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Folge 38: Wolfgang Fuchs: Mein Leben durch drei Seitenausgänge
Der 35-jährige Wolfgang Fuchs führt ein Leben durch drei Seitenausgänge. Bei ihm wird der Inhalt aus Blase, Darm und Niere über künstliche Öffnungen am Bauch und am Rücken nach außen abgeleitet. Über seinen Alltag, sein Leben als Optimist und wie er andere Menschen beim Verein Chronisch Krank unterstützt, erzählt der studierte Jurist.
Signation FreakCasters (Musik im Hintergrund) Ö1, Podcast. (Trompete im Hintergrund) FreakCasters.
Sandra Knopp: Menschen, Geschichten, Leidenschaften! Herzlich willkommen bei FreakCasters, sagt Sandra Knopp. Unser inklusiver Podcast beschäftigt sich mit Menschen, Geschichten und ihren Leidenschaften. Alle bisherigen Folgen gibt es unter simplecast.freakcasters.at zum Nachhören. Unsere heutige Episode fällt unter die Rubrik Lebensgeschichten.
Der 35-jährige Wolfgang Fuchs führt ein Leben durch den Seitenausgang, genauer gesagt durch drei Seitenausgänge. Bei ihm wird der Inhalt aus Blase, Darm und Niere über künstliche Öffnungen am Bauch und am Rücken nach außen abgeleitet. Wie sein Alltag aussieht, warum er sich als Optimist bezeichnet und wie er andere Menschen unterstützt, erzählt der studierte Jurist im Gespräch mit Christoph Dirnbacher und Nina Ebner.
Christoph Dirnbacher: Wolfgang Fuchs, Dank einmal für das Kommen. Zunächst vielleicht zurück zum Anfang der Geschichte. Könntest du uns einmal kurz erzählen, wie denn das Ganze seinen Ausgang nahm?
Wolfgang Fuchs: Hallo von meiner Seite. Ich freue mich, dass ich da sein darf. Das Ganze nahm den Ausgang, dass ich mit zweieinhalb Jahren, da habe ich quasi einen bösartigen Blasentumor gehabt. Darauf gekommen sind wir so, dass ich eigentlich einfach nicht mehr auf das Klo habe gehen können. Das ist nicht mehr gegangen als Kleinkind. Und so sind meine Eltern mit mir ins Krankenhaus gefahren und so ist man dann draufgekommen, es ist ein mannsfaustgroßer Tumor in der Blase. Also, die ganze Blase war mit Tumor verwachsen. So ist man draufgekommen. Das war also wirklich der Ausgang der ganzen Krankengeschichte.
Christoph Dirnbacher: Und wenn ich das richtig im Kopf habe, waren ja deine Überlebenschancen nicht unbedingt sehr hoch. Um es einmal vorsichtig auszudrücken. Und Mainz war damals das Mekka der Urologie, wenn man so will. Jetzt ist die Frage, wie kamen du und deine Eltern denn überhaupt nach Mainz? Habt ihr einen Tipp bekommen oder habt ihr selber recherchiert?
Wolfgang Fuchs: Das ist so vor sich gegangen. Ich bin zum damaligen Zeitpunkt mit meinen Eltern sofort ins Kinderkrankenhaus nach Linz gekommen. Das war damals so für Kinder die Spezialklinik. Da haben meine Eltern dann gleich die Antwort gekriegt: „Der stirbt sowieso“. Also, Überlebenschance gleich Null. Das wollten aber meine Eltern nicht akzeptieren.
Ich habe dann natürlich gleich einmal angefangen mit einer Chemotherapie, mit Bestrahlungen. Über die höchstmögliche Dosis, was möglich ist oder war, zum damaligen Zeitpunkt bei einem Kleinkind. Und es war aber trotzdem-. Die Situation hat sich nicht wirklich gebessert. Es hat immer geheißen, der stirbt sowieso. Und da meine Eltern das nicht akzeptieren wollten, haben sie dann quasi gesucht, nach Lösungen. Und sind im Zuge dessen ins AK Harling, also in das allgemeine Krankenhaus oder heute Kepler Universitätsklinikum, gegangen.
