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Rubrik: Lesen statt Hören
27. Dezember 2009

Magazinsendung: Vom silvesterfesten Blindenhund zu sozialer Innovation

von Redaktion

gesendet am 27. Dezember 2009

Grüner Schriftzug auf weissem Hintergrund "Magazinsendung"

Moderatorin, Sandra Knopp: Willkommen bei Freak-Radio. Am Mikrofon begrüßt Sie Sandra Knopp. In der heutigen Magazinsendung berichtet Christoph Dirnbacher über die neuesten Entwicklungen am technischen Hilfsmittelmarkt. Silvester ist nicht mehr weit. Ein Silvester ohne Raketen und laute Böller ist für viele unvorstellbar. Doch gerade unsere Vierbeiner leiden besonders unter dem Lärm. Freak-Radio gibt Tipps, wie Sie und ihr Blindenhund den Jahreswechsel heil überstehen. Anschließend hören Sie einen Beitrag über die „Sozialmarie“ Diese Auszeichnung für Soziale Innovation wird im Mai 2010 bereits zum sechsten Mal vergaben. Freak-Radio war für Sie bei der Eröffnungspressekonferenz dabei.

Fenster, die sich wie durch Zauberhand öffnen lassen. Computer, die über Augenreflexe oder Gedanken gesteuert werden, all das ist längst keine Utopie mehr. Die technischen Hilfsmittel entwickeln sich laufend weiter. Problematisch ist hingegen ihre Finanzierung. Der Chef der Hilfsmittelfirma Mechatron, Jürgen Schnabler, weiß, wovon er spricht. Sein neunjähriger Sohn Ulrich ist spastisch und kommuniziert über technische Hilfen. Im folgenden Telefoninterview spricht Jürgen Schnabler über Chancen und Risken des österreichischen Hilfsmittelmarktes.

Christoph Dirnbacher: Herr Schnabler, mich würde zuerst einmal interessieren: Welche Produktpalette bietet denn Ihr Unternehmen an?

Jürgen Schnabler: Unsere Firma ist spezialisiert auf Produkte, beginnend mit Ursache und Wirkung. Das bedeutet, dass man mit Kindern schon in der Frühförderung beginnen kann, über basale Stimulation, das heißt visuelle Effekte, so eine Reaktion bei einem behinderten Kind erzeugen zu können.

Unser Angebot reicht bis hin zur Augensteuerung bei Schlaganfall Patienten oder Patienten mit hohen Querschnittslähmungen und wir sind in zukunftsweisender Orientierung sogar auf Gedankensteuerung ausgelegt in der Technik.

Christoph Dirnbacher: Jetzt habe ich das in der Programmvorschau  als Frage formuliert: Haben Sie schon einmal versucht, mit ihrem Computer ein Fenster zu öffnen? Ist das Zukunftsmusik oder geht das heute schon?

Jürgen Schnabler: Das geht schon lange, wenn ich das so sagen darf. Man kann das über Fensteröffner realisieren, die mittels einer Fernbedienung über den Computer bedient werden können. Also: das Fenster über den Computer zu öffnen, funktioniert.

Christoph Dirnbacher: Auf welche Probleme stoßen Sie in Ihrer täglichen Arbeit? Ich habe im Zuge der Recherchen für diese Sendungsaufzeichnung sehr viel  über Krankenkassen und deren Vorgaben hören können. Gibt es bei Ihnen ähnliche Beobachtungen oder sind es andere Themen die für die tägliche Beratungsarbeit relevant sind?

Jürgen Schnabler: Für uns ist natürlich die Finanzierungsseite interessant: Welcher Kostenträger kann die Versorgung übernehmen? Wobei man hier sehr stark differenziert in Österreich: Ob jemand von Geburt an oder durch Krankheit behindert ist oder durch einen Arbeitsunfall zu einer Behinderung kommt. Man unterscheidet also zwei Gruppen, nämlich die Menschen, die schon von Geburt an eine Behinderung haben, oder die aus sozialen Umständen oder Erkrankung eben eine Behinderung erlangen.

