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Rubrik: Lesen statt Hören
18. März 2007

Gleich per Gesetz

von Katharina Zabransky

In dieser ersten Projektsendung ist Freak-Radio den Begriffen »Gleichstellung«, »Gleichbehandlung« und Diskriminierung auf der Spur. Befragt werden Personen auf der Straße, Vertreter aus Ministerium und BSB und von der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung. (Bild: Martin Ladstätter - BIZEPS, Zentrum für selbstbestimmtes Leben im Interview mit Katharina Zabransky - Freak-Radio).

Ein Rollstuhlfahrer mit dunklem Haar und Brille wird von einer Rollstuhlfahrerin mit brünettem, längerem Haar und Brille interviewt.

Freak-Radio: Gleich per Gesetz.
Menschen mit Behinderung sind in vielen Bereichen des alltäglichen Lebens ausgeschlossen. Das seit dem 1. Jänner 2006 geltende BundesBehinderten-Gleichstellungsgesetz soll diese Situation verändern.

Teaser: Vor etlichen Jahren hat es einmal so ein Projekt gegeben, wo man selber Rollstuhl fahren testen konnte, da habe ich mich gar nicht zurecht gefunden. Da habe ich die Probleme dann schon verstanden. Ich habe mich in den Rollstuhl hinein gesetzt und versucht, mich zu bewegen: Das ist unmöglich gewesen. Da kommt man nicht einmal über die kleinste Stufe drüber, weil ich es nicht gewohnt bin - weil ich gewohnt bin, mich mit meinen eigenen Füßen fort zu bewegen.

Freak-Radio: Überall Barrieren - so stellt sich die Welt für viele Menschen mit Behinderung dar. Stufen, wo keine notwendig sind, öffentliche Verkehrsmittel ohne Zusteigemöglichkeit. Veranstaltungen, die man leider nicht besuchen kann und kaum Chancen, einen adäquaten Beruf auszuüben. Ein paar Beispiele aus der täglichen Enttäuschungswelt von Menschen mit Behinderungen.

Teaser 2: Ich bin jetzt 47 und ich bin vor circa einer Woche zum ersten Mal alleine U-Bahn gefahren. Das klingt ungewöhnlich, ist aber so. Dank der Niederflur-U-Bahnen habe ich es gewagt, einmal alleine mit der U-Bahn zu fahren, weil ich in die Stadt wollte und dort einen Termin gehabt habe. Das ist sehr gut gegangen.

Freak-Radio: Zu welchen Hoffnungen gibt das neue Behinderten-Gleichstellungsgesetz Anlass?

Gerhard Wagner und Katharina Zabransky versuchten Antworten auf diese Frage zu finden und begannen ihre Recherchen auf der Straße.

Stimme 1: Das sagt eh schon der Name: Gleichbehandlung. Man soll alle gleich behandeln.

Stimme 2: Gleiche Behandlung, das heißt keine Barrieren, gleiche Chancen, gleiche Bildung, gleiches Ansehen in der Gesellschaft.

Stimme 3: Gleichbehandlung, auch beruflich sollen sie die Möglichkeit haben, die Behinderten, nicht? Natürlich mit anderen Bedingungen und anderen Voraussetzungen, aber man soll ihnen natürlich genauso die Chance geben wie jedem anderen.

Stimme 4: Das ist leider ein Trauerspiel. Ich arbeite mit schwerstbehinderten Kindern in einer basalen Klasse und erlebe das sehr oft, werde sehr oft angemacht von irgendwelchen Menschen im Bus, im Zug oder sonstwo und ich denke die sind überhaupt nicht gleichgestellt, denen geht es ganz, ganz schlecht. Aber wir kämpfen dafür, dass es anders wird.

Stimme 5: Vorurteile spielen auch eine große Rolle, dass die abgebaut werden, dass man auf behinderte Menschen in gleicher Form zugeht, wie auf jeden anderen Menschen auch.

