Seitenanfang:

Link zum InhaltLink zum MenüLink zur Suche

Inhalt:

Rubrik: Lesen statt Hören
29. April 2007

Im Namen des Gesetzes

von Gerda Ressl, Christoph Dirnbacher

Im Jänner 2006 in Kraft ist nach jahrelangem Tauziehen schließlich ein bundesweites Gleichstellungsgesetz in Kraft getreten. Neben dem Gesetz haben auch viele andere Gesetzesmaterien großen Einfuß auf das Leben von Menschen mit Behinderungen. So ist beispielsweise das Behinderteneinstellungsgesetz wichtig, wenn es um Arbeit und Beschäftigung geht. Die folgende Sendung beleuchtet und erklärt einige dieser Bestimmungen.

Freak-Moderatorin: Guten guten Abend liebe Hörerinnen und Hörer. Unsere heutige Sendung zum Thema Gleichstellung trägt den Titel "Im Namen des Gesetzes"

Freak-Moderator: Viel war in den letzten Monaten über das 2006 in Kraft getretene Bundesbehindertengleichstellungsgesetz zu hören. Einige sind nach wie vor der Auffassung, dass dieses Gesetz nur wenige konkrete Verbesserungen für die Lebenssituation von Menschen mit Behinderung gebracht hat. In der öffentlichen Diskussion wird oft ausgeblendet, dass neben dem Gleichstellungsgesetz auch andere Gesetzesmaterien das Leben von Menschen mit Behinderungen erheblich beeinflussen.

Ein Beispiel dafür ist das Behinderteneinstellungsgesetz. Ziel dieses Gesetzes ist die berufliche Integration von Menschen mit Behinderungen. Der Gleichstellungsexperte Herbert Pichler auf die Frage inwiefern das Behinderteneinstellungsgesetz das Arbeitsleben von Betroffenen beeinflussen kann:

Herbert Pichler: Sobald sie eine Berufstätigkeit aufgenommen haben, hilft ihnen das Gesetz relativ wenig. Das Behinderteneinstellungsgesetz beeinflusst die Sache natürlich vor Jobaufnahme, weil die Angst vor dem erhöhten Kündigungsschutz dazu führt, dass man eher nicht geneigt ist, Menschen mit Behinderungen gleichwertig oder sogar bevorzugt zu beschäftigen. Sobald man die Tätigkeit aufgenommen hat, wird das Behinderteneinstellungsgesetz weniger wichtig, außer dann natürlich, wenn es wieder um eine Kündigung geht.

Was aber jetzt Unternehmen sehr stark mit beeinflusst, ist auch das neue Bundesbehindertengleichstellungsgesetz und die Änderungen im BEinstG, die in den §§ 7a bis 7r durchgeführt wurden. Genau genommen wurde das BEinst ergänzt, was die Antidiskriminierung oder die Gleichstellung betrifft. Ich stelle fest, dass sich die Firmen seither vor allem in Hinblick auf bauliche Barrieren und Adaptierungsmaßnahmen sehr große Gedanken machen.

Freak-Moderator: Herbert Pichler arbeitet für die Sozialpartnerinitiative "Chancen nutzen". An diesem, ursprünglich vom österreichischen Gewerkschaftsbund initiierten, Projekt beteiligen sich mittlerweile auch Arbeitsmarktservice, Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung. Das Angebot des "Chancen nutzen"-Teams reicht von Information bis hin zu Sensibilisierung.

Herbert Pichler: Wir haben die Aufgabe mehr Menschen mit Behinderungen, chronischen, psychischen Erkrankungen in die Arbeitswelt zu integrieren, beziehungsweise in Beschäftigung zu halten. Das machen wir durch drei unterschiedlichste Methoden. Ein Bereich sind individuelle Firmenberatungen, die wir gemeinsam mit MitarbeiterInnen aus Integrationsfachdiensten durchführen. Da beraten wir zum Beispiel Betriebsräte, BetriebsrätInnen und versuchen so weiter in die Firmen hinein kommen, in Richtung Personalabteilungen beziehungsweise zu den GeschäftsführerInnen. Da haben wir in den letzten vier Jahren, über achthundert Betriebe unmittelbar beraten. In einer Dauer von einer bis zu vier Stunden und haben dann auch tiefer gehende Seminare oder Workshops oder Vorträge abgehalten.

