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Rubrik: Lesen statt Hören
01. Juli 2007

Leben, wie ich will

von Ernst Weber

Gleichberechtigung und Gleichstellung können sich dann am besten entfalten, wenn behinderte Menschen selbstbewusst und selbstbestimmt agieren könnnen. In dieser Sendung werden einige Aspekte dieser möglichen Selbstbestimmung, deren Bedingungen und auch deren Grenzen aufgezeigt.

Freak-Radio-SIGNATION:

Moderator, Ernst Weber: Leben, wie ich will. Wege zum selbstbestimmten Alltag.
Um ein unabhängiges Leben nach eigenen Vorstellungen führen zu können, brauchen alle Menschen Rahmenbedingungen, die ihnen Gleichberechtigung ermöglichen. Den Bedürfnissen von behinderten Menschen entsprechen diese Bedingungen derzeit nicht. Deshalb nehmen immer mehr Betroffene die Initiative in die eigene Hand, entwickeln Selbstbewusstsein und wollen die Rahmenbedingungen nach ihren Vorstellungen verändern: Selbstbestimmt Leben heißt die Devise. Zu diesem Thema hören Sie heute drei Beiträge. Elisabeth Losbichler hat in Salzburg recherchiert, wie ein selbst bestimmtes Leben aussehen könnte. Im zweiten Beitrag geht Gerhard Wagner der Frage nach, wie behinderte Studierende Hürden im Hörsaal managen können. Für den dritten Beitrag hat Katharina Zabransky mit drei Menschen gesprochen, die selbstbestimmt leben. Zum Einstieg in das Thema hat sich Freak-Radio am Karlsplatz in Wien umgehört:

Passant 1: Wia wia wia Selbstbestimmt... das moch, wos i wü? Najo, i moch. wos i wü, in dem Sinn, net? Also: I geh hin wo i wü, i kumm, wonn i wü. Mir farn fort, wann ma woinn. Mir ham beide an guatn Job, also mir können Gottseidank alles tuan, was ma wolln.

Passant 2: Bei mir ist es so: Ich hab Koch/Kellner gelernt, und hab jetzt aber überhaupt keine Lust mehr drauf. Und jetzt bin ich bei der Post. Ist halt irgendwie sehr gemütlich, weil ich von der Zeit her viel Freizeit hab.

Passantin: Kompromisse muss man halt schließen.

Passant 3: Es ist wahrscheinlich immer eine Frage des Vergleichs. Also im Vergleich mit vielen anderen Gesellschaften ist es wahrscheinlich ganz gut in Österreich. Aber: Bestimmt gibt es immer Dinge, die man verbessern kann. Jetzt in unserem Fall, als ein schwules Paar, kann man natürlich sehr viel verbessern. Aber das gilt sicher auch für andere Gruppen. Ich will jetzt nicht nur jammern. In vielen Fällen ist es auch ganz gut, wie es in Österreich ist.

Moderator: Wie leben eigentlich Menschen mit Behinderung in Salzburg? Dazu kommt ein Student mit Behinderung an der Universität Salzburg sowie der ehemalige Leiter des mobilen HIlfsdienstes Salzburg zu Wort. In den letzten Jahren sind behinderte Menschen sichtbarer und auch selbstbewusster geworden: Dennoch gibt es noch immer viele Situationen, wo das eindeutig nicht der Fall ist:

Teaser 1: Ich geh so auf der Straße, und dann kummens halt so: "Wo du gehen? Wo du gehen? Wo du gehen?" Ja, und dann sag ich halt, "ich muss zum Bus, zu dem oder dem". "Da du sitzen, sitzen, da du sitzen" Da sage ich: "Nein, danke, ich steh gern!" " Na, du kann do sitzen usw..." Ist ja recht lieb von den Leuten, aber: Grad wenn ich von der Uni komm, da steh ich dann lieber. Da meinens sie´s gut und das ist dann recht witzig.

Moderator: Selbstbestimmt leben in Salzburg. Gestaltet von Elisabeth Losbichler:

O-Ton, Stefan Martin: Früher, wie ich noch kleiner war und an einer Straßenecke gestanden bin, haben mich die Leute am Arm gepackt und auf die andere Seite geführt, wo ich eigentlich gar nicht hinwollte. Und dann habe ich mich nicht mehr ausgekannt. Die haben mich rübergeführt: Schnapp! Am Arm gepackt und dann Zack! auslassen, stehen lassen und sind wieder gegangen. Also, wie irgendein Mistkübel, der irgendwo im Weg steht und abgestellt wird und dann alleingelassen...