Und haben mit dem damaligen Primar gesprochen und der hat gesagt, es gibt nur eine Möglichkeit, die wäre eben in Mainz. Und Mainz war, wie eben schon richtig gesagt ist, in der Urologie so Ende der Achtziger, eben achtundachtzig, neunundachtzig das urologische Mekka. Drum haben wir den Weg gesucht und sind nach Mainz gefahren. Auf eigene Initiative und eigene Faust.
Sandra Knopp: Die Reise zum Universitätsklinikum Mainz sollte für Wolfgang Fuchs lebensrettend werden. Denn die dortigen Ärzte hatten Erfahrungen mit solchen Tumoren und wussten, wie man mit einer künstlichen Blase leben kann.
Wolfgang Fuchs: Es ist so weitergegangen, dass zum damaligen Zeitpunkt in Mainz rund 100 Kinder operiert worden sind. Mit dieser Methode, die ich gekriegt habe. Und das ist ein sogenannter Mainz-Pouch. Also das ist quasi eine künstliche Blase, die was aus Darm gebildet ist, mit einem Seitenausgang im rechten Bauch. Also, da wo der Blinddarm ist. Da ist quasi ein Seitenausgang gemacht worden. Also als Kleinkind haben meine Eltern mir das immer so erklärt, das ist wie ein Ballon und den muss man immer quasi ausleeren, dass er ja nicht zerplatzt. Das war mal der Ursprung eben vom Seitenausgang der Blase.
Sandra Knopp: In einem Gespräch mit den oberösterreichischen Nachrichten im Jahr 2019, erzählt der gebürtige Gmundener, dass er den dreißigsten Jahrestag seiner Krebsoperation gebührend gefeiert hat. Denn trotz niederschmetternder Prognosen, hat er überlebt und das galt es zu zelebrieren.
Nina Ebner: Mittlerweile sagst du ja von dir selbst, dass du ein Leben durch den Seitenausgang führst. (B: Das ist richtig.) Das war in deiner ersten Mail sozusagen rauszulesen. Was bedeutet das jetzt für dich?
Wolfgang Fuchs: Das bedeutet für mich, dass ich eigentlich ohne diese Seitenausgänge gar nicht mehr leben würde. Also das ist sowohl der Seitenausgang der Blase, der hat mir als Kleinkind schon das Leben gerettet. Weil sonst hätte ich die Krebserkrankung gar nicht überlebt. Es sind dann im Laufe der Zeit eben durch die damalige Chemo- und Strahlentherapie Spätfolgenkummer, es war quasi der ganze Darm und sehr viel innere Organe einfach verwuchert.
Also durch die Bestrahlungen. Und so ist dann mal quasi der zweite Seitenausgang, den ich dann mit 18 Jahren gekriegt hab. ein Ileostoma vom Darm quasi. Der hat mir genauso das Leben gerettet. Weil das alles so verwuchert war und ich so viel Darm verloren hab und es gar keine andere Möglichkeit gegeben hätte, als quasi den Darm wieder direkt im Bauch herauszuleiten. Darum auch meine Überschrift, also ich lebe durch den Seitenausgang oder führe ein Leben durch die Seitenausgänge, weil sie mir einfach das Leben gerettet haben.
Nina Ebner: Du sagst ja von dir selbst, dass du ein aktiver Patient bist. Wie zeigt sich das bei dir?
Wolfgang Fuchs: Ich suche die Kommunikation mit meinen Ärzten. Also, ich informiere mich selbst sehr viel. Man hat halt sehr viele Möglichkeiten und ich stelle irrsinnig viele Fragen. Also ich will immer alles wissen, was Möglichkeiten gibt, was Alternativen gibt. Was Folgen sein könnten. Einfach, um das gut abzuwägen. Also wirklich sich selbst mit seiner Gesundheit zu beschäftigen. Darum bezeichne ich mich immer als aktiver Patient. Das ist mein Körper, meine Gesundheit, ich muss mich da wirklich einsetzten, dass das erhalten bleibt.
Christoph Dirnbacher: Da drängt sich für mich eine Zwischenfrage auf. Wir haben jetzt die medizinische Komponente relativ genau beleuchtet. Aber du hast vorhin schon deine Eltern angesprochen. Wie wichtig ist dieser Rückhalt? Weil du kommst in früheren Interviews immer wieder darauf zurück.
