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.Gleichstellung als Organisationsziel
Dr. Günther Schuster ist (prov.) Leiter des Bundessozialamts
Moderatorin, Eva Papst: Ich darf Ihnen den nächsten Referenten ankündigen, es ist Herr Dr. Günther Schuster vom Bundessozialamt, Landesstelle Wien. Er ist dort der Leiter. Und er ist auch provisorischer Leiter des Bundessozialamtes Österreichs. Ohne Bundessozialamt geht es nicht, sei es nun, wenn es um Förderbestimmungen geht, sei es auch, wenn es um Schlichtungen geht, vor allem aber dann, wenn es darum geht, die Sache Gleichstellung, und dazu gehört auch das Internet, zu unterstützen. So lautet auch das Thema seines Referates: "Gleichstellung als Organisationsziel".
Günther Schuster: Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, meine sehr geehrten Damen und Herren, ich darf mich zunächst beim Veranstalter sehr herzlich für die Einladung bedanken und auch für die Möglichkeit, hier einige Worte zu Ihnen zu sprechen.
Als Bundessozialamt sind wir seit vielen Jahrzehnten für Menschen mit Behinderungen mit unseren Dienstleistungen da. Sie, Menschen mit Behinderungen, sind unsere Zielgruppe, wir sind die einzige Organisation im öffentlichen Bereich, die ausschließlich für Menschen mit Behinderungen tätig ist.
Natürlich hat sich unser Aufgabenschwerpunkt im Verlauf der Zeit immer wieder verlagert, unsere aktuelle Thematik liegt sehr stark im Bereich der beruflichen Integration von Menschen mit Behinderungen. Vielen von Ihnen ist die Beschäftigungsoffensive der österreichischen Bundesregierung ein Begriff, die wir laufend aktualisieren und mit der wir auch versuchen, immer wieder neue Instrumente und immer wieder auch neue Technologien mit einzubeziehen, um den Integrationsprozess für Menschen mit Behinderungen besser und einfacher zu gestalten. Eine der ganz zentralen, aktuellen Thematiken ist für uns natürlich die Umsetzung des Gleichstellungsrechts auch in seiner allgemeinen Form. Die Frau Staatssekretärin hat bereits unsere Rolle erwähnt, dass bei uns also die Schlichtungsverfahren abzuwickeln sind und ein ganz grundsätzlicher Satz dazu:
Wir haben mittlerweile deutlich über hundert Schlichtungsverfahren - und jedes einzelne dieser Schlichtungsverfahren birgt einen kleinen Schritt dazu, dass ganz konkrete Situationen entweder auch tatsächlich bewältigt werden oder zumindest, dass die betroffenen Systeme und auch jene Systeme, die als Diskriminierer bei uns stehen, ganz einfach ein Stück mehr an Bewusstsein, an Verständnis für diese Thematik gewinnen.
Mein Thema heute, "Gleichstellung als Organisationsziel", das möchte ich so ansprechen, dass auch wir als Bundessozialamt eine Organisation wie jede andere sind, die - und die Frau Staatssekretärin hat hier die Vorbildwirkung der öffentlichen Hand bereits angesprochen - also aufgefordert ist, dem Gleichstellungsgedanken zu entsprechen.
Gleichstellung bezieht sich aber nicht nur auf Menschen mit Behinderungen, sondern Gleichstellung ist heute in einem umfassenderen Kontext zu sehen: Alter, ethnische Herkunft, sexuelle Orientierung, Gender-Aspekt. Ich denke, ich spreche Ihnen da aus der Seele, dass das insgesamt ein sehr komplexes Thema ist, das es für eine Organisation auch sehr schwierig macht, sich diesem umfassend zu nähern. Es gibt einfach immer ein Spannungsverhältnis zwischen der Erfüllung der operativen Aufgaben und der gleichzeitigen Umsetzung dieses Gleichstellungsrechtes.
Ich denke, dass der Begriff der Barrierefreiheit, oder die Inhalte der Barrierefreiheit, hier aber ein ganz zentraler Handlungsansatz sein können. Das ergibt sich einerseits aus der Multifunktionalität dieses Begriffes, vielen von uns, vielen Personen in der Öffentlichkeit ist die Barrierefreiheit ja im Sinne einer baulichen Barrierefreiheit ein Grundverständnis. Aber eigentlich, und das zeigt ja auch insbesondere die heutige Veranstaltung, geht der Begriff mittlerweile sehr weit über die bauliche Barrierefreiheit hinaus.
Es geht nicht nur um die Zugänglichkeit von Gebäuden, es geht auch um die Zugänglichkeit von Dienstleistungen und Produkten. Ob das einfach zu lesende Bedienungsanleitungen sind, ob das eine Brailleschrift auf einer Verpackung eines Medikamentes ist. Es geht auch um Barrierefreiheit im Bereich von Infrastruktur und Verkehr. Wer, so wie ich, ein regelmäßiger Benützer der U3 ist, hört seit kurzem einen Hinweis über die Ausstiegsrichtung bei jeder Haltestelle. Das ist eine sehr effiziente und niederschwellige Maßnahme, die zur Unterstützung von blinden und sehbehinderten Menschen sehr wichtig ist, die ihre Orientierung im Haltestellenbereich ganz wesentlich erleichtert. Letztlich umfasst die Barrierefreiheit natürlich auch, und das ist der zentrale Ansatz Ihres heutigen Themas, Kommunikation und Information.
Mit diesem umfassenden Begriff erreicht man aber nicht nur Menschen mit Behinderung, und das ist eine zentrale These, die dahinter steht:
Aus dieser Bewegung resultiert, vor allem der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung ist das zu verdanken, dass der Begriff der Barrierefreiheit Eingang in die allgemeine gesellschaftspolitische Diskussion gefunden hat. Aber die Anwendungs- und Wirkungsmöglichkeiten reichen weit über diese Zielgruppe hinaus.
