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Kaum Licht ins Dunkle
‚Licht ins Dunkel‘ wurde erstmals von einer Frau im Rollstuhl moderiert. Bei Life Radio war eine blinde Frau neun Jahre lang Liebesratgeberin. Doch ansonsten sieht es in Österreichs Mainstream-Medien sehr düster aus für Menschen mit einer Behinderung.
Ein Blinder, der die höchsten Berge der sieben Kontinente erklettert, das gibt was her. Den nehmen wir.“ Der blinde Extremkletterer ist Andy Holzer. Der, der so knallhart nach journalistischen Kriterien urteilt, ist Christoph Dirnbacher. Er ist Chefredakteur von Freak Radio, einem webbasierten Radio für Menschen mit Behinderungen. Den Andy Holzer haben er und seine Kollegin Katharina Zabransky ausgiebig verwertet. Zabransky hat im Februar 2010 bei einer Radiosendung über ihn mitgearbeitet, und Dirnbacher hat Holzers beste Sager für ein „Journal-Panorama“ auf Ö1 mit dem Titel „Bis ganz nach oben. Erfolgreich mit Behinderung“ verwendet. Dirnbacher und Zabransky haben eine Bewegungsstörung namens Zerebralparese und nutzen zur Fortbewegung einen Rollstuhl. Beide sind in der „Selbstbestimmt leben“-Bewegung aktiv, die Menschen mit Behinderungen vor rund 15 Jahren gegründet haben.
Ehrenamtlich und unbezahlt
Freak Radio hat in den 13 Jahren seines Bestehens Erfolge errungen – und ist aber auch an Grenzen gestoßen. Der Erfolg: Das Radioteam hat ein kleines Büro im ORF Funkhaus in der Argentinierstraße in Wien. Raum und Technik stellt der ORF zur Verfügung. Die Grenzen: Bezahlt wird die journalistische Tätigkeit nicht. Dirnbacher hat einen 30-Stunden-Job in der WAG Assistenzgenossenschaft. Zabransky ist derzeit arbeitslos. Mit viel Engagement gelingt es der kleinen Redaktion immer wieder, vom Sozialministerium oder Bundessozialamt Geld für Projekte aufzutreiben. Damit werden die zeitaufwendigeren Videos und Radiobeiträge bezahlt. Ansonsten moderieren Dirnbacher, Zabransky und andere Redaktionsmitglieder jede zweite Woche eine Diskussionssendung, die ausgestrahlt wird, und schreiben Artikel für die Website. Ehrenamtlich und unbezahlt.
„Ich mache keine ehrenamtlichen Sachen mehr“, sagt dazu eine Stimme aus Linz. „Soziale Arbeit hat einen Wert, sie sollte bezahlt werden. Es ist eine Schande für den ORF, dass er die Freak-Redakteure nicht bezahlt.“ Die Stimme aus Linz ist kraftvoll und zornig, sie kann aber auch verführerisch sein, sie kann den Menschen ihre intimsten Geheimnisse entlocken. Es ist Constanze Hills Stimme. Die kennen in Oberösterreich so ziemlich alle, die sich in den letzten dreizehn Jahren einsam fühlten, unglücklich verliebt waren oder einen Mann oder eine Frau aufreißen wollten. Constanze Hill war Beraterin für alle Sex- und Liebesdinge in ihrer abendlichen, dreistündigen Sendung Rendezvous mit Constanze auf Life Radio, einem vielgehörten Privatsender in Oberösterreich. Neun Jahre war sie dort, davor zwei Jahre beim Linzer City Radio. Vor zwei Jahren, nachdem sie ihr zweites Kind geboren hatte, hörte sie mit der anstrengenden Nachtarbeit auf.
