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Paradigmenwechsel Individualisierung und Gleichstellung
In dieser Sendung nähern sich die Aktivistin und Managerin im Rollstuhl Dorothea Brozek und die Montessori-Pädagogin Christine Mitterlechner, die sich in den letzten Jahren intensiv mit der Aktivierung von älteren Menschen beschäftigt (im Rahmen der Fachrichtung Geragogik) dem Thema Individualisierung. Weil jeder Mensch seine eigenen Voraussetzungen und seine eigene Lebensgeschichte mit eigenen Stärken und Schwächen hat, sollte auch die Unterstützung individuell sein, um möglichst effizient zu wirken. Ein Vorteil: Größere Effizienz bei gleichem Einsatz.
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Oftmals beschweren sich (nicht nur) Menschen mit Behinderungen, dass sie das, was sie brauchen, nicht bekommen. Noch immer gibt es viele Sonderformen für behinderte Menschen, und oft richten sich Unterstützungen mehr nach den Bedürfnissen der Verwaltung, beschweren sich Betroffene, als nach ihren eigenen. Doch es gibt Abhilfe.
Individualisierung und Differenzierung können nicht nur im Schulsystem zu effizienter Qualitätsverbesserung führen, sondern bei allen Unterstützungen und Leistungen, speziell für behinderte und ältere Menschen.
Einleitung
Zu Beginn eine wichtige Klarstellung: Es geht nicht um Individualisierung von Behinderung an sich. In dieser Sendung steht außer Streit, dass Behinderung nach sozialen Kriterien gesehen wird: Behinderung zeigt sich nicht allein durch ein Individuum, Behinderung zeigt sich in sozialen Vorgängen. Werden die Rahmenbedingungen geändert, kann Behinderung verschwinden. Ebenso ist Behinderung kein Defizit der Anführungszeichen Behinderten Ausführungszeichen. Wenn ein Gehörloser in Gebärdensprache redet und ich verstehe ihn nicht, ist das auch mein Defizit. Rahmenbedingungen wie Gebärdensprachdolmetscher helfen dann, mein Defizit auszugleichen.
In der heutigen Sendung reden wir davon, dass immer mehr Experten auch in eigener Sache fordern, nicht Behinderung individualisiert betrachten, sondern die Unterstützung je nach individuellem Bedarf auszurichten. Es geht also eigentlich um eine Individualisierung als soziales Recht und Potential für die Gesellschaft
Gäste
Frau Mag. Christine Mittelechner hat sich intensiv mit Montessori-Pädagogik beschäftigt, die ja einst im Sinne des Kindes gefordert hat: Hilf mir, es selbst zu tun. Ein Satz, der ja eine sehr individualistische Ausrichtung hat. Ihr Schwerpunkt ist jetzt allerdings die Geragogik, die Bechäftigung mit alten Menschen. Diese hat sich nach der Pädagogik (Bildung für Kinder und Jugendliche), der Andragogik (Erwachsenenbildung) entwickelt und ist relativ neu. Durch gezielte Materialien wurde wissenschaftlich bereits nachgewiesen, dass ältere Menschen aktiviert werden können und auch in ihrer Lebensqualität von den freiwilligen Übungen profitieren können.
Frau Mag. Dorothea Brozek ist als Rollstuhlbenutzerin Expertin in eigener Sache und hat unter anderem Freak-Radio und die Wiener Assistenz Genossenschaft mitbegründet. Sie ist mittlerweile selbständig unternehmerisch tätig und beschäftigen sich unter anderem mit Training, Coaching und Supervision.
Frage: Sehen Sie die Tendenz eines Paradigmenwechsels weg von der zurückhaltenden Gieskanne hin zu einer Förderung auch nach den Stärken der einzelnen Menschen?
3 Fragen zum Thema:
· Gesetze und Verwaltung wollen möglichst gleichförmige Förderung mit Restriktionen aufgrund der Budgetlage und Kontrolle. Damit soll Gleichheit und Gerechtigkeit, aber auch Verwaltungsvereinfachung erreicht werden. Allerdings nicht treffsicher: Viele beklagen, dass sie Leistungen, die sie benötigen, nicht bekommen, andere erhalten Dinge, die sie eigentlich nicht brauchen. Stimmt das? Wo kann Individualisierung beidseitigen Nutzen bringen?
· Individuelle Förderung der Selbständigkeit kann beim Kind und Jugendlichen zuerst höhere Investitionen bedeuten, dafür sinken die Kosten dann während des gesamten Erwachsenenalters. Wobei es hier nicht nur um gesellschaftliche Kosten-Nutzen-Rechnung, sondern auch um individuelle höhere Lebensqualität geht. Stimmt dieser Ansatz und kann er auch in der Förderungen für Menschen mit Behinderungen nutzbringend angewandt werden?
· Nicht nur die Schule, sondern auch die Verwaltung konzentrieren sich auf die von ihnen diagnostizierten Defizite. Differenzierung bedeutet, vor allem die Stärken und individuellen Potenziale in den Vordergrund zu stellen. Der Blickpunkt ist auf individuelle Stärken zu legen, diese sollen ausgebaut werden, um dem jeweiligen Menschen ein Mehr an Handlungsmöglichkeiten zu geben. Auf welchen Wegen können gezielt die Stärken gefördert werden, anstatt nur auf die Defizite zu sehen?
Schlusswort:
Der österreichische Philosoph und Pädagogie Heinz von Förster hat einmal gesagt: "Handle stets so, dass die Anzahl der Möglichkeiten wächst."
Zur Sendung:
Technische Unterstützung: Andreas Karlberger, ORF
Moderation: Gerhard Wagner.
- Dateien:
- 20110809Individualisierung.MP3