Da ist die Finanzierung in Österreich sehr kompliziert. Wenn man zum Beispiel einen Arbeitsunfall hat, gibt es gewisse Budgets, die zur Verfügung stehen, um den Alltag zu erleichtern.

Christoph Dirnbacher:  Es ist also im Wesentlichen davon abhängig, wie man zu seiner Behinderung gekommen ist... Wie sieht  es heute von der Zeitdauer aus, wenn ich zum Beispiel wegen meiner Behinderung einen Computer mit Augensteuerung brauche? Wie lange kann es dauern, bis ich tatsächlich darüber verfügen kann?

Jürgen Schnabler: Das ist je nach Engagement der Bundesländer unterschiedlich. Alle neun Bundesländer in Österreich haben verschiedene Förderrichtlinien. Man kann rechnen, dass, wenn es wirklich rasch gehen muss und gute Kontakte zur Verfügung stehen, die Versorgung in 14 Tagen stattfindet. Es kann aber auch sein, dass in Wien Wartezeiten von bis zu zwei Jahren erfolgen, bis es zu einer Versorgung kommt.

Christoph Dirnbacher: Jetzt sehr provokant gefragt: Sie sagen, bis zu zwei Jahren. Ist da nicht der Eine oder Andere schon längst auf Gottes Acker, bis die Finanzierung steht?

Jürgen Schnabler: Es kommt immer wieder vor, dass uns die betroffenen Personen, Patienten oder behinderte Menschen, vor der Versorgung, aufgrund des sehr bürokratischen Amtswegs bei der Finanzierungshilfe, versterben.

Christoph Dirnbacher: Gehen wir vielleicht noch ein Stück weit auf die persönliche Ebene ein: Ich habe im Zuge der letzten Sendungsaufzeichnung einen Gast gefragt, was, welche Geschichten er von seiner Beratung mit nach Hause nimmt. Ich möchte diese Frage auch an Sie richten und Sie fragen, ob es Erlebnisse im Zusammenhang mit Ihrer Arbeit gibt, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?

Jürgen Schnabler: Es gibt immer wieder Erlebnisse, denn jede Versorgung ist ein Einzelfall in unserer Branche. Es kommt vor, dass ein junger Mann oder eine Dame ein Kommunikationsgerät vorgestellt bekommt und sich zum ersten Mal nach 35 Jahren äußert. Er oder sie äußert Wünsche und das Bedürfnis nach Kommunikation, das Kommunikationsgerät ist aber nur für die Dauer der Vorstellung verfügbar und wird dann vom Kostenträger nicht übernommen - und diese Person bekommt dann das Kommunikationsgerät nicht. Es ist sehr schwer, wenn man von dieser Feststellung dann nach Hause fahren muss.

Christoph Dirnbacher: Man hat also jemandem, wenn ich Sie richtig verstehe, etwas schmackhaft gemacht, was dann vielleicht nicht verfügbar ist?

Jürgen Schnabler: Ja genau! Man kann im Voraus oft nicht abschätzen, wer der Kostenträger für dieses Hilfsmittel ist. Es scheitert dann oft an den Betreuungs- und Bezugspersonen, die Engagement an den Tag legen, dass diese Person auch mit dem entsprechenden Mittel versorgt wird. Es verläuft sich dann am Behördenweg.

Christoph Dirnbacher: Von welchen Summen sprechen wir hier, wenn man sagt, eine Kommunikationshilfe oder ein Umgebungssteuerungsmechanismus: In welchen Größenordnungen muss man da denken?

Jürgen Schnabler: Wenn man zum Beispiel einem stationär pflegebedürftigem Menschen ein Kommunikationsgerät installieren möchte, damit er seine Umgebung steuern kann - darunter fallen zum Beispiel unterhaltungselektronische Geräte oder eine Gegensprechanlage - dann beginnt das bei etwa 1.500 Euro und endet bei einer kompletten Hausautomatisierung etwa bei 30.000 Euro.