Freak-Radio: Erst durch Gleichstellung wird Selbstbestimmung möglich. Denn dann finden auch Menschen mit Behinderungen ihren Weg durch den Alltag. Martin Ladstätter vom Verein BIZEPS - Zentrum für selbstbestimmtes Leben - erklärt den Unterschied der Begriffe:

Martin Ladstätter: Was ist der Unterschied zwischen Gleichbehandlung und Gleichstellung? Man könnte auch noch einwerfen: Und was bedeutet Gleichberechtigung? Es geht grundsätzlich darum, wie man Menschen behandelt. Wenn man zwei Menschen absolut gleich behandelt, kann das auch eine Diskriminierung sein. Also, eine reine Gleichbehandlung wäre in vielen Fällen eine Diskriminierung. Wenn ich zum Beispiel einen Autobus habe, der nicht zugänglich ist und der Fahrer sagt: »Bei uns dürfen alle einsteigen, ich behandle die Leute eh gleich.«, dann hilft das dem, der ohne eine Einstiegshilfe, sprich eine Rampe, nicht in den Autobus kommt, überhaupt nicht. Eine reine Gleichbehandlung würde ihm nicht helfen. Eine Gleichberechtigung/Gleichstellung würde bedeuten, man wird Maßnahmen setzen damit er den Bus gleichberechtigt benutzen kann, sprich: Man baut eine Rampe.

Freak-Radio: Das Ziel von Gleichstellung ist nicht nur eine Beseitigung der baulichen und strukturellen Barrieren, sondern auch die der Barrieren in den Köpfen. Den Grund, warum das immer wieder schwierig ist, sieht Dr. Hansjörg Hofer vom Sozialministerium in den falschen Bildern, die von behinderten Menschen existieren.

Hansjörg Hofer: Es sollte nicht immer nur in Defiziten gedacht werden, wenn man Menschen mit Behinderung vor sich hat, sondern man sollte die Chancen, die Möglichkeiten, die Stärken dieser Menschen betrachten. Daher glaube ich, dass Gleichbehandlung heutzutage zu wenig ist, weil Menschen mit Behinderung mehr als nur eine Gleichbehandlung brauchen, sie brauchen Unterstützung, sie brauchen Förderung, sie brauchen die Herstellung entsprechender Umweltbedingungen, um ihre Chancen auch wirklich wahrnehmen zu können.

Freak-Radio: Warum ist ein Behinderten-Gleichstellungsgesetz notwendig? Und was halten Menschen in Österreich von diesem Gesetz? Dazu gibt es unterschiedliche Stimmen. Eine Lehrerin behinderter Kindern sieht das Gesetz zum Beispiel sehr kritisch. Völlig anders sieht das Hansjörg Hofer. Der stellvertretende Sektionsleiter im Sozialministerium hat selbst eine Behinderung und war aktiv an der Entstehung des Gesetzes beteiligt.

Hansjörg Hofer: Im Großen und Ganzen sind wir sehr zufrieden. Das Bundes-Behinderten-Gleichstellungs-Gesetz, bzw. das Behinderten-Einstellungs-Gesetz, das im beruflichen Bereich gilt, haben zu großen Veränderungen in der Wahrnehmung von Menschen mit Behinderungen geführt.

Straßenbefragung, Stimme 4: Lächerlich, es ist einfach lächerlich, es wird in keiner Weise eingehalten. Aber man soll die Hoffnung nicht aufgeben, vielleicht wird es doch irgendwann etwas.

Martin Ladstätter: Das Behinderten-Gleichstellungs-Gesetz ist sicher eines jener Gesetze in Österreich, wo Betroffene sehr viel mitgearbeitet haben. Aber man muss auch kritisch sagen: Mit dem Ergebnis sind wir nicht zufrieden, weil unser Gesetz, hätten wir es alleine schreiben können, viel schärfer, viel umfassender gewesen wäre. Trotzdem sage ich, es ist ein wichtiger Zwischenschritt auf dem Weg zur Gleichstellung.

Freak-Radio: Martin Ladstätter, selbst Rollstuhlfahrer, hat als ein Vertreter von behinderten Menschen in einer Arbeitsgruppe zur Vorbereitung des Gesetzes mitgewirkt. Auch Frau Mag. Bernadette Feuerstein, Leiterin der Selbstbestimmt-Leben-Initiative Wien, war aktiv an der Entstehung des Gesetzes beteiligt. Für sie ist Gleichstellung in ihrem Alltag ein wichtiges Anliegen: Wenn sie etwa mit dem Rollstuhl in der Wiener Innenstadt unterwegs ist, fühlt sie sich benachteiligt.

Bernadette Feuerstein: Du kommst nirgends hinein. Das ist, als ob diese Geschäfte, Cafehäuser für mich einfach nicht existieren. Du bist so etwas von draußen, weil du kannst dir die Auslagen anschauen, aber du kommst in dieses blöde Cafehaus einfach nicht hinein, weil da eine Stufe ist und daher ist dieses Cafehaus, dieses Geschäft für mich nicht existent. Wenn man sich das einmal bewusst anschaut, dann sind der ganze Graben und die halbe Kärntnerstraße für uns nicht existent.