Sprecherin, Elisabeth Losbichler: So beschreibt Stefan Martin, sehbehinderter Studierender der Universität Salzburg am Fachbereich Kommunikationswissenschaft und Publizistik Anekdoten aus seinem Leben, in denen er, durch zu gute Hilfsbereitschaft an seiner Selbstbestimmung gehindert wurde. Doch was versteht er selbst unter diesem Begriff?

Stefan Martin: Also, Selbstbestimmung ist für mich, dass es trotz Behinderung einen Freiraum gibt, indem es für einen Menschen mit einer Behinderung möglich ist, in einer gewissen Art und Weise Dinge, die für seinen Alltag wichtig sind, trotzdem selbst zu bestimmen.

Sprecherin: Auf die Frage nach den Erlebnissen mit Selbstbestimmung in der Schule meint Stefan, dass der Schulwechsel immer schwierig gewesen sei, er in der Volksschule kaum selbst bestimmen konnte, sich dies aber, bei fortlaufendem Bildungsweg immer mehr gebessert habe und sein Eigenverantwortungbereich immer größer geworden wäre. Stefan Martin hat nun an der Universität die Möglichkeit, im Uni-Alltag persönliche Assistenz vom mobilen Hilfsdienst Salzburg in Anspruch zu nehmen, welcher Selbstbestimmung mit Behinderung als eine seiner Grundphilosophien ansieht. Christian Treveller, der ehemalige Leiter des MoHi Salzburg, meint dazu:

Christian Treveller: Der MoHi ist 1985 entstanden, ja, aus einer Gruppe von Menschen mit und ohne Behinderungen heraus, die sich auch Gedanken darüber gemacht haben: Wie kann es gehen, dass auch Menschen mit Behinderungen in unserer Gesellschaft integriert werden können, sowohl im Bereich Beruf, im Bereich Freizeit, Wohnen, quer durch. Zu diesem Zeitpunkt, 1985, hat es im wesentlichen die Alternative gegeben, entweder als Mensch mit Behinderung zuhause umfangreich von Verwandtschaft Eltern, usw. persönliche Assistenz zu bekommen oder in einer stationäre Einrichtung gehen zu müssen und dabei weitestgehend fremdbestimmt in fremden Strukturen den Alltag verbringen zu müssen.
Und den Menschen, die damals den MoHi gegründet haben, war es ein Anliegen, hier Formen zu schaffen, wie Menschen mit Behinderungen selbst mitten im Leben stehen können, mitten in unserer Gesellschaft leben zu können und genauso ihren Teil, ihren Anteil dazu beitragen können, wie jeder andere auch. Und damals sind dann auch... ja ich sag´s schon so... damals persönliche Assistenzleistungen entstanden, wo KundInnen Assistenzleistungen über den mobilen Hilfsdienst beziehen konnten, sei es jetzt kleinere Hilfestellungen im Haushalt, Begleitungen usw.

Sprecherin: Heute erstreckt sich das Tätigkeitsfeld des Hilfsdienstes von der herkömmlichen Haushaltshilfe über die Hauskrankenpflege sowie die psychosoziale Rehabilitation bis hin zu persönlichen Assistenzleistungen.

Christian Treveller: Über das Bundessozialamt ist es uns möglich, die persönliche Assistenz am Arbeitsplatz anzubieten und da Menschen, unter bestimmten Kriterien - das heißt zum Beispiel jetzt Pflegegeldstufe ab 3, einen Einstieg oder einen Verbleib im Berufsleben zu sichern; das heißt aber auch: Durch eine adaequate Ausbildung, durch ein Studium den Zugang zu den Wunschberufen nach Möglichkeit zu sichern.

