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Mein Leben als Coach und Feuerlöscher! (Teil 1)
Christine Linnartz ist gehörlos und hat sich vor drei Jahren selbstständig gemacht. Die gelernte Chemierlaborantin und diplomierte Sozialarbeiterin arbeitet jetzt als Coach. Sie lebt in Düsseldorf und hält Schulungen und Workshops. Das folgende Freak-Radio Interview gibt einen Einblick in das Berufsleben einer Kommunikationstrainerin, die mit ihren Händen spricht.
Freak-Radio: Gibt es bei Ihnen so etwas wie einen Arbeitsalltag?
Christine Linnartz: Ja den gibt es. Wie viel ich arbeite ist von meiner Auftragslage abhängig. Ich biete Schulungen und Workshops an. Dazu verwende ich die verschiedensten Methoden, mache Gruppen- und Teamcoaching. Dafür ist vorher viel an Konzeptarbeit nötig.
Ich kann kein Seminar von der Stange anbieten, sondern muss jedes Seminar individuell gestalten. Ich arbeite sehr gern mit Gruppen, das ist sehr spannend. Die Aufträge sind sehr verschieden. Ich kann also nicht sagen, ich habe keine fixe Routine. Ich muss mich an die Kunden anpassen, gut planen und mich selber immer weiterbilden. Das bedeutet sehr viel selbstständiges Arbeiten.
Freak-Radio: Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem jetzigen Beruf? Welche Vor- und Nachteile gibt es?
Christine Linnartz: Ich sehe keine Nachteile. Ich kann meinen Rhythmus selbst bestimmen, selbst entscheiden, ob ich einen Auftrag annehme oder nicht. Wenn ich das Gefühl habe, ich bin nicht die richtige für diesen Auftrag, dann lasse ich es bleiben. Bevor ich Sozialarbeiterin war, war ich Projektmanagerin in einem Medienhaus. Das hat mir gut gefallen. Ich habe damals die Idee für Gebärdensprachevideos entwickelt, das ist sozusagen mein Baby.
Als ich für die Bundesagentur für Arbeit in Deutschland eine Werbung gemacht hatte, hat's plötzlich ein ziemliches Gerangel um mich gegeben, ich hab dann das Projekt mit den Gebärdensprachvideos für Düsseldorf umgesetzt. Für mich war das sehr schwierig. Ich hatte nie Arbeitsanweisungen bekommen, ich hab sie mir sozusagen selber geschrieben. Es ergab sich die Möglichkeit, ein Netzwerk für Gehörlose aufzubauen.
Im Medienhaus hatte ich Verantwortung für andere Mitarbeiter. Meine Aufgabe war unter anderem, Aufträge über das Telefon zu akquirieren. Ich sollte über die genauen Inhalte der Arbeit verhandeln. Die Filmproduktion war irgendwie nicht so mein Ding. Mich interessierte mehr das Redaktionelle, Texte in leicht verständliche Form zu bringen, das gefällt mir gut.
Ich hab nicht gewusst, was ich machen soll. Ich wollte eigentlich mehr mit Menschen arbeiten und dann habe ich mir gedacht, dass Sozialarbeit die richtige Richtung ist. Ich wollte irgendetwas machen, was Gehörlosen wirklich etwas bringt. Dann ist das Schlagwort Coaching sozusagen an mich herangetragen worden. Ich hab mir gedacht das klingt ganz gut, das ist eine Arbeit ähnlich dem Feuer löschen. Da kommt jemand mit einem Problem und ich soll es lösen. Aber Lösung hat es in der Sozialarbeit in dem Sinn nicht gegeben. Ich hatte das Gefühl, Coaching kann die Ressourcen von Leuten wecken und dauerhafte Veränderungen bewirken. Dann hab ich überlegt, zu wem ich gehen sollte. Zu irgendeinem Coaching-Guru? Nein! Schließlich habe ich mich bei der deutschen Gesellschaft für Personalführung m einen Ausbildungsplatz beworben.
Freak-Radio: Wie haben Sie das Aufnahmeverfahren erlebt?
Christine Linnartz: Die Aufnahmebedingungen waren sehr hart. BewerberInnen mussten schon eine Führungsposition haben und einen abgeschlossenen Hochschulabschluss vorweisen. Auch Soft-Skills, also soziale Kompetenzen, waren wichtig. Gott sei Dank hatte ich das alles. Beim Aufnahmegespräch war eine riesige Kommission. Ich war die erste gehörlose Bewerberin dort. Sie haben sich gedacht na gut, schauen wir mal.
Auch für mich war das eine Herausforderung. Ich wusste ja nicht, ob ich das kann, wollte es aber unbedingt probieren. Sonst waren dort hauptsächlich Banker, ich war die einzige aus dem Sozialbereich. Die sind da alle in Anzug und Krawatte gesessen und ich hab versucht, mich mit der Kleidung etwas anzupassen. Die haben nicht schlecht geschaut, ich fuchtel da herum und hab die Dolmetscherin dabei. Und in der Wirtschaftssprache gibt es viele englische Begriffe. Ich kann das nicht beschreiben, es war einfach toll. Es war eine komplett neue Welt für mich.
Ich habe nicht gewusst, ob es laufen wird, aber es ist gut gegangen. Ein Coach, der mich ausgebildet hat, war der Meinung, ich passe nicht in den Bereich, ich wollte trotzdem unbedingt als Coach arbeiten. Eine Führungskraft kann, wenn sie die Ausbildung hat, natürlich auch die eigenen Mitarbeiter coachen. Aber das war nicht mein Plan. Ich wollte gehörlose Menschen coachen. Und daher war es für mich die einzige Möglichkeit, aus dem Medienhaus auszusteigen und mich selbstständig zu machen.
Freak-Radio: Sich selbstständig zu machen birgt ein gewisses Risiko. Wie gehen Sie damit um?
Christine Linnartz: Wenn ich etwas nicht weiß, dann sage ich es einfach. Wenn ich das Gefühl habe, ich weiß es nicht, dann muss ich mir die Information halt woanders holen. Das heißt, meine Aufgabe besteht darin, auch permanent dazuzulernen. Deshalb kaufe ich oft neue Bücher und lese. Wenn ich es als Coach nicht schaffe, dann gehe ich halt putzen, das ist mir egal.