Unsere Beratungsgespräche beinhalten mehrere Bereiche. Der eine ist das Grundsensibilisieren, weil wir merken, das Hauptproblem, warum Firmen nicht bereit sind, Menschen mit Behinderungen, chronischen oder psychischen Erkrankungen zu beschäftigen, ist, weil sie zu wenig wissen.

Freak-Moderator: Das einzige, was den meisten Firmenchefs zum Thema Behinderung spontan einfällt sei der erhöhte Kündigungsschutz meint Herbert Pichler. Dieser Schutz ist im § 8 Behinderteneinstellungsgesetz verankert. Er gilt jedoch nur für sogenannte "begünstigte Behinderte".

Begünstigen lassen kann sich wer im erwerbsfähigen Alter ist und einen Grad der Behinderung von mindestens 50 Prozent aufweist. Der Grad der Behinderung wird durch ein medizinisches Gutachten festgestellt, er hat jedoch nichts mit der tatsächlichen Leistungsfähigkeit zu tun.

Begünstigte Behinderte können nur mit Zustimmung des beim Bundessozialamt angesiedelten Behindertenausschusses gekündigt werden. In diesem Ausschuss sitzt neben einem Mitarbeiter des Bundessozialamtes auch je ein Vertreter des Arbeitsmarktservices sowie der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite. Außerdem sind auch Vertreter von Behindertenorganisationen Teil des Gremiums und entscheiden so mit.

Laut Behinderteneinstellungsgesetz ist jedes Unternehmen verpflichtet, pro 25 Dienstnehmer einen begünstigten Behinderten zu beschäftigen. Geschieht dies nicht, so wird die sogenannte Ausgleichstaxe fällig. Diese gilt für jede nicht besetzte Stelle und liegt derzeit bei zweihundertneun Euro. Was sich nach wenig anhört, ist für viele Unternehmen durchaus ein nicht zu vernachlässigender finanzieller Aufwand, zumal viele Unternehmen die Beschäftigungspflicht nicht erfüllen, sagt Pichler.

Herbert Pichler: Im Allgemeinen kann ich sagen, dass der überwiegende Teil der Firmen mit denen wir gesprochen haben, die Einstellungsquote nur zu einem marginalen Teil erfüllen. Des Öfteren werden auch sehr hohe Ausgleichstaxzahlungen geleistet.

Das ist eine spannende Geschichte: Die Firmen nehmen oft nicht wahr, wieviel sie tatsächlich zahlen. Obwohl es Firmen gibt, die im Jahr zwischen 30.000 und 76.000 Euro Ausgleichstaxe zahlen, nehmen die oft nicht wirklich wahr, welche horrenden Summen das sind und dass man dafür eine Menge Menschen mit Behinderungen beschäftigen könnte. Oft werden sie erst durch das Gespräch mit uns darauf aufmerksam, wie hoch die Summe, die sie an Ausgleichstaxen zahlen müssen, eigentlich ist.

Freak-Moderator: Das überarbeitete Behinderteneinstellungsgesetz sieht vor, dass jemand, der sich diskriminiert fühlt, nach einer erfolglosen Schlichtung auf Schadenersatz klagen kann. Im Gesetzestext ist genau definiert, was der Gesetzgeber unter dem Begriff Diskriminierung versteht.

Freak-Moderator: Behinderteneinstellungsgesetz, Paragraph sieben c, Diskriminierung: "Erstens: Eine unmittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn eine Person aufgrund einer Behinderung in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.

Zweitens: Eine mittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sowie Merkmale gestalteter Lebensbereiche Menschen mit Behinderungen gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sowie Merkmale gestalteter Lebensbereiche sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich."

Freak-Moderator: Dies gilt beispielsweise dann, wenn die Bewerbung eines blinden Stellenbewerbers nicht berücksichtigt wird, obwohl er fachlich qualifiziert wäre. Fühlt sich der Bewerber dadurch gekränkt oder diskriminiert, so kann er beim zuständigen Arbeits- und Sozialgericht eine Klage gemäß § 7e Absatz 1 Ziffer 2 Behinderteneinstellungsgesetz einbringen. Der ihm zustehende Schadenersatz beträgt maximal fünfhundert Euro. Auch wenn das für manche ein Trostpflaster sein mag, Herbert Pichler sieht diese Bestimmung eher kritisch:

Herbert Pichler: Meine persönliche Zugangsweise ist: So lange man die Diskriminierung nicht beseitigen muss, ist der Schadenersatz ? zumal er meist nicht besonders hoch ist ? nicht das Nonplusultra. Es hätte natürlich dann einen Sinn, wenn man die Diskriminierung beseitigen müsste.