Wolfgang Fuchs: Also die Familie ist immens wichtig. Also ohne die Familie, den Rückhalt in der Familie, wäre das sicher nicht möglich gewesen. Weil alleine mit meiner Mama habe ich eine ganz enge Verbindung, auch heute noch, nach wie vor. Die unterstützen immer meine Tätigkeiten. Und auch bei der Gesundheit, immer wenn es mir auch heute noch schlecht geht oder auch früher schlecht gegangen ist, sie waren immer dabei, immer an meiner Seite.
Und genauso ist es in meinem Freundeskreis. Er ist ein sehr ausgewählter Freundeskreis, die was mit dieser Krankheit mitgewachsen sind und die wirklich da einen sehr guten Freundeskreis, die was da Rücksicht nehmen. Ohne den wäre das sicher alles nicht möglich gewesen.
Sandra Knopp: Wolfgang Fuchs ist 1,70 groß und wiegt etwa 50kg. Er hat kurze, dunkle Haare. An Oberlippe und Kinn einen Bart, der kurz geschoren ist, um den Mund ein Lächeln. Als Optimist hat der 35-jährige gelernt mit seiner Einschränkung zu leben. Aber wie ging es Wolfgang als Jugendlichen. Konnte er mit seiner Erkrankung Erfahrungen machen und Grenzen ausloten?
Wolfgang Fuchs: Die Krankenhausaufenthalte haben natürlich sehr viel Zeit gefordert und ich war sicher eingeschränkter als bei manchen anderen. Aber ich habe genauso eben den Mopedführerschein gemacht und bin Moped gefahren oder auch den Führerschein dann relativ schnell mit 17 Jahren. Das war immer, dass ich versucht habe, da dann zumindest ganz vorne dabei zu sein. Also, da habe ich irgendwie meine Krankengeschichte überspielt damit.
Natürlich, das ganze Erwachsenwerden war schwierig. Es ist so schon schwierig für die Jugend, mit dem eigenen Körper auseinandersetzten und wenn man dann quasi nur die Seitenausgänge da hat und man sich in seinem eigenen Körper schon gar nicht so wohlfühlt, dann kommt das auch noch dazu. Das war wirklich schwierig und war nicht immer die leichteste Zeit, dieses Erwachsenwerden.
Christoph Dirnbacher: Plant man auch die Dinge, die man macht, so nach dem Motto, gibt es da ein Klo in der Nähe, so wie es manche (?Allesfahrer) machen?
Wolfgang Fuchs: Also, ich plane auch diese Dinge. Sogar der Freundeskreis bei mir plant meistens, wann irgendein Fest oder eine Feier ist, sie wissen fast alle, ich brauche halt länger am Klo, ich brauche ein sauberes Klo. Oder wann mit der Versorgung was ist von den Seitenausgängen, quasi wenn mal was undicht wird oder-, das muss man schon planen. Oder auch bei-, zum Beispiel bei Konzerten, da schaue ich ja oft, ob ich irgendwo einen Sitzplatz am Rand, wo ich schnell wegkann. Also es ist schon sehr viel Planung für den Alltag, genauso eben auch bei Feste und beim Fortgehen.
Christoph Dirnbacher: Das heißt, dass man gewappnet ist, wenn einmal etwas ausdringt oder platzt (B: Genau.) oder dergleichen. Schaut, dass man schnell genug vorher noch wegkommt, um versorgen zu können, was versorgt werden muss.
Wolfgang Fuchs: Genau! Ich habe zum Beispiel ein Rucksack immer dabei. Also wirklich immer, wo gesamte Versorgung was für alle drei Seitenausgänge ist. Sei es jetzt für Darm, für die Blase oder genauso für den dritten Seitenausgang, was direkt von der Niere abgeleitet ist. Also mit so einem Oberschenkelbeutel. Da habe ich wirklich in diesem Rucksack alles mit. Sogar ein Ersatzgewand. Also ein T-Shirt, falls ich irgendetwas mal nicht mehr rechtzeitig schaffe und irgendetwas anpatze, was genauso passieren kann. Das habe ich auch immer mit.
