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Rubrik: Lesen statt Hören
03. Juni 2021

Folge 36: Natascha Tonar: Disney-Figuren mit Handicap

von Redaktion

Christoph Dirnbacher: Herzlich Willkommen bei Freak Casters sagt Christoph Dirnbacher. In unserem Podcast stellen wir Ihnen Menschen, Geschichten und ihre Leidenschaften vor. Heute geht es um Figuren, die Groß und Klein und auch uns selbst begeistert haben. Es geht um Zeichentrick- beziehungsweise Animationsfilme, die uns seit der Kindheit begleiten haben.

Wie oft haben wir uns gewünscht, dass Meerjungfrau Arielle ihren Erik an Land begleiten darf und mit ihm bis an das Ende aller Tage glücklich wird. Wie sehr haben wir mitgefiebert, als Clownfisch Marlin seinen Sohn Nemo suchte. Dass viele Disney-Figuren Einschränkungen oder Behinderungen haben, ist dabei vielen nicht bewusst, denn an Land hat Meerjungfrau Arielle zwar Beine, kann aber ohne ihre Stimme nur mittels Mimik oder Gestik kommunizieren.

Der bucklige Glöckner Quasimodo lebt verborgen vor den Blicken der anderen in der Kathedrale von Notre Dame und Eiskönigin Elsa hat eine Kraft, die ihr, aber auch anderen Angst macht. Mit der Darstellung von Behinderung im Disney-Film setzt sich Natascha Tonar aktuell intensiv auseinander.

Sie studiert Theater, Film und Medienwissenschaft an der Universität Wien und hat sich im Zuge ihrer Abschlussarbeit intensiv mit Disney-Filmen und der Darstellung von Charakteren mit Behinderungen beschäftigt. Unsere Kollegin Nina Ebner hat mit ihr einen Streifzug durch das Disney-Universum von den 1970er Jahren bis heute unternommen.

Nina Ebner: Liebe Natascha, schön, dass du dir heute die Zeit genommen hast, aus deinem Forschungsvorgang zu berichten. Hand aufs Herz, warst du schon immer Disney-Fan oder was war dein Lieblingsfilm als Kind?

Natascha Tonar: Also ich war schon immer Disney-Fan und mein Lieblingsfilm war Arielle und das hat mich dann auch dazu gebracht, dass ich das noch einmal genauer mit meinem Studium in Verbindung bringen möchte.

Nina Ebner:Ist dir das schon als Kind aufgefallen, dass es um ernste Themen geht in den Disney-Film en oder ist das etwas, was dir erst beim Studieren aufgefallen ist?

Natascha Tonar: Als Kind ist mir da gar nichts aufgefallen. Ich fand das immer sehr schöne Erzählungen und es hat immer sehr viel Freude gemacht, da mitzusingen und mitzuleben und eine Prinzessin zu sein sozusagen. Den kritischen Blick habe ich dann erst über das Studium entwickelt.

Nina Ebner:Was ist jetzt dieser kritische Blick? Also was ist das Ziel der Masterarbeit?

Natascha Tonar: Also ich setze mich mit der Disability-Darstellung in Disney-Animationsfilmen auseinander. Das heißt, ich sehe mir die Disney-Figuren an und schaue: Inwiefern wird da mit Disability umgegangen? Welche Darstellungsweisen werden da verwendet und welche Themen oder Ideologien und Herangehensweisen werden dadurch vermittelt?

Nina Ebner:Was fasst du unter Disability? Sind das körperliche Behinderungen oder was nimmst du in den Begriff mit auf?

Natascha Tonar: Also für mich bedeutet Disability nicht nur die Beeinträchtigung einer Person, sondern auch die systematische Benachteiligung und Ausgrenzung durch die Gesellschaft. Das heißt, inwiefern die Gesellschaft da beteiligt ist und da Marginalisierungen schafft.

Nina Ebner:Warum hast du dich dann konkret für dieses Thema, für diese Themenstellung entschieden?

Natascha Tonar:Also das war ganz interessant. Ich habe letztes Jahr einen Kurs auf der Uni besucht, wo es um das Thema Disability ging, und da ist mir aufgefallen, dass da eigentlich ein sehr unreflektierter Umgang mit Unterhaltungsmedien herrscht, dass da wenig reflektiert wird, welche Botschaften da indirekt vermittelt werden.

Da ich halt auch Disney-Fan bin, habe ich mir gedacht, „Okay, wie sieht das denn eigentlich bei den Disney-Filmen aus? Wie wird da mit Disability umgegangen?“ und dann habe ich mich auch mit Freundinnen und Freunden unterhalten und habe festgestellt, dass da eigentlich überhaupt nicht reflektiert wird darüber.