Freak-Radio: Diese und ähnliche Erfahrungen machen behinderte Menschen tagtäglich. Sie stoßen auf Barrieren und fühlen sich dadurch diskriminiert.

Martin Ladstätter: Behinderte Menschen werden im Alltag regelmäßig diskriminiert, manchmal auch systematisch diskriminiert - und damit man diese Diskriminierungen bekämpfen kann, braucht man ein umfassendes Behindertengleichstellungsgesetz.

Freak-Radio: Im Bundes-Behinderten-Gleichstellungsgesetz wird dieser Schutz vor Diskriminierung dezidiert ausgesprochen. Formuliert wird dies in Paragraph eins:
»Ziel dieses Bundesgesetzes ist es, die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen zu beseitigen oder zu verhindern und damit die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Leben in der Gesellschaft zu gewährleisten und ihnen eine selbstbestimmte Lebensführung zu ermöglichen.«
Der Gedanke der Selbstbestimmung findet sich schon seit 1990 im »Americans with Disabilities Act«, dem ADA, einem der ersten Gleichstellungsgesetze der Welt. Auch die Europäische Union bemüht sich seit Jahren um Gleichstellung und hat dadurch einen großen Einfluss auf die Gleichstellungsgesetze in den Mitgliedsstaaten.

Hansjörg Hofer: Es gibt eine Vorgabe der Europäischen Union durch eine Richtlinie, die vor sieben Jahren beschlossen wurde und die die Staaten dazu veranlasst hat, Gleichstellungsgesetzgebungen in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zu beschließen.

Freak-Radio: »Nicht ich bin behindert, die Umwelt behindert mich«, sagen viele Menschen mit Behinderung immer wieder. Hansjörg Hofer vom Sozialministerium ist für die Angelegenheiten von behinderten Menschen zuständig. Für ihn geht es nicht nur um die sichtbaren Barrieren, es geht auch darum, dass es Normen gibt, die Menschen mit Behinderung nicht einschließen.

Hansjörg Hofer: Aus meiner Sicht benötigen Menschen mit Behinderungen ein Gleichstellungsgesetz, weil sie im täglichen Leben nicht gleich behandelt werden, nicht gleichgestellt sind, nicht die gleichen Chancen und Möglichkeiten haben. Daher hat sich der Gesetzgeber entschlossen, eine rechtliche Regelung zu treffen, wie Menschen mit Behinderung ihr Recht auf gleiche Behandlung, ihr Recht auf Chancengleichheit, ihr Recht auf gleiche Möglichkeiten im täglichen Leben auch durchsetzen können.

Freak-Radio: Welche Möglichkeiten gibt dieses Gesetz nun behinderten Menschen in die Hand, damit sie gleichberechtigt leben können? Martin Ladstätter, Aktivist der Behindertenbewegung, gibt sich bei der Antwort auf diese Frage keinen großen Hoffnungen hin.

Martin Ladstätter: Das Problem ist, dass dieses Behinderten-Gleichstellungsgesetz nicht umfassend ist. Es ist ein Ansatz, es ist ein Schadenersatzrecht, was in einigen Bereichen sehr wirksam sein wird, aber es gibt ganz wesentliche Bereiche für behinderte Menschen, wo dieses Gesetz nicht oder nur sehr ungenügend wirkt.

Freak-Radio: Besonders offensichtlich sind Barrieren im Alltag. Für blinde Menschen sind etwa Straßen ohne akustische Ampeln eine unüberwindliche Barriere, für Menschen im Rollstuhl Stufen zu Lokalen oder WCs, die dadurch unbenutzbar sind. Kann zum Beispiel Frau Feuerstein die Beseitigung von Stufen durch den Lokalbetreiber schon jetzt verlangen?

Hansjörg Hofer: Wenn es um eine Maßnahme geht, die relativ kostengünstig möglich wäre, nämlich unter tausend Euro, dann würde sogar jetzt schon ein Anspruch darauf bestehen, diese Barriere zu beseitigen, mit dem höchstens tausend Euro großen Aufwand. Ansonsten ist es rechtlich derzeit noch nicht möglich, gegen diesen Lokalbetreiber gerichtliche Schritte einzuleiten.