Christoph Dirnbacher: Damit sind wir mitten im Hilfsmittelmarkt. Wie groß würden Sie den österreichischen Markt schätzen, wie viele Anbieter bewegen sich in diesem?

Jürgen Schnabler: Von den Anbietern sind es ungefähr zwei oder drei Firmen, die solche Ausstattungen installieren können. Es gibt einen sehr sehr großer Bedarf. Die Kostenübernahme bei solchen Versorgungen ist aber sehr gering, der Markt ist sehr groß und die Möglichkeit der Versorgung ist sehr gering.

Christoph Dirnbacher: Spüren Sie als Hilfsmittelhersteller oder als Händler die Wirtschaftskrise? Oder ist das konjunkturunabhängig, sodass man das nicht in Beziehung setzen kann?

Jürgen Schnabler: Von der Wirtschaftskrise gibt es bei uns keine Auswirkungen. Unsere Ausstattungen verlaufen immer sehr konstant. Es gibt schon gewisse Budgets die in Betracht gezogen werden können, durch Unfallversicherungen und dergleichen, aber von der Wirtschaftskrise können wir nicht sprechen.

Christoph Dirnbacher: Abschließend noch eine visionäre Frage: Wohin wird sich Ihrer Meinung nach die Zukunft des Hilfsmittels entwickeln?

Jürgen Schnabler: Dass man frühzeitig die Förderung bei behinderten Kindern beginnt, damit sie am Computer Arbeiten erledigen können. Aufbauend auf Computerbildung, hier in sonderpädagogischen Zentren, Sonderschulen oder Klassen mit Integrationskindern Unterstützung zu geben. Denn der Computer stellt eine wesentlich Basis für die weitere Entwicklung und Arbeitschancen behinderter Menschen dar.

Christoph Dirnbacher: Im Bezug auf die Geräte selber hört man immer wieder Schlagworte wie "Brain-Computer Interface". Wie sehen Sie da die Entwicklung? Wann werden solche Geräte verfügbar sein und wie werden sie ausschauen?

Jürgen Schnabler: Derzeit ist der Trend, dass man von der üblichen Bedienung über Tastatur und Maus hin zur Augensteuerung durch Pupillenerkennung geht. Dieser Trend ist derzeit erkennbar - und wir haben jetzt schon Systeme mit Gedankensteuerung im Testbetrieb, wo man beispielsweise bei einem Wachkomapatienten, der damals als solcher eingeschätzt wurde, erkennt, dass dieser eigentlich alles versteht und sich über die Gedanken und Augen mitteilen kann. Gedanken und Augensteuerungen sind sicher der zukunftsweisende Trend.

Christoph Dirnbacher: Wie darf sich der Laie eine Gedankensteuerung vorstellen?

Jürgen Schnabler: Eine Gedankensteuerung ist so wie ein Stirnband oder ein einfacher Helm, in dem Gehirnströme wie in einem EEG-System im Krankenhaus abgenommen werden, durch komplexe Verstärkerschaltungen analysiert werden und somit eine Tastatur oder Mausverfügung gegeben ist.

Christoph Dirnbacher: In der Praxis schaut das also so aus: Der Patient denkt an die Wurstsemmel und der Computer gibt ein Bild von einer Wurstsemmel aus? Oder ist das eher so, dass ich an die Richtung links denke und sich der Mauszeiger Richtung links bewegt?

Jürgen Schnabler: Derzeit sind wir noch in einem Stadium, wo man an den großen Zeh denkt und der Computer arbeitet dann einen Kreis aus. Also man kann die Gedanken jetzt noch nicht zuweisen, sondern nur über Umwege zuordnen.

Christoph Dirnbacher: Interessant! Also ich kann mir noch nicht richtig vorstellen wie das vor sich geht: Wenn man gewisse Areale anspricht, dann kann man den Computer zu Reaktionen bewegen, die man dann entsprechend deuten kann?