Und, dass da sich überhaupt gar keine Gedanken gemacht werden, dass einem da beim ersten Mal überhaupt nicht einfällt, welche Figur da in irgendeiner Weise disabled ist.

Nina Ebner:Das heißt, du hast schon im Gespräch mit deinen Freund*innen diesen Austausch dann gesucht und ihr habt dann schon festgestellt, dass es da sehr wohl Anknüpfungspunkte gibt?

Natascha Tonar: Ja, genau. Zunächst haben wir eben mal festgestellt, dass es gar nicht so leicht ist, dass einem eine Figurda mal in den Sinn kommt. Klar, „Der Glöckner von Notre Dame“, das geht ganz schnell. Aber, dass zum Beispiel auch Nemo oder Elsa von „Frozen" als disabled gesehen werden können, das war uns eigentlich nicht so bewusst und kam dann eigentlich erst durch die kritische Reflexion dann auch durch mein Studium und meinen Zugang auf.

Nina Ebner:Du hast jetzt ja schon viele Beispiele genannt. Wie hast du die Filmauswahl getroffen? An welchen Filmen arbeitest du jetzt und wie waren so grundsätzlich mal die Recherche-Steps, bis du quasi an dem Punkt stehst, dass du Figuren-Analysen machen kannst?

Natascha Tonar:Ich habe mir zunächst einmal sämtliche Disney-Filme angesehen. Habe mir mal angesehen, inwiefern kommt es denn überhaupt vor? Wo wird es thematisiert? Wo wird es überhaupt nur als Sidekick verwendet in der Figur, als Lachnummer oder kann man das irgendwie überhaupt verorten in den Filmen? Und dann habe ich mir jene Filme herausgesucht, wo man auch einen kritischen Blick darauf werfen kann, wo ein Anknüpfungspunkt vorhanden ist.

Also ich sage auch mal eher die Hauptfiguren, da man da mehr reflektieren kann, weil die mehr Zeit auch im Film haben und sich weiterentwickeln. Und dann habe ich mir das nach und nach angeschaut, welche Filme sich da eignen würden und dann jene ausgewählt, die auch einen historischen Abriss ermöglichen.

Weil, ich möchte auch ein bisschen zeigen, wie sich das weiterentwickelt hat, die Darstellung. Und jetzt habe ich mir eben ausgewählt Arielle aus „Die kleine Meerjungfrau“, dann Quasimodo aus dem „Glöckner vom Notre Dame“ und dann habe ich mir noch angesehen aus „Findet Nemo“ Marlin, Dorie und Nemo selbst und dann noch einmal Elsa aus „Frozen“, um da ein bisschen einen Überblick und einen Querschnitt auch anbieten zu können.

Nina Ebner:Kannst du generell sagen, was sich gezeigt hat oder kann man überhaupt etwas generalisieren, wenn man über die Darstellung von Disability in Disney-Filmen sprechen will? Oder geht das wirklich nur konkret an den Filmen selbst?

Natascha Tonar: Man kann sehr wohl auch ein bisschen was generalisieren, und zwar kann festhalten, dass da sehr wohl eine Entwicklung zu beobachten ist. Und zwar, dass man bei den älteren Filmen noch einen sehr stereotypen Umgang hat, dass es da sehr viele stereotype Figuren gibt und dass sich die jetzt weiterentwickeln und immer mehrdimensionaler werden und auch den gesellschaftlichen Anforderungen der Zuseher dann anpassen.

Nina Ebner:Was wären stereotype Darstellungen, die eben früher noch vermehrt vorhanden waren?

Natascha Tonar: Man kann Stereotype als vereinfachte Darstellungen halt von einer bestimmten Gruppe sehen und denen werden immer Eigenschaften halt angedichtet, welche nicht der Realität entsprechen. Diese Eigenschaften werden dann hervorgehoben und führen dann im Weiteren eben zu gesellschaftlichen Ausgrenzungen.

Wenn man sich Arielle zum Beispiel hernimmt, dann könnte man sie so als sweet Innocent, als kindlich, unschuldig und schwach einstufen. Das würde dann zum Beispiel Disability mit Schutz- und Hilflosigkeit in Verbindung bringen, was aber gar nicht der Fall ist in der Realität und das bildet dann so eine stereotype Darstellung.

Nina Ebner:Der Disney-Film Arielle stammt aus dem Jahr 1989. Arielle hat sich in den Prinzen Erik verliebt, den sie aus dem Meer gerettet hat. Sie wünscht sich, ein Mensch zu sein und widersetzt sich damit ihrem Vater. Sie begibt sich heimlich zur Meerhexe Ursula, die sie überredet, ihre wunderschöne Stimme gegen menschliche Beine einzutauschen.