Siebter Sinn oder Vorurteil
Mit ihrer Stimme und ihrem einfühlsamen Hören, das auf jedes Atemholen des Gesprächspartners reagiert, schien Constanze Hill für Talk Radio prädestiniert zu sein. Wohl auch, weil man nach einem gängigen Vorurteil blinden Menschen eine besondere Sensibilität, einen siebten Sinn zuschreibt. Doch ihr Einstieg beim Radio klingt wie eine dieser Frauengeschichten nach dem Motto „Ich will gar nicht so weit nach oben, ich bin zufrieden, wo ich bin.“ Nach einem abgebrochenen Psychologiestudium hatte sie beim Ö3-Hörerservice begonnen. Dort war sie glücklich. Ihr Vater machte sie auf eine Radiojournalismusausbildung an der Volkshochschule aufmerksam. Die machte sie und schloss ein dreimonatiges Praktikum bei der BBC und sechs Monate bei einem Hamburger Radiosender an. Zurück in Österreich bewarb sie sich bei den vielen neuen Privatradios, die damals, 1998, gegründet wurden. Sie erhielt nur Ablehnungen. Niemand konnte sich vorstellen, eine blinde Journalistin zu beschäftigen. In ihrer Verzweiflung wandte sie sich an Stephan Schwenk, einen deutschen Radiomacher, der ihr von einem Bekannten empfohlen worden war. Kurz danach landete sie doch noch einen Job: beim Hörerservice vom Linzer City Radio. Bescheiden geworden, war sie schon glücklich, einem Hörer ein Lied zu suchen, das am Vortag gespielt worden war.
Der Tipp des Radiomachers: "Rede über Sex"
Wie es der Zufall wollte, holte sich City Radio einen Berater für den Programmaufbau, und zwar ausgerechnet Stephan Schwenk. Der traf nun die Frau, die sich um Hilfe an ihn gewandt hatte. „Du musst hinters Mikrofon“, sagte er ihr. „Ich bin aber glücklich beim Hörerservice“, sagte sie. Der Mann blieb hart: „Du kannst mehr als das. Du darfst deine Talente nicht vergeuden. Du hast eine Bringschuld an die Welt.“ „Ich rede aber viel lieber mit den Leuten, als Nachrichten zu moderieren“, sagte sie. „Dann tu es doch. Mach Talk Radio. Rede über Sex.“ So entwickelten die beiden Die heiße Nacht. Und er verriet ihr sein Erfolgsrezept: „Wenn du mit dem Hörer redest, dann sprich mit ihm so, als würdest du ihm das größte Geheimnis der Welt verraten.“
Um ihre Anrufer gut beraten zu können, machte sie gleichzeitig zu ihren Sendungen eine Ausbildung zur Sexualberaterin und später eine Weiterbildung zum Coach. Derzeit arbeitet Constanze Hill als selbständige Beraterin.
Rasende Reporterin im Rollstuhl
Marlies Neumüller wollte immer schon schreiben. Doch sie dachte, dass sie – im Rollstuhl – wohl nicht das Zeug zu einer rasenden Reporterin hätte. Bis ihr jemand mit 14 einen Floh ins Ohr setzte. Es war auf einer Berufsberatungsmesse, und der Jemand war von den Oberösterreichischen Nachrichten: Mit einem Rollstuhl sei es wohl schwierig, Journalistin zu sein, aber nicht unmöglich. Schließlich schreibt man in einer Zeitung auch viel von Agenturen ab – in der Weltchronik beispielsweise. Mit 19, nach der HAK-Matura, hatte Neumüller das Glück des richtigen Zeitpunkts: Da begann gerade ein integrativer Journalismuslehrgang, sie wurde aufgenommen und machte in der Folge Praktika bei Kurier, Standard, trend und ORF Online. Beim Kurier schrieb sie für die Weltchronik von den Agenturen ab, beim Standard wurde sie schon auf Pressekonferenzen geschickt. Für einige der damals entstandenen Arbeiten erhielt sie Preise.
Mittlerweile hat sie ein Journalismusstudium an der FH Wien absolviert. Doch unter den derzeitigen Arbeitsbedingungen bei Medien sieht sie für sich keine Möglichkeit, Journalistin zu werden. Weil sie wohl als Freie beginnen müsste, aber damit finanziell nicht über die Runden kommen würde. Ihre Behinderung erfordert einen hohen Organisationsaufwand: Vor jeder Pressekonferenz muss sie abklären, ob der Raum barrierefrei ist. Oft erhält sie falsche Zusicherungen. Es ist ihr schon passiert, dass ein Interviewpartner sie eine Stiege hochgetragen hat. Sie braucht eine fixe Anstellung. Derzeit ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der FH und schreibt ihre Dissertation. Daneben macht sie journalistische Ausflüge. Kürzlich testete sie Wiener Hotels auf Barrierefreiheit, für ein demnächst erscheinendes Falter-Buch, das vom ÖVP-Nationalrat Franz-Joseph Huainigg herausgegeben wird.
