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Medien, die alle nützen können
Freak-Radio berichtet über aktuelle Projekte, die beim »<A-Tag> 07: Barrierefreie Medien« präsentiert wurden. In dieser Sendung wird berichet, welche Möglichkeiten behinderten Menschen durch das Internet und moderne Technologien offen stehen und wie diese auch bei der Arbeit nutzbringend eingesetzt werden können, und welche aktuelle Enwicklungen es gibt.
Freak-Moderator: Medien, die alle benützen können.
Medien haben in den letzten Jahren unseren Alltag verändert. Wir benutzen täglich ganz selbstverständlich viele Unterhaltungs- oder Informationstechnologien, von denen man vor hundert Jahren nicht einmal geträumt hat.
Doch manche Menschen können mit den verschiedenen Medien nichts anfangen. Blinde Menschen sehen etwa das Bild am Fernseher nicht, lernbehinderte Menschen verstehen oft die Inhalte nicht und manche bewegungsbehinderte Menschen können die Tastatur ihres Computers nicht bedienen. In den letzten Jahren sind deshalb viele Technologien entwickelt worden, die Medien zugänglich für alle machen sollen.
Teaser: Es sind in den letzen Jahren viele Türen für mich aufgetan worden. Ich könnte ohne dieses ganze Online-Zeugs mein tägliches Leben überhaupt nicht mehr organisieren, weil ich mich umgestellt habe. Ich will jetzt keine Beispiele nennen, es gibt deren genug, denn wenn man ein bißchen nachdenkt, gibt es in vielen Situationen für mich eigentlich keine Alternative zum digitalen Medium, weil ich ja Schriftliches auf Papier nicht behandeln kann.
Da ist für mich die Frage aufgekommen, wie sieht das in zwei, drei Jahren aus, wird sich die Technik auf allen Seiten, auch auf meiner Softwareseite, so entwickeln können, dass ich die noch benutzen kann? Wie wird sich das weiterentwickeln, wie werden sich diese Probleme lösen, denn es sind echte Zugänglichkeitsprobleme. Wie wir ja gehört haben, wird auch die Technik bald in der Lage sein, die meisten Dinge zu knacken. Das war die eine große Frage: Werde ich in fünf Jahren noch mein Konto benutzen können?
Freak-Moderator: Vor allem das Internet hat den Alltag aller, natürlich auch der behinderten Menschen, gehörig verändert: Blinde Benutzer können jetzt ohne fremde Hilfe etwa die aktuelle Zeitung lesen, wenn sie eine Online-Zeitung aufrufen und sie können Bankgeschäfte erledigen. Ein "Screenreader" liest die Texte vor, und mit einer speziellen Tastatur in Blindenschrift, der "Braillezeile", können sie auch mit den Fingern lesen. Und Menschen, die nur schwer gehen können, müssen nicht mehr zum nächsten Postamt gehen, um einen Brief aufzugeben, sondern senden ihn bequem vom Wohnzimmer aus weg.
Auch der Fernseher kann barrierefrei sein: Untertitel oder Gebärdensprachdolmetsch für gehörlose oder hörbehinderte Menschen; oder "Audiodeskription" im Zweikanalton, die beschreibt, was blinde Menschen nicht sehen können.
Auch für Freak-Radio ist Barrierefreiheit ein wichtiges Anliegen. Deshalb wurde 2007 ein Programm entwickelt, das "Radio mit Untertiteln" möglich macht: Auf der Homepage www.freak-online.at gibt es einen MP3-Player, der sich ganz normal bedienen lässt, und es gibt dazu Untertitel, wo man sieht, was wer gerade spricht. Dabei kann man zum nächsten Sprecher springen, oder zum nächsten Untertitel - und Schrift und Ton bleiben synchron. So wird auch Radio barrierefrei.
Mitte Oktober hat der Verein Accessible Media im 19. Stock des Techgate Vienna in Wien verschiedene Experten zum Thema »Barrierefreie Medien« eingeladen. Ungefähr hundert Besucher haben sich im Vortragssaal mit Fernblick über Wien und die Donau gedrängt, um von Experten aus dem In- und Ausland zu erfahren, wie das Web barrierefrei möglichst für alle sein kann.
Doch das ist gar nicht so einfach: Haben Sie schon einmal versucht, ohne Maus den Computer zu benutzen? Bei manchen Webseiten gelingt das mühelos. Bei anderen scheitert man vollkommen.