An Land ist Arielle dann stumm und kann nur mit Händen und Füßen mit ihrem Prinzen kommunizieren. Trotz Unterstützung ihrer Freunde, des Doktorfisches Fabius und der Krabbe Sebastian, kann sie ihn nur bedingt für sich gewinnen. Als Ursula in Gestalt einer schönen Frau mit Arielles Stimme auftaucht, verliebt sich Erik prompt in sie. Doch Arielle und ihre Verbündeten geben nicht auf. Erst als Arielle ihre Stimme wiedergewinnt, erkennt Erik das Täuschungsmanöver und kämpft für sie.

Natascha Tonar: Also Arielle wird sozusagen von der bösen Meerhexe dazu verführt oder es wird so inszeniert, dass sie ihre Stimme aufgibt, um menschliche Beine zu erhalten. Das ist schon mal der erste Punkt. Ihr wird zugeschrieben, dass sie das nur aufgrund dessen macht, weil die Meerhexe sie eben dazu verführt und dass sie da eigentlich gar nichts dafür kann und sehr unschuldig ist.

Und dann geht es weiter damit, dass sie eigentlich eine sehr aktive Person ist an Land, aber trotzdem ohne ihre Stimme nicht in der Lage ist, ihre Gefühle dem Prinzen sozusagen näherzubringen. Also sie versucht es zwar, aber das klappt dann doch nicht und erst dann, wenn sie ihre Stimme wiedererlangt, sozusagen eine Wunderheilung erfährt, dann schafft sie es auch tatsächlich, den Prinzen von sich zu überzeugen.

Nina Ebner:Die Frage, die ich mir jetzt stelle, ist, inwiefern hat Arielle tatsächlich eine Behinderung? Ist es das Fehlen der Beine? Ist es das Fehlen der Stimme? Oder warum hast du Arielle wirklich aus Sicht der Disability-Studies noch einmal genauer angesehen? Warum hast du da die Anknüpfungspunkte direkt schon aus dem ersten Schauen vielleicht schon herauslesen können?

Natascha Tonar: Also hauptsächlich bin ich zuerst ausgegangen von der Stimme. Ich bin aber auch dann darauf gekommen, dass ihr ganzer Körper eigentlich als Hindernis inszeniert wird, dass sie aufgrund ihrer Körperlichkeit nicht das bekommen kann, was sie gerne möchte, also ein menschliches Leben. Und sie versucht ja dann auch, also durch eine Emanzipation auch, die Beine zu bekommen, bezahlt dann aber mit der Stimme.

Also sie wird trotzdem als unvollständig von Erik empfunden, weil sie ja keine Stimme hat. Und das Interessante ist auch, dass er sich dann für Vanessa, also die verwandelte Ursula, die böse Meerhexe entscheidet, obwohl Arielle und die menschliche Form von Ursula sich eigentlich gleichen. Also beide sind als schön inszeniert und dargestellt und konzipiert, der einzige Unterschied liegt eben in dem Fehlen der Stimme.

Das Spannende, was man da so allgemein herauslesen kann, ist dann, dass man hier eine Verknüpfung hat von Gender und Disability und das Ganze dann in Kombination mit der eben schon angesprochenen Passivität und auch der Abhängigkeit vom Patriarchat, weil im Endeffekt dann ihr Vater, König Triton, Arielle das Leben ermöglicht, das sie gerne haben wollen würde.

Nina Ebner:Inwiefern zieht sich aber das Motiv des Kindlichen und Schützenswerten durch andere Disney-Filme?

Natascha Tonar: Man kann schon auch sagen, dass so dieses schwach-kindliche und das zu-beschützende Stereotyp halt immer wieder vorkommt. Also, auch so des Schützlings und des Opfers. Also, man kann nicht dezidiert sagen, dass sweet Innocent, also diese stereotype Darstellung immer vorkommt. Das wäre es nicht. Aber so grundsätzlich sind die Figuren alles sehr schutzbedürftig inszeniert. Auch Quasimodo oder Nemo sind so kindlich, unschuldig inszeniert.

Nina Ebner:Quasimodo ist der Hauptcharakter im Disney-Film „Der Glöckner von Notre Dame“, der 1996 erschienen ist. Der junge Mann, der einen Buckel hat, lebt zurückgezogen in der Kathedrale, weil man ihm sagte, dass sein Anblick anderen unzumutbar wäre. Sein Leben ändert sich, als eine junge Frau namens Esmeralda Schutz in der Kathedrale sucht. Was konntest du aus dem Film wirklich konkret herauslesen in Bezug auf die Disability-Studies?