Freak-Radio: Übergangsfristen verhindern noch, dass behinderte Menschen größere Umbauten verlangen können. Doch selbst wenn es Einzelnen gelingt, für sich persönlich eine Lösung zu erreichen, so fehlt für Martin Ladstätter ein darüber hinaus gehender, allgemeiner Rechtsanspruch.

Martin Ladstätter: Dieses Behinderten-Gleichstellungsgesetz hat nämlich auch einen großen Systemfehler, es individualisiert: Er selber ganz persönlich muss jetzt mit diesem Lokal einen Kampf beginnen, ein Schlichtungsverfahren eröffnen, vielleicht sogar einmal eine Klage einleiten und nicht, so wie man eigentlich annehmen könnte, der Gesetzgeber. Dieser schreibt ganz klar vor, wir Lokale grundsätzlich auszusehen haben. Das wäre natürlich die sinnvollere Regelung.

Freak-Radio: Jeder Mensch mit Behinderung wird zum Einzelkämpfer, wenn er eine Schlichtung beantragt. Diese Schlichtungen können schon jetzt dazu beitragen, dass Restaurants und Geschäfte zugänglich werden. Sofern der Besitzer behinderte Menschen als Kunden gewinnen will - und einen Umbau vornimmt.

Die Einleitung eines Schlichtungsverfahrens kostet nichts und kann von behinderten Menschen, die sich diskriminiert fühlen, bei jeder Landesstelle eingebracht werden. Dies ist vom Behinderten-Gleichstellungsgesetz im Paragraph 14 und 15 geregelt:

Sprecher: »Das Bundessozialamt hat unter Einbeziehung einer Prüfung des Einsatzes möglicher Förderungen nach bundes- oder landesgesetzlichen Vorschriften zu versuchen, einen einvernehmlichen Ausgleich der Interessensgegensätze zwischen den Parteien herbeizuführen.« Paragraph 14/2: »Das Schlichtungsverfahren beginnt mit der Einbringung des Anbringens, mit dem Schlichtung begehrt wird - durch die eine Diskriminierung behauptende Person. Auf die Einbringung ist Paragraph 15 AVG mit der Maßgabe anzuwenden, dass das Anbringen schriftlich oder mündlich zu Protokoll eingebracht werden muss.«

Freak-Radio: Das Schlichtungsverfahren endet entweder mit einer Einigung oder mit der Benachrichtigung des Bundessozialamtes, dass "keine gütliche Einigung herbeigeführt werden konnte", wie es im Gesetz formuliert wird. Im ersten Jahr gab es achthundert Beratungen durch das Bundessozialamt in ganz Österreich und 120 Schlichtungen, von denen bereits 94 abgeschlossen sind. Zwei Drittel haben mit einer Einigung geendet, berichtet Mag. Dietmar Hillbrand vom Bundessozialamt, der für Schlichtungen zuständig ist.

Dietmar Hillbrand: Beim Bundessozialamt ist ja das Schlichtungsverfahren vorgesehen. Wir versuchen, in diesem Schlichtungsverfahren eine Einigung herbeizuführen mit dem mutmaßlichen Diskriminierer. In diesen Gesprächen werden noch einmal die Probleme aufgeworfen. Es ist ein Verfahren, das auf Freiwilligkeit beruht und die Situation der Betroffenen noch einmal versucht, klarzumachen und auch gemeinsam Lösungen zu finden.

Freak-Radio: Martin Ladstätter kämpft gegen Diskriminierungen und tritt für Selbstbestimmung der behinderten Menschen ein. Der Verein BIZEPS, in dem er mitarbeitet, ist eine Organisation, die behinderte Menschen gegründet haben. Sie geben anderen behinderten Menschen in der Öffentlichkeit eine Stimme und vertreten ihre Interessen, indem sie an der Ausarbeitung von Gesetzen mitwirken. Außerdem beraten sie auch Menschen mit Behinderungen bei konkreten Anliegen.

Martin Ladstätter: Wir unterstützen Personen bei Schlichtungsverfahren zu ihrem Recht oder zu einer Einigung zu kommen, das heißt ganz konkret, dass wir Vertrauenspersonen zu Schlichtungen schicken, weil wir der Meinung sind, behinderte Menschen müssen ihr Recht selber durchsetzen! Aber wir unterstützen sie dabei.