Es gibt nicht viele Menschen in den österreichischen Medien, die eine Behinderung haben, aber einige gibt es. Doch die wollen nicht darüber reden. Sie wollen aufgrund ihrer Leistung anerkannt werden, und nicht aufgrund eines besonderen Merkmals. Das erinnert an die Diskussion vor 20, 30 Jahren über Frauen in den Medien. Die wenigen Frauen, die es damals an eine leitende Stelle geschafft hatten, wie etwa Ilse Leitenberger und Anneliese Rohrer in der Presse, wollten auch nicht auf ihr Frausein angesprochen werden.
Blinder TV-Reporter bei BBC
In Großbritannien dagegen, insbesondere bei der BBC, scheint man bei der Chancengleichheit von Menschen mit Behinderungen weit voraus zu sein. Das hat die deutsche Journalistin Christiane Link erlebt. Sieben Jahre lang war sie bei der deutschen Nachrichtenagentur dpa in Hamburg gewesen, als einzige Journalistin im Rollstuhl. Die vordergründige Einschränkung hat Link auch als ihre große Chance wahrgenommen. Schließlich kannte jede Pressesprecherin ihren Namen. Dass sie ihre Behinderung zu ihrem Vorteil nutzen konnte, realisierte sie mit 15, als sie ihr erstes Praktikum beim ZDF machen durfte. Viele Leute sprachen sie neugierig an, was sie denn da mache, und luden sie daraufhin in ihre Redaktion ein. So machte sie jeden Sommer ein ZDF-Praktikum. Nach ihrem Studium machte sie ein Volontariat bei der dpa und blieb dann als Redakteurin, insgesamt sieben Jahre lang. Dann bekam sie ein Angebot der BBC und übersiedelte nach London. Daran gewohnt, immer und überall etwas Besonderes zu sein, machte sie bei der BBC eine seltsame Erfahrung: Nun war sie nur eine von vielen mit einer Behinderung. Bei einer Pressekonferenz lernte sie einen blinden Mann kennen und fragte ihn, für welches Radio er arbeite. Er sagte, er arbeite für das Fernsehen. „Wow“, dachte da Link. „Was für Vorurteile ich selber habe!“ Es lag an ihrer eigenen Sozialisation – wie oft hatten die Leute ihr gesagt, sie könne nie Journalistin werden. Heute gibt Link in London eine deutschsprachige Zeitung heraus und schreibt den Blog www.behindertenparkplatz.de.
Die BBC rühmt sich selbst ob der Chancengleichheit, die sie Menschen mit einer Behinderung bietet. Zu Diskriminierungen kann es dennoch kommen. Das ist dem blinden TV-Reporter Gary O’Donoghue passiert. Er hatte eine Exklusivstory, durfte sie jedoch nicht selber präsentieren. Das wurde als Diskriminierung eingestuft, die BBC musste dem Reporter eine fünfstellige Entschädigungssumme zahlen. „Ouch“ (deutsch: Auweh), werden da die BBC-Anwälte gesagt haben. Ouch heißt auch die BBC-Website für die Zielgruppe der Menschen mit Behinderung. Aktuelle Zahlen gibt es nicht, aber rund ein Prozent der redaktionell tätigen Personen in britischen Medien hat eine Behinderung. Das ist zwar weniger als im Schnitt der Bevölkerung, aber weit mehr als in österreichischen Medien.
Fritz Hausjell, Publizistikprofessor an der Universität Wien, hat in einer Studie die Situation in Österreich erhoben. Hierzulande sei den Medienverantwortlichen nicht bewusst, dass eine Redaktion von Journalisten und Journalistinnen mit einer Behinderung profitieren würde, weil diese die Realität aus einem anderen Blickwinkel abbilden. Vergleichbar mit der gerade einsetzenden Erkenntnis, dass Menschen mit Migrationshintergrund neue Blickwinkel einbringen. Doch auch die Interessensvertretungen im Medienbereich seien, so Hausjell, „taub, stumm und unbeweglich“.
Es war ihre technikaffine Haltung, die Christiane Link oft einen Startvorteil verschaffte. Sie hatte sofort, als es erhältlich war, mobiles Internet, und war dadurch schneller als manche gemächlicheren Kollegen.