Jürgen Schnabler: Ja genau. Man muss dann zuordnen was dieses Gedankenmuster bedeuten soll. Ich kann jetzt nicht denken, ich bewege meinen linken Arm und durch einen Roboterarm bewegt sich dann der linke Arm. Ich muss an meinen linken Zeh denken und dann kann es sein, dass sich der linke Arm bewegt.

Christoph Dirnbacher: Gibt es in Bezug auf die Größe solcher Geräte in nächster Zeit wesentliche Fortschritte? Von der Handybranche hört man ja immer wieder: Alles würde kleiner und leichter werden... Gilt das für die Hilfsmittelbranche auch?

Jürgen Schnabler: Ja. Die sogenannten Augensteuerungen gibt es seit etwa vier Jahren am Markt. Das waren früher starke Computer, die an einer Säule oder einem Ständer befestigt und mit Strom verbunden werden mussten. Heute gibt es schon Geräte, die kompakt und mobil sind, mit Akkulaufzeit von bis zu zehn Stunden. Man stellt das Gerät auf den Tisch: Das ist ein Monitor mit einer Kamera und kann somit über ein ABC kommunizieren. Es verkleinert sich und wird kompakter. Auch die Gedankensteuerungen, wo man früher eine Art Helm auf dem Kopf mit 60 Kabeln zu einem Computer tragen musste, das gibt es jetzt schon in Stirnbandform mit Übertragung per Bluetooth.

Christoph Dirnbacher: Alles in Allem recht positive Visionen die Sie uns hier präsentiert haben! Ich sage danke für´s Telefonat und hoffe, dass uns die Technik nicht im Stich gelassen hat.

Mehr über technische Hilfsmittel für Menschen mit Behinderungen finden Sie unter www.freak-radio.at

 

Moderatorin: Der Pudel Shadow begleitete seine blinde Besitzerin Maria Bernold jahrelang durch den Alltag. Der Blindenhund fand Aufzüge und Türen und bewahrte sie vor Kollisionen. Shadow war eine sehr gehorsame Führhündin. Silvester gefiel ihr jedoch gar nicht. Im Interview mit Christoph Dirnbacher spricht Maria Bernold über ihr Leben mit Shadow und gibt Anregungen für einen entspannten Silvesterabend mit Blindenhund.

Christoph Dirnbacher: Frau Bernold, es geht heute um Silvester, auch wenn das noch ein bisschen dauert. Wie verbringen Sie denn am liebsten Silvester?

Maria Bernold: Am liebsten entspannt mit der Familie. Ich bin auch schon am Silvesterpfad mitgegangen, aber das ist viel zu laut und viel zu viel. Daheim mit den Liebsten ist es viel schöner.

Christoph Dirnbacher: Der Grund, warum wir heute hier sind und plaudern ist: Sie verbringen Silvester mit Ihrem Blindenhund. Gibt es Erlebnisse, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?

Maria Bernold: Es gab schon Silvester, wo ich zu Hause geblieben bin, weil es so unangenehm war, mit den Knallern. Man kann sie nicht zuordnen. Das Problem ist, wenn man mit Führhund unterwegs ist, dann ist das eine gegenseitige Vertrauensgeschichte. Es kann nur funktionieren, wenn gegenseitiges Vertrauen da ist. Wenn der Hund nervös wegen der Kracher ist, oder wenn ich nervös bin, dann laufen wir unkontrolliert durch die Gegend. Das ist für beide nicht angenehm bis gefährlich.

Christoph Dirnbacher: Der Hund spürt auch die Kracher?

Maria Bernold: Er spürt meine Nervosität und die Kracher hört er ja natürlich auch.

Christoph Dirnbacher: Was würden Sie Führhundebesitzern raten, die ein entspanntes Silvester verbringen wollen?

