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Rubrik: Lesen statt Hören
11. November 2001

In guten wie in bösen Tagen

von Brigitte Schreiner

Freak-Radio: Sie sehen das nicht als Nachteil oder Benachteiligung?

Stefanie Lindner: Nein. Ich sehe mich auch nicht als die Bedienung meines Mannes. Er kann sich Pfeffer, Salz selbst holen, Kaffee oder Tee kochen und schön langsam lernt er auch, wie man den Geschirrspühler einräumt.

Freak-Radio: Hört, hört. Damit wechsle ich zu dem Geschirrspühler von Mag. Judit Marte.

Mag. Judit Marte: Der wird immer von mir eingeräumt.

Freak-Radio: Bitte, erzählen Sie etwas über sich.

Mag. Judit Marte: Wir kennen einander seit 1993. Mein Mann ist Franz-Joseph Huainigg. Verheiratet sind wir seit 1996. Wie haben wir einander kennen gelernt? Ich war in der Österreichischen Hochschülerschaft als Studentenvertreterin tätig. Ich organisierte eine Veranstaltung, in welcher es um die Rahmenbedingungen für behinderte Menschen bzw. für Studierende mit Behinderung ging. Wir verhandelten damals mit dem Ministerium das Allgemeine Hochschulstudiengesetz, damit es behindertenfreundlicher wird. Bei dieser Veranstaltung wollte ich einen kulturellen Input geben, dass es für die Leute auch von der Seite ein Anbot gibt und bin dadurch an meinen Mann gestoßen. Er schrieb Bücher, Gedichte, somit lud ich ihn ein. Aus dieser Einladung ist dann eine Beziehung geworden, aus dieser Beziehung eine Ehe.

Freak-Radio: Sie haben keine Kinder?

Mag. Judit Marte: Wir haben noch keine Kinder.

Freak-Radio: Sie sind sehr aktiv. Ihr Mann schreibt nach wie vor sehr viele Bücher. Sie arbeiten im sozialen Bereich.

Mag. Judit Marte: Wir sind beide beruflich sehr engagiert. Mein Mann ist zusätzlich in einem Elternverein, wo Eltern mit behinderten Kindern zusammengeschlossen sind. Integration Österreich ist für viele ein Begriff, wo er sich sehr engagiert. Er macht Kabarett, schreibt nach wie vor Kinderbücher, bearbeitet das Thema "Behinderte in den Medien". Er versucht, einen Lehrgang für behinderte Menschen zu entwickeln, die JournalistInnen werden wollen. Wir sind immer darauf erpicht, gemeinsame Zeiten zu finden, es so einzuteilen, dass wir beide Abendtermine haben, dass uns sozusagen nicht zu viel von der gemeinsamen Zeit verloren geht.

Freak-Radio: Wie war das Kennenlernen aus Ihrer Sicht? Benötigte Ihr Umfeld eine Eingewöhnungsphase? Sagte nicht der Eine oder Andere: "Warum heiratet sie jemanden, der im Rollstuhl sitzt?

Mag. Judit Marte: Vielleicht beginne ich mit mir selbst. Mein Mann hat eine starke Rückenverkrümmung, ist dadurch Rollstuhlfahrer, ist auch im Oberkörper ziemlich beeinträchtigt. Als ich ihn damals kennenlernte und merkte, der Mensch interessiert mich viel mehr als viele andere, hatte ich eine Auseinandersetzung mit mir selbst. Ich habe sehr viele sportliche Interessen, und wenn ich mir meinen Mann am Gipfel des Großglockner, bei einer Radtour oder Expedition vorstellte, musste ich langsam abräumen und eine andere Sicht der Dinge bekommen. Ich mochte ihn wahnsinnig gern, aber ich merkte, wie es immer ernster wurde: Hallo, hoppla. Das war für mich ein sehr wichtiger Prozess. Da war es sehr gut, und das ist in unserer Ehe nach wie vor eine Art Geheimnis, dass wir sehr viel und über alls reden. Ich habe damals sehr viel darüber mit ihm gesprochen, dass ich Probleme habe, mir das vorzustellen. Daraus sind mitunter sehr witzige Dialoge geworden. Es hat dazu beigetragen, dass wir uns immer besser kennen gelernt haben. Bei meinen Eltern war es so, dass sie am Anfang Bedenken hatten. Mein Vater prägte den Satz: "Man darf die Nächstenliebe nicht mit der ehelichen Liebe verwechseln." Da gab es Diskussionen, Gespräche, aber als sie ihn kennenlernten, war das vorbei. Sie haben ihn sehr, sehr gerne. Sobald sie ihn kennenlernten, war die Behinderung kein Thema mehr. Das ist auch meine Sicht der Dinge. Mir fällt es nicht mehr auf, dass mein Mann behindert ist. Wenn ich ihn im Fernsehen sehe, bin ich manchmal erschrocken, denn dann sehe ich wieder: "Aha, der ist behindert." Sonst ist das aber kein Thema mehr.


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