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Rubrik: Lesen statt Hören
10. Mai 2005

Neues Buch: Leben mit Behinderung in Österreich

von Gerhard Wagner

Gerhard Wagner: Was würden Sie in der heutigen Zeit besonders notwendig empfinden, das sich im Umgang mit Menschen, die eine Behinderung haben, ändern sollte?

Univ.Prof. Dr. Gisela Gerber: Einmal finde ich schon auch den Begriff der »Integration« nicht mehr richtig: Einfach »hereinholen«? Nein, vielleicht wollen viele das gar nicht! Nein, es ist für mich doch so: Dass mit diesen Möglichkeiten, die jeder hat, respektvoll umgegangen wird, und dass eine Gesellschaft entsteht, wo Menschen sich wirklich aufgehoben fühlen können. Natürlich muss ich vielleicht den einen oder anderen schützen, weil er das selbst nicht mehr kann. Das ist auch sehr wichtig!

Auch: Jetzt mit allen Mitteln, jemand, der zum Beispiel in der Schule einen Bedarf nach Einzelunterricht hat, nach einem Stützlehrer, den jetzt in einen Klassenverband, wo er gar nichts mehr versteht und einfach nicht mitkommen kann, zu setzen, das sind dann Integrationsbestrebungen und Ideologien. Jede Ideologie ist etwas prinzipiell Gedachtes. Ich möchte es aber ganz individuell verstanden wissen - auf jeden einzelnen bezogen!

Gerhard Wagner: Eine sehr abgehobene Frage vielleicht: Könnte man dann sagen, dass »Freiheit« auch jeweils abhängig ist von den jeweiligen Rahmenbedingungen?

Univ.Prof. Dr. Gisela Gerber: Das glaube ich sehr wohl: Die Freiheit... vielleicht müssen wir zunächst zu einem philosophischen Begriff der Freiheit kommen... was ist Freiheit?

Freiheit, darüber möchte ich mich nicht allzu sehr auslassen, aber ich sehe Freiheit unter anderem als eine nicht fixierte Zukunft. Das heißt aber, dass ich für das morgen mitentscheiden kann! Und das ist für mich Freiheit.

Und diese Mitentscheidung sollte man eben wirklich jedem geben und jedem gewähren.

Gerhard Wagner: Ich habe das deshalb so gefragt - wobei ich Freiheit im Sinne der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung als Selbstbestimmung definiert habe - weil Ihr Buch heißt: »Leben mit Behinderung«. Und wir haben bei Freak-Radio ein Motto, das heißt genauso: »Leben mit Behinderung. - « Wir setzen hinternach: »Leben mit Qualität«, weil wir der Öffentlichkeit signalisieren wollen, dass dieses Bild in der Öffentlichkeit von den »armen Hascherln, die sich selbst nicht helfen können« in vielen Fällen nicht passend ist. Es kann ein Leben in Qualität geben, nämlich dann, »wenn die Rahmenbedingungen stimmen«. Das kann bei dem einen sein, dass die Rahmen weiter sein müssten als sie es bisher sind, das kann aber bei dem anderen sein, der sich einfach nicht mehr zurecht findet, dass die Rahmenbedingungen vielleicht etwas schützender sind, etwas Orientierung bietender sind. Das heißt, es kann also manchmal nicht heißen: »Grenzen weg!«, sondern speziell bei Menschen mit Lernschwierigkeiten oder psychischen Behinderungen auch heißen »Routinen einlernen«, oder etwas, an das man sich dann anhalten kann?


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