Natascha Tonar: Bei der Figur Quasimodo handelt es sich ganz klar halt um eine stereotype Darstellung. Das ist ein Mix aus verschiedenen gängigen Stereotypen, die sich halt da verbinden und da eigentlich ein recht negatives Bild zeichnen. Wir haben da einerseits diese Verniedlichung, also die ich schon mal angesprochen habe bei Arielle. Die findet man auch bei Quasimodo, damit halt die Zuseher sich da nicht fürchten vor der Figur.

Dann haben wir andererseits, dass er so ein bisschen ein sich selbstermächtigender Held ist. Die körperliche Behinderung vor allem wird ausgeglichen durch die enorme Stärke oder auch durch die Fähigkeit, dass er besonders gut klettern kann und ermöglicht dann halt auch die Rettung von Esmeralda und wird aber teilweise dann auch als Monster gekennzeichnet durch diverse Aussagen von seinem Ziehvater als etwas oder jemand, der zu isolieren wäre.

Das kann man zum Beispiel in der Szene sehen, wo Quasimodo zum König der Narren gekrönt wird und dann die Stimmung tatsächlich halt von einer sehr ausgelassenen, fröhlichen Stimmung kippt in man könnte schon sagen Panik, Zurschaustellung. Er wird da gefesselt und geknebelt. Das Ganze müsste man nicht so ansprechen und nicht so visualisieren, wie es gemacht worden ist. Aber es wird halt trotzdem gemacht, damit halt der Zuseher sozusagen eine innere Befriedigung erfährt.

Nina Ebner:Indem man das Andersartige quasi kennzeichnet und auf Distanz hält?

Natascha Tonar: Ja, genau.

Nina Ebner:Und am Ende verlässt er ja quasi die Kathedrale, kommt zwar nicht mit der Frau zusammen, die er liebt, aber er kann sein Gefängnis quasi ja verlassen. Ist das eine positive Entwicklung oder wie würdest du das werten?

Natascha Tonar:Also ich würde da nicht ganz zustimmen, dass er die komplett verlässt. Er könnte ja eigentlich die ganze Zeit raus und es liegt eher an ihm selbst und an seinem sozialen Umfeld, dass er das nicht tut. Nach dieser ganzen Geschichte, die ihm da präsentiert wird, geht er dann zwar raus und wird auch so von der allgemeinen Bevölkerung akzeptiert, aber er wohnt trotzdem weiterhin in der Kathedrale.

Das kann man auch daraus ersehen, dass im zweiten Teil, „Der Glöckner von Notre Dame 2“, er tatsächlich dort weiterhin haust, obwohl es keinen Grund jetzt dafür gibt. Also er wird weiterhin als zu isolieren betrachtet.

Nina Ebner:War das einer der frühen Filme, wo es tatsächlich um Disability zentral gegangen ist?

Natascha Tonar:Ja. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen, dass das einer der ersten, also dass es der erste Film ist, wo Disney wirklich Disability zentral thematisiert. Also, wo es nicht nur nebenbei in den Figuren halt schon zu sehen ist, wie bei den Sieben Zwergen, sondern wo es wirklich Thema der ganzen Geschichte auch ist.

Nina Ebner:Warst du da überrascht, dass sich in vielen Filmen Anknüpfungspunkte finden lassen für die Disability-Studies oder hast du mit gerechnet?

Natascha Tonar: Ich war überrascht, in wie vielen das eigentlich versteckt vorkommt. Also direkt angesprochen wird das Thema ja eher erst in den neueren Filmen. Aber die stereotype Darstellung findet man ja schon auch in den ganz frühen Filmen und die kommt immer wieder mal vor. Also nicht in allen Disney-Filmen, aber doch sehr häufig.

Nina Ebner:Ist diese stereotype Darstellung jetzt dieses sweet Innocent oder ist sweet Innocent nur so ein Typ unter mehreren?

Natascha Tonar:Also das ist ein Typ unter mehreren stereotypen Darstellungen. Es gibt dann auch noch den Schützling oder das Opfer oder auch eternal Child könnte man auch noch sagen, das ewige Kind. Also da gibt es sehr viele verschiedene und es ist eine große Bandbreite und jede bedient dann auch stereotype Zuschreibungen, Eigenschaftszuschreibungen, die dann irgendwie Disability mit negativen Aspekten verbindet, die aber gar nicht der Realität entsprechen.

Nina Ebner:Bei welchen älteren Filmen war das denn noch der Fall, die du jetzt vielleicht nicht analysiert?

Natascha Tonar: Ganz klassische ist es vor allem in den ganz alten Filmen. Da findet man das sofort, zum Beispiel in „Schneewittchen und die sieben Zwerge“. Das war ja der erste Film von Disney, also Langfilm. Der wurde ja schon 1937 veröffentlicht und da hat man sofort die stereotype Darstellung bei den sieben Zwergen. Also das ist ganz offensichtlich und die werden dann zum Beispiel verwendet, um Lacher zu erzeugen.