Das ist eine der Grundregeln, damit man mit Screenreadern arbeiten kann, die blinden Menschen das Web vorlesen. Eine klare und übersichtliche Struktur auch bei der Navigation mit der Tastatur ist ebenso wichtig. Denn blinde Menschen sehen das Web ja wie mit einer lichtstarken Taschenlampe. Man kann immer nur Teilbereiche ausleuchten. Den Gesamtzusammenhang kann man nicht sehen. Alle Computersysteme sollten das unterstützen. In der Praxis tun sie das meistens nicht, also gibt es Barrieren im Internet. Immer wichtiger wird auch der logische Aufbau und die Kennzeichnung von Informationen.
Jan Eric Hellbusch: Wie filtere ich als User Information aus einer Seite und wie wird das dann für behinderte User aussehen? Diese Informationen sind oft verborgen und gerade auch für Blinde und Sehbehinderte nicht unbedingt erkennbar und sicher auch nicht für Lernbehinderte...
Freak-Moderator: ...sagt etwa Jan Eric Hellbusch. Er ist selbst blind und deutscher Accessibility-Experte. Während seines Vortrags hat er sich mit Kopfhörern die Powerpoint-Texte vorlesen lassen, die er den Tagungsteilnehmern präsentiert hat, ein Beispiel von Barrierefreiheit.
Doch wer ist eigentlich für Barrierefreiheit einer Webseite zuständig? Diese Frage beantwortet Peter Purgathofer vom Institut für Gestaltungs- und Wirkungsforschung der Technischen Universität Wien sehr eindeutig:
Peter Purgathofer: Es ist Aufgabe der Designer, die Webseiten so zu gestalten, dass sie barrierefrei sind. Wenden Sie sich an die Personen, die Webseiten designen und wenn die dann fragen: "Wie bitte, Barrierefreiheit?", dann schicken Sie sie schleunigst auf eine Schulung! Denn es ist deren Aufgabe, das in die Webseiten zu reklamieren. Denn Designer sind die Anwälte der zukünftigen Benutzer, was auch immer gestaltet wird. Das ist die einzige Perspektive, die für Designer einen Sinn macht, der Anwalt des zukünftigen Benutzers zu sein. Als solcher muss er auch der Anwalt der Benutzer mit Zugangsproblemen sein.
Freak-Moderator: Auch in der Stabstelle des Web wird über solche Probleme nachgedacht: Das W3C, also World Wide Web Consortium wurde gegründet, um alle Möglichkeiten des Web zu erschließen. Dazu werden einheitliche Technologien, also Spezifikationen, Richtlinien, Software und Tools, entwickelt, die auch und vor allem im Bereich der Barrierefreiheit notwendig sind. Das gilt auch für gehörlose Menschen, die zunehmend Gebärdensprache im Web einfordern. Shadi Abou-Zahra ist Web-Accessibility-Spezialist für Europa im W3C und erklärt, warum:
Shadi Abou-Zahra: Für viele gehörlose Menschen ist ihre Muttersprache nicht Deutsch, nicht die Schriftsprache Deutsch, sondern die Gebärdensprache Deutsch. Für diese ist es wichtig, dass sie den Inhalt in ihre Muttersprache, in die Sprache, die sie am besten verstehen, angeboten bekommen.
Freak-Moderator: Dass Web-Entwickler und Designer dabei am besten immer mit Experten in eigener Sache zusammenarbeiten sollten, fordert unter anderem auch Jan Eric Hellbusch:
Jan Eric Hellbusch: Und ich denke, hier muss man auf die Gehörlosen und die Gehörlosenverbände setzen - und da auch Kooperation suchen.
Freak-Moderator: Jan Eric Hellbusch aus Lünen in Deutschland, der auch für den bekannten Biene-Preis zuständig ist, hat Barrierefreiheit einmal so definiert: Sie ist die Kunst, Webseiten so zu gestalten, dass jeder sie lesen und nutzen kann.
Besonders wichtig ist den Experten von Accessibility, also der Zugänglichkeit zu den Medien, der Abbau von Barrieren: Und zwar vor allem für diejenigen Nutzer in den verschiedenen Zielgruppen, die behinderungsbedingt auf andere Ein- und Ausgabegeräte als Maus, Bildschirm und Drucker angewiesen sind. Zu nennen sind zum Beispiel die Tastaturnutzung oder Sprachausgabe.
Doch auf welche der vielen Sprachausgabe-Programme sollen Gestalter von Browsern oder Webseiten denn überhaupt Rücksicht nehmen? Denn je komplizierter es wird, desto teurer wird auch die Entwicklung. Wie viele Dinge müssen sie berücksichtigten? Da sind sich die Experten jedoch nicht ganz einig.