Die Hunderunden möglichst kurz zu halten und den Hund auch nicht von der Leine zu lassen. Man kann die Kracher einfach nicht zuordnen, einordnen, wo sie herkommen. Wenn man vielleicht einen schreckhafteren Hund hat, ist der vielleicht auf und davon! Oder wenn wieder mal das lustige Führhunden-zu-Silvester-Kracher-vor-die-Pfoten-werfen beginnt... Das ist leider ein sehr berühmter Sport geworden. Dann ist man verraten und verkauft.

Christoph Dirnbacher: Das heißt es gibt Menschen, die bewusst Führhunden Kracher vor die Füße werfen?

Maria Bernold: Das ist leider wahr. Ich kenne einen Fall, wo der Führhund dann außer Dienst genommen werden musste.

Christoph Dirnbacher: Ihr eigener Führhund ist mittlerweile auch schon außer Dienst?

Maria Bernold: Ich hab die Shadow außer Dienst genommen, als ich gemerkt habe, es stimmt etwas nicht. Ihr Wesen hatte sich verändert, sie wollte nicht mehr führen. Sie war unruhig und tageweise sogar grantig, das kannte ich von ihr nicht. Im Sommer habe ich sie dann außer Dienst genommen. Ich habe sie dann aufs Land gegeben zu einer ganz ganz netten Familie. Die Entscheidung haben wenige verstanden, aber ich sage, ich kann das einem Hund, der immer rund um mich war, nicht antun, dass er dann allein zu Hause in der Wohnung eingesperrt sein muss, das würde ich brutal finden. Deshalb habe ich ihr einen schönen Pensionsplatz gesucht und da wurde dann recht schnell festgestellt, dass sie Bandscheibenprobleme hat und Nierenkrebs, obwohl ich mit ihr immer in tierärztlicher Kontrolle war. Das ist leider erst dann aufgefallen. Der Tierarzt hat damals gesagt, dass sie noch etwa acht Wochen hätte. Ich war bei Ihr, ich war sie besuchen und es war auch ausgemacht, dass ich sie demnächst wieder besuchen gehe. Dazu ist es leider nicht mehr gekommen. Sie ist Ende Oktober verstorben. Aber sie musste nicht leiden, das war mir das Wichtigste, ganz wichtig für mich. Ich habe mir nicht gedacht, dass es mir so nahe geht. Ich hab schon früher eine Katze  gehabt. Da war ich  beim Einschläfern dabei. Die habe ich auch sehr geliebt, aber es war nicht das Gleiche wie bei der Shadow. Sie war immer bei mir, 24 Stunden am Tag. Sie hat nie irgendwelche Anzeichen gemacht, außer dass sie sich vom Wesen verändert hat. Ich habe das auf ihr Alter geschoben... „Die wird halt auch alt, die mag nicht mehr...“ Aber dass sie so krank ist, damit hat keiner gerechnet.

Christoph Dirnbacher: Scheinbar hat doch mehr dahintergesteckt. Gibt es in Bezug auf diesen Führhund ein Erlebnis, an das Sie gerne zurückdenken?

Maria Bernold: Es war einfach irrsinnig schön, wie sie reagiert hat, als sie gemerkt hat dass ich schwanger geworden bin mit meinem Sohn. Das hat sie genau gewusst. Sie war sehr mitfühlend zu mir, und auch als der Kleine dann geboren wurde, hat sie sich sofort zum Kinderbett gelegt. Das war unglaublich, das zu beobachten. Wunderschön!

Christoph Dirnbacher: Also, sie hat auch ein bisschen die Schutzfunktion übernommen?

Maria Bernold: Das sollte sie seitens ihrer Ausbildung eigentlich nicht, aber sie ist ein Hund, da hat natürlich auch der Instinkt ein bisschen durchgeschlagen. Es war auch nicht leicht, ihr das später wieder abzugewöhnen.

Christoph Dirnbacher: Was abzugewöhnen?