Sprecherin: Christian Treveller weist bei seinen Ausführungen auch noch darauf hin, dass es im Rahmen der Persönlichen Assistenz am Arbeitsplatz den Assistenznehmern nicht möglich ist, Assistenzleistungen für Freizeitveranstaltungen in Anspruch zu nehmen.
Stefan Martin findet sich an der Gesellschaftswissenschaft, dem Institut der Kommunikationswissenschaft weitgehend ohne Hilfestellung des MoHi Salzburg zu recht. Er nimmt die Assistenzleistungen beispielsweise dann gerne an, wenn er das Universitätsgebäude wechseln muss, oder für organisatiorische Dinge, wie Behördenwege in Zusammenhang mit seinem bevorstehenden Auslandssemester oder auch als Unterstützung bei der Aufbereitung von Lernunterlagen und dergleichen.
Der Mobile Hilfsdienst Salzburg beschäftigt unter der Berücksichtigung, dass hier die Bereiche Haushaltshilfe und persönliche Assistenz in einem Pool zusammengefasst werden, zirka 70 Mitarbeiter.
Es werden vom MoHi auch Menschen mit Behinderungen beschäftigt, welche einerseits im Verwaltungsbereich ihren Tätigkeiten nachgehen, und andererseits auch im Assistenzleistungsbereich eingesetzt werden. Voraussetzungen, die persönliche Assistenz in Anspruch nehmen zu können, hängen beispielsweise ab von:

Christian Treveller: Ab Pflegestufe 3 ist es möglich, diese persönliche Assistenz am Arbeitsplatz in Anspruch zu nehmen. Was weiters erforderlich ist, ist entweder ein aufrechtes Arbeits- oder Dienstverhältnis, das durch die persönliche Assistenz am Arbeitsplatz gesichert werden kann, oder eine angestrebte Ausbildung oder ein Einstieg in das Berufsleben mit realistischen Aussichten auf einen fixen Arbeitsplatz. Wir haben, gerade bei unseren AssistenznehmerInnen, einen hohen Anteil von Studierenden, die mit Hilfe der persönlichen Assistenz am Arbeitsplatz ihr Studium absolvieren können.

Sprecherin: Ein weiterer wichtiger Aspekt der Selbstbestimmung ist die Mobilität. Stefan Martin fährt mit dem O-Bus, dem Postbus oder der S-Bahn zur Uni und nimmt auch hin und wieder für Freizeitaktivitäten die Möglichkeit in Anspruch, mit dem Taxi zu fahren. Sich nach den Fahrzeiten der öffentlichen Verkehrsmittel auszurichten, stellt für ihn demnach kein nennenswertes Problem dar.
Als Hilfsmittel, um sich ein gewisses Maß an Selbstbestimmung zu erhalten, hat Stefan Martin seinen Blindenstock, seine Braillezeile - damit kann er schreiben und dann das Geschriebene mittels Blindenschrift lesen und natürlich seinen Laptop zur Übertragung der Mitschriften von der Braillezeile.

Atmo: Blindenampel

Sprecherin, Elisabeth Losbichler: Im öffentlichen Bereich hat er Blindenampeln, die ihm durch Klopfgeräusche verdeutlichen, wann er die Straße problemlos überqueren kann. Ansonsten behilft er sich damit, dass er sich als kommunikativer Mensch Hilfe organisiert, wo sie nötig ist. Auch auf größeren Plätzen, die er nicht kennt, ist der Student nie allein unterwegs. Die Frage nach möglichen Unterschieden in der Selbstbestimmung von behinderten und nicht behinderten Menschen, sieht Stefan Martin folgendermaßen:

Stefan Martin: Als visuell orientierter Mensch gehe ich sehr stark von der visuellen und der nonverbalen Kommunikation aus. Also Augenbewegungen, Handbewegungen... Des konn i ja olls nit! Da ist es natürlich schon sehr wichtig, dass man vor einem Gespräch sich mit jemandem trifft, zum Beispiel das mache ich mit den engsten Kreisen in meiner Familie, die mir dann sagen: Da musst du aufpassen, denn das könnte so oder so sein. Weil: Gewissen Formen der Kommunikation sind bei mir einfach ausgeblendet, die kann ich einfach nicht so ohne weiteres machen wie jeder andere. Und da ist es schon sehr wichtig. Und auch bei der Unterschrift: Ich kann... Die Selbstbestimmung ist ja auch so, wenn ich etwas unterschreiben möchte, kann ich auch nicht hergehen und sagen: Ich unterschreib das jetzt, weil ich einfach auf eine andere Person angewiesen bin. Wenn die Person nicht in der Nähe ist, kann ich logischerweise nicht unterschreiben. Es muss dann in solchen Situationen eine Vertrauensperson da sein, die mich dann bei meiner Selbstbestimmung ein bisschen unter die Arme greift, die ich dann gut fragen kann: Wie würdest es du machen? Weil ich bestimmte Sachen einfach nicht sehe - und das ist gerade bei der Unterschrift wichtig.

