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Neue Details um die Ausschreibung der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse
Wie schon in Freak-Aktuell berichtet, gibt die Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse (NÖGKK) mit den Ausschreibungsbestimmungen für den Verkauf und wieder die Anmietung seiner Rollstühle vor.
18 verschiedene Rollstühle, je nach Behinderungsgrad und Bedürfnis vom Standard- bis zum Elektrorollstuhl, werden täglich angemietet – vorher werden jedoch alle Rollstühle an den Bestbieter verkauft.
Vertragsdauer
Der Vertrag (Vertragsbeginn 1.6.2005) wird auf unbestimmte Zeit abgeschlossen und kann von beiden Vertragspartnern unter Einhaltung einer einmonatigen Kündigungsfrist zum Ende eines jeden Kalendervierteljahres mittels eingeschriebenen Brief gekündigt werden.
Der Auftraggeber (NÖGKK) verzichtet auf die Kündigung des Vertrages für die ersten drei Jahre. (Theoretisch ist es also von der Vertragsfirma nach den Ausschreibungsunterlagen der NÖGKK möglich, den Vertrag jederzeit zu kündigen, und die Rollstühle bleiben in deren Eigentum.)
Sämtliche Preise sind Fixpreise und dürfen die ersten zwölf Monate nicht erhöht werden.
Preiserhöhungen werden nur einvernehmlich vorgenommen und dürfen nur bei kollektivvertraglichen Lohnerhöhung und bei gravierenden Materialpreiserhöhungen geltend gemacht werden.
Lieferung – Abholung – Reparatur
Der Auftragnehmer kann vor Ort (Adressen der Patienten werden dem Auftragnehmer übermittelt) entscheiden, ob der vorhandene Rollstuhl noch zu verwenden ist, oder durch ein Neugerät ersetzt werden muss.
Der Auftragnehmer ist verpflichtet, Anrufe von Patienten über technische Defekte am Rollstuhl 24 Stunden am Tag entgegenzunehmen. Reparaturen sind unverzüglich nach Schadensmeldung vor Ort durchzuführen. Ist dies nicht möglich, verpflichtet sich die Firma, dem Patienten einen adäquaten Ersatzrollstuhl kostenlos zur Verfügung zu stellen.
Der Auftragnehmer darf keinerlei Zahlungen für Leistungen aus dem Vertrag weder vom Patienten noch von Dritten entgegennehmen. Der Auftragnehmer darf mit den Patienten eine Kaution in der Höhe von bis zu € 35,- für künftig zu vermietende Rollstühle vereinbaren.
Haftung und Gewährleistung
Der Auftragnehmer (Bieter) haftet in gleicher Weise für die von ihm gelieferten als auch für die von ihm übernommen und wieder in verkehrgebrachten Hilfsmittel.
Sollte der Auftraggeber wegen eines fehlerhaften Produktes aus der Produkthaftung in Anspruch genommen werden, hat der Auftragnehmer den Auftraggeber (NÖGKK) schad- und klaglos zu halten.
Um den qualitativen Zustand der vom Auftragnehmer zu übernehmenden Rollstühlen erheben zu können, wird eine Frist von sechs Monaten festgelegt. Die Haftung für jene Rollstühle geht somit erst nach Ablauf dieser Übergangsfrist auf den Auftragnehmer über.
Bewertungsverfahren: Hauptsache der Preis stimmt!
⇒ Preis: (Gewichtung: 65% !!)
Die Zuschlagskriterien wurden so erstellt, dass die Gewichtung des Preises 65% einnimmt, Standort der Vertragsfirma 20% – und die Lieferzeit ist mit 15% gewichtet, wobei ein 7-Punkte-Beurteilungsverfahren herangezogen wird.
