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.Politik zwischen Gleichstellung und Sparstift
2010 ist ein Jahr der Herausforderungen: Die Wirtschaftskrise ist noch nicht verdaut und behinderte Menschen spüren Sie besonders. Regiert nun überall der Sparstift? Steht der Ausbau der Gleichstellung still? Werden weiterhin durch die Behindertenmilliarde Arbeitsplätze geschaffen?
Moderator, Gerhard Wagner: Was bringt 2010 für Menschen mit Behinderungen? Guten Abend bei einer Live-Diskussion von Freak Radio am Dienstag, dem 08.12. um 8 Uhr, begrüßt Sie Gerhard Wagner am Mikrofon. 2010 wird ein Jahr der Herausforderungen. Die Wirtschaftskrise ist noch nicht verdaut - und behinderte Menschen spüren sie besonders. Regiert nun überall der Sparstift? Steht der Ausbau der Gleichstellung still? Werden weiterhin durch die Behindertenmilliarde Arbeitsplätze geschaffen? Warum werden neue Gebühren eingeführt, die immer wieder behinderte Menschen treffen? Welche Prioritäten wollen Politiker daher 2010 setzen? Wir stellen uns also heute die Frage: was bringt 2010 für Menschen mit Behinderungen?
Ich begrüße zwei Behindertensprecher der Parlamentsparteien. Bevor ich Sie begrüße, zuerst noch eine Anmerkung: Wir haben alle Behindertensprecher aller Parteien eingeladen. Aber aus terminlichen Gründen konnten die Abgeordneten Jamer, Königsberger-Ludwig und Hofer leider nicht kommen. Umso mehr freue ich mich, dass wir Herrn Dr. Franz-Joseph Huainigg von der ÖVP hier im Studio haben. Guten Abend! Und am Telefon Sigisbert Dolinschek vom BZÖ, guten Abend! Hören Sie mich? Herrn Dolinschek hören wir noch nicht. Er wird vielleicht später hineingeschaltet. Und dann begrüße ich Frau Mag.a Bernadette Feuerstein. Sie ist Präsidentin der Selbstbestimmt Leben Initiative Österreichs.
Mag.a Bernadette Feuerstein: Guten Abend!
Freak-Moderator: Zunächst einmal zur Wirtschaftskrise, die ja relativ heftiges Thema ist in der letzten Zeit. Die Arbeitslosenrate in Österreich betrug im November 2009 allgemein 7,1 %, von den knapp 100.000 Personen mit Behinderung, wie im statistischen Zentralamt ersehbar, waren fast 40 % ohne Arbeit und es gab eine Steigerung der Arbeitslosigkeit von 13 % gegenüber dem Vorjahr.
Die Wirtschaftskrise trifft also ganz besonders Menschen mit Behinderungen. Daher meine Frage: welche Maßnahmen sollen Ihrer Meinung nach gerade in diesem Bereich vorgenommen werden, Herr Dr. Huainigg?
Dr. Franz-Joseph Huainigg: Ja, ich glaube, dass die Beschäftigung das Wichtigste ist, also Arbeitsplätze schaffen. Natürlich sind gerade behinderte Menschen sehr gefährdet, wenn Arbeitsplätze gestrichen werden, dass sie gekündigt werden und dass sie ihren Arbeitsplatz verlieren. Die Beschäftigungsoffensive geht weiter, wird nicht gestrichen und bleibt gleich hoch gefördert, also die so genannte Behindertenmilliarde, also eine Schilling-Milliarde, bleibt erhalten. Und man hat in den letzten Jahren sehr viele Beschäftigungsinitiativen gesetzt, also auch die integrative Berufsausbildung, wo es inzwischen über 4.100 Lehrverträge gibt.
Das ist, glaube ich, sehr wesentlich und ein guter Übergang von der Schule in die Berufswelt. Es gibt Lohnzuschüsse, es gibt persönliche Assistenz am Arbeitsplatz und ein ganzes Paket von Maßnahmen. Das muss erhalten bleiben, darf nicht gekürzt werden und Arbeitsplätze zu erhalten ist das Gebot der Stunde, wie ich glaube.