Freak-Radio: Schlichtungen wegen baulicher Barrieren machen nur einen kleinen Teil aus, die meisten betreffen den Arbeitsbereich. Was die Betroffenen derzeit leider brauchen, ist viel Geduld. Möchte ein Rollstuhlfahrer ein Lokal besuchen, ohne sich über Stufen tragen lassen zu müssen, hat er derzeit kaum Chancen auf Beseitigung dieser Barrieren, wenn er eine Schlichtung beantragt - noch weniger vor Gericht.

Hansjörg Hofer: Ab dem Jahr 2016 ist es dann auf jeden Fall möglich, diesen Lokalbetreiber grundsätzlich theoretisch auch vor Gericht zu bringen und auf einer Diskriminierung zu beharren und zu sagen: Dafür möchte ich einen Schadenersatz.

Freak-Radio: Für viele Menschen mit Behinderung ist es ein wichtiges Thema, die Möglichkeit zu bekommen, ihren Fähigkeiten entsprechend arbeiten zu können. Bedauerlicherweise fehlen dazu die nötigen Rahmenbedingungen, nur wenige Menschen mit Behinderung stehen momentan im Arbeitsprozess.
Martin Ladstätter erwähnt als Beispiel einen gehörlosen Lehramtsabsolventen der Universität.

Martin Ladstätter: Es geht darum, ob man den Lehrerberuf erlernen kann und dann ob man ihn ausüben kann. Ein fertig ausgebildeter Lehrer möchte einen Beruf ausüben und wird gehindert, weil man sagt, er sei körperlich nicht geeignet. So wie ich das verstehe, wäre das eine Diskriminierung, die dieses Gesetz eigentlich bekämpfbar gemacht hat.

Freak-Radio: Mit dem Behinderten-Gleichstellungsgesetz wurde eine Reihe anderer Gesetze geändert, so auch die Gleichberechtigung von Lehrern. Genauer definiert es der Jurist Dr. Hofer vom Sozialministerium:

Hansjörg Hofer: Wegen des umständlichen Titels Bundes-BehindertenGleichstellungs-Begleitgesetz hat man in der umgangssprachlichen Bezeichnung das Wort »Bündelgesetz« dafür gewählt, weil es ein Bündel von insgesamt neunzehn Vorschriften ist, die damit geändert wurden.

Freak-Radio: In vielen Fällen wurden Formulierungen wie etwa »geistige und körperliche Eignung« ersetzt durch den Begriff »gesundheitliche Eignung«.

Sprecher: Artikel 1: »Änderung des Beamtendienstrechtsgesetzes 1979«
Artikel 2: »Änderung des Vertragsbedienstetengesetzes 1948«
Artikel 3: »Änderung des Richterdienstgesetzes«
Artikel 4: »Änderung des Rechtspflegergesetzes«
Artikel 5: »Änderung des Ausschreibungsgesetzes 1989«
Artikel 6: Ȁnderung?..

Seit 1997 gibt es im Artikel 7 der Verfassung den Zusatz: »Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden«. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde offensichtlich, dass bestehende Gesetze behinderten Menschen ihre Rechte verwehren und damit im Gegensatz zur Verfassung stehen. Martin Ladstätter hat zusammen mit anderen behinderten Menschen die Beseitigung diskriminierender Bestimmungen verlangt und versucht, Änderungen zu bewirken.

Martin Ladstätter: Nachdem die Verfassung im Jahr 1997 geändert wurde und darin jetzt steht: »Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden«, haben wir begonnen, diskriminierende Gesetze zu sammeln - und im Jahr 1999 wurde ein erstes Bündelgesetz verabschiedet, mit dem diskriminierende Gesetzesstellen beseitigt wurden. Dann ist viele Jahre nichts passiert und im Vorjahr gab es ein zweites Bündelgesetz, mit dem diskriminierende Gesetze beseitigt wurden. Es fehlen uns noch sehr viele Bündelgesetze, weil noch viele Gesetze diskriminieren. Da sind sehr viele Bestimmungen in Bezug auf Eignung im Arbeitsbereich drinnen, dass behinderte Menschen also nicht grundsätzlich als ungeeignet angesehen werden. Ein klassisches Beispiel: Lehrerinnen und Lehrer.

