Inhalt:
.Gleichstellung in Bildung und Wissenschaft
Bildung ist eine der wichtigsten Voraussetzungen zur Chancengleichheit und auch zur Selbstbestimmung. Diesmal wird unter anderem von einer aktuellen Studie berichtet, die neue Trends bei Studierenden mit verschiedenen Behinderungen aufzeigt. Ein zweiter Schwerpunkt sind mögliche Diskriminierungen bei Aufnahmen an Pädagogische Hochschulen, die noch immer (oder schon wieder) von körperlicher Eignung sprechen - etwas, das Minister Buchinger als »graue Diskriminierung« bezeichnet hat, die eigentlich schon längst überwunden sein sollte.
Freak-Moderatorin: Wussten Sie, dass gehörlose Kinder noch immer nach einem Sonderschullehrplan unterrichtet werden, mit dem sie medizinische Kenntnisse des Ohres lernen? Wussten Sie, dass an den Universitäten noch immer nicht alle Institute und Lehrveranstaltungen auch für Rollstuhlfahrer zugänglich sind? Wussten Sie, dass man letztes Jahr viele Begriffe, wie etwa körperliche Eignung aus den Gesetzen entfernt hat, aber dass eine Verordnung für die pädagogischen Hochschulen diesen Begriff jetzt wieder hineingenommen hat?
Um im Beruf gleichberechtigt und kompetent zu sein, ist Bildung eine ganz wichtige Voraussetzung, sowohl für Selbstbestimmung als auch für Gleichstellung. Dies gilt für alle Menschen, für jene mit Behinderungen sind die Rahmenbedingungen jedoch nicht immer ideal.
Oft hat es etwas mit Glück zu tun, dass es gerade eine barrierefreie Schule in der Umgebung gibt, oder dass die eigene Universität sich Gedanken über die Zugänglichkeit für behinderte Studierende gemacht hat. Seit ungefähr zwei Jahren gibt es jetzt bereits ein Gleichstellungsgesetz. Der Bereich der Bildung ist von diesem Gesetz nicht erfaßt.
O-Ton, Theresia Haidlmayr: Integration, vom Kindergarten bis hin zum universitären Abschluss auch im gesamten Spektrum der Weiter- und Fortbildung, muss eine Selbstverständlichkeit werden, denn wir Menschen mit Behinderungen haben die selben Rechte und die selben Chancen zu bekommen, wie sie nicht behinderte Menschen selbstverständlich auch für sich in Anspruch nehmen. Glück darf nicht die Messlatte von Integration werden, sondern Recht muss es sein.
Freak-Moderatorin: Drei Beiträge dieser Sendung befassen sich mit Gleichstellung im Bildungsbereich. Elisabeth Losbichler berichtet in ihrem Beitrag über Bildung und Ausbildung in Salzburg. Der Abschlussbeitrag beschäftigt sich mit der Situation von behinderten Studierenden an den Universitäten.
Im ersten Beitrag geht es um die Bildung von Lehrerinnen und Lehrern. Ganz aktuell wird derzeit über die beste Ausbildung diskutiert - und während diskutiert wird, gibt es eine Verordnung des Unterrichtsministeriums, die wieder von körperlich-motorischer Eignung von angehenden Lehrern spricht, oder von stimmlicher Eignung. Diese und ähnliche Begriffe wurden im Vorjahr aus allen Gesetzen entfernt, weil sie als diskriminierend angesehen wurden. Hören Sie im ersten Beitrag von Gerhard Wagner, was die Betroffenen und was Politiker von dieser Verordnung halten.
***
Franz-Josef Huainigg: Wir haben im letzten Gleichstellungspaket die körperliche Eignung aus allen Dienstrechten herausgestrichen, weil es eine Diskriminierung war und auch vielen behinderten Menschen diesen Berufszugang nicht ermöglicht oder sogar verhindert hat, zum Beispiel zur Lehrerinnenausbildung oder zur Richteranwärterschaft.
Theresia Haidlmayr: Auf der anderen Seite versucht man über die Hintertür im Verordnungsweg das wieder hinein zu bringen und das sogar erfolgreich, das heißt, dass Frauen und Männer mit Behinderungen und auch gehörlose Menschen wieder keine Chance haben, die Ausbildung zur Lehrerin oder zum Lehrer zu machen. Das ist ein Diskriminierungstatbestand und da freue ich mich jetzt schon auf die erste Klage.
Gerhard Wagner, Freak-Radio: Was die Parlamentsabgeordneten von ÖVP und Grünen, Franz-Josef Huainigg und Theresia Haidlmayr empört, ist eine »Verordnung der Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur über die Zulassungsvoraussetzungen an Pädagogischen Hochschulen«, wie sie offiziell heißt.