Freak-Moderator: Wir versuchen es noch einmal, ob der Herr Dolinschek schon in der Telefonleitung ist. Herr Dolinschek, sind Sie schon in der Telefonleitung? Hören Sie mich? Nein, das dürfte nicht der Fall sein, daher frage ich noch einmal Sie, Frau Feuerstein. Herr Franz-Joseph Huainigg hat von der Persönlichen Assistenz am Arbeitsplatz gesprochen. Ich denke, das sind ja Themen, die auch für die Selbstbestimmt-Leben-Initiative wichtig sind. Wie ist denn Ihr Zugang zum Thema?
Mag.a Feuerstein: Die Persönliche Assistenz am Arbeitsplatz ist sicher eine sehr wichtige Maßnahme gewesen, die es Menschen mit Behinderung ermöglicht, einen Arbeitsplatz zu bekommen und auch zu erhalten und den nicht behinderten Kolleginnen und Kollegen gegenüber in gleicher Qualität und einfach gleichberechtigt die Arbeit durchzuführen. Ich sehe jedoch die Situation etwas kritischer als der Kollege Huainigg, weil ich zum Beispiel in den letzten Jahren keine besonderen Projekte mehr kennen gelernt habe, die aus der so genannten Behindertenmilliarde entstanden sind.
Abgesehen davon: Er hat gesagt, das war eine Schillingmilliarde. Ich weiß nicht, wie viel Geld da noch über ist, wie viel Geld da wirklich für nachhaltige Projekte verwendet wurde, die auch heute noch wirken und die nicht nur, sage ich jetzt einmal, ein Strohfeuer waren, wo nach einem halben Jahr und einer Initiative das wieder vorbei war. Ich sehe auch andere problematische Bereiche. Das ist nicht mehr so neu, aber ich bin selbst im öffentlichen Dienst beschäftigt und es wurden zum Beispiel im öffentlichen Dienst die so genannten Behindertenplanposten gestrichen.
Dies ist natürlich ein Nachteil für viele Menschen mit Behinderung, weil hier oft eine Möglichkeit war, in einem Bereich, der an sich von einem Aufnahmestopp belegt war, doch noch Arbeit zu finden und eine wirklich gute Beschäftigung zu bekommen. Also ich sehe da schon auch sehr kritische Entwicklungen und natürlich die Wirtschaftskrise, die Finanzkrise hat die Situation für die Betroffenen sicher noch verschärft.
Freak-Moderator: Dann würde ich vorschlagen, dass wir erst einmal die erste Musik spielen.
[Musikeinspielung RATATAT]
Freak-Moderator, Gerhard Wagner: Sie hören Freak Radio auf Ö1 Campus - live aus dem Studio im ORF. Heute zum Thema: Was bringt 2010 für Menschen mit Behinderung?
Leider dürfte es in der Telefonleitung Probleme mit dem Abgeordneten Sigisbert Dolinschek geben. Wir bemühen uns weiterhin um die Leitung. Also er wird hoffentlich später noch einsteigen können. Kommen wir zu einem anderen Thema.
Dr. Huainigg: Darf ich noch etwas ergänzend dazu sagen?
Freak-Moderator: Ja, bitte.
Dr. Huainigg: Den Geldbetrag, also die Behindertenmilliarde gibt es jährlich, also nicht einmal 70 Mio. Euro, sondern jährlich gibt es 70 Mio. Euro und die werden auch aufgedoppelt durch ESF-Mittel, also aus dem Europäischen Sozialfonds.
Freak-Moderator: Und die werden weiterhin bleiben?
Dr. Huainigg: Die bleiben weiterhin, genau und sind durch wirksame, nachhaltige Projekte, bis auf eine Aktion, die war ein Flop, die „Aktion 500“, wo Unternehmen € 500,00 im Monat bekommen haben, wenn sie einen behinderten Menschen beschäftigt haben für ein halbes Jahr. Gerade nach einem halben Jahr beginnt der Kündigungsschutz und die Förderung hört rechtzeitig auf und das hat dazu geführt, dass viele Behinderte wieder diese Förderung bekommen haben, dass der Arbeitsplatz nicht erhalten geblieben ist.