Maria Bernold: „Rudelführer bleibe ich!“

Christoph Dirnbacher: Könnten Sie jemandem, der sich nie mit Blindenführhunden beschäftigt hat beschreiben, wie das vor sich geht, wenn Sie mit ihrem Hund außer Haus gehen?

Maria Bernold: Genauso wie ich mich anziehe mit Jacke und Schuhen, wird der Hund ins Führgeschirr genommen und angeleint. Dann verlassen wir beide gemeinsam das Haus, erledigen halt, was wir zu erledigen haben. Ein Führhund kann irrsinnig viele Befehle ausführen, sei es jetzt so einfache Sachen wie links und rechts“, Treppen hinunter, Sitzplätze anzeigen, Türen anzeigen, Eingang, Ausgang. Aufzüge, die Kasse im Supermarkt, der Schalter von der Post oder der Bank. So hilfreiche Sachen kann der Hund. Was wichtig ist, ist dass gegenseitiges Vertrauen da ist. Es hilft mir nichts, wenn ich dem Hund nicht vertraue und umgekehrt genauso wenn der Hund mir nicht vertraut. Das geht genauso wenig gut. So schaut das in etwa aus. Also es ist eine Zusammenarbeit.

Christoph Dirnbacher: Wenn Sie im Alltag unterwegs sind, wie reagieren die Leute, wie reagiert das Umfeld auf den Hund? Gibt es da das Eine oder Andere, was Ihnen dazu einfällt?

Maria Bernold: Höchst unterschiedlich: Dass die Leute interessiert sind und Fragen stellen oder auch die Kinder den Hund einmal streicheln. Freundlich bis hin zu unfreundlich und aggressiv: „Was haben Sie hier mit dem Hund verloren?“ „Wo ist der Beißkorb, geben Sie ihn gefälligst rauf!“ „Nur weil Sie blind sind, haben Sie auch nicht alle Rechte.“ Teilweise gibt es auch schlimme Aggressionen!

Christoph Dirnbacher: Die sich worauf gründen?

Maria Bernold: Unverständnis, vielleicht ist die Ansicht dahinter, dass ich mich in den Mittelpunkt stellen will; Hundehass allgemein, und eben dass ich mir nicht besondere Vorrechte  wegen meiner Behinderung herausnehmen soll. Es existiert noch immer das Vorurteil, dass behinderte Menschen auf Kosten der Anderen leben. Wenn man dann womöglich mit so einem Menschen zusammentrifft der womöglich auch noch ein Hundehasser ist, dann wird es wirklich extrem (lacht).

Christoph Dirnbacher: Jetzt haben wir mehr über die Führhunde geplaudert als über Silvester. Einzig was mich noch interessieren würde als Laien auf diesem Gebiet: Wie kommt man zu so einem Führhund?

Maria Bernold: Am Besten man spricht einmal mit unterschiedlichen Führhundeschulen und schaut sich alle an, die es rundherum gibt. Oder man sucht Kontakte zu Menschen, die schon einen Führhund besitzen. Oder man geht zum Führhundereferat beim Blindenverband. Da gibt es die verschiedensten Wege. Der Tipp ist wirklich, sich die verschiedensten Schulen anzuschauen und sich für diejenige zu entscheiden wo einem der Hund gut gefällt und wo man auch mit dem Trainer zusammenkommt.

Christoph Dirnbacher: Was kostet so ein Blindenführhund und muss man den selber zahlen?

Maria Bernold: So ein Durchschnittswert liegt zwischen 25.000 und 30.000 Euro, mit Steuer, diese wird wie bei jedem Produkt verrechnet.

Christoph Dirnbacher: Es ist ja extrem wichtig, wenn ich das richtig in Erinnerung habe, sich auf einen neuen Blindenführhund wieder neu einzustellen.

Maria Bernold: Ganz ganz ganz wichtig. Keine Schule ist gleich, kein Hund ist gleich. Das sind einzigartige Wesen wie wir Menschen. Jeder Hund ist anders. Man muss sich immer neu einstellen.