Im § 3 wird von »die für die Ausübung des Lehrberufes ... erforderliche Sprech- und Stimmleistungen« gesprochen.
Und an etwas späterer Stelle soll etwa auch eine Rollstuhlfahrerin, die zum Lehrberuf geeignet wäre, die im § 3 festgelegte fachliche Eignung, nämlich »die körperlich-motorische Eignung für die Bachelorstudien zur Erlangung des Lehramtes für Volksschulen und für Sonderschulen« nachweisen.
Selbst für Sozialminister Erwin Buchinger sind solche Formulierungen sehr problematisch.
Erwin Buchinger: Wenn hier quasi eine graue Diskriminierung über scheinbar wertneutrale Formulierungen erfolgt, muss man besonders sensibel sein.
Gerhard Wagner, Freak-Radio: Und Abgeordneter Huainigg war auch schon politisch aktiv.
Franz-Josef Huainigg: Ich habe eine dringliche Anfrage gemacht, warum diese Formulierung jetzt so ist und ob und bis wann sie geändert wird oder ob die Forderung zurück genommen wird.
Gerhard Wagner, Freak-Radio: Helene Jarmer, die Präsidentin des Österreichischen Gehörlosenbundes, versteht solche Gesetzesinitiativen überhaupt nicht. Sie empfindet es als mühsam, immer wieder auf die Diskriminierung hinzuweisen, und auf die vorauseilende Einschränkung behinderter Menschen durch gesetzliche Bestimmungen, als wüssten behinderte Menschen nicht selbst am besten, was für sie gut ist. Patricia Brück, die Gebärdensprachdolmetscherin, übersetzt.
Helene Jarmer: Die Leute wissen sehr genau, wo ihre Stärken und Schwächen und ihre Grenzen liegen. Ein Rollstuhlfahrer weiß genau, was er selbst kann und er würde nie auf die Idee kommen, einen Beruf anzustreben, den er nicht kann. Das Lehrpersonal, also die betroffenen Lehrer selbst wissen auch genau, was sie nicht machen können. Ein Gehörloser würde nie auf die Idee kommen, Sprechen zu unterrichten- Das kann er nicht! Das muss ein Kollege machen, der eben gut sprechen kann. Ich brauche nicht ein Papier, das mir zeigt, wo meine Grenzen sind: Die kenne ich selbst!
Gerhard Wagner, Freak-Radio: Vizedirektorin Jutta Zemanek von der Pädagogischen Hochschule Wien Grenzackerstraße verweist auf andere Bestimmungen, die für behinderte Studierende eine abweichende Prüfung auch an Pädagogischen Hochschulen garantieren sollen. Und auf die Tatsache, dass die Pädagogischen Hochschulen der Bewerbung von behinderten Studierenden, die Lehrer werden wollen, wohlwollend gegenüber stehen. Allerdings fügt sie an, dass es bisher noch gar keine Bewerbungen gegeben hat. Warum das so ist, ist für die grüne Behindertensprecherin ziemlich klar:
Theresia Haidlmayr: Warum noch nicht so viele Auszubildende an den Pädagogischen Hochschulen sind, hat damit zu tun, dass es sehr lange Diskriminierungen gegeben hat und es sehr viele Menschen noch nicht wissen und ihnen noch nicht gesagt wurde, dass jetzt eben auch Menschen mit Behinderungen, ob Sinnesbehinderung oder Körperbehinderungen, die Ausbildung zum Lehrer oder zur Lehrerin machen können.
Deshalb sind es eben noch nicht viele. Aber das heißt nicht, dass es nicht in Zukunft mehr werden. Und natürlich in der Konsequenz, wenn heute diese Lehrer und Lehrerinnen mit Behinderungen ihr Studium abgeschlossen haben und dann in den Schulen stehen oder sitzen und unterrichten in ihrer Sprache. Manchmal ist das eben dann die Gebärdensprache, dann ist das ein Fortschritt für alle Kinder und alle SchülerInnen.
Weil die Kinder dann im ganz normalen Umgang mit ihrer Lehrerin, mit ihrem Lehrer lernen, dass es auch etwas anderes gibt, dass es auch qualifizierte Menschen gibt, die ihnen was beibringen können, die ihnen etwas vermitteln können - unabhängig davon, ob sie im Rollstuhl sitzen oder nicht: Speziell für Kinder, die gehörlos sind ist eine gehörlose Lehrerin, die ihre Sprache spricht, die sie nicht als Zweisprache gelernt hat, sondern als Muttersprache, der beste Gewinn, den man sich überhaupt vorstellen kann.