Ich glaube aber trotzdem, dass der Schadenersatz vielleicht doch wirkt, weil man ihn ja nicht zwei Mal zahlen möchte. Ich merke mir, wenn ich in eine Radarfalle gefahren bin und passe natürlich an der bestimmten Stelle besonders auf, das ich nicht gleich wieder in die nächste fahre. Obwohl es nicht um horrende Summen geht, fahre ich sicher eine gewisse Zeit lang langsamer. Von diesem eigenen Verhalten schließe ich auch auf das Verhalten der Firmen: wenn sie schon einmal feststellen, dass sie dafür Schadenersatz zahlen müssen, dann werden sie die Diskriminierung vielleicht auch beseitigen, wenn es möglich ist.

Freak-Moderator: Von gerichtlichen Auseinandersetzungen oder gar halböffentlichen Schlammschlachten hält er nichts. Pichler wirbt stattdessen für friedlichere Lösungen.

Herbert Pichler: Ich bin kein Freund von Klagen. Klagen haben manchmal wahrscheinlich den Vorteil, dass man Klarheit hat, wie in ähnlichen Fällen entschieden wird. Davon kann man in der Regel ausgehen, wenn etwas einmal vor Gericht durchgefochten wurde. Aber es raubt die Substanz aller Beteiligten und schafft natürlich neue Vorbehalte, wenn man einmal vor Gericht gehen muss.

Deswegen setze ich sehr stark auf die Schlichtung. Worauf ich auch stark setze, ist die Mediation. Daher versuchen wir auch im Rahmen unseres Projektes in Firmen die Mediation zu erklären. Das wird auch in Zukunft ein Hauptberatungsbestandteil sein, dass wir das Instrument der Mediation noch ein bisschen genauer erklären. Bei den Seminaren machen wir das, weil wir da die Zeit dafür haben, aber wir möchten das auch bei den Firmenberatungen verstärkt einbauen.

Die Meditation ist sicherlich ein Instrument, das stark unterstützend wirken kann, einerseits, damit das Gesetz umgesetzt werden kann und andererseits damit niemand sein Gesicht verlieren muss.

Freak-Moderator: Trotz aller guten Absichten hapert es bei der Neubeschäftigung noch ein wenig, wie die Arbeitslosenzahlen zeigen.

Herbert Pichler: Durch den wirtschaftlichen Aufschwung ist die Arbeitslosigkeit von nichtbehinderten Menschen stärker gesunken ist, als die Arbeitslosigkeit von behinderten Menschen. Da zeigt sich, dass ein wirtschaftlicher Aufschwung nicht automatisch bedeutet, dass man auch mehr Menschen mit Behinderungen beschäftigt, es sei man setzt auch auf Sonderprogramme. Das kann in Form von Förderungen oder in Form von anderen Maßnahmen geschehen.

Es ist ohnehin bekannt, dass seit der Einführung der Behindertenmilliarde die Arbeitslosigkeit von behinderten Menschen nicht genau im selben Ausmaß gestiegen ist, wie die von nichtbehinderten Menschen. Weil es eben eine Sonderaktion oder Sondermaßnahme gegeben hat, die zweifelsohne gegriffen hat. Ich kann auch von mir behaupten, dass ich wahrscheinlich nicht diesen Job hätte oder vielleicht überhaupt keinen Job.

Ich wäre weiterhin ehrenamtlich für den einen oder anderen Verein tätig, auch oft bis zu vierzig Stunden, aber eben ehrenamtlich und nicht bezahlt und würde so mein Know-How und meine Fähigkeiten zur Verfügung stellen. So ist es ja vielen behinderten Menschen gegangen vor Einführung der Behindertenmilliarde, die ja keine Milliarde ist, schon gar nicht in Euro. Man gebraucht nur immer noch diesen Ausdruck.