Markus Riesch, der Leiter der Stiftung »Zugang für alle« aus Zürich in der Schweiz berichtet, dass es dort eigentlich hauptsächlich einen Standard gibt.
Markus Riesch: Wir haben in der Schweiz über 95% Jaws-Verbreitung - und von daher testen wir auch nur mit Jaws und auch da nur mit den aktuelleren Versionen. Wir sind da relativ streng und sagen: wenn ich mit Netscape 4 eine Seite anschaue und die nicht zugänglich ist, dann ist es auch irgendwo mein Problem als User.
Freak-Moderator: Jaws ist also ein sehr verbreitetes Programm. Also nur eines oder nur wenige Programme? Jan Eric Hellbusch ist ähnlicher Meinung:
Jan Eric Hellbusch: Wenn Produkte älter als drei Jahre sind und von weniger als fünf Prozent der Nutzer als Hilfsmittel verwendet werden, dann brauchen sie nicht mehr im Blickpunkt der Barrierefreiheit zu stehen.
Freak-Moderator: Dem widerspricht die österreichische Gastgeberin Eva Papst heftig. Sie ist Expertin im Bereich barrierefreies Internet und Vorsitzende von "accessible media".
Natürlich, meint sie, könne man nicht jedes kleine Programm berücksichtigen, das es einmal irgendwo gegeben hat. Aber man müsse sich bewusst sein, dass man wieder ausgrenzt, wenn man nur den Mainstream bedient.
Eva Papst: Wir müssen das auf dem Markt befindliche Produkt oder die Produkte verwenden. Es ist der Webbereich für einen Screenreader-Anwender einer der vielen Bereiche, mit denen er klar kommen muss. Wenn er einen Job hat, in dem er beispielsweise mit SAP arbeiten muss oder mit anderen Anwendungen, die einmal vorsichtig formuliert, nicht optimal zugänglich sind, dann muss er ein Produkt oder einen Screenreader wählen, der genau mit dieser Anwendung perfekt zurecht kommt. Man sollte von ihm dann nicht verlangen, dass er extra für das Web noch einmal einen anderen Screenreader anschafft, nur weil der zu den 95 Prozent oder vielleicht in Deutschland, Österreich zu den 60 Prozent gehört und nicht zu den zwei oder drei oder fünf Prozent.
Freak-Moderator: Tomas Caspers ist Experte für barrierefreies Webdesign und Autor zahlreicher Fachartikel aus Much in Deutschland. Er sieht bereits viele Probleme, die es heute noch im Bereich HTML gibt, im Bereich der Lösung. Was ihm aber viel wichtiger ist, sind die neueren ständig dazu kommenden Technologien, doch auch hier zeichnet er eine interessante Entwicklung:
Tomas Caspers: Ich behaupte ganz einfach einmal rotzfrech: Die täglichen Probleme sind entweder gelöst oder kurz davor, gelöst zu werden. Was zumindest den statischen Teil des Webs angeht. Wir haben wirklich stabile Standards, wir haben stabile Richtlinien, die man in der täglichen Arbeit einsetzen kann.
Von einem professionellen Webentwickler in einer Agentur, der am Ende des Monats ein Gehalt dafür bekommt, kann ich verlangen, dass er ein sauberes Handwerk abliefert, auf Basis der existierenden Standards.
Ein anderes Problem ist diese neue Welt des Web größer als 1.0, mit der Dynamik, mit den vielfältigen Kommunikationsmöglichkeiten, mit der ganzen Verknüpfung von Dingen untereinander, die es vorher nicht gab. Da tun sich so dermaßen viele Baustellen auf... Die Menschen mit Behinderungen können ja nicht warten, bis HTML 5 fertig ist, die brauchen jetzt eine Lösung. Ich bin da auch guter Dinge, das Schöne daran ist, dass sehr viele Leute begriffen haben, dass wir keine radikalen Brüche brauchen, sondern auch Dinge aufseiten der Standards brauchen, die sich in die existierende Infrastruktur implementieren lassen.
kurze Musik
Freak-Moderator: Auch in Österreich gibt es in den letzten Jahren, gefördert durch das BundesBehindertenGleichstellungsgesetz 2006 und andere gesetzliche Bestimmungen, viele Bemühungen zur Barrierefreiheit.