Da ist sehr viel Geld investiert worden und der Ausgleichstaxenfonds ist auch sehr angekratzt, um es sehr nett auszudrücken. Das war aber die einzige Aktion, die daneben gegangen ist. Das war ein Versuch vom Bundesminister Buchinger. Man hat es probiert, aber es hat nicht funktioniert.
Freak-Moderator: Freak Radio wird ja im Februar noch eine eigene Sendung zum Thema „Arbeitslos – was mach ich bloß?“ aus dem ORF-KulturCafe machen. Kommen wir aber zu einem anderen Thema im Bereich der Wirtschaftskrise und zunächst nach Großbritannien: Dort scheint eine Steuer auf Bonizahlungen vorbereitet zu werden. Der Finanzminister Ellister Darling plant die Einführung einer Steuer auf Sonderzahlungen für Bankmanager. Und sollte der Vorstoß gelingen, wären Einnahmen in einem durchaus nennenswerten Umfang zu erwarten, und zwar rechnen Experten mit ungefähr 6,6 Mrd. Boni, die dann auch durchaus lukrative Steuerleistungen einbringen.
In Österreich hingegen hat der Finanzminister und die gesamte Regierung sich verbeten, über eine Erhöhung von Steuern zu diskutieren, um, wie es heißt, nicht das Sparpotenzial zu gefährden oder die Wirtschaftsankurbelung. Keine neuen Steuern und Abgaben, nicht ganz. Versteckt im Budgetbegleitgesetz werden bereits im Juli die Gerichtsgebühren saftig erhöht.
Das ist für Leute mit hohen Einkommen leicht zu verschmerzen, besonders betroffen sind neuerdings allerdings auch Menschen mit Behinderung, die einen Sachwalter haben. Bis 2009 waren sie befreit. Jetzt wird ihnen der Zugang zu ihrem Recht finanziell erschwert, denn viele der Betroffenen beziehen Notstandshilfe, haben also nur ein Mindesteinkommen.
Und obwohl der Staat für sie regelt, dass sie besachwaltet sind, was also nicht freiwillig ist, wird gerade hier jetzt eine Gebühr von € 74,00 festgelegt. Das sind nach alter Währung mehr als 1.000,- Schillinge - für eine Prozedur, die der Staat selbst so vorschreibt.
Das ist bei einem Mindesteinkommen von € 772,4 derzeit ziemlich genau ein Zehntel dessen, was die Menschen zum Leben brauchen. Für Bonibezieher und Investmanager liegt diese Gebühr hingegen unter dem Promillbereich. Nicht nur für Menschen mit Sachwalter, auch für viele andere nachweislich einkommensschwache Gruppen werden neue Gerichtsgebühren eingehoben, etwa für Familienangelegenheiten.
Und erst diese Woche hat Rechtsanwaltskammerpräsident Gerhard Ben Ibler das in der Wiener Zeitung kritisiert; und zwar sagt er: „Die vom Justizministerium im vergangenen Juli erhöhten Gerichtsgebühren sind für die österreichische Rechtsanwaltskammer völlig inakzeptabel. Man versucht, die Justiz zum Cash-Cow der Republik zu machen. Das darf so nicht sein. Der Zugang zum Recht muss auch für jene möglich sein, die finanziell nicht so gut drauf sind.“
Gebühren sind nämlich auch bei der Eröffnung eines Sachwalterverfahrens sowie bei gerichtlicher Überprüfung der Abrechnung eines bestellten Sachwalters, die regelmäßig zu geschehen hat, zu entrichten. Und das ist für Ben Ibler ebenfalls relativ hoch. Neuerdings hat auch die Salzburger Landesregierung an alle Behindertensprecher und –sprecherinnen Post versandt, in der sie sie auffordert, die die „Gerichtsgebühren in Zusammenhang mit den Sachwalterschaften wieder aufzuheben“. Haben Sie diese Post schon erhalten, Herr Dr. Huainigg und wie werden Sie vorgehen?