Freak-Moderator: Die europäische Union setzt eben solche Maßnahmen. So waren es nicht zuletzt die Vorgaben aus Brüssel, die zum österreichischen Behindertengleichstellungsgesetz führten. Das Jahr 2007 wurde zum europäischen Jahr der Chancengleichheit erklärt. Zahlreiche Initiativen und Projekte sollen dazu beitragen, dass jene, die sich diskriminiert fühlen, zu ihrem Recht gelangen. Recht haben und Recht bekommen ist bekanntlich nicht dasselbe. Auch wenn solche Schwerpunktjahre zweifelsohne sinnvoll sind, gibt es kritische Stimmen. Thomas Weissenbacher von Vienna People First, einer Selbstvertretungsorganisation von Menschen mit Lernschwierigkeiten, zum Begriff Chancengleichheit:

Thomas Weissenbacher: Chancengleichheit gäbe es dann, wenn Menschen mit Lernbehinderungen überall, wo es notwendig ist, Kurse machen können. Viele Leute haben das Geld nicht dazu, wo sie einfach gefördert werden würden. Dann würde ich sagen: "OK, hier gibt es diese Chancengleichheit." Teilweise wird das ja gemacht, aber vielerorts lässt das noch sehr zu wünschen übrig.

Freak-Moderator: Das Behindertengleichstellungsgesetz soll dazu beitragen, dass Menschen mit Behinderungen dieselben Chancen haben, wie alle anderen und ihre Lebensqualität dadurch verbessert wird. Im Juli 2007 tritt ein weiteres Gesetz in Kraft, das darauf abzielt, die Lebensqualität von Menschen mit Behinderungen und ihren Familien zu verbessern: das Sachwalterschaftsänderungsgesetz.

Einen Sachwalter bekommt, wer beispielsweise auf Grund einer geistigen oder psychischen Erkrankung beziehungsweise Behinderung nicht dazu in der Lage ist, Geschäfte ohne Nachteil für sich selbst zu regeln. Bislang kam es dazu, dass einzelne Notare weit über hundert Sachwalterschaften innehatten und manche Personen ihren Sachwalter gar nicht erst zu Gesicht bekamen.

Freak-Moderatorin: War es früher beinahe unmöglich einen Sachwalter loszuwerden, haben jetzt auch Familien mit Menschen mit schweren Behinderungen und diese selbst das Recht gehört zu werden und die Möglichkeit, den Sachwalter ihres Vertrauens zu bekommen.

Freak-Moderator: Rosi, eine junge Mutter mit Lernschwierigkeiten, hat das geschafft. Der zuständige Pflegschaftsrichter gab ihr die Chance, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.

Rosi: Wenn ich es gewusst hätte, hätte ich weiterhin meine Mutter als Sachwalterin behalten. Ich habe dann einen Freund kennen gelernt, der wollte mehr Geld und da wollte er mein Sachwalter werden. Dazu hat der Richter zum Glück nein gesagt, da kommt einfach ein anderer und das war auch ein Fehler. Ich habe dann nicht mehr so viel Geld bekommen.

Freak-Moderator: Der neue Sachwalter war nicht sehr spendabel: selbst notwendige Ausgaben waren ohne Zustimmung des Sachwalters plötzlich nicht mehr möglich.

Rosi: Zu Assistentinnen war er nicht gerade freundlich und wenn ich Geld für Gewand gebraucht hätte, hat er gesagt: "Nein, das musst du von deinem Kostgeld zahlen." Aber man braucht doch Schuhe, Gewand, Dinge für das Kind. Da hat er immer gesagt: "Nein, das müssen Sie von Ihrem Kostgeld zahlen." Oder wenn ich etwas anderes gebraucht hätte, wie etwa einen Fernseher: "Das ist alles ein Luxus. Das braucht man nicht."