Kurze Musik

Moderator: Eine Gruppe "Selbstbestimmt leben in Salzburg" wurde 1998 gegründet. Nach einigen Jahren intensiver Gespräche und einigen Aufsehen erregenden Veranstaltungen ist es dann doch nicht gelungen, die Mittel für ein Selbstbestimmt-Leben-Zentrum aufzutreiben. Momentan überlegt eine Gruppe um Robert Stadler einen neuen Anlauf.

Dass Bildung für Menschen mit Behinderung ein wichtiger Faktor zur Selbstbestimmung ist, zeigt auch der nächste Beitrag.
Nicht immer ist es für behinderte Studierende leicht, die Barrieren, die sich durch die Behinderung im Hörsaal ergeben, zu überwinden. Behinderte Studierende müssen viel mehr Zeit und Energie in ihr Studium investieren, als ihre nicht behinderten Kollegen. Österreichweit gibt es für die Universitäten Rahmenbedingungen, die ein gleichberechtigtes Studieren mit Behinderung ermöglichen. Trotz der vielen Unterstützungsmöglichkeiten - von denen nicht alle wissen - sind die eigenen Grenzen immer wieder spürbar:

Teaser: Eigentlich, muss ich sagen, habe ich mich an der Uni immer alleingelassen gefühlt. Ich bin schwerhörig und ich wäre einfach schon dankbar dafür, wenn mir jemand Mitschriften machen würde, wo es selbstverständlich ist, dass ich sie bekomme.

Moderator: Ein Beitrag von Gerhard Wagner über Hörsaal-Hürden-Management

Sprecher, Gerhard Wagner: Zoe Landauer* ist 22 und studiert an der Wiener Wirtschaftsuniversität Sozioökonomie und Wirtschaftspädagogik. Mittlerweile überlegt sie sich, ob sie ihr Studium wieder beenden soll. Denn wenn man behindert ist und studiert, dann bedarf es eines besonderen Selbstmanagements.
Weil sie schlecht hört und nicht alles versteht, muss sie viel Zeit investieren: Denn es gibt Hürden, die sie am Weiterkommen hindern. Selbstbestimmung bedürfte der Unterstützung. Damit Gleichstellung und Gleichberechtigung entsteht, müssen die Rahmenbedingungen unterstützend sein, doch es gibt Unterschiede an den Universitäten. Die sind nämlich seit der letzten Universitätsreform selbst für Barrierefreiheit verantwortlich, erklärt die zuständige Expertin im Wissenschaftsministerium, Dr. Felicitas Pflichter.

Dr. Felicitas Pflichter, BMWF: Es liegt an Universitäten selbst. Man gibt sich eben auch ein Profil. Die Universität Salzburg z.B. befreit ihre Studierenden, wenn sie sich natürlich deklarieren, das muss man schon dazu sagen, man muss sich deklarieren.

Sprecher: Eine Befreiung von der Studiengebühr gibt es an der Wirtschaftuniversität nicht. Was hat Zoe Landauer eigentlich bewogen, an dieser Universität zu studieren?

Zoe Landauer: Dass man nicht Lehrer bleiben muss. Man hat auch die Option, einfach in verschiedensten Managementbereichen in der Wirtschaft tätig zu sein Und dieses Breitgefächerte an diesem Studium hat mir gefallen

Sprecher: Die größte Schwierigkeit ist für Zoe Landauer, die schriftlichen Informationen vor allem in Vorlesungen zu verarbeiten. Hier stößt sie auf deutliche Grenzen, die ihr gleichzeitig die Strukturen an der Universität und die eigene Behinderung setzen.

Wenn ich Vorlesungen zuhöre, dann ist es für mich fast unmöglich, Mitschriften zu machen, weil ich es einfach nicht schaffe - trotz der Verstärkungen - zugleich zuzuhören und währenddessen zu schreiben. Ich kann es nicht laufend mitverfolgen, was der Vortragende dann weiterspricht. Und ich habe immer gedacht: Vielleicht...vielleicht liegt es an mir, vielleicht kann man es doch auf die Reihe kriegen - aber es ist bei mir unmöglich.

Sprecher: An vielen Universitäten gibt es dafür eigentlich Einrichtungen, die Studierende mit Behinderungen unterstützen, sich jene Dinge zu organisieren, die sie brauchen. Felicitas Pflichter, die im Wissenschaftsministerium für die Integration gesundheitlich beeinträchtigter Studierender zuständig ist, kennt viele Beispiele, wie es die verschiedenen Universitäten regeln.