Sandra Knopp: So offen über seinen Alltag und die damit verbundenen Erfordernisse zu sprechen, das fiel dem Oberösterreicher lange Zeit schwer.
Wolfgang Fuchs: Das ist richtig. Also ich habe wirklich über 10 Jahre gebraucht, um mit diesem Seitenausgang, insbesondere vom Darm her, nach außen zu gehen. Das war ein hartes Stück Arbeit. Also ich habe, wie gesagt mit 18, den gekriegt und ich habe dann, erst wie ich mit dem Studium fertig war, das wirklich ganz öffentlich dann gemacht und eben gesagt: Hey, ich habe einen Seitenausgang und einen Seitenausgang von der Blasen. Also das war trotzdem so ein intimer Bereich und das ist mit sehr viel Scham behaftet, dieses Thema Ausscheidungen.
Und ich habe es nicht geschafft, so vorher ganz offen damit umgehen. Und ich habe dadurch natürlich auch, wenn man sich nur an das Studium erinnert, natürlich auch die Dinge sehr schwer gemacht. Der Seitenausgang vom Darm zum Beispiel, ist immer so, der machte dann Geräusche. Also, der gluckert dann mal, der pupst dann mal, ohne, dass man das steuern kann. Und ich bin da zum Teil abgewinkelt mit dem Bauch auf den Knien im Hörsaal gewesen, dass ja kein Geräusch kommt. Also, es war immens belastend, dieses Versteckspielen. Dieser Druck, was ich mir immer auferlegt habe. Dass das ja niemand merkt.
Christoph Dirnbacher: Und was hat dich dann dazu bewogen, dass du dann gesagt hast, Schluss mit Verstecken! Ich gehe jetzt zu den Menschen hin und sage denen was los ist.
Wolfgang Fuchs: Das war irgendwie dann dieser Selbstfindungsprozess. Ich habe das Jurastudium dann abgeschlossen und dann mein Gerichtsjahr in Linz absolviert. Und das war dann der Zeitpunkt, wo ich immer gemerkt habe, die Last wird immer größer. Und ich will mich eigentlich nicht mehr verstecken. Und ich will eigentlich ganz normal behandelt werden und mit dem offen umgehen. Und einfach mal mir nicht mehr so eine Last auferlegen.
Von meiner Selbstentwicklung her war ich dann so weit, dass ich gesagt habe, so, und jetzt ich gehe nach außen. Und das war ganz spannend, die Reaktionen. Der engste Freundeskreis hat ja das total miterlebt, seit vielen, vielen Jahren oder Jahrzenten. So wie quasi immer wieder gesundheitlich was war und die vielen-. Ich habe halt über 100 Operationen hinter mir. Aber natürlich hat es dann genauso eben Studienkollegen gegeben und Kolleginnen, mit denen bin ich fünf Jahre fast nebeneinander im Hörsaal gesessen und die haben vielleicht gewusst, okay, er war mal im (?Krankenhaus), halt mal krank.
Aber mehr haben die nicht gewusst. Es gab dann einige, die haben dann voll viel gefragt, so voll das Interesse. So quasi, warum hast du nix gesagt und gleich voll empathisch und wirklich hilfsbereit. Und andere haben wieder eher ganz zurückhaltend „okay“, „Aha“. Also, es war ganz spannend von den unterschiedlichen Reaktionen.
Sandra Knopp: Wolfgang Fuchs entschied sich, nicht nur mit Kommilitonen von seiner Erkrankung zu erzählen, sondern auch in Medien darüber zu sprechen. Denn mit seiner Geschichte, möchte er anderen chronisch kranken Menschen und ihren Angehörigen Mut machen.
Nina Ebner: Wir haben ja vorher schon über deinen Lebenslauf, in gewisser Weise, gesprochen, über dein Studium. Was waren so deine wichtigsten Stationen im Leben oder wie waren überhaupt diese Schritte möglich, trotz der gesundheitlichen Probleme. Die du doch, ja, mitgenommen hast durch deine Lebensgeschichte?