Der Leiter des Bundessozialamts, Dr. Günther Schuster, sieht hier eine wichtige Rolle der Betroffenen:
Günther Schuster: Vor allem der Selbstbestimmt Leben-Bewegung, ist es zu verdanken, dass der Begriff der Barrierefreiheit Eingang in die allgemeine gesellschaftspolitische Diskussion. Aber die Anwendungs- und Wirkungsmöglichkeiten reichen weit über diese Zielgruppe hinaus.
Wenn man etwa an ältere Menschen denkt - es gibt demographische Erhebungen, die uns voraussagen, dass im Jahr 2030 etwa ein Drittel unserer Bevölkerung älter als 60 Jahre sein wird - und wenn wir an die ganz normalen biologischen Entwicklungen denken, die etwa mit Sinneswahrnehmungen oder auch mit Motorik in Verbindung stehen oder vielleicht auch manchmal mit dem Verstehen, dann werden Begriffe wie bauliche Barrierefreiheit, auch Easy to Read, alle diese Begriffe plötzlich kein Minderheitenthema mehr, sondern ein zentrales strategisches Thema, das große Teile unserer Bevölkerung betrifft.
Freak-Moderator: Nicht nur technische, sondern auch inhaltliche Bemühungen sind also erforderlich, um das Web barrierefrei zu machen. Die zuständige Staatssekretärin im Bundeskanzleramt Heidrun Silhavy gibt auch einen Überblick über die gesetzlichen Rahmenbedingungen in Österreich:
Heidrun Silhavy: Durch die Verankerung eines spezifischen Diskriminierungsverbotes im Artikel sieben der Bundesverfassung wird die Bedeutung der Barrierefreiheit deutlich. Bund, Länder und Gemeinden bekennen sich dazu, behinderte und nicht behinderte Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens gleich zu behandeln.
Also müssen auch Webangebote für alle Menschen in der allgemein üblichen Weise ohne besondere Erschwernisse und grundsätzlich ohne fremde Hilfe nutzbar sein.
Eine weitere Konkretisierung nehmen die Bestimmungen des E-Government-Gesetzes vor. Sie beziehen sich auf spezielle Webangebote von Behörden und die Verpflichtung, barrierefreien Zugang zu behördlichen Internetauftritten für Menschen mit Einschränkungen zu schaffen, ist bis 1. Jänner 2008 umzusetzen. Das ist eben auch gesetzlich verankert.
Freak-Moderator: Staatssekretärin Silhavy freut sich, dass Österreich im Bereich des E-Government eine Vorreiterrolle spielt, die nicht nur in der EU auch anerkannt wird, sondern die sich auch durch die Verleihung des Biene-Preises an help.gv.at zeigt.
Heidrun Silhavy: In der österreichischen Verwaltung engagieren sich zahlreiche Organisationen erfolgreich im Bereich der Barrierefreiheit von Webangeboten. Ich denke help.gv.at ist eines der positiven Beispiele. Sie wissen ja, dass wir seit 2005 hier auch die höchsten Zugänglichkeitsanforderungen erfüllen. Wir haben uns natürlich auch über die Auszeichnung gefreut und ich denke, dass solche Auszeichnungen auch ein Ansporn sein sollten, etwas über die Verpflichtung hinaus zu tun. Ein Ansporn zu zeigen, wir sind besonders zugänglich, wir sind besonders motiviert, das zu machen.
Freak-Moderator: Für den Leiter des Bundessozialamts ist der Bereich Arbeit ein sehr wichtiger. Und auch hier sind barrierefreie Computer nicht mehr wegzudenken.
Günther Schuster: Das Web ist heute zentrales Informationsinstrument für viele Unternehmen, ist aber, und jetzt gehe ich auf unsere Rolle im Bereich der beruflichen Integration zurück, sehr oft auch ein ganz wichtiger und wesentlicher Arbeitsbehelf für Menschen mit Behinderungen. Das Web, das Internet, oder überhaupt die EDV-Technologie hat gerade in den letzten Jahren ganz deutlich die Integrationschancen für Gruppen, vor allem für sinnesbehinderte Menschen, ganz dramatisch erhöht.
Mit den technischen Entwicklungen, die hier gelaufen sind, das merken wir. Wir haben auch vorigen Monat eine Veranstaltung zu diesem Thema gehabt, vervielfachen sich eigentlich in kurzen Zeiträumen die Möglichkeiten, die die Technik für diese Personenkreise schafft.