Nina Ebner:Also die Körpergröße wird verwendet, um Lacher zu erzeugen? Oder gibt es da noch andere Punkte, wo man da kritisieren könnte?

Natascha Tonar: Ja, nicht nur die Körpergröße, sondern auch die körperliche Ausformung der Zwerge oder auch die geistige Kompetenz des siebenten Zwerges Dopey. Da sagt auch schon der Name alles aus. Das wird da halt schon verwendet, um einfach nur Komik zu erzeugen darüber, dass dieser Zwerg anders ist als alle anderen.

Nina Ebner:Das sind jetzt ältere Filme, die du als Beispiele nennst. Inwiefern kann man denn diese Entwicklung sehen, die du ja auch schon angesprochen hast, also dass es in neueren Filmen eben anders behandelt wird?

Natascha Tonar: Das beste Beispiel dafür ist Elsa. Sie entspricht eigentlich keinen gängigen Stereotypen mehr. Sie bricht eigentlich mit den Stereotypen. Angefangen bei dem, dass sie als monströser Bösewicht eigentlich konzipiert war, so wie es auch von Hans Christian Andersen in den Märchen, in der Vorlage war.

Und das ist sie zum Beispiel schon gar nicht mehr, sondern sie wird mehr als Teenagerin, die mit ihrer Fähigkeit und mit dem Umgang mit der Gesellschaft zu kämpfen hat, inszeniert. Also es wird mehr darauf eingegangen, inwiefern die Gesellschaft daran beteiligt ist, dass sie ausgegrenzt wird und dass sie Benachteiligungen erfährt.

Nina Ebner:„Die Eiskönigin-Völlig unverfroren“, kam 2013 in die österreichischen Kinos. Der Film, der auch unter dem englischen Originaltitel „Frozen“ bekannt ist, ist Disneys zweiterfolgreichster Film. Die Fortsetzung, „Die Eiskönigin 2“, konnte das sogar noch toppen und führt das Ranking an.

Elsa hat eine Superkraft. Sie kann Schneemänner zum Leben erwecken, aber auch ihre Umgebung schlagartig einfrieren. Durch diese magische Kraft kann sie weder als Kind noch als Erwachsene kontrollieren, was ihr Angst macht. Sie schottet sich ab und will niemanden an sich heranlassen. Ihre Schwester Anna will das aber nicht zulassen. Elsa muss sich zwischen Isolation und der Verbundenheit zu ihrer Schwester entscheiden.

Natascha Tonar:Ich habe mir halt Elsa angesehen. Ich habe mir angesehen: Was sind ihre Charaktereigenschaften? Was ist ihre Funktion als Figur? Wie ist ihr körperlicher Aufbau, ihre Darstellung? Weil, im Animationsfilm ist ja nichts dem Zufall überlassen. Das heißt, es ist jeglichem Detail der Figur etwas eingeschrieben. Ich habe mir das alles ganz genau angesehen und habe dann geschaut, inwiefern lässt sich das mit den Stereotypen, die bisher verwendet worden sind oder auch weiterer, die es noch darüber hinaus gibt, in Verbindung bringen?

Inwiefern bricht sie mit diesen stereotypen Darstellungen und wie führt das dann dazu, dass Disability charakterisiert wird, dargestellt wird?

Nina Ebner:Wie würdest du denn auf diese Fragen, die du dir gestellt hast, jetzt antworten? Also was sind deine Ergebnisse?

Natascha Tonar: Genau, also ich habe mir ja nicht nur die körperlichen Eigenschaften angesehen, sondern die Figur im Ganzen, von jeglichem Blickwinkel. Bei Elsa liegt die Disability ja nicht klar in der Körperlichkeit, sondern da geht es vielmehr darum, dass ihre Fähigkeit thematisiert wird. Ist das eine Disability oder ist das eine magische Fähigkeit, die sehr positiv ist?

Also einerseits wird sie halt als Gabe konstruiert und andererseits wird sie halt durch die Gesellschaft als Disability dann präsentiert. Sie grenzt sich eigentlich selbst aus durch die Reaktionen der Eltern und durch den Unfall mit Anna. Und auch der Troll-Anführer, dem sie das erste Mal halt begegnet und der ihr erklärt, wie ihre Fähigkeiten sind, also dass sie gut sind, aber dass sie auch gefährlich sein können, das führt dann halt alles dazu, dass sie sich isoliert, weil sie Angst davor hat, die anderen zu verletzen.