Wolfgang Fuchs: Also ich habe durch die Gesundheit natürlich immer gewisse Kurven gemacht im Leben. Sei es, vor dem Studium habe ich ja eine Lehre gemacht. Im Sportartikelhandel und dort zum Beispiel die Abschlussprüfung erst verspätet machen können, weil ich zum Beispiel ein dreiviertel Jahr im Krankenstand war. Weil da war genau das eben, wo der Seitenausgang vom Darm gekommen ist. Aber ich bin nach wie vor zum Beispiel sehr stolz, dass ich diese Lehrabschlussprüfung mit Auszeichnung absolviert habe.
Genauso war dann, wie ich mich entschieden habe, okay, ich will doch noch mal ein Studium machen, weil meine Schwester Rascha studiert in Linz. Da habe ich dann gesagt, ich versuche die Studienberechtigungsprüfung einfach. Schauen wir mal, was rauskommt. Hauptpunkt war dann natürlich das Jurastudium in Linz. Was mir, wie gesagt, sehr viel Spaß gemacht hat. Aber das war sicher für mich, einfach auch für diesen Schritt nach außen, der Meilenstein, wo ich sage, das habe ich wahrscheinlich für mein eigenes Selbstbewusstsein gebraucht. Dass ich sage, so, jetzt erst recht, gehe ich damit nach außen. Also das war sicher so dieser Knackpunkt, dass quasi, wie ich das hinter mir gehabt habe, so jetzt!
Nina Ebner: Und im Anschluss hast du dann das Gerichtsjahr absolviert und als wissenschaftlicher Mitarbeiter fungiert.
Wolfgang Fuchs: Genau, ich habe dann das Gerichtsjahr absolviert in Linz. Und bin dann auf das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich gekommen, als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Das war wirklich eine spannende Tätigkeit und hat mir total getaugt. Dann ist der dritte Seitenausgang dazugekommen. Eben das von der Niere. Also, ich habe ohnehin nur eine Niere auch und die ist dann auch noch so, dass man sagt, okay, man muss die Niere von außen ableiten. Weil sonst quasi die Funktion nicht erhalten bleiben kann. Dann habe ich quasi wirklich da am Landesverwaltungsgericht aufgehört und habe gesagt „Es geht einfach nicht mehr“.
Sandra Knopp: 2016 bekam er ein Nierenstoma, also einen künstlichen Ausgang der Niere. Wolfgang Fuchs beantragt die Berufsunfähigkeitspension. Heute arbeitet er ehrenamtlich für den Verein `chronisch krank`. Der in Linz ansässige Verein wurde 2010 von Jürgen Ephraim Holzinger gegründet. Er war mehrfach bei FreakRadio zu Gast. Der Verein unterstützt chronisch kranke Menschen, etwa in Bezug auf das Pflegegeld, die Freistellung von Risikogruppen in der Pandemie oder bei der Beantragung von Berufsunfähigkeitspension.
Wolfgang Fuchs: Es war wieder so, dass ich das eigentlich von meinen Eltern schon mal mitgekriegt habe. Die waren eigentlich sehr aktiv. Also meine Mama und auch meine Tante, die ganze Familie, mein Onkel, mein Papa bei der Kinderkrebshilfe Oberösterreich. Und da habe ich das schon mitgekriegt. Ich habe dann gesehen, wie es in meinem Alter dann war. Förderungen, der Behindertenpass, beim Thema Berufsunfähigkeit, beim Thema Pflegegeld.
Da möchte ich mich eigentlich engagieren. Ich kenne mich da ein bisschen aus und ich habe damals schon, während der Unizeit, den Obmann vom Verein `Chronisch kranke Kinder` kennengelernt. Das ist halt ein guter Freund von mir, der was mir immer sehr viel geholfen hat. Auch mit diesem nach außen zu gehen. Mit der Gesundheit, mit der Krankengeschichte. Und so haben wir uns dann zusammengesetzt. Und, ja, ich habe dann während des Studiums schon angefangen, dass ich mich da ehrenamtlich engagiere. Und halt meine Erfahrung, mein Wissen hineinbringe.
Sei es jetzt mit Stormainkontinenz und was da von der Versorgung her alles möglich ist und genauso eben auch beim Thema Pflegegeld. Was für einen Anspruch habe ich oder beim Behindertenpass. Und genau, das mache ich nach wie vor sehr gerne.
Nina Ebner: Das heißt, du kannst da deine persönlichen Erfahrungen mit deiner Krankengeschichte einbringen und gleichzeitig mit deinem juristischen Wissen kombinieren?