Dr. Huainigg: Ich finde diese Regelung im Sachwaltergesetz auch sehr unglücklich und habe es auch kritisiert. Nun ist ja nicht die Gebühr nur für behinderte Menschen angehoben worden, sondern generell alle Gerichtsgebühren sind erhöht worden oder es gibt jetzt Gerichtsgebühren bei Verfahren und auch behinderte Menschen sind davon betroffen. Nur so weit ich weiß, sind Notstandsbezieher oder behinderte Menschen mit einem Mindesteinkommen von dieser Gebühr befreit.
Man muss dem sicherlich nachgehen und evaluieren, wie viele Menschen das betrifft und in welchem Ausmaß sie betroffen sind. Ich finde auch problematisch beim Sachwaltergesetz, dass jetzt wieder ein Sachwalter mehr behinderte Menschen besachwalten kann. Das wurde in der vorletzten Novelle aufgehoben und sehr gut reglementiert. Da hat sich dann gerade im Raum Wien gezeigt, dass es zu wenige Sachwalter gibt und das hat jetzt zu der bedenklichen Regelung geführt, dass wieder aufgemacht worden ist und ein Sachwalter viele betroffene Menschen betreuen kann.
Freak-Moderator: Was halten Sie eigentlich prinzipiell davon, Frau Feuerstein, dass solche Regelungen in Budgetbegleitgesetzen abgehandelt werden, also die behinderte Menschen betreffen und eigentlich sehr versteckt in irgend welchen Angelegenheiten sind, wo man sie gar nicht erwartet?
Mag.a Feuerstein: Es ist jedenfalls sehr problematisch! Und für die Betroffenen, die die Angehörigen und eigentlich für niemanden verständlich, wieso die Banken, die zu einem Teil selbst verschuldet Milliardenbeträge in den Sand gesetzt haben, durch staatliche Förderungen gestützt und gerettet werden, diese staatlichen Förderungen kommen ja nicht von irgendwo, sondern die werden bezahlt von den Steuern von jedem einzelnen von uns.
Angeblich heißt es ja, geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut. Nur die Behinderten sind da nicht mit einbezogen, weil es gleichzeitig zum Beispiel die Leistungskürzungen der Krankenkassen, welche Kosten für Hilfsmittel, für medizinische Versorgung von behinderten Menschen übernommen wird bzw. nicht mehr übernommen wird, ist nicht einzusehen.
Freak-Moderator: Ich würde sagen, bevor wir weitersprechen, machen wir wieder eine kleine Musikpause.
[Musikeinspielung RATATAT]
Freak-Moderator: Sie hören Freak Radio auf Ö1 Campus, heute zum Thema: Was bringt 2010 für Menschen mit Behinderung? - live.
Wie ich gehört habe, dürfte jetzt mittlerweile der Herr Abgeordnete Dolinschek in der Leitung sein. Herr Dolinschek, können Sie mich hören?
Sigisbert Dolinschek: Ich kann Sie hören, ja, guten Abend!
Freak-Moderator: Guten Abend! Sie haben die Sendung ja gehört weitestgehend, konnten nur aus technischen Gründen nichts dazu sagen.
Sigisbert Dolinschek: Ja, den ersten Teil habe ich gehört, und ich habe mich auch gemeldet, aber man hat mich nicht gehört. Ja, und dann habe ich einmal versucht, zu reklamieren.
Freak-Moderator: Jetzt sind Sie live dabei und ich frage Sie noch einmal zum Thema Gerichtsgebühren. Wie ist denn da Ihre Position des BZÖ?