Dr. Felicitas Pflichter, BMWF: Die meisten Universitäten haben sogenannte Behindertenbeauftragten. An der Uni Wien ist es integriert im Studieninfopoint, an der Uni Salzburg ist es integriert oder arbeitet intensiv zusammen mit dem Blindenleseplatz an der Universität - findet auch zum Beispiel an der TU Wien statt - und an der Uni Linz gibt es keinen ausgewiesenen, aber das ganze Institut "Integriert studieren" wäre dafür ein geeigneter Anlaufpunkt. Es ist natürlich einmal die Sensibilität oder Bewusstseinsbildung noch nicht an allen Universitäten gleich hoch, wird auch nie der Fall sein.

Sprecher: Mag. Marlene Fuhrmann-Ehn, die selbst eine Gehbehinderung hat, ist Behindertenbeauftragte an der Technischen Universität Wien am Institut Integriert studieren. Ihre Aufgaben sind breit gefächert.

Mag. Marlene Fuhrmann-Ehn: Das Thema Behinderung an den Universitäten zu thematisieren - in jeder Form: Einerseits ist das die Studienunterstützung direkt, also die direkt Studienunterstützung der Studierenden, wenn sie es wollen... Also, wenn sie zu uns kommen und in irgendeiner Weise unterstützt werden wollen. Oder das Einbringen des Themas "Behinderung" in die Lehre, in die Forschung, in den organisatorischen Bereich, in den Verwaltungsbereich, Maßnahmen im baulichen Bereich: Also alles, was das Thema "Behinderung und Studieren" umfasst.

Sprecher: Solch eine Stelle wäre für Zoe Landauer die Lösung. Weil sie aber weder an der ÖH, also der Hochschülerschaft der WU, noch an der Wirtschaftsuniversität selbst ein Behindertenreferat oder eine Vertrauensperson gefunden hat, hat sie etwas Interessantes im Internet entdeckt:

Zoe Landauer: Ich habe kürzlich von "Uniability" auf der Homepage erfahren, dass es einen Behindertenbeauftragten geben soll - laut Bezeichnung, hab mich sofort an sie gewandt und sie auch mit dem Thema konfrontiert: Und sie hat mir höflich zurückgeschrieben, dass sie nicht zuständig ist für Studierende, sondern nur für das interne Personal als Behinderten-Vertrauensperson, aber nicht direkt als Beauftragte, sondern als Vertrauensperson, als eine Art von Betriebsrat bei Problemen am Arbeitsplatz.

Sprecher: Die Behindertenbeauftragten aller österreichischen Universitäten haben sich zum Dachverband "Uniability" zusammengeschlossen: Fast täglich schickt man sich gegenseitig Mails, einmal in der Woche gibt es eine Videokonferenz. Dort wo es keine Beauftragten gibt, klafft eine Lücke. Darauf machen etwa die Behindertenbeauftragte an der TU und alle Kollegen in Uniability die Öffentlichkeit auch aufmerksam, etwa im Juni vor einem Jahr:

Mag. Marlene Fuhrmann-Ehn: Wir sind an die Österreichische Rektorenkonferenz herangetreten, haben ein Papier entwickelt, wo Grundstandards der Studienunterstützung für behinderte Studierende an den Universitäten drinnen stehen, damit die Studienbedingungen in Österreich möglichst einheitlich sind: Denn zur Zeit ist es so, dass es nicht nur eine Diskriminierung aufgrund von Behinderung gibt, sondern es gibt auch unter den einzelnen Universitäten Unterschiede, was die Möglichkeiten für behinderte Studierende betrifft: Einfach weil dort, wo jemand ist, funktioniert´s ganz gut. Und dort, wo niemand ist, stehen die Studenten natürlich da und haben keine Unterstützung, wenn sie welche brauchen.

Sprecher: Und genau so ergeht es Zoe Landauer und ihren Kollegen. Zwar hat ihr der Rektor schon zurückgemailt und ist bereit, etwas zu tun, doch bislang fühlt sie sich ziemlich allein gelassen und muss sich mühsam alles selbst organisieren.