Wenn man etwa an ältere Menschen denkt, und es gibt demografische Erhebungen, die uns voraussagen, dass im Jahr 2030 etwa ein Drittel unserer Bevölkerung älter als 60 Jahre sein wird: Und wenn wir an die ganz normalen biologischen Entwicklungen denken, die etwa mit Sinneswahrnehmungen oder auch mit Motorik in Verbindung stehen oder vielleicht auch manchmal mit dem Verstehen, dann werden so Begriffe wie bauliche Barrierefreiheit, auch »easy-to-read«, all diese Begriffe plötzlich kein Minderheitenthema mehr, sondern ein zentrales strategisches Thema, das große Teile unserer Bevölkerung betrifft.
Last but not least ist die immer größer werdende Zielgruppe der Migrantinnen anzusprechen, für die gerade die aus der Bewegung der Lernbehinderten stammende easy-to-read-Philosophie eine ganz wesentliche Unterstützung bei der Integration sein könnte. Aus dieser Wirkung ergeben sich natürlich auch vielfältige Nutzungsmöglichkeiten, die in Organisationen, wenn man sich dem Thema Barrierefreiheit umfassend nähert, Anwendung finden. Einerseits einen wirtschaftlichen Nutzen, es gibt Schätzungen, dass jedes österreichisches Unternehmen oder österreichische Unternehmen an sich, mit einem strategischen Zugang zum Thema Barrierefreiheit bis zu 15 Prozent zusätzliche Kunden gewinnen könnten.
Es gibt eine rechtliche Dimension, in dem Sinn, dass eine Beschäftigung mit dem Thema Gleichstellung, eine Beschäftigung mit dem Thema Barrierefreiheit letztlich mittlerweile dazu führt, sich rechtskonform zu verhalten. Frau Staatssekretärin [Silhavy] hat bereits die für uns in der öffentlichen Verwaltung geltenden rechtlichen Bestimmungen angesprochen, aber das Bundesbehindertengleichstellungsgesetz umfasst natürlich auch die Privatwirtschaft und umfasst hier ganz weite Vollzugsbereiche, ganz weite Rechtsbereiche, wie etwa den Konsumentenschutz und alle Verbrauchergeschäfte, beziehungsweise auch den großen Teil des Zivilrechtes.
Ich möchte aber auch eine ideelle Ebene für Organisationen ansprechen: Wenn immer mehr Personen, immer mehr Menschen auch vom Gleichstellungsgedanken betroffen sind (Ältere, Migranten...) wird es auch eine Frage des Prestiges, eine Frage des Images, wie man sich als Organisation oder als Unternehmen am Markt positioniert. Immer mehr Menschen werden ihre Konsumentscheidungen, ihre Wahlentscheidungen zwischen Unternehmen auch danach ausrichten, wie aktiv die Unternehmenspolitik auf sie als Zielgruppe, auf sie als Menschen zugeht.
Insgesamt rechtfertigt das eine umfassende Beschäftigung mit dem Thema Barrierefreiheit. Ich würde das wie ein Stück einer modern gelebten Solidarität betrachten, weil es heute ja oft darum geht, ganz einfach Zugangschancen zu den grundsätzlichen Systemen und Möglichkeiten in diesem Land zu schaffen.
Gerade die Barrierefreiheit könnte aus meiner Sicht ein sehr wirksames Mittel dafür sein. Das heutige Thema ist sehr zentral einem Aspekt der Barrierefreiheit gewidmet, dem Webauftritt, dem Internet. Auch hier ist es so, dass es ein sehr wirksamer Ansatz ist. Das Web ist heute zentrales Informationsinstrument für viele Unternehmen, ist aber, und jetzt gehe ich auf unsere Rolle im Bereich der beruflichen Integration zurück, sehr oft auch ein ganz wichtiger und wesentlicher Arbeitsbehelf für Menschen mit Behinderungen.
Das Web, das Internet oder überhaupt die EDV-Technologie hat gerade in den letzten Jahren ganz deutlich die Integrationschancen für Gruppen, vor allem für sinnesbehinderte Menschen dramatisch erhöht, mit den technischen Entwicklungen, die hier am Laufen sind. Wir merken das ganz deutlich, wir haben auch vorigen Monat eine Veranstaltung zu diesem Thema gehabt, da vervielfachen sich eigentlich in kurzen Zeiträumen die Möglichkeiten, die die Technik für diese Personenkreise schafft.
Ich darf dem Verein für die heutige Veranstaltung alles Gute wünschen, vorweg gratulieren, ich halte es für außergewöhnlich, einen vollen Saal zu haben, bei gleichzeitigem Eintritt[sentgelt]. Das ist nicht üblich für eine Veranstaltung in unserem Segment! Ich halte bereits das für einen großen Erfolg des Vereines, zu diesem Thema so viele Menschen aus Organisationen herzubringen.
Ich gratuliere aber auch allen jenen, die hierher gekommen sind: Ich bin der festen Überzeugung, dass Sie mit Ihrer Teilnahme die Marktchancen Ihres Unternehmens und das Image Ihres Unternehmens verbessern.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Moderatorin: Vielen Dank, Herr Doktor Schuster. Ich kann das nur unterstreichen, es ist einfach in der heutigen Zeit nicht mehr möglich, als behinderter Mensch ohne das Internet auszukommen und dann ist es auch wichtig, dass alle Türen geöffnet sind.
(Transkription: Christine Schubert und Gerhard Wagner, www.freak-online.at)