Sigisbert Dolinschek: Ja auf jeden Fall gehört einmal die Situation für Menschen mit Handicap hier verbessert, egal in welchen Bereichen, ob das jetzt die Gerichtsgebühren sind oder am Arbeitsmarkt oder die verschiedensten Dinge, die es hier gibt. Also das Behindertengleichstellungsgesetz ist zwar in Kraft, es sind auch die 15a-Vereinbarungen mit den Ländern getroffen worden, aber es gibt natürlich noch einiges zu verbessern in diesem Bereich und gerade in einer Zeit wie jetzt, wo halt am Arbeitsmarkt alles etwas enger wird, sind halt solche Leute, die von Haus aus schon ein Handicap haben, auch besonders betroffen.
Aber wir haben gerade jetzt einen Fünf-Parteien-Antrag im Parlament eingebracht, also alle, die im Parlament vertretenen Fraktionen gemeinsam, damit das Behindertengleichstellungsrecht im kommenden Jahr auf Basis einer wissenschaftlichen Studie praktisch evaluiert wird, dass hier die Schlichtungsverfahren, Verfahren wie Verbandsklage, die Übergangsfristen in sämtlichen Bereichen, wo noch Barrieren bestehen, beim Bauen, beim Verkehr usw., auch bei der Behindertenanwaltschaft und bei den Rechtsschutzinstrumentarien, schneller umgesetzt werden.
Freak-Moderator: Da frage ich gleich Sie, Frau Mag. Feuerstein zum Behindertengleichstellungsgesetz. Wie zufrieden sind Sie? Was erwarten sie jetzt von dieser neuerlichen Prüfung und was fordern Sie?
Mag.a Feuerstein: Es ist ja sehr schön, dass das Behindertengleichstellungsgesetz wissenschaftlich evaluiert wird. Meiner Meinung nach ist das nicht notwendig. Ich brauche keine Studie, um festzustellen, dass das Gesetz selber große Schwächen hat und dass trotz des schlechten Gesetzes auch die Möglichkeiten, die gegeben werden, nicht ausgeschöpft wurden. Unserer Meinung nach, jetzt als Sprecherin der Selbst Bestimmt Leben Initiativen Österreichs, wurden hier vier Jahre einfach versäumt.
Seit In-Kraft-treten des Gesetzes wurden uns Vollzugsgesetze versprochen, die gibt es bis heute nicht. Auch das, was im Gesetz drinnen ist, nämlich der Abbau von Barrieren mit den Fristen, was wirtschaftlich dem Einzelnen zumutbar ist, ist nicht eingetroffen. Es wurden vier Jahre wirklich verschlafen und versäumt und ich fürchte, dass eine Studie darüber nicht genügen wird.
Freak-Moderator: Herr Abgeordneter Huainigg, Sie sind ja selbst betroffen. Fühlen Sie sich eigentlich schon gleichgestellt und wenn nicht, was kann man tun?
Dr. Huainigg: Gleichstellung kann nur ein Weg sein und auf diesen Weg hat sich die Regierung gemacht mit dem Bundesbehindertengleichstellungsgesetz und jetzt auch mit der Ratifizierung der UN-Konvention für die Rechte behinderter Menschen. Ich sehe es etwas anders wie Frau. Mag.a Feuerstein, weil schon etwas weitergegangen ist.
Man hat auch mit der Beschlussfassung des Behindertengleichstellungsgesetzes die Berufszugänge geöffnet, dass auch ein blinder Mensch Richter werden könnte, auch wenn es noch keinen gibt, aber es ist möglich. Oder dass behinderte Menschen Lehrer werden können. Man hat auch die Schulsegregation gestrichen: Jedes Kind hat also das Recht darauf, in die Schule zu gehen, egal welche Behinderung es hat. Die Gebärdensprache ist in der Verfassung anerkannt worden und man hat anders als in Deutschland auch die Wirtschaft mit reingenommen mit Übergangsfristen. Wenn es nur den Bund betreffen würde, dann wäre das viel einfacher gewesen, auszuverhandeln. Natürlich gibt es Übergangsfristen, aber 2010 zum Beispiel steigt die Zumutbarkeit wieder auf € 5.000,00, die Betriebe dafür zahlen müssen, wenn sie behinderte Menschen nicht anstellen. Diese Zumutbarkeitsgrenze steigt und es ist ein Prozess, der läuft. Was ich schon sehe, ist, dass Barrierefreiheit nicht so ein Thema ist. Es hat sich am Anfang sehr viel getan, in den letzten Monaten und im letzten Jahr ist das eher abgeschwächt. Ich glaube, dass man da auch neue Impulse setzen muss, damit da mehr getan wird.