Wolfgang Fuchs: Genau! Also ich kann beides gut kombinieren. Einerseits meine persönliche Krankengeschichte und insbesondere natürlich beim Thema Storma, Seitenausgang, alles was mit diesem Bereich verbunden ist. Und dieses natürlich auch in Bezug auf Studienausübung, Beruf. Wie geht man damit um. Oder auch zum Thema Urlaub, auf was ist Rücksicht zu nehmen, was ist vielleicht von der Planung wichtig. Und genau, alles andere ist dann die juristische Perspektive. Wo man dann sagt, habe ich einen Anspruch auf Pflegegeld? Wenn ja, wo stelle ich den Antrag. Was ist wichtig? Das versuche ich bestmöglich einzubringen und das macht mir auch sehr viel Spaß.
Christoph Dirnbacher. Apropos Urlaub, jetzt haben wir sozusagen die medizinische Perspektive abgearbeitet. Die juristische Perspektive beleuchtet. Jetzt frage ich mich natürlich, was macht Wolfgang Fuchs, wenn er sich nicht mit juristischen oder medizinischen Fragestellungen beschäftigt? Du hast gesagt, du fährst heute mit deiner Freundin auf Urlaub. Was sind sonst noch so die Dinge, die dir Kraft geben. Die dir Spaß machen im Leben?
Wolfgang Fuchs: Also, wie gesagt, neben Urlaub ist sicher das Wandern Teil, also wichtiger Teil. Ich kann durch meine gesundheitliche Situation einfach gewisse Dinge nicht mehr machen. Sei es jetzt Ski fahren oder auch schwimmen, geht einfach gar nicht mehr. Weil ich einfach nicht ins Wasser gehen kann mit dieser-, mit diesem dritten Seitenausgang, dieser Nierendränage. Aber sicher, die Berge, die Natur, da ist natürlich auch alles mit Maß und Ziel.
Also, ich kann jetzt nicht auf die höchsten Berge noch hoch. Weil ich das körperlich einfach nicht schaffe. Aber so das leichte Wandern, das ist so was mir sehr viel Kraft gibt und immer auch die Gegend. Ich bin ja vom Salzkammergut, vom Tauernsee. Da habe ich mich als Kind, als Jugendlicher schon immer zurückgezogen, wenn es mir nicht gut gegangen ist, zum Erholen. Und daher ist das immer der Ort, wo ich sage, da finde ich Kraft. Ja, die Ruhe, das taugt mir. Und dann natürlich eben neben diesen leichten sportlichen Aktivitäten, ist genauso, dass man dann sagt, wenn es die Situation wieder zulässt, wirklich mit Freunden treffen, ein bisschen einfach beieinandersitzen. Das gibt schon sehr viel, sehr viel Energie.
Christoph Dirnbacher: Und dann jetzt weitere Trips geplant oder macht ihr eine Coronapause?
Wolfgang Fuchs: Also jetzt ist natürlich Coronapause. Aber wir möchten schon vielleicht in Österreich ein bisschen in die Natur fahren. Ein paar Tage vielleicht in die Südsteiermark. Und das ist in meiner Situation auch wesentlich einfacher, als irgendwo hinzufliegen oder was. Also da tue ich mich im Inland einfach wesentlich leichter, wann gesundheitlich wieder irgendwelche Probleme sind, irgendwas Akutes.
Sandra Knopp: Die Beziehung zu seiner Partnerin ist für Wolfgang Fuchs sehr wichtig.
Wolfgang Fuchs: Also, dieses Wir-Gefühl ist für mich ganz, ganz wichtig und gibt mir extrem viel Kraft. Es ist durch die gesundheitliche Situation nicht immer leicht. Sei es jetzt, weil natürlich der Alltag-. Fangen wir in der Früh an mit der Versorgung der Seitenausgänge oder auch nach dem Duschen, wo ich natürlich Hilfe brauche. Das sind schon Dinge, die auch was das Wir nicht immer ganz so leichtmachen. Aber es gibt sehr viel Kraft und eine immense eben Energie. Auch um diese, wenn mal wieder eine gesundheitliche Hürde ist, das zu bewältigen. Also das ist ein Rückhalt, um den ich sehr, sehr froh bin und sehr, sehr schätze.