Christoph Dirnbacher: Wie lange dauert ein solches Aufeinander-Einstellen und Kennenlernen?

Maria Bernold: Das kann man, glaube ich, nicht über den Daumen sagen. Es kann auch sein, dass es gar nicht funktioniert, dass manche Menschen mit manchen Hunden gar nicht zusammen passen, obwohl das gute Führhunde sind und gute Menschen.

Christoph Dirnbacher: Was macht man in so einem Fall?

Maria Bernold: Sich für einen neuen Blindenführhund entscheiden.

Christoph Dirnbacher: Apropos entscheiden: Haben Sie sich schon entschieden, ob Sie sich wieder einen Blindenführhund zulegen oder lassen Sie sich noch Zeit mit dieser Entscheidung?

Maria Bernold: Ich möchte schon wieder einen Hund und möchte auch wieder einen Pudel haben. Ich möchte mir aber noch Zeit lassen. Der Tod von der Shadow ist noch zu kurz her.

 

Moderatorin: Am 4. Dezember 2009 fiel der Startschuss zur Sozialmarie 2010. Dabei können Unternehmen, Partner aus der Sozialwirtschaft und der öffentlichen Verwaltung ihre innovativen Sozialprojekte einreichen. Erstmals sind auch Projekte aus ganz Ungarn dabei. Bei der Eröffnungspressekonferenz war auch Bundessozialminister Rudolf Hundstorfer zu Gast.

Rudolf Hundstorfer: Ich möchte nicht über Sozialpreise irgendwo irgendwelche belanglose Aussagen machen, sondern ich möchte das auch praktisch leben. Das bedeutet, dass man herkommt, danke sagt für das, was hier alles geschieht, denn es ist nicht selbstverständlich.

Sandra Knopp: Auch die Kapfenberger Bürgermeisterin Brigitte Schwarz (SP) ist zur Pressekonferenz gekommen. Das Projekt der obersteirischen Industriestadt - "Zukunft für alle" - hat im Vorjahr den 2. Platz belegt. Doch wie ist es entstanden?

Brigitte Schwarz: Ausschlaggebend war ein Artikel den ich in der Zeitung gelesen habe, wo geschrieben stand, dass in Österreich eine Million Menschen armutgefährdet sind. Ich habe mir dann die einfache Frage gestellt: Kapfenberg hat 22.000 EinwohnerInnen, da müssten ja auch in Kapfenberg einige Tausend Menschen an der Armutsgrenze leben oder arm sein.

Moderatorin: Eines der Ergebnisse war eine sogenannte "Aktiv-Card". Diese ermöglicht es, auch Menschen, die nur ein sehr geringes Einkommen haben, Leistungen der Kommune zu beziehen. Die Palette reicht von Vergünstigungen bei Fußball oder Büchereikarten bis hin zu Ermäßigungen bei Essen auf Rädern. Um breite Schichten der Kapfenberger Bevölkerung anzusprechen brauchte es jedoch weitere Maßnahmen:

Brigitte Schwarz: Wir haben dann gemerkt, dass ein großes Bedürfnis oder ein großer Wunsch wäre, einen Lebensmittelmarkt zu haben wo man günstig einkaufen kann. Wir haben uns dann viele Projekte angeschaut und haben letztlich einen Markt bekommen, der ein ganz normales Lebensmittelgeschäft ist wo man mit einer Chipkarte zahlt, wo kein Mensch merkt dass man wenig zur Verfügung hat. Mit dieser Karte bezahlt man 30 bis 50 % für einen Einkauf. Da hat es eine ganze Reihe von Maßnahmen gegeben. Wir wollten nicht nur Einzelmaßnahmen sonder ein ganzes Projekt und ganz wichtig war mir auch ein Ent-tabuisieren des Themas, das heißt auch Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben und hinauszugehen und den Menschen zu vermitteln: Arm zu sein ist keine Schande. Das kann jeden treffen und es gibt Hilfe und man kann sich an Einrichtungen, an Menschen wenden.