Dann bin ich zum Gericht hingegangen und habe gesagt, dass ich das auch alleine machen kann, weil der Sachwalter mir das ja alles nicht gelernt hat. Dazu brauche ich ja auch keinen Sachwalter, wenn er mir das nicht beibringt, dass ich dann einmal keinen mehr brauche; da bin ich dann zum Gericht gegangen. Vorher hat es geheißen, dass ich zu einem Psychologen gehen soll und der war wieder auf der Seite von diesem Sachwalter, der hat gemeint, dass ich weiterhin einen Sachwalter brauche. Zum Glück hat der Herr Richter gesagt, dass er mir eine Chance gibt, er schaut einmal, ob ich das schaffe. Da habe ich zum Glück jemanden kennengelernt, das hat mir dabei auch geholfen, dass wir das geschafft haben und ich schaffe das jetzt alles ganz alleine. Ich komme sehr gut aus.

Freak-Moderator: Seit zwei Jahren lebt Rosi nun ohne Sachwalter. Sie hat sich mehrere Ordner angelegt, in denen sie alle wichtigen Rechnungen und Belege sammelt. Trotz ihrer Behinderung ist Rosi Mutter eines Sohnes, den sie weitgehend selbst versorgt. Das zuständige Jugendamt wollte dennoch sicher gehen, dass mit dem Kleinen alles in Ordnung ist.

Rosi: Da ich einen Sachwalter gehabt habe, hatten die Leute vom Jugendamt die Obsorge für meinen Sohn. Die sagten, dass das Kind aufgrund meiner Behinderung auch etwas haben könnte und ich muss dorthin gehen damit sie schauen, ob er auch etwas hat. Die wollen einfach prüfen, ob Mütter mit Behinderungen überhaupt mit einem Kind zurecht kommen.

Freak-Moderator: Rosis Mutter freut sich für ihre Tochter. Der Weg zu mehr Selbstständigkeit hat sich gelohnt, auch wenn er nicht leicht war.

Rosis Mutter: Dieser Psychologe hat sie ja nur ungefähr eine Viertelstunde lang angeschaut. Da kann er ja gar nicht feststellen, wie sie im Leben wirklich ist. Ich bin sehr zufrieden, dass sie aufgewacht ist.

Freak-Moderator: Für jene, die nicht so eigenständig wie Rosi sind, gibt das Gesetz klare Vorgaben, wer als Sachwalter fungieren soll. Zunächst sind, wenn möglich, nahe Angehörige oder Freunde als Sachwalter zu bestellen. Das sei in der Praxis jedoch nicht immer durchführbar, meint Michael Stormann, Experte für Sachwalterschaft im Justizministerium:

Michael Stormann: Bei alten Menschen, besonders alte Frauen sind da gefährdet, ist bereits ein derartiger Grad an Vereinsamung gegeben, dass nahe Angehörige schwer gefunden werden können.

Freak-Moderator: Stormann ist der Meinung, dass es in Österreich viele Sachwalterschaften gibt und bringt ein drastisches Beispiel:

Michael Stormann: Man muss sich vorstellen, dass wir ja eine sehr, sehr große Zahl von Menschen überhaupt unter Sachwalterschaft haben. Die Zählungen gehen etwa bis 50.000, die Bürger der Stadt Sankt Pölten ? damit man sich diese Menge vor das geistige Auge holt ? vom Baby bis zum Greis im Altersheim stehen alle unter Sachwalterschaft. Dann hat man ungefähr ein Bild, wie Sachwalterschaft in Österreich mengenmäßig aussieht.

Freak-Moderator: Stormann versteht durchaus, dass Betroffene sich über ihre Sachwalter beschweren, weil sie zu wenig Geld bekommen. Der Experte gibt aber zu bedenken:

Michael Stormann: Man muss sich schon vor Augen halten, dass der Staat dafür haftbar ist, wenn ein Sachwalter nicht bestellt wird. Man muss sich auch im Klaren sein, dass der Staat dafür haftbar gemacht wird, wenn ein Sachwalter vom Gericht in der Frage der Sicherung des Vermögens zu wenig beaufsichtigt wird. Ich sage ihnen jetzt eines der Extrembeispiele, das glücklicherweise abgewehrt wurde, und es ist auch nicht mein Zugang, dass man das so macht, aber es ist tatsächlich vorgekommen, dass Kinder gegen die Republik Österreich einen Schadenersatzanspruch geltend gemacht haben, weil der Sachwalter vom Gericht nicht daran gehindert wurde, einen Fernsehapparat für den alten Vater zu kaufen.