Und später dann im Film haben wir dann auch noch den Duke of Weselton, welcher sie dann auch als Monster bezeichnet und wo sie sich dann wirklich auch örtlich distanziert von der restlichen Gesellschaft, in dem sie sich auf den Berg in ihr Schloss zurückzieht. Dem gegenüber steht aber dann die Reaktion von Anna, die eben die Fähigkeiten von Elsa nicht als Bedrohung sieht, sondern eher als ein Potential.

Nina Ebner:Gerade, weil wir vorher ja schon kurz Quasimodo angesprochen haben, ergeben sich dadurch Parallelen?

Natascha Tonar:Ja, genau. Also bei Quasimodo wurde das halt nicht so dezidiert angesprochen, dass die Gesellschaft auch beteiligt ist, an der Disability-Konstruktion. Bei Elsa wird es dann halt tatsächlich auch angesprochen und deswegen bin ich auch der Meinung, dass mit Elsa ein Schritt in die richtige Richtung gegangen wurde.

Das Spannende darüber hinaus ist, dass Disney damit erfolgreich ist, weil eigentlich wird uns sozusagen durch den Film auch indirekt vermittelt, wie wir in unserer Gesellschaft mit Disability umgehen. Also, dass unser Verhalten reflektierter sein sollte.

Und ich denke, das ist halt ein sehr schöner Mittelweg, den Disney da gewählt hat. Einerseits, dass der Erfolg halt aufrecht bleibt der Filme, weil sie ja auch finanziell erfolgreich sein wollen und andererseits aber schon eben in Kinderfilmen den Anstoß zeigen oder bieten, dass man da über den Umgang reflektieren kann und sollte.

Nina Ebner:War dir von Anfang an klar, dass du deinen Fokus direkt auf das Disney-Universum legen wirst? Oder hat sich das einfach dann ergeben, dass speziell in den Disney-Filmen sich viel analysieren lässt?

Natascha Tonar: Nein, also ich habe meinen Fokus direkt auf Disney gelegt, und zwar aus dem Grund, dass das eine sehr große Company ist, die eine sehr große Reichweite hat und auch schon über Jahrzehnte am Animationsfilm-Markt sozusagen das Krönchen besitzt.

Also, eine sehr große Macht besitzt, Aussagen weiterzugeben. Da ist die größte Reichweite und das kann man wahrscheinlich auch am meisten dann über den historischen Abriss ganz gut herausfinden.

Nina Ebner:Würdest du sagen, dass es in den modernen Animationsfilmen, also so wie Elsa, die du schon angesprochen hast, also wirklich so aus den letzten fünf Jahren, auch durch die technischen Möglichkeiten zu ganz anderen Umsetzungsmechanismen kommt? Also wird Disability jetzt auch anders vermittelt, weil es technisch anders möglich ist? Oder ist das eine rein ideologische Entscheidung?

Natascha Tonar:Das ist eine gute Frage. Aber ich denke mal, dass Technik an der Konzeption der Figur zwar beteiligt ist, aber die Ideen, die hinter der Figur stehen und die Botschaften, die sie vermitteln möchte, hauptsächlich aus dem Gedankengut der Erschaffer der Figuren stammt. Und, dass zwar die neue Technik andere Möglichkeiten bietet, das umzusetzen, aber nicht ausschlaggebend ist dafür.

Nina Ebner: Du sprichst ja auch in der Arbeit von der sozialen Funktion der Darstellung von Disability. Was meinst du damit genau?

Natascha Tonar:Dass die Darstellung von Disability beziehungsweise der Figuren im Gesamten dann auch gesellschaftlich relevant ist, insofern, dass es Handlungsweisen weitergibt und somit auch die Realität mit beeinflussend gestaltet. Wenn jetzt eine stereotype Darstellung gezeigt wird, dann gibt man das ja, gerade im Animationsfilm bei Disney, schon den Jüngsten mit.

Also den Kindern und die übernehmen natürlich dann auch diese Handlungsweisen indirekt und spielen das dann nach und das kommt dann in ihren Wertekanon und das führt sich dann so weiter bis in das Erwachsenenalter. Ich denke, wenn die Figuren inklusiv gestaltet sind von Anfang an, dass das dann auch eine Auswirkung auf unsere Gesellschaft haben könnte, im positiven Sinne.

Nina Ebner:Wie könnte man Figuren inklusiv gestalten, wenn du das jetzt schon so aufbringst?

Natascha Tonar:Elsa ist schon mal der richtige Weg, würde ich sagen, weil sie eben mehrdimensional ist. Sie wird nicht nur als böse oder gut oder hilflos dargestellt, sondern sie entwickelt sich. Sie ist eine Teenagerin, die zuerst mit der Angst zu kämpfen hat und dann dadurch, dass sie ihre Disability annimmt, auch als Teil von ihr selbst, stark wird und sich emanzipiert sozusagen beziehungsweise auch empowert.