Freak-Radio: Durch die Bündelgesetze haben behinderte Arbeitssuchende jetzt mehr Chancen. Der gehörlose Lehrer oder die gehörlose Lehrerin, die ihren Beruf ausüben will, haben sogar Anspruch auf Schadenersatz. Die meisten Schlichtungen betreffen arbeitsrechtliche Fälle, nämlich Einstellung und Kündigung. Dietmar Hilbrand vom Bundessozialamt verweist auf das Behinderten-Einstellungs-Gesetz, kurz BeEinstG, das Arbeitssuchende mit Behinderungen ebenfalls unterstützen soll.

Dietmar Hillbrand: Im Arbeitsbereich, sprich: zur Novelle des BeEinstG, ist es absolut so, dass die Hauptthemen Kündigungen und Entlassungen sind. An erster Stelle kommen die Menschen zu uns und behaupten eine mögliche Diskriminierung bei der Beendigung des Dienstverhältnisses. An zweiter Stelle, weit abgeschlagen, stehen die sonstigen Arbeitsbedingungen, sprich: ich werde nicht gleich behandelt wie meine Arbeitskollegen. Kündigungen bzw. Entlassungen sind natürlich immer sehr heikle Themen. Und die Erfolge sind in diesem Fall auch so, dass man sagt, es sind fünfzig Prozent der Fälle leider ohne Einigung ausgegangen. Auf der anderen Seite münden fünfzig Prozent in einer Einigung, wenn man die Antragsrückziehungen berücksichtigt, die eher positiv zu werten sind. Antragsrückziehung heißt, dass man sich im Vorfeld geeinigt hat und dann den Antrag zurückzieht.

Freak-Radio: Manche behinderte Menschen haben zwar einen Arbeitsplatz - und haben trotzdem ein Problem, wenn sie von Kollegen etwa abfällige Bemerkungen über ihre Behinderung hören, oder wenn andere deutlich den Eindruck vermitteln, dass sie nichts von behinderten Menschen am Arbeitsplatz halten.

Hansjörg Hofer: Eine Belästigung wäre jedenfalls, wenn ich jemanden, der behindert ist, nachhaltig, also des Öfteren, als Krüppel oder mit beleidigenden Ausdrücken versehen würde oder auch natürlich, was sicher häufig vorkommen wird, wo es in Richtung Mobbing geht.

Freak-Radio: Auch in diesem Fall bietet das Behinderten-Gleichstellungsgesetz die Möglichkeit, ein Schlichtungsverfahren zu eröffnen und vor Gericht zu gehen.

Persönliche Assistenz am Arbeitsplatz, die es in Österreich seit 2004 gibt, hat hier eine Erleichterung gebracht. Denn eine persönliche Assistentin oder ein Assistent führt für den Arbeitnehmer jene Handgriffe aus, die er selbst nicht durchführen kann, was dazu führt, dass behinderte Menschen ihre Arbeitsleitungen steigern können und so auch ihre Kollegen entlasten.

Bernadette Feuerstein: Das, was ich wirklich brauche, um außer Haus zu kommen, um zu meinem Arbeitsplatz zu kommen, um dann dort meine Arbeit machen zu können, ist ganz einfach persönliche Assistenz. Weil, wie gesagt, selbst wenn ich allein das Haus verlassen kann und dann auch alleine mit der U-Bahn fahren kann, was ein Zufall war, weil einfach gerade die richtige gekommen ist, ich eben immer noch nicht im Ministerium die Tür aufmachen kann, ich immer noch nicht die Tür zum Büro aufsperren kann, ich immer noch nicht den Computer alleine einschalten, mir die Jacke alleine an- und ausziehen kann.

Freak-Radio: Für einen behinderten Arbeitssuchenden ist es mit oder ohne persönliche Assistenz schwierig, einen Arbeitsplatz zu finden.

Die allgemeine Arbeitslosenrate ist 2006 um zehn Prozent gesunken, die Arbeitslosenrate für behinderte Menschen ist dagegen weiter gestiegen.

Das Gleichstellungsgesetz wurde im Parlament verabschiedet, es gilt nur für den Bund. Dadurch ist aber nur ein Teil ist abgedeckt, denn viele Zuständigkeitsbereiche, die behinderte Menschen betreffen, liegen im Verantwortungsbereich der Länder, zum Beispiel die Zugänglichkeit zu Kulturveranstaltungen und die Bauordnungen, die eigentlich dafür sorgen sollen, dass behinderte Menschen überall hinein kommen. Bernadette Feuerstein nennt ein Beispiel:

Bernadette Feuerstein: Also, wenn man jetzt Lokale besuchen will, oder Restaurants, schaut es wirklich katastrophal aus, vor allem im Wiener Bereich, Das ist richtig peinlich. Man bekommt vielleicht Besuch von irgendwem aus den Bundesländern oder aus dem Ausland und man will dann am Abend essen gehen oder vielleicht sogar in einer größeren Gruppe, wo vielleicht drei oder sogar viele Rollstuhlfahrer zusammenkommen - und es findet sich kaum ein Lokal, in das man barrierefrei hinein kann und ganz zu schweigen von einem WC, das benutzbar ist.