Moderatorin: Das Einzugsgebiet der Sozialmarie vergrößert sich stetig. Heuer ist es erstmals möglich, Projekte aus ganz Ungarn einzureichen. Außerdem können neben österreichischen Projekten auch europäische Beiträge teilnehmen. Hier gilt allerdings ein 300-Kilometer-Radius ausgehend von Wien. Organisatorin Wanda Moser-Heindl betont, wie wichtig Öffentlichkeitsarbeit für die Sozialmarie ist.

Wanda Moser-Heindl: Wir sind in den Bundesländern noch schwach vertreten, und vor allem suchen wir Unternehmen aus der Realwirtschaft, die einreichen, denn wir wissen, dass es in Unternehmen ganz viele innovative Sozialprojekte und soziale Innovationen gibt.

Moderatorin: Wanda Moser Heindl hebt hervor, wie wichtig es ist, ein Projekt auch wissenschaftlich zu begleiten. Die gewonnenen Erkenntnisse seien unverzichtbar für die eigene Weiterentwicklung. Sozialforscher Marc Diebäcker hat gemeinsam mit seinem Team rund 900 Einreichungsformulare analysiert. Laut der von ihm durchgeführten Studie ist soziale Innovation alles, was neu ist, gemeinsam mit Betroffenen erarbeitet wird und auf soziale Ungerechtigkeit reagiert. Doch Innovation kann nur gelingen, wenn finanzielle Ressourcen vorhanden sind.

Marc Diebäcker: Die Initiativen sind in der Regel klein, sie sind prekär finanziert und es arbeiten Ehrenamtliche mit Teilzeitbeschäftigten zusammen. Das bedeutet, dass die Etablierung von sozialer Innovation in hohem Maße auch von den Mitteln von Außen abhängt. Da hat der öffentliche Sektor , das hat sich in der Umfrage auch gezeigt, eine besondere Verantwortung. 70 % aller Projekte brauchen auch eine Finanzierung vom Staat. Da möchte ich darauf hinweisen, wenn Sparpakete im sozialpolitischen Bereich kämen, würden solche Projekte unter Druck kommen. Außerdem würde in der Gesellschaft das sozialpolitische Potential verschenkt welches sich dort entwickelt sowie Versorgungslücken breiter werden und die soziale Ungleichheit sich verschärfen. Da möchte ich nur nochmals auf die sozialpolitische Dimension hinweisen.

Moderatorin, Sandra Knopp: Die Sozialmarie 2010 hat gleich drei Ehrenschützer. Die ersten beiden sind Johanna Rachinger, Generaldirektorin der Österreichischen Nationalbibliothek sowie ihr Mann Fritz Panzer. Er ist Geschäftsführer des Carl Ueberreuter Verlages. Der Dritte im Bunde ist der ungarische Schriftsteller Miklos Vamos. Mehr Informationen über die Sozialmarie finden Sie auch im Internet unter www.sozialmarie.org sowie auf www.freak-radio.at

Innovative Projekte für die Sozialmarie können noch bis 15. Februar 2010 eingereicht werden. Sie hörten eine Magazinsendung von Christoph Dirnbacher. Sprecherin Sandra Knopp. Nächsten Sonntag geht Gerhard Wagner der Frage nach, ob die Rechte von Menschen mit Behinderungen hierzulande gewahrt werden. Betroffene berichten immer wieder von Pflegedienstmitarbeiterinnen, die plötzlich und unangemeldet im Wohnzimmer stehen. Sandra Knopp wünscht Ihnen im Namen der ganzen Freak-Radio Redaktion einen guten Rutsch ins neue Jahr und verabschiedet sich bis zum nächsten Mal.

Dieser Beitrag ist im Rahmen des Projektes "Lebens- und Arbeitswelten" erschienen.


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