Sie bekommt eine Handlungskraft und entwickelt sich da weiter und sie zeigtnicht, dass Disability einfach zu verurteilen ist oder negativ ist, sondern dass man die Personen auch inkludieren sollte und nicht nur stereotypen Zuweisungen zuweisen sollte.

Nina Ebner:Das wäre dann, deiner Meinung nach, schon ein starker Unterschied zu der Beschreibung von Arielle, die du vorher schon geliefert hast?

Natascha Tonar: Ja, genau. Also wenn man Arielle und Elsa vergleicht, beide sind Prinzessinnen und werden nebeneinander gestellt im Disney-Universum. Bei Arielle hat man noch sehr diese stereotype Darstellung, dass ihre Disability zu einer Schutz- und Hilflosigkeit führt und dass sie nur mit Hilfe ihrer männlichen Freunde dann und ihres Vaters auch zum Happy End gelangt.

Und bei Elsa haben wir das, dass sie eigentlich selbstständig ihr Leben beeinflusst und dass die Kommunikation mit ihrer Schwester und auch die Inklusion in die Gesellschaft dann die Angst nimmt. Also von ihr selbst, aber auch von der Gesellschaft.

Nina Ebner: Für ihre Masterarbeit hat sich Natascha Tonar auch den Film „Findet Nemo“ genauer angesehen, der 2003 erschienen ist. Der Anemonenfisch Marlin ist stets besorgt um seinen Sohn Nemo, der eine zu kleine, schwächere Flosse hat. Als Nemo eines Tages verschwindet, macht sich sein Vater verzweifelt auf die Suche nach ihm. Begleitet wird er von der Fischdame Dorie.

Diese hat ein Problem. Sie vergisst vieles und das schnell. Marlin fühlt sich für sie verantwortlich, freundet sich mit ihr an und gemeinsam meistern sie so manches Abenteuer.

Ich würde gern noch einmal, wenn wir schon bei dem Beispiel sind, noch einmal zurückspringen zu „Findet Nemo“. Was hast du da herausgefunden und speziell auch in dieser Dreieckskonstellation von Nemo, Martin und Dorie?

Natascha Tonar: Bei „Findet Nemo“, da ist es ganz spannend, weil es eigentlich einer der ersten neueren Filme ist, die Disability auch direkt thematisieren und interessant ist da, also obwohl da ja ein sehr inklusiver Zugang angestrebt wurde, dass man da trotzdem noch Stereotypen verorten kann. Nemo wird immer noch als Schützling oder Opfer dargestellt, indem er eben von Marlin immer zugewiesen bekommt, dass er nicht so gut schwimmen kann wie alle anderen, aufgrund seiner kleinen Flosse.

Und er wird halt als schwach charakterisiert und gleichzeitig versucht halt der Film zu zeigen, dass die Figur selbst, also Nemo selbst, damit brechen möchte und seinem Vater zeigen möchte, dass das nicht der Fall ist, was eine positive Message ist an die Zuseher. Andererseits haben wir Dorie, als eternal Child könnte man sie bezeichnen, als ewiges Kind. Also sie ist erwachsen, aber wird trotzdem behandelt wie ein Kind.

Da gibt es für mich auch eine ganz klare Schlüsselszene, die zeigt, dass „Findet Nemo“ zwar inklusiv sein möchte, es aber noch nicht ganz schafft. Und zwar trifft Dorie mit Martin gemeinsam in der Tiefsee einen Tiefseefisch und kurze Zeit ist einfach ein (?Black) … #00:27:15# und Dorie weiß nicht, wer sie da berührt hat und Marlin nutzt aber die Situation aus und sagt, er sei ihr Gewissen und Dorie denkt, sie spricht mit ihrem Gewissen, dabei ist es Marlin.

Das erzeugt natürlich eine enorme Komik und ist in der Situation sehr witzig. Aber zeigt halt auch, wie Disability dazu ausgenutzt wird, wieder Lacher zu erzeugen.

Nina Ebner:Du würdest schon sagen, dass man Veränderungen, positive Veränderungen auch wahrnehmen kann in der Darstellung von Disability im Film? Oder ist das jetzt Zufall und könnte jetzt wieder auch in die ganz andere Richtung ausschlagen?

Natascha Tonar: Ich denke, das lässt sich ganz gut in den letzten 20 bis 30 Jahren zeigen, dass da eine Entwicklung stattgefunden hat. An den Filmen, aber auch vor allem an der gesellschaftlichen Relevanz. Also wenn man sich so ganz allgemein mit dem Thema befasst, merkt man, dass in den letzten paar Jahrzehnten einiges weitergegangen ist.