Gerhard Wagner, Freak-Radio: Einen Gewinn der Schulen durch Lehrerinnen und Lehrer mit Behinderungen sieht auch Sozialminister Buchinger:
Erwin Buchinger: Dort verstärkt Lehrpersonal, das behindert ist, einzustellen, das wäre auch ein Beitrag für die Schüler und Schülerinnen, Integration einmal von der anderen Seite her zu lernen. Auch, eine Lehrkraft also eine Respektsperson als behindert zu erleben.
Gerhard Wagner, Freak-Radio: Für gehörlose, aber auch für alle anderen Kinder wäre es auf alle Fälle ein Vorteil, wenn eine Lehrerin oder ein Lehrer in Gebärdensprache unterrichten könnte und auch hörende Kinder diese Sprache lernen, in der sie sich ohne Barrieren mit ihren gehörlosen Kollegen unterhalten könnten. Helene Jarmer unterscheidet hier zwei Möglichkeiten:
Helene Jarmer: In den Gehörlosenschulen, die Spezialschulen sind, muss Gebärdensprache natürlich eine Kompetenz sein, die alle Lehrer haben. Das soll nicht eine freiwillige Zusatzausbildung sein, sondern das muss Pflicht sein. In der normalen Schule, so wie ich auch einmal in einer normalen Schule gearbeitet habe - ich hatte sozusagen gehörbehinderte und normale Kinder in der Klasse - denke ich, dass man das in Mathematik schon machen kann.
Ich habe da auch selbst unterrichtet, auch in Zeichen, ich habe auch die Schüler unterstützt, das ging schon, sozusagen als Stützkraft. Das wäre möglich mit einem hörenden Lehrer. Aber ganz alleine könnte ich Hörende nicht unterrichten.
Gerhard Wagner, Freak-Radio: Astrid Weidinger ist die erste gehörlose Lehrerin, doch sie wird nicht voll eingesetzt, obwohl es einen großen Bedarf nach gebärdenden Lehrern gibt. Denn noch immer sehen viele eher die Defizite als die Kompetenzen. Bis auf die Schülerinnen und Schüler, wie Magistra Helene Jarmer ausführt.
Helene Jarmer: Hörende Kinder sind sehr begeistert von Gebärdensprache und sind sehr motiviert dabei. Es gibt auch einen Verein, der Gebärdensprachkurse für Kinder anbietet und der ist sehr gefragt. Die Schüler lernen die Gebärden viel schneller als der Lehrer, der auch dabei ist.
Gerhard Wagner, Freak-Radio: Ein Bedarf wäre also da, ein Bedarf, der zu mehr Integration führt. Doch die Uhren in der Unterrichtsverwaltung gehen offenbar langsam. Nun gibt es aber offenbar Bewegung, weiß der ÖVP-Behindertensprecher Franz-Josef Huainigg.
Franz-Josef Huainigg: In einem Fernsehinterview für die Sendung "Hohes Haus" hat Ministerin Schmied angekündigt, dass sie einen runden Tisch einberufen wird, Behindertenorganisationen und auch Betroffene, also Schulvertreter oder Schulbehörden. Ich hoffe, dass dieser runde Tisch bald zustande kommt. Ich weiß nichts von einem Termin, ich finde es einfach sehr wichtig, dass auch behinderte Menschen Lehrer werden können, da die Integration nicht nur unter den Schülern sondern auch im Lehrkörper wichtig wäre. Das wäre auch ein neues Bild von Schule und würde auch Vorurteile in den Köpfen der Lehrer ausräumen, wenn man behinderte Kollegen hat.
***
Freak-Moderatorin: Bildung und Ausbildung in Salzburg. Elisabeth Losbichler hat sich im Bundessozialamt und an der Universität umgesehen, welche Förderungen es für Studierende gibt.
Elisabeth Losbichler, Freak-Radio: Frau Magistra Christine Steger ist seit 2004 an der Universität Salzburg als Beauftragte für behinderte und chronisch kranke Universitätsangehörige tätig. In diesem Zusammenhang ist sie damit betraut, betroffenen Studierenden beratend und unterstützend bei der Eingliederung in ihren Universitätsalltag zur Seite zu stehen.
Frau Steger kennt den Studentenalltag mit einer Mobilitätsbehinderung aus eigener Erfahrung. Sie kam nun nach ihrer Tourismusausbildung nach Salzburg, um hier an der Universität Kommunikationswissenschaft und Romanistik zu studieren. Zum Zeitpunkt ihres Studienbeginnes befand sich ihre damalige Vorgängerin gerade in Karenz, wodurch Frau Steger einerseits bei der Senatsbeauftragten für Sozial- und Behindertenfragen, sowie auch bei der Leiterin des Beratungszentrums der österreichischen Hochschülerschaft Unterstützung fand. Als sogenannten Meilenstein seit ihrem Studienbeginn bezeichnet sie die persönliche Assistenz am Arbeitsplatz...
