich gemacht werden sollen.
Freak-Radio: Wer ist "wir"?
Martin Ladstätter: "Wir" sind behinderte Menschen, die sich Diskriminierungen grundsätzlich nicht gefallen lassen. Jeder hat ja das Recht, gegen Diskriminierungen aufzutreten und uns werden sicher, wenn rechtlich nichts machbar ist, weil das Gesetz schlecht ist, andere Möglichkeiten einfallen.
Freak-Radio: Was macht konkret BIZEPS?
Martin Ladstätter: BIZEPS hat Anzeige bei der Staatsanwaltschaft gemacht, wir haben die Schlichtung unterstützt und wir werden an die Öffentlichkeit treten, was wir ja hiermit auch schon gemacht haben.
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BIZEPS ist eine Organisation, die sich seit vielen Jahren um die Rechte behinderter Menschen einsetzt. Wir unterstützen Personen, bei Schlichtungsverfahren zu ihrem Recht zu kommen oder zu Einigungen zu kommen. Wir schicken also Vertrauenspersonen zu Schlichtungen, weil wir der Meinung sind, behinderte Menschen müssen ihr Recht selbst durchsetzen. Aber wir unterstützen sie dabei. Eine andere Möglichkeit wäre, dass man sagt, wir übernehmen für euch die Verfahren. Aber im Sinne des Empowerment ist das schlecht, das wollen wir nicht. Wir unterstützen Personen, zu ihrem Recht zu kommen, und wir haben im letzten Jahr knapp zwanzig Schlichtungen im Bundessozialamt gehabt, von in Summe 130. Bei einigen haben wir recht schöne Erfolge erzielt.
Freak-Radio: Können Sie uns kurz beschreiben, wer hinter BIZEPS steht?
Martin Ladstätter: BIZEPS ist ein Zentrum für Selbstbestimmtes Leben in Wien, das seit ca. 15 Jahren Beratungen im Bereich Selbstbestimmung und Gleichstellung macht.
Freak-Radio: Wie viele Menschen mit Behinderungen arbeiten mit?
Martin Ladstätter: Die Hälfte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind behindert. Und wir sind ein Team von elf Personen.
Freak-Radio: Welche Beispiele gibt es im Bildungsbereich?
Martin Ladstätter: Bei den Schlichtungen kann man manchmal auch Ergebnisse erzielen, die über das Gesetz hinausgehen, weil bei Schlichtungen die Möglichkeit gegeben ist, sich auf alles zu einigen, auf das man sich einigen will.
Und wir konnten auch im Bildungsbereich einer Schlichtung zur Einigung verhelfen, bei der das Ergebnis erzielt wurde, dass die Kosten für eine Bildungseinrichtung ein Jahr übernommen werden, weil das Ministerium - wie formuliere ich es jetzt am besten, um beiden Seiten gerecht zu werden? - nicht geprüft haben will, ob es diskriminiert hat.
Freak-Radio: Wie groß sind denn die Chancen, dass im Bildungsbereich, was das Gleichstellungsgesetz betrifft, sich in den nächsten Jahren Dinge ändern werden?
Martin Ladstätter: Prognosen sind schwierig. Ganz konkret würde ich sagen: Dieses Gesetz kann im Bildungsbereich fast nichts durchsetzen. Es steht aber im Regierungsabkommen, dass man evaluieren will, was dieses Gesetz kann. Ich hoffe, wenn denen, die dieses Bildungsgesetz ändern können, klar ist, dass in diesem Bereich damit nichts machbar ist, dass sie es auch ändern werden. Ob sie es wirklich ändern werden, werden wir sehen.
Freak-Radio: Welche Punkte sind vonseiten der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung, von BIZEPS, der behinderten Menschen selbst, noch ganz wichtige, die in künftige Gesetze unbedingt hinein müssen?
Martin Ladstätter: Ein Unterlassensanspruch! Es hilft nichts, dass dieses BGG ein reines Schadenersatzrecht ist! In vielen Bereichen geht es zwar um finanziellen Schaden, aber in sehr vielen Bereichen geht es auch um andere Dinge, um Zugänglichkeiten...