Freak-Moderator: Barrierefreiheit von Medien hat also in den letzten Jahren nachweislich vielen Menschen berufliche Chancen geöffnet, die mit Unterstützung barrierefreier Technologien möglich geworden sind. Durch diese Technologien verschwinden Barrieren, verschwinden Behinderungen.
kurze Musik
Auch für Menschen, die sehbeeinträchtigt sind, gibt es viele Möglichkeiten, wie sie sich im Internet zurecht finden. Vergrößerungsprogramme sind da ein wichtiges Hilfsmittel. Aber es gibt auch andere, die nützlich sind, um Dinge besser erkennen zu können, erklärt der deutsche Medienexperte Jan Eric Hellbusch:
Jan Eric Hellbusch: Invertierte Darstellungen sind ein sehr wichtiger Punkt bei Sehbehinderungen. Viele Sehbehinderte sind eben blendempfindlich, und wir haben natürlich alle Seiten auf diese Einstellung getestet und optimiert.
Freak-Moderator: Softwareprogramme können aber noch ganz andere Dinge unterstützen, damit sich sehbehinderte Menschen bei den Inhalten leichter zurecht finden. Für Sehende sind viele Dinge ganz selbstverständlich.
Wie macht man das jetzt für blinde und sehbehinderte Menschen ebenso zugänglich? Die Strukturierung von Begriffseinheiten, also die Semantik, kommt hier ins Spiel:
Jan Eric Hellbusch: Wie filtere ich als User Informationen heraus aus einer Seite und wie wird das dann für behinderte User aussehen?
Freak-Moderator: In die Entwicklung eines barrierefreien Webs sind natürlich auch die Internet-Browser eingebunden. Gute Designer finden hier Unterstützung, wie sie den Benutzern etwa auch Überschriften vermitteln, wenn sie diese nicht mit den Augen erkennen können.
Jan Eric Hellbusch: Natürlich spielt hier die Semantik immer wieder eine sehr wichtige Rolle, Überschriftenstrukturen, ein ständiges Thema bei der Barrierefreiheit: Wie kommen Blinde und Sehbehinderte durch eine Website?
Freak-Moderator: Viele Regeln gibt es für die Zugänglichkeit im Web und im Internet, und sie sind wichtig. Tomas Caspers macht aber darauf aufmerksam, dass die Entwickler und die Wissenschafter von Barrierefreiheit stets überprüfen müssen, dass sie nicht unnötige Vorschriften machen, die den Gebrauch einschränken, weil sie moderne Technologien ignorieren.
Tomas Caspers: Mittlerweile ist es leider so, das die größte Hürde auf dem Weg zu einem zugänglichen Web eben diese Vorurteile und Mythen sind, die auf veralteten Annahmen oder - noch schlimmer - auf Hörensagen beruhen. Auf Hörensagen wie: Alle Screenreadernutzer machen das so und so. Das liegt unter anderem daran, dass es bisher keine großen Untersuchungen zu dem Thema gibt, die Beobachtung von zwei bis drei Nutzern ergibt bestenfalls zufällige Ergebnisse.
Sie können das vergleichen: Wenn Sie ein Versuchskaninchen vor einen roten und einen grünen Knopf setzen, dann drückt das Versuchskaninchen mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit den grünen Knopf. Daraus könnte man jetzt ableiten, dass Versuchskaninchen grundsätzlich keine roten Knöpfe drücken und daraus eine Richtlinie machen, dass rote Knöpfe verboten sind. Das ist in etwas der Stand der Accessability-Forschung im Augenblick. Es fehlen uns wirklich Zahlen, die einem ein Statistiker nicht sofort um die Ohren haut.
Freak-Moderator: Es hat also gar keinen Sinn zu sagen, bestimmte Hilfsmittel, die die Seiten dynamischer machen, seien "böse". Es macht viel mehr Sinn, die Möglichkeiten einer barrierefreien Nutzung zu untersuchen und weiter zu entwickeln - und vor allem anzuwenden.
Tomas Caspers: Wir haben da eine Abstimmung mit den Füßen, JavaScript ist einfach da, wir können es nicht einfach hinaus definieren, sondern müssen dafür sorgen, dass es zugänglich eingesetzt wird, das ist der eigentlich spannende Punkt.