Christine Steger: ... die es seit 2004 auch für Studierende gibt, ab Pflegestufe fünf, sechs, sieben, beziehungsweise in Ausnahmefällen auch drei und vier. Ich glaube schon, dass das eine große Veränderung in bezug auf die Möglichkeiten darstellt, an den Universitäten zu studieren mit Behinderungen. Wobei man natürlich auch da wieder einschränkend sagen muss, das betrifft halt dann wirklich nur jene Studierenden, die mindestens eine Pflegestufe drei haben. Was bei vielen Studierenden, die einen Unterstützungsbedarf haben, ja nicht der Fall ist.
Elisabeth Losbichler, Freak-Radio: Weiters ist positiv zu verzeichnen...
Christine Steger: ...dass es einfach auch mehr sichtbare Studierende mit Behinderung gibt. Was mich immer sehr freut, weil es Studierende mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen zwar immer gegeben hat, aber es kommt mir so vor, als ob sie jetzt sichtbarer und mehr Studierende an der Universität mit einer sichtbaren Behinderung würden. Das freut mich natürlich sehr.
Elisabeth Losbichler, Freak-Radio: Sie selbst hatte während des Studiums im Rahmen verschiedener Praktika und später auch als freie, fixe Mitarbeiterin einer Salzburger Wochenzeitung die Möglichkeit, journalistischer Tätigkeit nachzugehen. Auf Grundlage ihrer eigenen Erfahrungen sieht sie mehrere Faktoren, die zu berücksichtigen sind, um Chancengleichheit einerseits an den Universitäten und andererseits in der Arbeitswelt beurteilen zu können.
Christine Steger: Es ist, glaube ich, einerseits einfach eine Frage der Infrastruktur, ob man in den Redaktionen ein Plätzchen findet, um ein Praktikum zu machen. Andererseits ist natürlich die Frage des Zugangs zur universitären Ausbildung als solche. Um Zugang zu Universitäten zu haben, muss man sich erst einmal das Bildungssystem als solches anschauen.
Was natürlich ein großer Wermutstropfen in diesem Zusammenhang ist, ist dass das Bundesbehindertengleichstellungsgesetz, das seit dem 1.1.2006 in Kraft ist, Bildung gänzlich ausklammert! Das BundesBehindertenGleichstellungsGesetz ist eigentlich das Gesetz zur Gleichstellung von Männern und Frauen mit Behinderung in Österreich, aber es klammert den ganzen Bildungssektor aus, sprich Schulen, Integration in den Schulen oder inklusive Ansätze in den Schulen, Finanzierung von Gebärdendolmetschkosten et cetera, diese ganzen großen, wichtigen Themen sind im Bundesbehindertengleichstellungsgesetz nicht abgehandelt worden.
Elisabeth Losbichler, Freak-Radio: Diese Tatsache bezeichnet Frau Steger im Sinne der Chancengleichheit der Menschen mit und ohne Behinderung als großes Manko, da der Zugang zur Bildung auch gleichzeitig richtungsweisend sei, für den Zugang in die Arbeitswelt. Trotz gesetzlicher Rahmenbedingungen zur Integration sind daher betroffene Kinder und Jugendliche am Beginn ihres Bildungsweges noch sehr stark von Faktoren, beispielsweise dem Wohnort oder den baulichen Gegebenheiten einer Bildungsstätte bezüglich ihrer Ausbildungsmöglichkeit abhängig. Frau Steger ist nicht zuletzt deshalb der Meinung:
Christine Steger: Es ist noch ein weiter Weg bis zur Gleichstellung, glaube ich. Einerseits wurde viel erreicht, viel erkämpft, andererseits liegt auch noch viel vor uns. Ich denke mir, wenn ich jetzt nur an den universitären Bereich denke, wir haben in Österreich 22 Universitäten, aber nur an sechs Universitäten gibt es Anlaufstellen für Männer und Frauen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen. Nur an sechs österreichischen Universitäten gibt es einen Mann oder eine Frau, die für Menschen mit Behinderung und chronischen Erkrankungen zuständig sind, Informationen gibt, Rechte durchsetzt, Sensibilisierungsmaßnahmen ergreift. Das ist schon ein Unterschied, ob ich an einer Universität eine Anlaufstelle habe, um zu fragen, wie ich etwas machen kann, welche Rechte ich habe.