Dieses Gesetz muss in einigen Bereichen dramatisch verbessert werden, zum Beispiel ein Recht auf Unterlassung. Wenn ich diskriminiert werde, muss ich das Recht bekommen, dass der andere die Diskriminierung beendet und nicht nur im Moment dafür Geld bezahlt - als eine Art Freikauf. Ich kann jeden diskriminieren in Österreich, solange ich es mir leisten will, dafür auch zu bezahlen. Das muss sich ändern! Ganz wichtig ist auch, dass barrierefreies Bauen endlich Teil der Gleichstellung wird. Und zwar überall in Österreich.
Und der Bildungsbereich: Das Recht auf Integration überall! Beginnend vom Kindergarten bis hin zum zweiten Bildungsweg. Ich muss überall die gleichberechtigte Möglichkeit haben und die Unterstützungsmaßnahmen bekommen, die ich benötige: Beispielsweise GebärdensprachedolmetscherInnen, das Recht, überall Informationen in der für mich zugänglichen Form zu bekommen. Für blinde Menschen ist das etwa elektronisch - diese Dinge als Rechtsanspruch zu haben, die habe ich im Moment nicht.
Es muss einen Rechtsanspruch in Schule und Bildung geben, dass behinderte Menschen gleichberechtigt diese Angebote nutzen können.
Was ganz wichtig ist, und das ist die Erfahrung des ersten Jahres: Die Gleichstellung durchzusetzen ist sehr schwierig. Behinderte Menschen kämpfen hier meistens gegen große Unternehmen und brauchen unbedingt dabei Unterstützung. Es wird also bei der Durchsetzung der Gleichstellung immer darauf ankommen, welche Unterstützungsmöglichkeiten ich behinderten Menschen gebe. Einerseits werden das Behindertenorganisationen sein, die in Schlichtungsverfahren unterstützend helfen, andererseits Organisationen wie der Klagsverband, die auch bei der gerichtlichen Durchsetzung helfen.
Freak-Radio: Gibt es aus Ihrer Sicht genügend Unterstützungspotential von Vereinen und Verbänden, um diese Rechte durchzusetzen?
Martin Ladstätter: Das Ergebnis des ersten Jahres zeigt, dass es zwei Bundesländer gibt, wo nicht eine einzige Schlichtung eingebracht worden ist und ein Bundesland, wo nur eine einzige Schlichtung eingebracht worden ist.
Freak-Radio: Bedeutet das, dass ein Gleichstellungsgesetz nur dann auch wirklich wirkt, wenn es gute Interessensvertretungen gibt?
Martin Ladstätter: Die Erfahrungen aus dem Ausland sagen eindeutig ja. Und das erste Jahr in Österreich zeigt uns das auch. Es gibt relativ wenige Schlichtungen, knapp 130 im vorigen Jahr. Und einige Bundesländer haben überhaupt keine Schlichtung. Wenn ich mich recht erinnere, sind das Vorarlberg und Salzburg, die haben überhaupt keine Schlichtung, das Burgenland nur eine einzige. Man muss die Personen unterstützen, um ihre Rechte durchzusetzen, und - und das ist jetzt ganz wichtig - man kann es nicht auf den Personen abladen. Der Gesetzgeber muss seiner Pflicht nachkommen, auch seinen Teil zu machen: Die Baugesetze richtig zu machen, die Gewerbeordnungen zu machen. Es kann nicht so sein, dass jede Person einzeln dieses Recht durchklagen muss.
Freak-Radio: Aber theoretisch ist es schon möglich, dass sich jeder einzelne an die jeweilige Schlichtungsstelle des Bundeslandes wenden kann?
Martin Ladstätter: Es ist in jedem Bundesland möglich und das Bundessozialamt hat die gesetzliche Aufgabe und kommt dieser Aufgabe auch nach. Das ist möglich! Überall. Und du hast auch alle unterstützenden Maßnahmen vom Bundessozialamt angeboten zu bekommen. Und ich weiß, dass dies auch geschieht. Es gibt Gebärdensprachdolmetschung, Unterlagen in elektronischer Form, wenn es gebraucht wird, das BSB bietet kostenlos Mediation an, also am Angebot des Bundessozialamts kann es nicht liegen!
Freak-Radio: Wir danken für das Gespräch.