Freak-Moderator: Frau Feuerstein: ...
Mag.a Feuerstein: Es steigt die Zumutbarkeitsgrenze, das Problem ist nur, es wird nicht kontrolliert, es wird nicht gemacht. Die Grenze war schon im Jahr 2009 € 1.000,00. Es hat niemand irgend welche Maßnahmen gesetzt und ein negatives Beispiel: es wurden hunderte neue Postbusse angeschafft, die dem Gesetz entsprechend barrierefrei hätten ausgestattet sein sollen, die auch einen Lift als Einstiegshilfe haben, die jetzt aber im Endeffekt wieder ausgestattet sind mit den normalen Sitzreihen und somit für Menschen im Rollstuhl nicht benutzbar. Und da wurden ungefähr 25 Millionen Euro auch wieder Steuergeld in den Sand gesetzt.
Freak-Moderator: Herr Dolinschek, ich hätte noch eine andere Frage an Sie: Es gehört ja zur Gleichstellung oder es ist als Unterstützung auch das "Pflegegeld" vorgesehen, das ja auch ein kleiner Beitrag für Gleichstellung sein sollte, das aber in den letzten Jahren völlig an Wert verloren hat. Immer wieder gelingt es nicht, die Valorisierungen vorzunehmen.
Sie selbst waren ja auch einmal als Staatssekretär dafür zuständig. Warum ist denn das so schwierig, das Pflegegeld so anzupassen, dass es dem Wert weiterhin entspricht?
Sigisbert Dolinschek: Ja, da haben Sie vollkommen recht. Also es verliert natürlich an Wert, das Pflegegeld, ja weil das seit Jahren nicht angepasst wurde, also das letzte Mal, glaube ich, 2005, dass das gemacht worden ist. Und wenn man bedenkt, dass das seit 1993 in Kraft ist, so hat das schon etliches an Wert verloren. Das Problem dabei ist natürlich, eine Valorisierung würden sich natürlich alle Pflegebedürftigen und die Angehörigen auch wünschen, ich mir selbst auch. Wir haben auch einen diesbezüglichen Antrag eingebracht.
Das Problem dabei ist folgendes: Wenn es hier eine Valorisierung gibt und eine Erhöhung von 1 %, kostet das 15 Mio. Euro. Das ist das Handicap des Finanzhaushaltes, wo man halt abchecken muss, ist man bereit, das auszugeben oder nicht. Anscheinend übersteigt das momentan unsere Ressourcen in Österreich, dass das praktisch von den Regierungsfraktionen so nicht gemacht wird.
Tatsache ist aber, dass steter Tropfen den Stein höhlt: Ich habe Verständnis für alle, die sagen, es geht zu wenig weiter in diesem Bereich, aber die Übergangsbestimmungen beim Behindertengleichstellungsgesetz sind halt in Österreich auf zehn Jahre gefasst und in anderen Ländern gibt es zum Teil noch längere, was aber keine Ausrede sein sollte, sondern wir sollten ständig daran arbeiten, dass in vielen Bereichen, also ob das jetzt, was von der Frau Feuerstein angesprochen worden ist, mit den einzelnen Bussen ist, mit der Verkehrsinfrastruktur, in Bereichen des Tourismus, dass sämtliche Tourismusbetriebe behindertengerecht ausgestattet sind usw.
Da könnte man auch mit Förderungen arbeiten. Also es gibt vieles zu tun in diesem Bereich. Was mich besonders stört ist eines, dass behinderte Menschen ein großes Problem haben, wenn sie sich eine private Personenversicherung leisten wollen. Da werden sie oft von einzelnen Versicherungsagenturen abgelehnt.