Freak-Radio: Die Normen für barrierefreies Bauen sind in jedem Bundesland anders. Hier endet der Einfluss des Bundes-Behinderten-Gleichstellungs-Gesetzes. Martin Ladstätter und andere behinderte Menschen haben das in einer Arbeitsgruppe zur Vorbereitung des Gesetzes immer wieder kritisiert:

Martin Ladstätter: Niemand versteht, dass ein Behinderten-Gleichstellungsgesetz den wichtigen Bereich des Bauens nicht umfassend umfasst, aber das war nicht durchsetzbar in der Arbeitsgruppe, weil sehr große Interessen dagegen gesprochen haben, nämlich seitens der Länder.

Freak-Radio: Vertreter von Menschen mit Behinderungen kritisieren, dass sich die Länder zwei Jahre nach Beschluss des Behinderten-Gleichstellungsgesetzes noch immer nicht auf gemeinsame Maßnahmen zur Beseitigung von Barrieren geeinigt haben. Hansjörg Hofer berichtet von einem Entwurf der Länder zur Harmonisierung der Bauvorschriften. Das wäre im Sinne des Bundes. Doch der hat hier keinen Einfluss.

Hansjörg Hofer: Diese Vereinbarung ist von sieben Ländern bereits unterschrieben worden, von zwei noch nicht und soll zu einer einheitlichen Norm über Barrierefreiheit in Gebäuden führen.

Freak-Radio: Die Selbstbestimmt-Leben-Bewegung stört, dass diese Einigung noch nicht zustande gekommen ist, denn das hat gravierende Auswirkungen. Auch Martin Ladstätter ist verärgert.

Martin Ladstätter: Denn im Moment haben wir die Situation, dass zum Beispiel barrierefreie WCs ganz unterschiedlich in Österreich aussehen, je nach Bundesland. Manche schreiben dies vor, manche schreiben das vor, manche schreiben gar nichts vor. Also, die erste Regelung war, wir wollen es gleich sehen, aber mehr als ein Versprechen haben behinderte Menschen bis jetzt noch nicht bekommen. Die Bundesländer haben gesagt, sie werden sich irgendwann einmal mit dem Bund auf eine Vereinbarung einlassen, technisch gesehen heißt diese: 15a-Vereinbarung. Aber wir haben nichts in der Hand. Mehr als eine Absichtserklärung ist das nicht!

Freak-Radio: Dr. Hofer vom Sozialministerium bedauert, dass es viele Bereiche zur Gleichstellung von behinderten Menschen gibt, die die Bundesländer noch nicht geregelt haben.

Hansjörg Hofer: Viele Bereiche konnten wir trotz entsprechender Bemühungen leider nicht regeln. Die Länder waren nicht bereit, den Regelungen zuzustimmen, dort wo auch ihre Kompetenzbereiche mit umfasst gewesen wären. Das betrifft zum Beispiel das Kindergartenwesen, das betrifft den schulischen Bereich, wo es sich um die Gebäude handelt, die im Pflichtschulbereich vorhanden sind. Also, zum Beispiel eine Volksschule ist hier von unserem Gesetz nicht umfasst.

Freak-Radio: Lea, die Tochter von Bernadette Feuerstein, ist ein aktives Kind. Jetzt ist sie alt genug, um in einen Kindergarten zu gehen.

Bernadette Feuerstein: Ich habe einen Kindergartenplatz gesucht für sie, das war nicht leicht, obwohl in unserem Umkreis wirklich sehr viele Kindergärten sind. Da war aber für mich nicht nur das Kriterium, ob es dort nett ist, und die Öffnungszeiten passend und ob die einen Garten haben usw., sondern für mich war ein Kriterium: Ist es für mich zugänglich? Weil es sehr wichtig für mich ist, auch wenn ich sage, ich kann das mit Assistenz oder sonst irgendwie organisieren, in den Kindergarten zu können, die anderen Kinder kennenzulernen, mit der Kindergärtnerin sprechen zu können, zu irgendeinem Sommerfest oder Weihnachtsbasar gehen zu können. Da ist wirklich noch sehr viel zu tun.