Freak-Moderator: In Zukunft soll das Vermögen im Sinne der Betroffenen eingesetzt werden. Ein Rechtsanwalt beziehungsweise Notar soll nicht mehr als fünfundzwanzig Sachwalterschaften haben.

Michael Stormann: Ich glaube einer der ganz wichtigen Punkte ist, dass wir insgesamt daran gehen, die Sachwalterschaft zahlenmäßig geringer ausfallen zu lassen. Da ist zunächst einmal die Frage der Vorsorgevollmacht, sicher für einen kleineren Kreis, aber man soll die Möglichkeit haben, jemanden aus seinem Bekanntenkreis auszuwählen und zu sagen: "Wenn ich einmal in einem psychisch eingeschränkten Zustand bin, dann soll der mich vertreten." Das unterläuft die Sachwalterschaft, das gibt wesentlich mehr Autonomie, man sucht sich seinen Sachwalter selbst, schafft Vertrauen.

Freak-Moderator: Durch das Sachwalterschaftsänderungsgesetz können ab Juli 2007 Betroffene selbst einen Antrag auf Wechsel ihres Sachwalters stellen. Dies war bisher zwar prinzipiell möglich, soll aber in Zukunft deutlich einfacher werden. Geht es nach den Vereinten Nationen, so sollen auch Menschen mit Lernschwierigkeiten künftig in einem inklusiven Bildungssystem lernen können. Das Recht auf inklusive Bildung ist Teil der United Nations (UN) Konvention über die Rechte und Würde von Menschen mit Behinderungen.

Freak-Moderator 2: UN Konvention "Bildung".Erstens: Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht der Menschen mit Behinderungen auf Bildung. Um die Verwirklichung dieses Rechts ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu erreichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslange Fortbildung mit dem Ziel

(b) die Persönlichkeit, die Begabungen und die Kreativität sowie die geistigen und körperlichen Fähigkeiten von Menschen mit Behinderungen voll zur Entfaltung zu bringen

(c) Menschen mit Behinderungen die wirksame Teilnahme an einer freien Gesellschaft zu ermöglichen."

Freak-Moderator: Das ist im Sinne Herbert Pichlers. Der Gleichstellungsexperte setzt auf die nächste Generation.

Herbert Pichler: Ich hoffe, dass in Zukunft Integrationsklassen vorangetrieben werden. Ich kann ja nur von der näheren Vergangenheit sprechen in der das nicht unbedingt der Fall war. In den Integrationsklassen wird es beginnen, klar, wenn man mehr und mehr Integrationsklassen schaffen würde und diese Sondereinrichtungen nicht mehr benötigt ? meines Erachtens benötigt man sie nicht unbedingt ? dann wären diese Hemmnisse von vornherein nicht gegeben. Denn Kinder haben ja einen ganz normalen Umgang mit behinderten Menschen.

Freak-Moderator: In der Konvention ist neben dem Recht auf inklusive Bildung unter anderem auch jenes auf Wahlfreiheit der Wohnform verbrieft. Das im Dezember beschlossene Papier soll 650 Millionen behinderten Menschen weltweit Verbesserungen im Alltag bringen. Nun sind die Mitgliedsstaaten am Zug: Erst wenn zwanzig Staaten unterzeichnet haben, tritt das Papier in Kraft. Österreich hat dies bereits getan, man wird sehen, was die Zukunft bringt. Nächste Woche hören Sie an dieser Stelle eine Aufzeichnung aus dem Radio Kultur Café zum Thema "Ashley, ein Kind mit Behinderung nach Maß".

Freak-Moderatorin: Wir danken unserem Techniker Georg Jansa für die Unterstützung und unserem Mitarbeiter Chris Egger.

Freak-Moderator: Es verabschieden sich am Mikrofon Christoph Dirnbacher

Freak-Moderatorin: und Gerda Ressl.

Ansage: Sie hörten eine Sendung aus der Schwerpunktreihe Selbstbestimmt mit allen Sinnen ? Wege zur Gleichstellung. Wege ohne Diskriminierung, die vom Bundessozialamt aus Mitteln der Beschäftigungsoffensive der österreichischen Bundesregierung gefördert wird.


Link speichern auf:addthis.comFacebookYiggItMister Wongstumbleupon.comdel.icio.usMa.gnoliaask.comdigg.comTechnoratiYahooMyWeblive.com
Seitenanfang