Elisabeth Losbichler, Freak-Radio: Es wäre aus ihrer Sicht wünschenswert, an allen österreichischen Universitäten die gleichen Voraussetzungen für beeinträchtigte Studierende zu schaffen, was allerdings nur im Rahmen einer Novellierung des Universitätsgesetzes möglich wäre.
Auch im Bundessozialamt Salzburg ist man sehr darum bemüht, bei ihrer Integration in den gesellschaftlichen Alltag zu unterstützen. Magister Gerhard Gruber beschreibt das Tätigkeitsfeld der Rehabilitationsabteilung des Bundessozialamtes folgendermaßen:
Gerhard Gruber: Die Kernaufgabe des Bundessozialamtes ist sicher, ins Berufsleben hineinzubegleiten, beziehungsweise Unterstützungsmaßnahmen zu ergreifen. Wenn es um das Bildungswesen im engeren Sinne geht, gibt es doch eine sehr klare Kompetenzverteilung, die in dem Fall nicht in den Bereich des Bundesministeriums für Soziales und Konsumentenschutz fällt, sondern eben entweder in Richtung Hochschule geht oder eben Richtung Wissenschaftsministerium.
Elisabeth Losbichler, Freak-Radio: Wie sehen denn die Zielsetzungen des Bundessozialamtes in Bezug auf die Projekte zur Begleitung ins Berufsleben aus?
Gerhard Gruber: Wir haben sehr klare Zielsetzungen, wir werden ja auch kontrolliert, es wird ja unsere Arbeit auch gemessen, wenn man das so sagen will. Die klar formulierte Zielsetzung ist ein sozialversicherungspflichtiges Dienstverhältnis. Das ist im Regelfall so. Was auch gefördert werden kann, ist freiberufliche Tätigkeit beziehungsweise Selbstständigkeit, das ist zahlenmäßig eher ein marginales Kriterium. Die Regel sollte ein Sozialversicherungsdienstverhältnis in einer selbsterhaltungsfähigen Dimension sein, sprich: wirklich ein eigenständiges Leben führen zu können.
Elisabeth Losbichler: Maßnahmen zur Unterstützung von Betroffenen bei ihrem Weg in die Arbeitswelt können sehr unterschiedlich sein. Beispielsweise gibt es die Möglichkeit, Arbeitsassistenz in Anspruch zu nehmen. Es gibt auch Qualifizierungsprojekte, welche einerseits auf die Formen der Behinderung abgestimmt sind und wo andererseits auf die Personengruppe eingegangen wird. In Zukunft soll auch die Gender-Thematik im Rahmen der Projekte ihren Platz finden. Wie läuft denn die Organisation dieser Projekte ab und wie sieht es dabei mit der Qualifizierung aus?
Gerhard Gruber: Grundsätzlich zur Organisation von Projekten: Projekte werden eingerichtet, Projekte haben in der Regel einen laufenden Zu- und Abgang. Wenn das Ziel, das ich mit einem Projekt verbinde, dass jemand einen Job behalten hat, erreicht ist, wird der Platz nachbesetzt. Im Projekt gibt es in der Regel eine bestimmte Anzahl von Qualifizierungsplätzen, die werden auch nachbesetzt. Das heißt, die Projekte laufen im Regelfall durch. Wenn es jetzt um die Inhalte geht, wird es vielleicht bereits für sie interessant. Zum Thema Qualifizierung: Es geht der Trend sehr stark in die Richtung Qualifizierung, die ich nicht unbedingt am Arbeitsplatz mache (externe Schulungen), auf ein Mindestmaß zu reduzieren und mehr Training on the Job zu machen. Das sind Ergebnisse aus den Erfahrungen der letzten Jahre, wie Projekte besser angelegt werden können, ausgeformt werden können zu der ursprünglichen Konzeption.
Elisabeth Losbichler: Für die Zukunft ist neben der Forcierung der Genderproblematik geplant, ein Unternehmensservice einzurichten und bei Unternehmen, die Menschen mit Behinderungen einstellen können, durch Information die Unsicherheit bezüglich der Einstellung zu reduzieren. Magister Gerhard Gruber fände es auch wichtig, dass für die Betroffenen, welche auch schon in der Arbeitswelt integriert sind, die Möglichkeit der Weiterqualifizierung gegeben sein sollte. Zur Zeit ist dies aber fördertechnisch leider nicht möglich.
