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.Geburts-Schaden?
Viel wurde in den letzen Wochen über den sogenannten "Schadensfall Kind" diskutiert. Doch was steckt dahinter? Eine Analyse.
Emil ist derzeit wahrscheinlich der berühmteste Neugeborene in Österreich.
Im August dieses Jahres kam er mit einem offenen Rücken, auch "Spina Bifida" genannt, zur Welt und wird deshalb wahrscheinlich im Rollstuhl durchs Leben rollen.
Noch bevor er auf der Welt war, hat er die Republik Österreich geklagt, weil er sich in seiner Ehre und Würde durch Gerichtsurteile verletzt fühlte, die die Auffassung zulassen, die Geburt eines behinderten Kindes sei ein Schaden.
Richtungsweisende Entscheidung
Noch ist Emil Karg ein Baby. Was in seinem Namen geschehen ist, wird er erst in einigen Jahren begreifen. Die Klage, die ein Kurator für ihn eingebracht hat, wird in Fachkreisen heftig diskutiert. So auch im Rahmen einer Veranstaltung des Netzwerks PRENET, das eine kritische Auseinadersetzung mit der pränatalen Diagnostik zum Ziel hat. Sind es doch erst die vorgeburtliche Untersuchungen im Mutterleib, die juristischen Auseinadersetzungen wie der von Emil zu Grunde liegen.
Noch weiß man nicht, wie Emils Prozess ausgehen wird. Doch allen Experten ist klar: Das Urteil könnte für Österreich richtungsweisend sein.
Ungeborene haben Rechte
Eine Besonderheit an Emils Klage ist schon die Tatsache, dass sie überhaupt eingebracht wurde, denn noch nie hat ein ungeborenes Kind die Republik geklagt. Mit der Entscheidung einen Kurator zu bestellen, der stellvertretend für Emil handelt, hat ein Bregenzer Gericht erstmals jene Bestimmung im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch in der Praxis wirksam werden lassen, dass auch ein ungeborenes Kind Rechte hat und es daher rechtsfähig ist.
Verletzung der Ehre
Die zweite Besonderheit ist der Inhalt der Klage. Mit ihr wollen Emil bzw. dessen Vertreter die gerichtliche Feststellung erreichen, dass Emil durch die jüngsten Urteile des Obersten Gerichtshof in Sachen Geburt behinderter Kinder in seiner Ehre und Würde verletzt worden ist. Grund dafür sind zwei Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs (OGH) der letzten Jahre.
Umstrittene Gerichtsurteile
Im Jahr 2006 hatten die Eltern eines Babys, das mit Trisomie 21, auch Down-Syndrom genannt, geboren wurde, ihren Arzt geklagt, dieser hätte sie über die mögliche Behinderung ihres Kindes nicht ausreichend informiert. Der Arzt hatte die Frau angewiesen zu einer Risikoambulanz zu gehen, die Möglichkeit der Trisomie 21 jedoch nicht erwähnt. Die Frau folgte der Anweisung des Arztes zu spät, das Kind kam mit Behinderung zur Welt.
Die Eltern argumentieren daraufhin, sie hätten das Kind abgetrieben, hätten sie von der Behinderung gewusst. Dies ist in Österreich bei einem behinderten Kind bis zur Geburt möglich. So allerdings kam das Kind zur Welt und fällt damit unter den Begriff "wrongful birth". Wortwörtlich übersetzt heißt dies "unrechtmäßige Geburt“. Das Kind hätte nie zur Welt kommen sollen, und die Eltern forderten Schadenersatz für den Unterhalt, den sie einem geboren Kind ja nun leisten müssen, sowie Entschädigung für den erhöhten Aufwand, den ihr Kind mit Behinderung verursache. In erster und zweiter Instanz verloren die Eltern die Klage, der OGH sprach ihnen den Schadenersatz allerdings in vollem Umfang zu.
Schaden Behinderung
Der Oberste Gerichtshof argumentierte dahingehend, dass es für solche Fälle keine eindeutigen Regelungen gebe und dass er mangels besserer Gesetze auf das Schadenersatzrecht zurückgreife. Demnach sei zwar die Existenz eines behinderten Kindes kein Schaden, der Unterhalt und der behinderungsbedingte Mehraufwand jedoch sehr wohl.
Eine ähnliche Argumentation hatte der OGH bereits 1999 angeführt und Eltern Schadenersatz für ein Kind zugesprochen, dessen Behinderung von der Ärztin übersehen worden war.
Keine Trennung
Kritiker dieser Entscheidungen ziehen vor allem die Argumentation des OGHs in Zweifel. Sie meinen, dass man das Kind und dessen Unterhalt nicht einfach trennen könne. Denn nur für ein Kind, das ja auch tatsächlich existiert, muss auch Unterhalt geleistet werden. Daher, so die Gegner der Gerichtsentscheidung, definiere der OGH die Geburt behinderter Menschen selbst als Schaden.
Diese Einschätzung teilen auch Emils Eltern und haben mit Hilfe des Kurators im Namen ihres Sohnes eine Klage eingebracht, weil ihrer Meinung nach diese Urteile Emils Ehre verletzen. Wird ihrer Klage stattgegeben, ist dies ein Impuls an den Gesetzgeber, klarere Regelungen zu schaffen, damit Eltern nicht auf Schadenersatz klagen müssen, um mehr Unterstützung für ihr behindertes Kind zu bekommen.
Denn oft ist die Klage auf Schadenersatz die einzige Möglichkeit, wirklich ausreichende finanzielle Unterstützung zu bekommen. Das Pflegegeld und die erhöhte Familienbeihilfe decken die Aufwendungen für ein behindertes Kind meist nicht ab. Dies erhöht den Druck auf werdende Eltern, sich dafür zu entscheiden, behinderte Kinder abzutreiben, bzw. zumindest zu glaubhaft zu machen, sie hätten es getan, hätten sie von der Behinderung gewusst. Nur mit dieser Argumentation kann man nämlich auf Schadenersatz klagen.
Internationaler Trend
Mit dieser Diskussion steht Österreich keineswegs alleine da. In vielen europäischen Ländern finden ähnliche Debatten statt, erklärt der Jurist Thomas Piskerigg, der sich mit bioethischen Fragen beschäftigt und Interessierte bei der PRENET-Veranstaltung über die rechtliche Situation informiert hat.
In vielen Ländern, so wie beispielweise Deutschland, gebe es eine ähnliche Schadenersatzrechtssprechung. In Frankreich gehe man jedoch andere Wege, meint Piskernigg: "Dort hat man die Schadenersatzansprüche beim Unterhalt sehr stark eingeschränkt und dafür eine Sozialgesetzgebung geschaffen, um diese Menschen zu unterstützen und diese Unterstützungen nicht über das Schadenersatzrecht abgehandelt werden müssen."
Ein Weg, den Piskernigg auch für Österreich als gangbar ansieht und den auch Emils Eltern mit der Klage ihres Sohnes fordern. Das endgültige Urteil im Fall Emil steht noch aus. Es wird mitentscheidend sein, ob behinderte Kinder in Österreich auch in Zukunft noch als Schaden angesehen werden.