Christoph Dirnbacher: Jetzt haben wir sozusagen dich als Menschen ein Stück weit kennengelernt. Wir haben deine juristische Arbeit für den Verein `chronisch krank` beleuchtet. Und im Zuge dieser Arbeit begegnen dir sicher auch Geschichten. Gibt es da die ein oder andere, die dir da im Gedächtnis hängen geblieben ist? Einfach weil sie außergewöhnlich war.
Wolfgang Fuchs: Bei dieser Arbeit begegnen einem wirklich sehr viele Geschichten, sehr viel schwere Schicksale. Und natürlich bleiben einem gewisse Geschichten länger. Und es entwickeln sich sogar Freundschaften, muss ich sagen. Also das ist auch dann ganz nett immer, weil man quasi auch ein Schicksal teilt.
Christoph Dirnbacher: Und wie löst man das Problem dann in Situationen, wo man nicht helfen kann? Oder nicht in der Weise, wie man es gerne hätte?
Wolfgang Fuchs: Ja, man löst es. Wir führen im Verein dann doch immer wieder-. Wir reflektieren die Dinge. Wie gesagt, versuchen unser bestmögliches zu helfen. Wann wir zum Beispiel einmal bei Behördenwegen oder was scheitern, dann, ja, man muss das hinnehmen. Aber es schmerzt natürlich.
Christoph Dirnbacher: Jetzt hätte ich, weil wir schon langsam Richtung Ende des Gespräches sind, noch die Frage gestellt: Welche Zukunftswünsche hast du? Was wünschst du dir für nächsten drei Monate, für die nächsten drei Jahre? Welche Dinge würdest du gerne unter erledigt abhaken für dich? Sowohl beruflich als auch vielleicht privat.
Wolfgang Fuchs: Wir bauen gerade unseren gemeinsamen Wohnbereich um, dass wir das gut fertigmachen können. Und für die längerfristige Zeit wünsche ich mir einerseits, gesundheitlich, dass diese eine Niere, die was ich noch habe, so lange wie möglich hält. Und da ich, wie gesagt, mit den Seitenausgängen das Leben führe, da kann ich sehr gut leben damit. Aber, dass die letzte Niere so lange wie möglich erhalten bleibt. Und beruflich, wie gesagt, diese ehrenamtliche Tätigkeit bei dem Verein `chronisch krank`, die macht mir sehr viel Spaß. Ich möchte das auch weiterhin fortsetzten, solange es natürlich meine eigene Gesundheit zulässt. Aber das kann man natürlich nie sagen.
Sandra Knopp: Als Stehaufmenschen bezeichnet man jene, die nach einem Schicksalsschlag nicht aufgeben, sondern weiterkämpfen. Kann Wolfgang Fuchs mit dieser Zuschreibung etwas anfangen?
Wolfgang Fuchs: Ich würde jetzt sagen, er passt. Obwohl mir der früher nicht wirklich-, also der hat mir-, also ich habe mich mit dem Begriff einfach nicht wirklich identifizieren können. Man hadert oft mit seiner Situation und man stellt sich dann immer die Frage, warum jetzt wieder was und wieder was. Und dann hört man so salopp oft heraus, du bist eh so ein Stehaufmann, du schaffst das schon. Das hat mich früher extrem gestört.
Es ist schwer, das immer wieder zu schaffen und immer wieder aufzustehen. Aber heute kann ich mich mit dem Begriff durchaus identifizieren. Und ich sage, ja, ich bin ein Stehaufmann. Denn ich schaue, dass ich mich immer wieder zurückkämpfe, so gut es geht ins Leben. Sei es, egal was gesundheitlich wieder gekommen ist. Ich habe immer wieder versucht quasi aufzustehen. Und das auch im übertragenen Sinne, wenn ich das sagen darf. Weil das ist auch immer nach diesen vielen Operationen, das erste was ich immer gleich wollte, wieder aufstehen.
Und da habe ich so manche Schwester oder Pfleger zur Verzweiflung gebracht, weil es gibt so manches Foto, wo ich wirklich auf der Intensivstation mit 15 oder mehr so Beutel am Ständer, aber ich lauf halt immer rum. Also, darum passt das ganz gut.