***
Freak-Moderatorin: Gleichstellung an den Universitäten in Österreich: Welche Hürden gibt es? Ist Gleichstellung schon überall verwirklicht? Gibt es Chancengleichheit? Und warum umfasst das Gleichstellungsgesetz nicht auch die Universitäten? Gerhard Wagner und ich sind dieser Frage nachgegangen. :Gerhard Wagner, Freak-Radio: Eine aktuelle Studie zur Sozialen Lage gesundheitlich beeinträchtigter Studierender wurde 2006 unter anderem von Angelika Wroblewski, Martin Unger (siehe Bild) und Roswitha Schilder erhoben. Die Autoren haben diese Untersuchung 2007 veröffentlicht. Diese Studie ist online auf der Homepage des Wissenschaftsministeriums www.bmbwk.gv.at kostenlos erhältlich.
Das große Verdienst dieser Studie ist, dass hier viele Statements von behinderten Studierenden gesammelt und systematisiert worden sind. Durch diese Aussagen, die von statistischen Untersuchungen ergänzt werden, ergibt sich ein sehr deutliches Bild von der Situation der behinderten Studierenden an den österreichschen Universitäten. Ein Beispiel:
Sprecherin, Zitat aus der Studie: Ich muss darauf achten, dass sich die Lehrveranstaltungen nicht überschneiden, weil ich nicht wie jeder andere Studierende schnell, schnell, wenn die eine aus ist und die andere anfängt, in den nächsten Hörsaal hüpfen kann, der am anderen Ende des Gebäudes ist.
Sondern ich muss einmal eine Viertelstunden Zeit einkalkulieren, weil ich den Laptop auspacken muss, ihn mit der Braillezeile verkabeln muss, ich muss alles mit der Steckdose verkabeln, ich muss erst einmal eine Steckdose finden, dann muss ich vielleicht denjenigen, der bei der Steckdose sitzt, von der Steckdose vertreiben. Das sind hauptsächlich solche Geschichten.
Gerhard Wagner, Freak-Radio: Eine weitere Stärke der Studie: Sie liefert Informationen über Behinderungen an der Universität, von denen bisher kaum gesprochen wird. So gibt es immer wieder Komplikationen beim Studieren oder Verzögerungen auch bei Allergien, chronischen Krankheiten und vor allem auch bei psychischen Behinderungen.
Eine weitere Überraschung ist die Tatsache, dass drei Kunstuniversitäten die höchste Anzahl von behinderten Studierenden haben - und davon gar nichts wissen! Dementsprechend haben dort behinderte Studierende die meisten Probleme mit rücksichtslosen Lehrenden und Kollegen - während an den anderen Universitäten bauliche und organisatorische Probleme oder Prüfungen Schwierigkeiten machen.
Während Studierende mit Chronischen Krankheiten vor allem mit Unterbrechungen des Studiums und der Studienorganisation Probleme haben, ist etwa der Prüfungsmodus für Sinnes- und Bewegungsbehinderte Studierende noch eine große Hürde. Sie haben Schwierigkeiten mit dem Zugang zu Informationen, ebenso mit der langwierigen Abwicklung von Förderungen oder mit dem mangelnden Serviceangebot.
Sprecherin, Zitat aus der Studie: Ich habe von keiner Seite, also von keinem Amt wirklich konkrete Informationen bekommen. Das heißt, es ist schon klar, dass ich das eine oder andere recherchieren hätte müssen, nur das Problem war, ich wusste nicht einmal, wo ich das tun kann.
Gerhard Wagner, Freak-Radio: An vielen Universitäten gibt es keine Vertretung für behinderte Studierende. Dort, wo es sie gibt, ist es schwierig für sie, ihre Zielgruppe zu finden und umgekehrt. Barrierefreie Informationen im Internet wären für viele der Studierenden, vor allem der sehbehinderten und gehörlosen Studierenden eine große Unterstützung. Auch baulich haben die Universitäten noch einen Nachholbedarf.
Ein anderes Kriterium ist, dass sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln zugänglich sind. Es gibt auch die Möglichkeit von Fahrtendiensten, doch diese pressen durch ihre fixen Fahrzeiten die Studierenden in ein sehr enges Korsett, wie aus einem anderen Statement hervorgeht.
Sprecherin, Zitat aus der Studie: Einzelgänger im Studium haben es schwerer zu studieren. Leute, die sich zusammensetzen, um zu lernen, haben es auf alle Fälle leichter. Das ist natürlich ein wenig eingeschränkt, weil ich vorher nicht wissen kann, was sich während einer Lehrveranstaltung ergibt und ob sich danach noch treffen will und vielleicht noch ein Beispiel durchrechnet. Aber dann muss ich dann zum Fahrtendienst, um nachhause gebracht zu werden.«
Gerhard Wagner, Freak-Radio: Die meisten Studierenden mit Behinderung müssen mehr Zeit aufwenden als nicht behinderte Studierende: Hörbehinderte Studierende müssen sich eine Mitschrift organisieren, bewegungsbehinderte Studierende brauchen nicht nur länger für Wege, sie müssen auch Umwege wegen Barrieren machen. Und die Studie zitiert blinde Studenten, der ihre Probleme schildern.