⇒ Standort: (Gewichtung 20%)
Ein Standort in NÖ ist nicht zwingend erforderlich – wenn keiner vorhanden ist, bekommt der Bieter eben 0 Punkte. (Bieter werden jedoch im Ausschreibungsverfahren weiter berücksichtigt)
⇒ Lieferung: (Gewichtung 15%)
Innerhalb einen Tag – 7 Punkte
Innerhalb zwei Tage – 3,5 Punkte
Innerhalb drei Tage - 0 Punkte
Bieter deren Lieferzeit 3 Tage überschreitet, werden im Ausschreibungsverfahren nicht berücksichtigt und scheiden aus.
Datenschutz und Datensicherheit
Alle im Rahmen der Ausschreibung sowie bei der späteren Durchführung des Vertrages zur Kenntnis erlangten Informationen sind vom Auftragnehmer vertraulich zu behandeln. Das Personal des Auftragnehmers muss über das österreichische Datenschutzgesetz aufgeklärt werden.
Kommentar
Die NÖGKK entledigt sich mit dieser Ausschreibung der Verantwortung und überträgt auch rechtlich die Versorgung der Bürger aus Niederösterreich mit Rollstühlen einer Firma, wobei dann auch die Heilbehelfe im Firmeneigentum des Bestbieters sind. Völlig ungeklärt ist laut dieser Ausschreibung die Versorgung der Bürger nach Vertragsbeendigung, da ja die Rollstühle dann im Eigentum der Bestbieterfirma sein werden.
Bei einer angestrebten dreijährigen Vertragsdauer der NÖGKK kann die Bestbieterfirma aus den Niederlanden an die 3,6 Millionen Euro an Mietgebühren von der NÖGKK einnehmen und ist auch noch im Eigentum der Rollstühle!
Ob der Slogan »Weniger Staat – mehr Privat« mehr Vor- als Nachteile für Betroffene bringt, muss stark bezweifelt werden. So ein Experiment im Sozialbereich bei Rollstühlen zu wagen ist zumindest fragwürdig – die Folgen haben dann Menschen mit Behinderungen zu tragen und sicherlich nicht die Funktionäre der Gebietskrankenkasse oder die Politiker.
Das Bewertungsverfahren bevorzugt den wirtschaftlichen Aspekt, Billig-Preisgestaltung, jedoch die Gewichtung des Standortes und der Filialen, aber auch der Liefertermin, sind aus Sicht der Betroffenen mit 20 Prozent und 15 Prozent krass unterbewertet. Damit wären jene Bieter, die KEINEN Standort in Niederösterreich haben, bevorzugt.
Da Rollstühle sehr individuelle Hilfsmittel und meist auf die speziellen Bedürfnisse der Betroffenen zugeschnitten sind, ist eine individuelle gute Beratung ein sehr wichtiges Kriterium, um eine optimale Versorgung zu gewährleisten.
Erfahrungen mit 24-Stundenhotlines haben gezeigt, dass diese oft nur unbefriedigend funktionieren.
Und ob wirklich brauchbare Ersatzrollstühle für Betroffene zur Verfügung stehen, wird sich erst weisen: Besser wäre für jeden Langzeit-Rollstuhlbenutzer eine Zweitversorgung – Man hat doch auch zumindest zwei Paar Schuhe – wobei man bei kaputten Schuhen noch barfuss gehen kann – mit einem kaputten Rollstuhl kommt man nirgends mehr hin.
Auch die Qualität der Hilfsmittel dürfte entscheidend sein und ist bei Billigprodukten zu hinterfragen, »wann und wie oft eine Produkthaftung in Anspruch genommen wird«. Um diese auch statistisch zu erfassen, müssen die Betroffenen jedoch auch die Möglichkeit haben, dies bei einer unabhängigen Stelle geltend zu machen, denn die wenigsten Betroffenen werden eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen haben. Beschwerden haben nur Sinn, wenn auch Sanktionen zu erwarten sind, die bei einem Monopolisten wohl nur schwer möglich sein werden.
Zum Datenschutz sei noch eine Frage gestattet: Welche Strafen wird es eigentlich bei Zuwiderhandeln geben? Darüber gibt es bis dato noch keine Informationen.