Freak-Moderator: Flash, ein Programm, das mit multimedialen Einbettungen wie Filmsequenzen und ähnlichem das Web dynamischer macht, wird etwa bei Wikipedia als nicht barrierefrei beschrieben. Dort heißt es:
»Bei der ausschließlichen Verwendung von Flash für Web-Seiten kann die Benutzerfreundlichkeit stark eingeschränkt sein. Sie behindert den Zugang unter anderem für Menschen mit eingeschränkten Fähigkeiten, gleichzeitig aber auch für Benutzer rein textbasierter Browser, welche Flash-Dateien nicht darstellen können. Solche Webseiten sind deswegen für ein barrierefreies Internet ungeeignet.«
Dem widerspricht der deutsche Vordenker Tomas Caspers vehement, indem er nochmals dieses Vorurteil aufgreift:
Tomas Caspers: Flash ist nicht barrierefrei, wird auch immer wieder gern gehört. Gegenargument: Der Pharmakonzern Pfizer hat im vergangenen Jahr eine Biene mit einer ausschließlich Flash-basierten Site gewonnen.
Freak-Moderator: Ähnliche Vorurteile gibt es auch, was die Benutzbarkeit für sehbehinderte Menschen betrifft:
Tomas Caspers: Anderer Mythos: Flash ist nix für Sehbehinderte, wird auch immer wieder gern gehört. Das liegt oft daran, dass auch die Entwickler da wieder alles falsch gemacht haben. Ich möchte Ihnen gerne einmal kurz beweisen, dass es nicht am Format selber liegt, sondern an der Art, wie das Format eingesetzt wird.
Freak-Moderator: Einfache Programme können sehr wohl dafür sorgen, dass angeblich ungeeignete Inhalte zugänglich sind und sogar Möglichkeiten eröffnen, die mit anderen Anwendungen gar nicht so leicht herzustellen sind.
Tomas Caspers: Dass es gleich auch noch vergrößert wird, invertiert wird und die ganzen Bedien-Elemente auch in so einem quasi Hochkontrast-Schema dargestellt werden. Also. das wäre eine ganz einfache Sache, wie Sie in Ihrer Flash-basierten Applikation auch sehbehinderten Nutzern entgegenkommen können. Das ist das Spaßige daran: das sind im Actionscript fünf oder sechs Zeilen Code: mit einem Farbfilter.
Freak-Moderator: Abgesehen von technischen Raffinessen gibt es aber auch immer viele Anwendungen, die auch jeder nicht technisch Versierte selbst auf seiner Homepage umsetzen kann: Verständliche Texte etwa, die helfen allen. Und gerade von solchen Maßnahmen der Vereinfachung profitieren sehr viele Menschen, auch alle, die keine Behinderung haben.
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Freak-Moderator: In den letzten Jahren machen die Spammer den Nutzern des Internet immer mehr Probleme. Wer kennt sie nicht, die vielen unnötigen Mails, die Viagra oder andere fragwürdige Produkte anpreisen. Dabei gehen die Spammer nach einem ausgeklügeltem System vor, weiß Peter Purgathofer von der TU Wien.
Peter Purgathofer: Das ist eine Software, mit der man Kommentare hinterlassen kann: Und um zu verhindern, dass hier Software Kommentare postet und nur Menschen Kommentare posten, gibt es dieses Captcha hier darauf. Ein Bild mit verzerrter Schrift, das kann man ein bisschen größer machen: »Hinterlassen Sie Ihren Kommentar« und hier gibt es also dieses verzerrte Ding, da muss dann raten, was es heißt und das unten hinschreiben.
Wenn man das schafft, dann ist das erlaubt. Der Grund, warum Software auf Seiten Kommentare posten will oder sich als Benutzer registrieren lassen will, das sind die zwei großen Anwendungsfälle für Captchas, liegt darin, dass sie dann Spam posten können - Sie wissen, Spam geht zurück auf Dosenfleisch und einen Sketch von Monty Python. Spam an sich ist eine unangenehme Geschichte. Sie wissen: lästig, macht unsere Inbox voll, macht unsere Kommentare voll. Es ist aber ein schwerwiegenderes Problem, denn in Spam verbirgt sich oft Malware, Viren, Würmer, Trojanische Pferde, ähnliche Dinge, die unsere Computer angreifen. Deshalb ist das ein sehr guter Grund, sich mit Spam mehr auseinander zu setzen, als sich nur darüber zu ärgern.
Freak-Moderator: Dafür gibt es jetzt Fallen, die unerwünschte Computerprogramme entlarven sollen, die "Captchas", übersetzt heißt das etwa: Ha, ich hab dich erwischt!
Peter Purgathofer: Grob vereinfacht versuchen Captchas das so zu machen, dass sie den Benutzer den Webseite vor ein Problem stellen, das hoffentlich nur ein Mensch lösen kann - und ein Computer nicht.