Zoe Landauer: Also ich würde mir auf jeden Fall wünschen, dass es eine offensichtliche Anlaufstelle gibt, die auch angesiedelt ist in der Nähe der ÖH, einfach einen Point zu schaffen, einen Student Point, wo sich Menschen mit Handycaps hinbegeben können, mit egal welchen Problemen, also seien es psychische, seien es physische Probleme, wo sie einfach ihr Anliegen äußern können, wo auch Leute sitzen, die konkret Schritte einleiten können, die mit ihnen einen Plan erstellen, was für denjenigen besser wäre, wie man seinen Studienalltag erleichtern könnte.

Sprecher: Am Institut Integriert studieren der TU gibt es nicht nur das Institut FORTEC, das für behinderte Studierende maßgeschneiderte Hilfsmittel anfertigt, sondern auch Studierende, die von der Technischen Universität speziell angestellt werden:

Mag. Marlene Fuhrmann-Ehn: Also wir an der TU Wien nennen das Tutoren, zur Studienunterstützung behinderter Studierender: Das sind auch Studierende, meistens Studierende aus dem selben Fach, wenn möglich, weil der ja wissen soll, was er mitschreibt, denn ich könnte zum Beispiel für niemanden mitschreiben, einfach weil ich die Sachen nicht verstehen. Das sind nicht irgendwelche netten Kollegen, die mir halt zufällig mitschreiben, sondern die Tutoren sind hier angestellt, bekommen dafür auch bezahlt, dass sie mitschreiben, und sie haben das einzuhalten. Also: Tutoren find ich, das trägt sehr viel zur Selbstbestimmung bei.

Sprecher: Diese Tutoren, könnten, ähnlich wie persönliche Assistenz am Arbeitsplatz, jene Arbeiten übernehmen, die die Studierenden aufgrund ihrer Behinderung nicht oder nur schwierig leisten können. Somit wäre auch der Studienerfolg leichter. Für Zoe Landauer wäre das ideal und genau das will sie dem Rektor auch vorschlagen.
Doch wohin können sich Studierende noch wenden, wenn es an der Universität zu wenig Information gibt. Felicitas Pflichter aus dem Ministerium hat noch ein paar Tipps:

Dr. Felicitas Pflichter, BMWF: Man könnte, abgesehen von den Behindertenbeauftragten an den einzelnen Universitäten, auch noch die Studierendenanwaltschaft nennen, wo man sich Informationen holen kann, oder die Studieninformation im Ministerium.

Sprecher, Gerhard Wagner: Mittlerweile hat Zoe Landauer wieder etwas Mut gefasst. Ohne die Unterstützung ihrer Eltern würde es nicht gehen. Aber auch beim Studium findet sie abseits aller Hürden im Hörsaal wichtige emotionale Unterstützung:

Zoe Landauer: Natürlich, nette Freunde und Kollegen sind ja genauso wichtig, die einem positiv zusprechen, die einem sagen: Ja es wird wieder klappen! Einfach, dass man ein Umfeld hat, das einem akzeptiert und annimmt, davon schöpft man schon viel Kraft, und das man einfach sieht: Wir sind eh alle ganz normal! Wir haben alle unsere Macken, aber das ist etwas ganz Normales!

Musik

Moderator, Ernst Weber: Im dritten Beitrag hören Sie Bernadette Feuerstein, Erich Schmid und Michaela Neubauer. Sie alle führen ein weitaus selbst bestimmtes Leben.

Erich Schmid ist blind. Er unterrichtet Informatik und ist Chorleiter. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Teaser: Er hat immer dazu gesagt: Halt! Oder Weiter! Und so bin ich gefahren. Also: Das waren Erlebnisse, wo ich vermittelt bekommen habe: Ah, ich kann das auch mit gewisser Hilfe. Und ich werde gebraucht. Ich bin wichtig.

Moderation: Selbstbestimmt in Beruf und Privatleben. Ein Beitrag von Katharina Zabransky

Sprecherin, Katharina Zabransky: Der Lehrer Erich Schmid ist von Geburt an blind. Geboren wurde er in Wolkersdorf, und hat dort seine Kindheit erlebt.

Erich Schmid: Und wenn wir auf der Straße gefahren sind, bin ich neben dem Rad meines Vaters gefahren und er hat seine Hand auf meine Schulter gelegt und hat mich gelenkt.

Sprecherin: Das Radfahren ist ein Erlebnis aus der Kindheit, das ihn sehr geprägt hat und zur Selbstbestimmung geführt hat. Erich Schmid war in zwei Kindergärten und hat dort die Erfahrung von Selbstbestimmung, Integration und begrenzten Möglichkeiten gemacht. Im zweiten Kindergarten, im Bundes-Blindeninstitut, gab es mehr Möglichkeiten für ihn und er konnte sich zum Beispiel besser orientieren. In der Volksschule und Hauptschule war er ein guter Schüler. Danach besuchte er das Gymnasium im Bundes-Blindeninstitut.

