Inhalt:
.Mit mir können Sie ganz normal reden...
In dieser Sendung von Freak-Radio geht es um verschiedene Themen, die für Leute mit Lernbehinderungen wichtig sind: Freizeit, Selbstbestimmung, Gleichstellungsgesetz, leichtere Sprache und Partnerschaften.
Freizeit
Am Anfang der Sendung hören wir Markus Samek von der Musikgruppe "Echt Stoak". In einem Lied singt er alleine und spricht Themen aus seinem Leben an. Er sagt: "Mir ist Musik wichtiger als Arbeit, weil ich in der Arbeit enttäuscht worden bin. Das hat mich dazu gebracht, Musik zu machen." Beim Musikmachen kann er sich nämlich gut entspannen und sich gleichzeitig anderen mitteilen. Er spricht dabei auch intime Inhalte an, zum Beispiel seine Behinderung. Diese heißt "Trisomie 21" oder "Downsyndrom".
Dann hören wir Geräusche beim Kegeln. Auf der Schmelz (so heißt die Adresse) verbringen mehrere Freunde mit Lernbehinderungen ihre Freizeit. Michaela Ressl ist eine von ihnen. Sie kegelt mit ihrem Freund. Zum Kegeln fährt sie mit dem Bus. Sonst kann sie nicht alleine mit dem Bus fahren. Aber den Weg zur Kegelbahn hat sie vorher geübt.
Ebenso kegelt dort Rosemarie Blaschik: Sie fährt dorthin mit dem Fahrtendienst, weil sie sich beim Gehen schwer tut. Sie ist Weltmeisterin im Kegelturnier und fährt zu Sportveranstaltungen auch in andere Länder.
Selbstbestimmung - und Umgang mit behinderten Menschen
Einem Betreuer ist es wichtig, dass die Leute selbst entscheiden, was sie in ihrer Freizeit tun wollen. Deshalb hat er keine Angebote festgelegt, sondern nur getan, was die Leute von ihm wollten. Er sagt: "Ich muss wissen, wann ich auslassen muss und wann ich unterstützen muss." Das richtet sich nach den Bedürfnissen der einzelnen Personen.
Eine andere Möglichkeit der Selbstbestimmung, diesmal in der Arbeit, sind Werkstättenräte: Das bedeutet, dass sich die Leute selbst vertreten können - ähnlich wie Betriebsräte in Firmen.
In der Werkstätte Speckbachergasse in Wien Ottakring (=16.Bezirk) gab es eine "Kundenbefragung": Dabei wurden leicht verständliche Fragen gestellt. Viele, die dort arbeiten, wussten nicht, was so eine Befragung ist. Daher musste ihnen das erst einmal erklärt werden. Denn sie müssen oft erst lernen zu sagen, was sie sich wünschen.
Gleichstellung
Seit Jänner 2006 gibt es in Österreich ein Gleichstellungsgesetz: Eigentlich heißt es mit vollem Namen: Bundes-Behinderten-Gleichstellungs-Gesetz. Es soll Benachteiligungen im Alltag beseitigen. Vielen behinderten Menschen geht es aber nicht weit genug. Sie bezweifeln, dass sich wirklich etwas ändern wird.
In der Sendung hören wir später Menschen, die nicht sprechen können. Wir hören nur irgendwelche Laute, keine Worte, keine Sätze. Wir sind in einer Werkstätte in der Lobenhauerngasse in Wien Hernals (=17.Bezirk).
Hier gibt es "Basale Fördergruppen". Auch Menschen, die sehr behindert sind, sollen im Alltag so selbstbestimmt wie möglich sein.
Im Zentrum steht die "Unterstützte Kommunikation". Das bedeutet, dass man auch Menschen versteht, die sich nur sehr schwer mitteilen können. Wenn das Betreuer lernen wollen, dann kann das sehr lange dauern. Zum Beispiel lachen manche Leute sehr viel. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass sie deshalb immer fröhlich sind. Lachen kann auch etwas anderes bedeuten.
Die Betreuer sollen alle Klienten (=für die sie da sein müssen) hören und verstehen können. Betreuer sollen sogar Menschen verstehen, die sich nicht mit Worten ausdrücken können. Dort, wo das gelungen ist, sagt eine Betreuerin: Es ist fröhlicher geworden!
Viele Betreuer haben aber durch einen strengen Dienstplan und Zeitdruck Schwierigkeiten. Deshalb haben sie nicht immer Zeit, ihre Klienten zu verstehen.