Freak-Moderator: Aber wie kann ein Programm feststellen, dass auf der anderen Seite ein Mensch sitzt und nicht ein anderes Programm? Ein Wettstreit der Technologien beginnt, und viele Captchas wurden von trickreichen Spammern längst bereits geknackt.
Peter Purgathofer: Das ist ein Screenshot von dieser Seite und der listet hier der Reihe nach Captchas auf und wie effizient er sie schon geknackt hat - und das schaut nicht gut aus für Captchas. Aber es müssen gar nicht 99 Prozent sein, es würden schon zehn Prozent genügen oder ein Prozent um aus einer Million Attacken auf eine Site um Kommentare zu posten 10000 Hits zu haben. Dazu genügt ein Prozent Erfolg beim Knacken der Captchas.
Freak-Moderator: Und jetzt wird die Sache zum Problem: Wenn es immer kompliziertere Figuren, immer kompliziertere Fragen, immer unverständlichere Audiocaptchas gibt, dann ist der Kunde der Verlierer, wie der Informatiker Purgathofer anhand von fast unverständlichen Beispielen zum Amüsement des Fachpublikums nachweist:
Peter Purgathofer: Das berühmteste Beispiel das hier - das sind alles echte Beispiele, die sind verbürgt - das ist komplett unleserlich und das ist der Weg, auf dem wir sind. Das ist die Eskalation zwischen Knacken und Erhöhung der Sicherheit, wo es für uns immer schwieriger wird und die Maschinen jede Generation wieder knacken. Das gilt auch für Audiocaptchas, hören wir uns eines an: [four, one, Hintergrundgeräusche, six]. Darunter ist verkehrt der Ton drinnen, das klingt ein bisschen wie Tonbandstimmen. Mir ist das unheimlich, ich finde das extrem unangenehm und ich verstehe nicht, was gesagt wird: irgendwelche Zahlen. Four, one, six vielleicht, naja, wie auch immer. Also das ist ganz schwierig!
Freak-Moderator: Peter Purgathofer von der Technischen Universität zieht einen klaren und pessimistischen Schluss:
Peter Purgathofer: Captchas werden wiederum systembedingt immer mehr inaccessible [unzugänglich]. Diese Eskalation ist systemisch bedingt und unausweichlich.
Freak-Moderator: Fazit: Nicht nur behinderte Menschen, sondern alle Menschen werden massiv durch diese Technologien behindert. Alle, bis auf Spammer, die immer wieder Methoden finden, die Programme zu knacken.
Peter Purgathofer: Wir haben es hier mit einer Maßnahme zu tun, die gegen die eigentliche Zielgruppe ineffektiv ist und für alle anderen lästig und genau dasselbe ist hier bei Captchas. Interessanterweise - und deswegen bringe ich hier das Beispiel Kopierschutz bei Musik - verschwindet Kopierschutz bei Musik gerade aus genau diesem Grund, es ist nicht effektiv!
Freak-Moderator: Eine Möglichkeit, Captchas doch noch sinnvoll zu machen, sind "Re-Captchas", die einem guten Zweck dienen, etwa der Gutenberg-Bibliothek im Netz, die nicht urheberrechtlich geschützte Werke zugänglich macht. Ein Vorteil vor allem für blinde Menschen, die nicht mehr riesige Wälzer in Braille ausborgen müssen - falls es sie überhaupt gibt - sondern die Informationen im Netz bequem nutzen können. Doch das Einlesen der alten Bücher macht immer wieder Probleme. Darauf reagiert Re-Captcha:
Peter Purgathofer: Wir helfen auch dem Gutenbergprojekt, indem wir diese Captchas von Wörtern, die die Schrifterkennung nicht erkennen kann händisch dekodieren.
Freak-Moderator: Eine andere Möglichkeit, die Spamprogramme auszutricksen, sind Honeypots, Honigtöpfe, die das Programm wie einen schwerfälligen Bären in die Falle tappen lassen. Eva Papst von accessible media erklärt, wie das funktioniert.
Eva Papst: Es reicht, wenn man in das Label des Inputfeldes dazuschreibt: "Bitte dieses Feld leer lassen". Das reicht völlig aus - und kein Screenreadernutzer wird, wenn er nicht völlig unaufmerksam ist, darauf reinfallen, dann ist er aber selber schuld.