Nina Ebner:Würdest du jetzt sagen, dass es zu mehr Bewusstsein für das Thema in der Gesellschaft schon gekommen ist? Oder fehlt es da noch immer an allen Ecken und Enden?

Natascha Tonar: Also ich sage mal, es ist der richtige Weg schon mal eingeschlagen, aber das Ziel ist noch weit entfernt. Man sieht schon, dass die richtige Tendenz vorhanden ist und dass auch Disability langsam Einzug findet in die Unterhaltungsmedien und vor allem auch ein reflektierter Umgang damit Einzug findet. Aber von einer inklusiven Gesellschaft sind wir noch weit entfernt.

Nina Ebner:Welche Entwicklungen würdest du dir für die filmische Darstellung von Disability wünschen? Also Elsa siehst du als richtigen Schritt in die richtige Richtung. Aber gibt es da noch andere Ansätze? Oder, was darf es eigentlich nicht mehr geben?

Natascha Tonar: Ganz klar nicht mehr geben sollte es stereotype Darstellungen. Also ich denke, gerade der Animationsfilm bietet so viele Möglichkeiten, damit umzugehen und eine Mehrdimensionalität in einer Figur zu erzeugen.

Ich würde mir für die Zukunft wünschen, dass diese stereotypen Darstellungen komplett verschwinden und dass, wenn Disability vorkommt, diese auch tatsächlich angesprochen wird und nicht nur dem Fortlauf der Handlung dient, also dass sie wirklich thematisiert wird.

Nina Ebner:Im Laufe deiner Forschung, haben sich da gewisse Annahmen auch nicht bestätigt? Also, wo du dir beim ersten Mal schauen gedacht hättest, das ist wirklich etwas Außergewöhnliches, dem müsstest du weiter nachgehen, das könnte etwas aussagen und im Endeffekt hat sich das dann nicht bestätigt? Oder warst du an manchen Stellen auch überrascht, dass es sich bestätigt hat?

Natascha Tonar: Ich war überrascht davon, dass Arielle tatsächlich auch eine so negative Botschaft mitsendet, also in Bezug auf eben auf Disability und war dann doch auch davon überrascht, dass in „Findet Nemo“, obwohl da so ein inklusiver Zugang vermittelt wird oder auch in den Making Of’s vermittelt wird, dass darin tatsächlich noch Stereotypen vorkommen.

Nina Ebner:Wenn du jetzt die Arbeit zu einer Doktorarbeit machen könntest oder noch viel länger forschen und arbeiten würdest, wo würdest du noch ansetzen? Also was ist bisher vielleicht noch zu kurz gekommen?

Natascha Tonar: Ja, wenn ich das ausbauen könnte zu einer Doktorarbeit, dann würde ich noch mehr auf Intersektionalität gehen. Indem ich schaue, wie verschränkt sich das tatsächlich auch mit Feminismus oder Rassismus und anderen marginalisierten Gruppen? Inwiefern kann man da noch weitere Erkenntnis gewinnen in dieser Verschränkung?

Nina Ebner:Schön, dass du das für uns jetzt auch so anschaulich zusammenfassen konntest. Viel Erfolg bei deinem Uni-Abschluss und vielen Dank für das Gespräch.

Natascha Tonar:Danke auch.

Christoph Dirnbacher:Sowohl die literarischen Vorlagen von Hans Christian Andersen bis Victor Hugo als auch die darauf basierenden Disney-Filme zeigen Behinderung meist klischeebehaftet als Defizit. Dabei sollte aber nicht übersehen werden, dass Märchen und Erzählungen meist auch den damaligen Zeitgeist und das Gesellschaftsbild vergangener Tage widerspiegeln.

Mit dem Selbstbestimmt-leben-Gedanken heutiger Tage oder anderen emanzipatorischen Bewegungen hat dies meist nur wenig gemein. Der Fokus liegt hier eindeutig auf Unterhaltung. Das war Freak Casters für heute. Wenn Ihnen diese Folge gefallen hat, so erzählen Sie es bitte Ihren Freunden, Familien und Bekannten. Wir würden uns freuen.

Unsere Folgen gibt es übrigens auch auf freakcasters.simplecast.com hören. Mehr Informationen zu Menschen, ihren Geschichten und ihren Leidenschaften erfahren Sie auch auf der Facebook-Seite von Freak Casters und unserem Instagram-Account. Und wer uns einen Themenvorschlag schicken möchte, möge dies bitte an freakcasters@gmx.at richten. Auf Wiederhören, bis zum nächsten Mal sagt Christoph Dirnbacher.


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