Christoph Dirnbacher: Wir haben da jetzt nonchalant, fast ein bisschen auf der humorvollen Ebene, herumgewitzelt. Aber wie ist dein Humor? Weil du hast den ja offenbar nicht verloren. Wie würdest du ihn beschreiben, deinen Humor?
Wolfgang Fuchs: Mein Humor, also, ich bin immer ein sehr, sehr fröhlicher Mensch, meistens zumindest. Ich habe bei den vielen Krankenhausaufenthalten und was Gesundheit betrifft, oft auch ein bisschen einen schwarzen Humor. Der was dann meiner Familie oft vielleicht auch zu viel ist. Aber, der schützt mich selber. Also, das ist was, ich selber für mich immer ein bisschen gebraucht habe.
Aber sonst glaube ich, dass ich einen sehr guten Humor habe. Ich kann auch sehr viel über mich selber lachen. Und mittlerweile aber das Thema Seitenausgang, wann wir zum Beispiel irgendwann mal wieder zusammensitzt, an einer Runde oder bei einem Familienfest und auf einmal fängt das an zu gerochen und zu blubbern und ah ja, da meldet sich auch wer. Also, da kann ich gut drüber lachen. Und wie gesagt, ich bin eigentlich ein sehr, sehr fröhlicher Mensch. Was ich auch vielfach höre.
Christoph Dirnbacher: Jetzt hätte ich noch abschließend eine Frage, wenn du noch ein paar Minuten Zeit hast. Unser Podcast ist entstanden über ein Radio für Menschen mit Behinderungen. Das nennt sich Freak-Radio. Deswegen heißt der Podcast folgerichtig FreakCasters, ist sozusagen das Spin-off. Jetzt ist die Frage, wenn ich einen Musiker frage oder einen Gamer frage, bist du ein Freak? Dann sagt der sehr oft sofort, ja, klar. Weil er diese positive Intonation wahrnimmt und der Freak jemand ist, der sich für etwas begeistert. Wenn ich dich fragen würde, ob du ein Freak bist, würdest du dich durch diese Frage verletzt fühlen oder würdest du sie auch beantworten?
Wolfgang Fuchs: Also ich kann diese Frage ganz einfach beantworten mit, ja, bin ich. Bin ich absolut. Und ich würde mich jetzt gar nicht verletzt fühlen.
Christoph Dirnbacher: Also offenbar ist es manchmal auch ganz gut, ein Freak zu sein. Dann habe ich noch mal eine Abschlussfrage. Nämlich, was würdest du auf Grund der Erfahrungen, die du gemacht hast, anderen mit auf den Weg geben? Die das jetzt vielleicht hören, die vielleicht nur einen oder zwei Seitenausgänge haben. Was würdest du denen raten, sofern man überhaupt raten soll?
Wolfgang Fuchs: Leben! Einfach im Hier und Jetzt leben. Das Leben genießen. Gar nicht zu weit nach vorne immer denken. Der Kopf ist oft sonst so schwer. Das ist mein Ratschlag. Und ich habe selber lange gebraucht, dass ich an den Punkt komme und darum kann ich das nur jedem empfehlen. Einfach leben!
Sandra Knopp: Mehr Informationen zum Verein `chronisch krank` findet ihr im Internet unter chronischkrank.at. Das war FreakCasters für heute. Wenn euch diese Folge gefallen hat, erzählt doch euren Familien, Freunden und Bekannten davon. Auf freakcasters.simplecast.com könnt ihr weitere Folgen hören. Zuletzt war bei uns ein Kabarettist mit Behinderung und tiefschwarzem Humor zu Gast. Eine weitere Folge beschäftigt sich damit welche Rolle Behinderungen bei den Disney Figuren Arielle, Nemo und Quasimodo spielt?
Mehr Informationen zu unserem Podcast FreakCasters erfahrt ihr auf unserer Facebookseite, unserem Instagrammaccount und freak-online.at. Wer uns einen Themenvorschlag schicken möchte, gerne via E-Mail an freakcasters@gmx.at. Auf Wiederhören und bis zum nächsten Mal, sagt Sandra Knopp.