Freak-Moderator: Aber auch hier ist es vermutlich nur eine Frage der Zeit, bis weiter entwickelte Spam-Technologien auch damit fertig werden.
kurze Musik
Freak-Moderator: Was wird die Zukunft bringen? Was wird in fünf Jahren sein? Weitgehend sind sich die Experten einig, dass die bestehenden Programme allmählich zugänglich sein werden, die Herausforderung werden, aber immer die technischen und dynamischen Neuentwicklungen sein. Das meint etwa Peter Purgathofer von der Technischen Universität Wien.
Peter Purgathofer: Vielleicht, ich will nicht sagen notwendig, aber es steckt in der Art und Weise, wie sich diese Dinge entwickeln, dass alles was ganz frisch und heiß daher kommt, die Dinge von denen man in den Zeitungen liest, dass die ohne Rücksichtnahme auf irgend etwas gemacht werden.
Nur aus dem Versuch es jetzt zu schaffen und im Wunsch es möglichst in diesem Moment jetzt zu machen und nicht noch fünf Jahre anzuhängen und dann etwas zu haben, woran alle können: So werden wir in fünf Jahren genau wieder über die Dinge reden, die zu dem Zeitpunkt neu sind, die ganz großartig sind, so wie über Google Maps und Web 2.0 plus fünf Jahre. Während die Dinge, die jetzt frisch sind und fahren und diese kräuselnden Wellen, bevor die große kommt, dann schon längst selbstverständlich accessible sind. So wie die meisten alternativen Zugangsmethoden zu den klassischen statischen Webseiten überhaupt kein Problem mehr sind.
Freak-Moderator: Und Shadi Abou-Zahra, der W3C-Experte für barrierefreies Web, sieht hier ganz neue Entwicklungen auf uns zukommen, die jetzt erst in Ansätzen vorhanden sind.
Shadi Abou-Zahra: Für mich ist mobiles Web etwas, was sehr stark im Kommen ist und, damit wir das ja nicht unterschätzen, mobiles Web nicht nur am Handy sondern auch auf irgendwelchen Infoscreens an der Tankstelle, in der U-Bahn, überall. Man projiziert ja überallhin, egal wo es eine flache Fläche gibt, die wird schon LCD sein und Werbungen werden auch überall verstreut.
Freak-Moderator: Eva Papst stellt neue zukunftsweisende Entwicklungen im Non-profit-Bereich vor: So ist ein Gratis-Screenreader in Entwicklung, an dem sich auch Mozilla und Opera beteiligen, womit blinden Menschen in Zukunft vielleicht ein kostenloses Programm zur Verfügung stehen wird, das ihnen den Zugang ins Internet erleichtert.
Viel wird entwickelt und geforscht. Vieles ist in Bewegung, das war bei der Veranstaltung von Accessible Media deutlich zu spüren. Und so ist auch folgerichtig ein Szenario vorstellbar, dass die Gastgeberin Eva Papst in die Schlussdiskussion einbringt, womit die Barrierefreiheit neue Dimensionen erreichen kann.
Eva Papst: Ich glaube ich werde in der Straßenbahn sitzen mit meinem Mobiltelefon und über meine Webseite versuchen, die Waschmaschine einzuschalten. Und warum werde ich das tun? Weil - und das möchte ich hier anschließen - unsere Alltagstechnologien mindestens ebenso unzugänglich werden, wie einige der Webseiten es heute sind.
Viele der Geräte, gerade Waschmaschinen, werden nur mehr über Display bedient. Wenn ich dann eine Webseite habe, wo ich dann mit ordentlichen Applikationen - und das ist durchaus auch mein Wunsch - eingreifen kann, dann habe ich wieder eine Möglichkeit meinen Haushalt zu führen.
Freak-Moderator: Gestaltung und Sprecher: Gerhard Wagner. Nächste Woche hören Sie bei Freak-Radio den zweiten Teil unseres Accessibility-Schwerpunkts, diesmal von einer Live-Diskussion aus dem ORF-KulturCafe, die am Mittwoch dem 7. November aufgezeichnet wird. Um 14 Uhr beginnt die Veranstaltung. Der Eintritt ist kostenlos, Statements aus dem Publikum sind erwünscht.
Freak-Selbstbestimmt-Trailer:
Freak-Sprecherin: Sie hörten eine Sendung aus der Reihe: »Selbstbestimmt mit allen Sinnen - ...
Freak-Sprecher: ...Wege zur Gleichstellung. Wege ohne Diskriminierung« ...
Freak-Sprecherin: ...die vom Bundessozialamt aus Mitteln der Beschäftigungsoffensive der österreichischen Bundesregierung gefördert wird.