Erich Schmid glaubt, dass er relativ selbstbestimmt lebt. Er kann in den Bereichen, die ihm wichtig sind, selbst bestimmen. Er hat Arbeit am ersten Arbeitsmarkt als Lehrer am Blindenistitut, hat Einfluss auf das, was er unterrichtet, mit seinen entsprechenden Qualifikationen.

Erich Schmid: Ich denke, es hat die ganze Situation in der Kindheit dazu beigetragen, dass ich in Richtung Selbstbestimmtheit gegangen bin.

Sprecherin: Erich Schmid kann seinen Beruf selbstbestimmt ausüben. Er fühlt sich von seinen Kollegen gleichwertig angenommen und ist Personalvertreter der Lehrer und Erzieher. In seiner Tätigkeit als Lehrer kann er durch das Ziel der Methodenfreiheit auch weitgehend selbstbestimmt unterrichten und arbeiten.

Derzeit unterrichtet er Mathematik und Office-Management und Schach. Seine Ausbildung hat er in den Fächern Deutsch und Musik gemacht. Das Informatik-Lehramt hat er später nachgeholt.

Erich Schmid ist auch Leiter eines Kirchenchors. Das heißt:: Er leitet die Chorproben, dirigiert, sucht die Messen aus und bestimmt, was gesungen wird. Prinzipiell ist er interessiert an Musik und der Musikverarbeitung mit dem PC. Er hat ein Keyboard, mit dem er Musik bearbeiten kann.

Neben Literatur - er hat nebenbei Germanistik studiert - sind Musik, Wandern und Schwimmen seine Hobbys. Er beschäftigt sich viel mit dem PC, Selbstbestimmung ist hier gut möglich.
Im Unterricht ist ihm der Gedanke der Selbstbestimmung wichtig.

Erich Schmid: Es ist mir ganz wichtig, dass auch meine Schüler diesen Gedanken der Selbstbestimmung aufnehmen. Erstens einmal hoffe ich, dass ich für sie ein gutes Vorbild bin. Dass sie merken, ich möchte etwas, und dann setze ich es um oder versuche es umzusetzen. Ich setze mich an der Schule sehr für das offene kooperative Lernen ein. Das gibt es nicht nur in der Volksschule, sondern wir haben das auch an der Handelsschule, wo jeder der drei Handelsschulklassen bestimmen kann, mit wem er aus einer anderen Klasse oder aus der selben Klasse ein Projekt bearbeiten will.

Sprecherin: Kooperatives Lernen, wo die Lehrer nur als Berater zur Verfügung stehen, ist ihm in Volksschule und Hauptschule wichtig.

Erich Schmid: Ich denke, das ist ein guter pädagogischer Ansatz, um auch hier die Selbstbestimmung zu üben.

Sprecherin: Michaela Neubauer arbeitet zwanzig Stunden an einem geschützten Arbeitsplatz und wohnt in einer eigenen Wohnung.

Sie hat drei Geschwister und sie kommt aus Streben im Bezirk Güssing im Burgenland. Seit sieben Jahren lebt sie in Wien. Sie hat eine Gehbehinderung.

Michaela Neubauer: Ich wohn in einer eigenen Wohnung. Ich bin ja sowieso verantwortlich für mein Leben, quasi, dass ich schau, dass alles bezahlt wird, Miete oder was auch immer ... was man halt braucht im Leben

Sprecherin: Michaela Neubauer ist bei der People-First-Bewegung, die sich für ein selbst bestimmtes Leben für Menschen mit Lernbehinderungen einsetzt und leitet eine Peer-Gruppe. Seit sieben Jahren arbeitet sie beim Verein NINLIL

Michaela Neubauer: Das ist sehr lang, ziemlich lang - und ich bin auch stolz drauf.

Sprecherin: Michaela Neubauer war in der Sonderschule und hat drei Jahre lang eine Lehre als Wäschewarenerzeugerin gemacht. Lange war sie arbeitslos und hat viele Kurse und Praktika hinter sich gebracht. Sie konnte sich in Richtung Büro- und Sozialbereich weiterentwickeln. Das war für sie aber ein langer Weg. Nur vom Taschengeld zu leben, kann sie sich nicht vorstellen. Versichert zu sein, ist für Michaela Neubauer wichtig.

