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.Martin Ortner: Wie die Posaune mich bewegt
Als Kind hat Martin Ortner fasziniert das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker im Fernsehen verfolgt – aus großen Kinderaugen wurde musikalische Leidenschaft und heute Beruf. Seine körperliche Einschränkung "behindert" den jungen Posaunisten dabei nicht.
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Der 26-Jährige studiert Posaune an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien. Er lebt mit einer Zerebralparese, einer Behinderung, die zu Verlangsamungen im Bewegungsapparat führt und seine Gehfähigkeit einschränkt – trotzdem spielt er ein körperlich sehr forderndes Blechblasinstrument.
Von frühen Vorspielabenden an der heimatlichen Musikschule hat es der gebürtige Steirer inzwischen in den Goldenen Saal des Musikvereins geschafft. Dieser Karrieresprung bedeutet harte Arbeit. Harte Arbeit, die von jeder Musikerin und jedem Musiker im Bereich der klassischen Musik eingefordert wird. Täglich mehrere Stunden üben, Unterrichtsstunden wie Meisterkurse bei renommierten Professor:innen belegen und im Orchester spielen – das sind nur wenige der To-Dos im Zuge einer musikalischen Ausbildung. Dieser Alltag erfordert Konzentration und enorme physische Anstrengungen.
Martin muss durch seine körperlichen Einschränkungen oft bis an die äußersten Belastungsgrenzen gehen, trotzdem würde ihn nichts von seinem Weg abbringen: Er spiele, um das Publikum mit seiner Musik glücklich zu machen, sagt er.
"Damit rechnet einfach niemand"
Hinter Martin liegen drei schwere Operationen, zuletzt eine zwölfstündige Wirbelsäulen-OP aufgrund einer stark fortgeschrittenen Skoliose. Drei Mal musst er quasi bei 0 anfangen – es ist aber gerade die Musik, die ihn aus diesen Tälern befreit. Martins Mutter hat ihm schon früh geraten, nie aufzuhören, bis zu einem gewissen Grad gegen die eigene Behinderung zu kämpfen. Daran hält er fest, denn er ist sich sicher: „Das Leben ist eine Competition. Der bessere gewinnt." Hürden müssten eben genommen werden.
Barrieren im Business gibt es nur zu genüge, eigentlich wäre die ganze Szene der Klassik ein einziger Stolperstein, sagt Martin. Es sind ganz banale Dinge, die zum Problem werden können: Wie komme ich in den Orchestergraben oder auf die Bühne? Kann ich an einer Orchestertournee teilnehmen? Gibt es auf der Bühne einen Stuhl für mich, wenn ich im Stehen nicht spielen kann? Die Veranstalter, so Martin, rechnen einfach nicht damit, Musiker:innen mit Behinderung zu begegnen, weil es sehr wenige im Profi-Bereich gibt. Woran liegt das?
Mentoren und Support
Martin versteht die fehlende Diversität in der Klassik nicht als hausgemachtes Problem der Branche. Laut ihm beginnt es schon viel früher: Eltern von Kindern mit Behinderungen würden dazu tendieren, ihre Schützlinge vor jedem Scheitern bewahren zu wollen. So auch vor einem Scheitern als Musikerin oder Musiker mit ständiger Konkurrenz. Ein falscher Schutzmechanismus, der vielen Kindern das Vertrauen in das eigene Können raubt, stellt Martin fest. Er selbst hat im Leben das Glück gehabt, immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, erzählt er im Gespräch.
Vom ersten Klimpern in der musikalischen Früherziehung bis zu seiner universitären Ausbildung ist er auf Menschen gestoßen, die ihn für sein Talent und seine Leistung wertschätzten, ihn förderten und forderten. Dafür ist er dankbar.
Im Interview nahm uns Martin mit in die Welt der Wiener Konzerthäuser. Wer sich von seinem Können überzeugen will, wird noch bis Juni 2021 hier fündig:
www.arte.tv/de/videos/097340-004-A/beethoven-drei-equali-fuer-vier-posaunen-woo-30/
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In der klassischen Musik sind Menschen mit Behinderung nach wie vor die Ausnahme. Felix Klieser, ein deutscher Hornist ohne Arme, hat sich mittlerweile einen Namen gemacht. Ebenso der Sänger Thomas Quasthoff mit einer Größe von nur 1,34 m oder der blinde italienische Tenor, Songwriter und Produzent Andrea Bocelli.