Schneller Bizeps
Ähnlich technikaffin ist Martin Ladstätter von Bizeps, einem Behindertenberatungszentrum mit angeschlossener Nachrichtenagentur. Bizeps ist in erster Linie eine Interessensgemeinschaft. Anfangs gab man vierteljährlich Vereinsnachrichten heraus, dann monatlich. Als das Internet aufkam, stellte Bizeps blitzschnell um. „Wir waren drei Monate nach dem Standard online“, sagt Ladstätter. „Wir waren auf www.wien.at, bevor Wien online war.“ Die Stadt hatte sich die Domain reserviert, wusste aber noch nicht, was sie damit anfangen sollte. Daraufhin boten etliche NGOs an, wien.at einstweilen zu bespielen. Mittlerweile verzeichnet Bizeps jährlich fünf Millionen Artikelzugriffe.
Die technologische Entwicklung bietet für Menschen mit einer Behinderung die große Chance, Zugang zur Welt zu erhalten. Bizeps kämpft seit Jahren darum, dass die Websites der großen Medienhäuser barrierefrei werden. Nach zwei Klagen und ein paar Schlichtungsverfahren sei ORF Online nun Spitzenreiter bei Barrierefreiheit in Österreich, so Ladstätter. Das heißt, dass etwa blinde Menschen auf der ORF-Website gut navigieren und sie mit einem Screenreader lesen können. Auch Standard Online habe sich verbessert.
Martin Ladstätter wird aber eher als Aktivist denn als Journalist wahrgenommen – was ihn auch überhaupt nicht stört. „Es ist egal, wer unter einem Artikel steht oder ob ich zitiert werde. Es geht darum, etwas zu bewegen.“
Sich sichtbar machen
Auch Barbara Sima, das neue Gesicht in der ORF-Sendung Licht ins Dunkel, ist eine Aktivistin. Im Erwerbsberuf ist sie technische Angestellte im Gartenbauunternehmen ihrer Eltern. Da sie erst als junge Erwachsene, mit 19, durch einen Autounfall eine Querschnittlähmung erlitt, kennt sie das Leben ohne und mit Rollstuhl. In die Medien gelangte sie zuerst als verhinderte Miss Kärnten. Sie hatte, gemeinsam mit ein paar Freunden, die Schönheitswettbewerbe herausfordern wollen. Sie bewarb sich als Miss Kärnten, ein Freund als Mr. Tirol. Doch ihre Bewerbung wurde nur vornehm ignoriert. Daraufhin schrieb eine Journalistin, die davon gehört hatte, einen Artikel. Das haben andere Medien begierig aufgegriffen.
Modeln interessiert sie tatsächlich – sie hat für das Modeunternehmen XSampl gemodelt, das Bekleidung für Rollstuhlnutzer entwirft und produziert. Sie hat aber auch zweimal den Ultra Triathlon und den Iron Man gewonnen. Sie will vor allem erreichen, dass die Öffentlichkeit eine Behinderung als etwas Normales wahrnimmt und nicht als etwas Anstarrungswürdiges.
Im Vorjahr gab ihr jemand den Tipp, dass Sissy Mayerhoffer, die neue Verantwortliche für alle humanitären Sendungen des ORF, auf der Suche nach einer Moderatorin mit einer Behinderung sei. Sima rief Mayerhoffer an. Nach ein paar Castings kam das Okay, und Barbara Sima moderierte am 22. November und 24. Dezember neben dem Langzeitmoderator Peter Rapp. „Soweit ich weiß, bin ich die erste Person im Rollstuhl, die in einem europäischen TV-Sender moderierte“, so Sima. Wahrscheinlich mit Ausnahme Großbritanniens.
Ein neues Angebot hat Sima noch nicht. Sie nimmt es mit Weisheit: „Mir fliegen die Dinge zu, weil ich nichts erzwingen will. Ich habe gelernt, Sachen so zu akzeptieren, wie sie sind.“ Das hat sie, pardon, wenn man da widerspricht, letztlich doch nicht gemacht. Sondern ungerechte Zustände, die geändert gehören, aufgezeigt – wie etwa die vielen baulichen Barrieren, die einer Rollstuhlnutzerin im Wege stehen. Und vor allem die Barrieren im Kopf.
Dieser Artikel ist in der vom Mucha Verlag herausgegebenen Medienzeitschrift Extradienst 2/2011 erschienen. Freak Online publiziert den Artikel mit freundlicher Genehmigung des Mucha Verlags.