Am Schluss hören wir ein Computerprogramm, das sogar geschriebene Texte vorliest. Dadurch können Menschen mit Lernbehinderungen diese Texte leichter verstehen.
Leichtere Sprache
Überhaupt ist es wichtig, dass Texte verständlich, also einfach sind. Georg Paulmichl ist ein Dichter mit Lernbehinderung. Er meint über sich selbst: "Ich bin nicht behindert, ich kann reden."
Thomas Weißenbacher ist Wiener Vertreter von "People First", das heißt: "Menschen zuerst!" Er sagt über sich: "Ich will zuerst als Mensch wahrgenommen werden. Und dann erst meine Behinderung." Darum heißt es ja auch »Mensch mit Behinderung«. Thomas Weißenbacher möchte, dass die Behörden (Ämter) auch eine leichtere Sprache verwenden:
Es sollen keine Fremdwörter verwendet werden, die Texte sollen einfach sein. Auch mag er nicht, wenn die Beamten mit ihm sprechen, "wie mit einem Idioten".
Er wünscht sich auch Radio- oder Fernsehsendungen, die in leichterer Sprache gebracht werden.
Partnerschaft
Brigitte Wallner hat einen Freund. Aber dieser muss um 18 Uhr gehen. Das ist Vorschrift in der Wohngemeinschaft.
Auf die Wünsche von Brigitte Wallner wird derzeit nicht eingegangen. "Unser Vertrauen wird immer mehr, ich möchte, dass mein Freund mehr als einmal im Monat bei mir schlafen kann." Ihr gehen die Vorschriften "immer mehr auf den Wecker". Jetzt darf der Freund zweimal im Monat bei ihr übernachten, aber nur am Wochenende. An manchen Tagen darf er überhaupt nicht zu ihr gehen. Selbstbestimmung in der Liebe ist also in einer Wiener Wohngemeinschaft nur schwer möglich.
In Graz gibt es ein Projekt, das heißt "Libida". Hier geht es um selbstbestimmte Sexualität. Denn Sexualität soll gelebt werden. Das Projekt möchte es Frauen und Männern mit Lernbehinderung möglich machen, selbstbestimmt ihre Sexualität erfahren zu können.
Doch ist das so leicht möglich? Es gibt noch immer viele Vorurteile: Manche denken, Menschen mit Behinderung haben gar keine Sexualität. Andere glauben, dass es sogar gefährlich ist, dass behinderte Menschen ihre Sexualität ausleben. Doch Sexualität gehört zu jedem Menschen. Sie ist ein Menschenrecht.
Auch Markus Samek, der Sänger vom Anfang der Sendung, spricht und singt von Beziehungen, von seinen Wünschen und Ängsten.
Almfilm
Wir hören Wasserrauschen und Menschen bei der Arbeit.
Ein Mitarbeiter sagt selbstbewusst, dass die Betreuer ohne ihn viel mehr Arbeit hätten. Wir hören Ausschnitte aus einem Film, dem Almfilm. Es geht um eine betreute Arbeitsstätte in Wien bei den Weinbergen und Almen in der Nähe des Kahlenberges.
Gundula Daxecker, die Filmemacherin, hat ein Jahr lang die Menschen auf der Alm besucht. Und sie hat sie immer wieder gefilmt. Sie findet, dass sich diese Menschen sogar besser ausdrücken können als andere. Es braucht eben nur Zeit.
Eine Frau, die Julia heißt, spricht immer wieder davon, wie sie zu der Partnerschaft kommen kann, die sie möchte. Es gibt so vieles, das sie immer wieder bedenkt: Die Meinung der Eltern, ihre Wünsche nach Geborgenheit, eigenen Kindern ...
Gundula Daxecker wollte vor allem Dinge in den Alm-Film bringen, die für die Bewohner wichtige Themen waren. Und diese Themen haben sie auch immer wieder angesprochen.
Der Leiter der Alm möchte nicht im Mittelpunkt stehen: Sein Ziel ist es, dass die Klienten die Alm selbständig führen. Er weiß, dass das wahrscheinlich nicht gehen wird. Doch das ist sein Ziel.
Der Almfilm war eine Ausnahme. Denn sonst bekommen Menschen mit Lernbehinderungen nicht die Aufmerksamkeit von so vielen Menschen, wie in diesem Film. Denn wenn man sich nicht die Zeit nimmt, dann hört man auch nicht die vielen interessanten Dinge, die Menschen mit Lernschwierigkeiten zu sagen haben.
Sendungsverantwortlicher: Ernst Kostal