Freak-Radio: Die Suche nach einer geeigneten Schule hat Bernadette Feuerstein übrigens schon begonnen.
Doch nicht nur in den Ländern auch auf Bundesebene tauchen immer wieder Regelungen auf, die behinderte Menschen diskriminieren. Martin Ladstätter berichtet von einem ganz aktuellen Kuriosum:

Martin Ladstätter: Wir sind drauf gekommen, dass ein Bundesgebäude eine Hausordnung hat, die Rollstuhlfahrern verpflichtend eine Begleitperson vorschreibt, also klassisch gesehen eine Diskriminierung. Dieses Bundesgebäude ist das Parlament, das ist jener Ort, wo das Behinderten-Gleichstellungsgesetz beschlossen worden ist, und das muss schleunigst geändert werden.

Freak-Radio: Man sieht also: Selbst in einer Institution wie dem Parlament, das beispielgebend sein sollte, ist es für behinderte Menschen noch immer nicht einfach, Gleichstellung durchzusetzen. Doch die Bundessozialämter aller Länder unterstützen sie jetzt in ihren Anliegen.

Dietmar Hillbrand: Lassen Sie sich beraten, kommen Sie zum Bundessozialamt, und gemeinsam mit dem Bundessozialamt wird man einen Weg finden, es gibt eine ganze Bandbreite und Palette von Lösungen, die hier gefunden wurden, oftmals sind das solche, die vor Gericht so gar nicht durchsetzbar wären.

Freak-Radio: Nicht nur Dietmar Hillbrand, sondern auch Dr. Hansjörg Hofer vom Sozialministerium sieht eine positive Entwicklung durch das Bundes-Behinderten-Gleichstellungs-Gesetz.

Hansjörg Hofer: Wir sind überzeugt davon, dass Barrieren, in den Köpfen vor allem, abgebaut worden sind und noch weiter abgebaut werden. Auf lange Sicht wird das dazu führen können, dass Menschen mit Behinderung im täglichen Leben wirklich die völlig gleichen Möglichkeiten haben wie andere auch.

Freak-Radio: Für Martin Ladstätter von BIZEPS gibt es noch eine breite Palette von Maßnahmen, um Gleichheit per Gesetz zu bewirken. Das derzeitige Behinderten-Gleichstellungsgesetz ist für ihn noch nicht ausreichend:

Martin Ladstätter: Dieses Gesetz muss in einigen Bereichen dramatisch verbessert werden, zum Beispiel ein Recht auf Unterlassung: Wenn diskriminiert wird, muss ich das Recht bekommen, dass der andere diese Diskriminierung beendet - und nicht nur, wie im Moment, einfach, dass er Geld bezahlt. So eine Art freikaufen: Ich kann jeden diskriminieren in Österreich, so lange ich es mir leisten will auch dafür zu bezahlen. Das muss sich ändern. Ganz wichtig ist auch, dass barrierefreies Bauen endlich auch Teil der Gleichstellung wird - und zwar überall in Österreich - und der Bildungsbereich. Diese Dinge als Rechtsanspruch zu haben, die habe ich im Moment nicht.

Freak-Radio: Für Bernadette Feuerstein zeigt sich Gleichstellung in den ganz einfachen Dingen:

Bernadette Feuerstein: Wenn ich, so wie jeder andere mir eben einen Tisch reserviere und nicht fragen muss, wie die Stufen sind, gibt es ein Klo, wie breit ist die Tür, sondern wenn ich einfach sage: Ist übermorgen um 20 Uhr ein Tisch frei? Und wenn dieser Tag eintritt, und ich weiß nicht, ob ich ihn noch erleben werde - ich hoffe es - dann sage ich, jetzt sind wir in dieser Beziehung gleichberechtigt mit den anderen und dann werde ich mich vielleicht einmal ein bisschen entspannt zurücklehnen.

Projekt-Jingle Selbstbestimmt:

Freak-Radio: Sie hörten eine Sendung aus der Schwerpunktreihe Selbstbestimmt mit allen Sinnen - Wege zur Gleichstellung. Wege ohne Diskriminierung, die vom Bundessozialamt aus Mitteln der Beschäftigungsoffensive der österreichischen Bundesregierung gefördert wird.


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