Viele der Studierenden mit Behinderungen hatten daher mit dem Stipendium und mir ihrer Studiendauer Schwierigkeiten. Das wurde nun im Herbst 2007 vom Wissenschaftsministerium verbessert. Stipendien können für behinderte Studierende nun bis 35 Jahre, statt bisher 30 bezogen werden. Ein erhöhter Zuschlag von 160 bis 420 Euro zusätzlich zur Studienförderung ist vorgesehen. Zudem wird ein zusätzliches Toleranzsemester für behinderte Studierende vorgesehen.
Interessant sind auch die Gesundheitsausgaben: Wiewohl erwartbar wäre, dass diese immer höher sind als der Durchschnitt, das sind 21 Euro im Monat, gibt es bei seh-, sprech- und hörbehinderten Menschen nur Ausgaben von 15 Euro.
Dementsprechend ist es auch nicht verwunderlich, dass sich exemplarisch eine gehörlose Studierende beschwert, immer als krank angesprochen zu werden und von Behinderten und Gesunden gesprochen wird. Krank sei sie auch gelegentlich, wenn sie verkühlt sei. Aber sonst fühle sie sich gesund. Was die Statistik offenbar bestätigt.
Mit der technische Ausstattung der Universitäten ist nur jede und jeder zweite behinderte Studierende zufrieden: Computer, Hörsäle und Labors haben oft keine barrierefreie technische Unterstützung. Mit den Bibliotheken sind zwei Drittel der behinderten Studierenden zufrieden, hier gibt es Probleme mit unbedachten Kollegen ohne Behinderung, wie eine Mitarbeiterin eines Blindenleseplatzes schildert:
Ursula Hermann: Wenn ich jetzt ein Buch innerhalb von einer Woche machen muss, weil es jemand dringend braucht und das Buch auf 200 Seiten unterstrichen ist, dann passiert es, dass der Scanner das nicht aufnehmen kann; Denn er macht dann nur Striche und irgendwelche unmöglichen Wörter. Ich müsste dann eigentlich alles nachschreiben. Dann habe ich es schon so gemacht, dass ich einen Radierer genommen habe, weil das Buch nur mit Bleistift unterstrichen war - und habe alles ausradiert. Ich habe eine halbe Stunde gebraucht, bis ich das ausradiert habe.
Gerhard Wagner, Freak-Radio: Studierende mit psychischen Behinderungen brauchen viel länger, mit dem Studium, als sie geplant haben und haben auch größere Probleme in der Kommunikation mit Lehrenden und Kolleginnen. So sind sie auch mit den didaktischen Fähigkeiten ihrer Lehrenden eher unzufrieden. Auch mündliche Prüfungen sind für sie eine größere Hürde, weil sie Ängste auslösen, die die Studierenden behindern.
Welch wichtige Funktion die Kommunikation für Studierende mit Behinderungen hat, beschreibt auch das Statement einer blinden Kollegin:
Sprecherin, Zitat aus der Studie: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es für Lehrende, die mit blinden Studierenden zu tun haben ganz wichtig ist, dass die dich wirklich sehen, sie verlieren dann die Scheu«.
Gerhard Wagner, Freak-Radio: Ähnlich beschreibt es auch ein gehörloser Student:
Sprecherin, Zitat aus der Studie: Ich denke, das Hauptproblem ist sicher, dass die Leute nicht wissen, wie man mit einem Gehörlosen umgeht, wie man mit ihm kommuniziert und umgekehrt, geht es mir gleich, da geht es beiden Seiten gleich, dass man da einfach unsicher ist.«
Gerhard Wagner, Freak-Radio: Gehörlose Studierenden haben Schwierigkeiten, zu den Informationen zu kommen, die sie brauchen. Doch es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, die das erleichtern könnten, beschreibt die Präsidentin des Gehörlosenbunds Magistra Helene Jarmer. Sie hören wieder die Gebärdensprachdolmetscherin Patricia Brück.
Helene Jarmer: Jeder Student soll selber entscheiden können, was er braucht, um das Studienziel zu erreichen. Eine Person sagt, mir reicht ein Dolmetscher, eine Dolmetscherin und ich schreibe selbst mit. Ein Schwerhöriger braucht vielleicht eine Mitschreibkraft, damit er selbst mitlesen kann, was der mitschreibt.