Freak-Moderator: Wir sind schon wieder in den letzten drei Minuten. Frau Feuerstein, noch einen kleinen Aspekt zum Pflegegeld. Man hört es immer wieder und jetzt auch Bundeskanzler Faymann hat es wieder vorgeschlagen, Sachleistungen statt Pflegegeld. Was halten Sie davon?
Mag.a Feuerstein: Wenn es nicht so traurig wäre, würde ich sagen, es ist ein Running Gag. Diese Forderung der verschiedenen Politiker, Sachleistungen statt Geldleistungen, hören wir jetzt schon zum vierten, fünften, sechsten Mal, keine Ahnung. Das kommt von jedem Politiker der verschiedenen Fraktionen irgendwann einmal. Es entspricht absolut nicht dem Ziel, dass das Pflegegeld gehabt hat. Es entspricht überhaupt nicht den Intentionen der Selbstbestimmt-Leben-Bewegung, und wir lehnen das daher ab. Wir fordern einerseits unbedingt eine Valorisierung des Pflegegeldes und auch von Anfang an eine offene Pflegestufe.
Freak-Moderator: Letzte Runde: Behindertenanwalt Haupt geht demnächst in Pension. Die Frage nach der Nachfolge ist offen. Frau Feuerstein, wie ist das aus Sicht der Selbstbestimmt-Leben-Initiative?
Mag.a Feuerstein: Auch hier eine sehr eindeutige Sicht, auch wenn ich, wie wir heute gehört haben, nicht immer einer Meinung bin mit dem Behindertensprecher Huainigg.
Die Selbstbestimmt Leben Bewegung wünscht sich auf jeden Fall einen selbst Betroffenen Behindertenanwalt - und Kollege Huainigg hat sich beworben und wir unterstützen seine Bewerbung in jedem Fall und wissen auch aus der Erfahrung heraus, dass wir mit ihm sehr gut und immer konstruktiv und innovativ zusammenarbeiten konnten.
Freak-Moderator: Herr Dolinschek, ganz kurz, wer soll Nachfolger von Exminister Haupt werden?
Sigisbert Dolinschek: Also auf jeden Fall, wie meine Vorrednerin jetzt gesagt hat, auf jeden Fall sollte es ein selbst Betroffener sein. Den Herrn Dr. Huainigg kenne ich persönlich sehr gut. Also ich würde es ihm wünschen, wenn er es werden würde. Er würde seine Sache sicherlich gut machen. Nur meiner Information nach haben sich 13 Personen beworben für diese Position und ich hoffe, dass es, wenn es nicht Herr Dr. Huainigg wird, doch ein selbst Betroffener wird.
Freak-Moderator: Herr Dr. Huainigg, Sie haben 30 Sekunden Zeit. Haben Sie es vor zu machen und was wären sozusagen die Vorteile dieses Amtes für sie?
Dr. Huainigg: Ich würde es gerne machen. Es wäre eine Herausforderung. Ich war im Parlament einige Jahre und habe Gesetze gemacht. Als Behindertenanwalt wäre die Aufgabe, diese Gesetze umzusetzen, Stimmung dafür zu machen, zu vernetzen zwischen den einzelnen Gebietskörperschaften und Behindertenorganisationen und ich glaube, dass man da vieles tun könnte. Aber ich möchte noch etwas sagen zum Thema Pflegegeld. Die ÖVP steht klar dafür, dass das Pflegegeld als Geldleistung erhalten bleibt, das ist auch ein Teil der Selbstbestimmung. Dadurch kann man entscheiden, wann man wie von wem gepflegt wird, welche Leistungen man in Anspruch nimmt.
Freak-Moderator: Wir sind am Ende der Sendung. Ich bedanke mich ganz herzlich bei allen Diskussionsteilnehmerinnen und –teilnehmern. Sie hören nächste Woche uns wieder bei Freak Radio, wie immer am Sonntag und Dienstag ab 20:30 Uhr. Auf Wiederhören!