Michaela Neubauer: Für mich ist das ein Gefühl, eine Beschäftigung zu haben, dass man gebraucht wird und dass man sich das eigene Geld verdienen kann.

Sprecherin: Der Wunsch nach einem selbst bestimmten Leben hat sich bei Michaela Neubauer mit der Zeit durch verschiedene Erfahrungen entwickelt. Auch andere Menschen, zum Beispiel eine Arbeitsassistentin, haben sie bei ihrem Weg unterstützt.

In Wien, wo Michaela Neubauer jetzt lebt, fühlt sie sich freier als früher. Sie bereut es nicht, hierher gekommen zu sein. In Wien erlebt Michaela Neubauer aber auch Diskriminierung.

Michaela Neubauer: Diskriminiert zu werden, das gibt es auch: Ja, dass du ausgespottet wirst, oder das nachgeschaut wird, oder... einfach ... du musst dich jedes Mal durchkämpfen. Ja, dass ist manchmal ziemlich hart, aber es ist manchmal zu erreichen.

Sprecherin: Bei ihren Eltern und in der Schule hat Michaela Neubauer viel Fremdbestimmung erlebt. Ihre Eltern wollen heute noch über sie bestimmen.

Michaela Neubauer: Aber das lasse ich nicht mehr zu. Ich denk mir, ich habe mein eigenes Leben zu leben und ich bin selbst für das verantwortlich.

Sprecherin: Bernadette Feuerstein ist Leiterin von SLI Wien, der Selbstbestimmt-Leben-Initiative Wien. SLI Wien ist ein Verein, der das Ziel hat, das selbstbestimmte Leben von Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu unterstützen und populär zu machen. Bernadette Feuerstein ist Elektrorollstuhlfahrerin, sie ist Mutter einer Tochter und lebt mit persönlicher Assistenz. Sie hat Soziologie studiert und arbeitet im Sozialministerium.

Bernadette Feuerstein: selbstbestimmt heißt, dass ich selbst darüber bestimmen kann, wie sich mein Leben gestaltet, in welche Richtung es gehen soll, wie mein Leben ausschauen soll. Die wichtigste Forderung ist eigentlich, also wenn ich jetzt das "Selbstbestimmt Leben" hernehme, ist die, dass behinderte Menschen in allen Bereichen des Lebens - und in allen Bereichen: beruflich, privat, Familie, also wirklich wo auch immer, so teilnehmen können und so teilhaben können wie nicht behinderte Menschen.

Sprecherin: Wie sieht ein Alltag mit persönlichen Assistentinnen aus - und - wer sind die überhaupt?

Bernadette Feuerstein: Die persönlichen Assistentinnen sind Menschen, die mir meine Muskelkraft ersetzen.

Sprecherin, Katharina Zabransky: Bernadette Feuerstein ist berufstätig. Sie reist gerne und tut es auch. Auch die Erziehung ihrer Tochter ist nur durch die Unterstützung von Assistentinnen möglich. Für Frau Feuerstein wäre ihr Leben ohne persönliche Assistenz nicht mehr vorstellbar.

Bernadette Feuerstein: Aber es ist natürlich auch nicht immer leicht, besonders wenn ein so hoher Assistenzbedarf besteht wie bei mir, muss man die Assistentinnen natürlich sehr in sein Leben mit einbeziehen. Weil die Assistentin einfach jedes Bauchweh mitkriegt, vielleicht von einem Streit in der Familie die Assistentin weiß. Und da ist ein sehr großes Vertrauensverhältnis notwendig, und da muss man also wirklich die Auswahl der Assistentinnen sehr gut und klug wählen.

Moderator, Ernst Weber: Gestaltung: Elisabeth Losbichler, Katharina Zabransky und Gerhard Wagner. Moderation: Ernst Weber. In der nächsten Sendung hören Sie eine Aufzeichnung aus dem ORF-KulturCafe mit dem Titel: "Literatur-Freaks - Freaks in der Literatur." Texte von und über behinderte Menschen.

Trailer:

 

Sie hörten eine Sendung der Schwerpunktreihe "Selbstbestimmt mit allen Sinnen. Wege zur Gleichstellung, Wege ohne Diskriminierung", die vom Bundessozialamt aus Mitteln der Beschäftigungsoffensive der österreichischen Bundesregierung gefördert wird.

*Name von der Redaktion geändert


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