Oder eine andere Person möchte lieber einen Tutor haben oder jemanden, der gebärdensprachkompetent ist, der mitschreibt und ihm dann in Gebärdensprache erklärt, was die Inhalte sind. Es sollte einfach ein breites Angebot sein, aus dem jeder das herauspicken kann, was er braucht. Das heißt, die akustische Sinnbehinderung ist vor allem eine Kommunikationsbarriere, und daher brauchen wir Kommunikationsunterstützung.
Gerhard Wagner, Freak-Radio: Dass es seit einigen Jahren finanzielle Unterstützung für Gebärdensprachdolmetscher und Tutoren gibt, war ein großer Fortschritt. Der hat auch dazu geführt, dass sich jetzt gehörlose Studierende ein Studium zutrauen. Aus der Untersuchung des Wissenschaftsministeriums geht das deutlich hervor. Auch wenn es noch immer nur unter fünfzig gehörlose Studierende gibt, so steigt die Zahl. Allerdings sind die Rahmenbedingungen noch immer nicht optimal: Nur monatlich 120 Euro, das bedeutet: Für nur eine Vorlesung pro Semester steht Geld für Gebärdendolmetsch zur Verfügung, führt Helene Jarmer aus.
Man brauche aber 12 bis 15 Stunden. Und Mitschreib-Tutoren oder Unterstützung für Orientierung gibt es nicht. Nun wurden Verhandlungen mit Wissenschaftsminister Hahn aufgenommen, bei denen die Betroffenen noch Verbesserungen angemeldet haben, und Helene Jarmer unterstützt die Studierenden dabei:
Helene Jarmer: Einige Punkte sind zum Beispiel: dass es ein Einführungsseminar geben soll, eine Bibliotheksführung... Das kann auch von gehörlosen Studenten selbst gemacht werden. Also dass sozusagen eine Peer-to-Peer, Betroffenen-zu-Betroffenen Beratung kommt, Peer-Councelling sozusagen. Wenn Beschwerden oder Probleme da sind, sollte es eine Stelle geben. Die Gehörlosen sollten außerdem die Möglichkeit haben, ihre Prüfungen auch mündlich abzuhalten - in Gebärdensprache. Das steht zwar an sich schon im Universitätsgesetz so geschrieben, aber sehr viele Professoren lehnen das ab, sie sind einfach zu wenig sensibilisiert dafür.
Gerhard Wagner, Freak-Radio: Noch immer fehlt ein Bildungskapitel im Behindertengleichstellungsgesetz. Im Wissenschaftsministerium gab es zwar 2007 wieder einige Fortschritte, aber das ist für die Studierenden zu wenig, meint die Abgeordnete der Grünen, Theresia Haidlmayr. Das Faktum, dass es durch die Autonomie der Universitäten sehr unterschiedliche Bedingungen für behinderte Studierende gibt und viele der Hochschulen nicht einmal eine Kontaktperson, also einen Behindertenbeauftragten haben, sieht sie als eindeutige Diskriminierung:
Theresia Haidlmayr: Wenn ich heute irgend jemanden in die Autonomie entlasse und ihm dafür auch staatliche Gelder zu Verfügung stelle, was selbstverständlich ist, habe ich als Bund die Möglichkeit, sogar die Pflicht auch entsprechende Rahmenbedingungen festzuschreiben, die es trotzdem geben muss. Dazu gehört auch der Behindertenbeauftragte, auch hier geht es um Rechte und so wie nicht-behinderte Studierende ihre Vertretung haben, müssen sie eben im Sinne der Gleichstellung, im Sinne der Chancengleichheit auch für Menschen mit Behinderungen gelten.
Ich würde mir wünschen, das wäre gleichzeitig auch ein Aufruf, dass Studierende, die an ihren Universitäten keine Behindertenbeauftragte vorfinden, einfach ein Schlichtungsverfahren mit ihrer Universität anstreben, damit sie dieses wichtige Instrument bekommen. Ich glaube, das wäre der erste Schritt, denn dann sehen wir gleich, was geht und was nicht geht.
***
Freak-Moderatorin: Gleichstellung in Bildung und Wissenschaft. Von Elisabeth Losbichler, Christina Paul und Gerhard Wagner. Moderation Christina Paul.
Sprecherin: Sie hörten eine Sendung der Schwerpunktreihe: »Selbstbestimmt mit allen Sinnen - ...
Sprecher: ...Wege zur Gleichstellung. Wege ohne Diskriminierung« ...
Sprecherin: ...die vom Bundessozialamt aus Mitteln der Beschäftigungsoffensive der österreichischen Bundesregierung gefördert wird.