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Rubrik: Freak-Science
10. Dezember 2008

Porträt einer Journalistin im Rollstuhl

von Christiane Link (Transkription des Vortrages)

In einer anderen Situation stand der Veranstaltungsort beispielsweise noch nicht fest, worauf ich den einladenden Veranstalter bat: »Wenn Sie noch nicht wissen, wo Sie tagen, wäre es möglich bei der Buchung des Hotels darauf zu achten, dass es barrierefrei ist? Denn ich bin Rollstuhlfahrerin.« In der Mehrzahl der Fälle war die Bereitschaft natürlich da. Trotzdem gab es eine Hand voll weniger schlauer Menschen, für die es unverständlich war, dass ich so etwas fordern konnte. Dann kam auch ab und an die Frage, ob ich tatsächlich von der dpa sei. Das nächste Problem war die bauliche Situation. Das ist etwas, was mir aufgefallen ist, seit ich in Großbritannien bin. Es ist hier erheblich besser. Zumindest die öffentlichen Gebäude sind weitgehend zugänglich. Ich habe vor fast jeder Pressekonferenz den Veranstalter anrufen und fragen müssen: »Wo findet die Pressekonferenz statt? Komme ich da rein? Wenn ja, wie? Oder muss ich einen Kollegen schicken?« Wir haben manchmal den Termin einfach nicht besetzt, wenn er nicht barrierefrei war. Ich muss sagen, ich hatte auch immer Unterstützung von meinen ChefInnen oder den RedaktionsleiterInnen. Gerade im Volontariat hat das sehr gut funktioniert. Ganz oft bekommen VolontärInnen Themen, die man machen kann oder auch nicht. Dann hing die Entscheidung ganz oft davon ab, ob der Raum barrierefrei war oder nicht! So fällen Redaktionen normalerweise nicht unbedingt ihre Entscheidungen, aber es war manchmal bei uns so.

Ich muss ganz klar sagen, wie ich immer wieder festgestellt habe, dass man diese angeblichen Nachteile, wenn man eine Behinderung hat, sehr einfach in eine Chance ummünzen kann. Das hat bei mir ganz früh angefangen, als Praktikantin mit 15 Jahren. Ich kann mich sehr gut daran erinnern, als ich auf dem Weg zur Kantine beim ZDF war. Auf diesem Weg – ein riesiger langer Weg - haben mich fast in jeder Mittagspause RedakteurInnen und sonstige Menschen angesprochen, wer ich denn sei und was ich dort mache. Als ich dann erzählt habe, was ich mache und dass ich Praktikantin bin, haben sie gesagt: »Ach, komm doch mal in unserer Redaktion vorbei …« Ich habe das umgedreht und diesen Nachteil ausgenutzt, und sie haben gesagt: »Ich habe eine Rollstuhlfahrerin auf dem Flur getroffen.« Es war zur damaligen Zeit ungewöhnlich. Es ist nun schon 15 Jahre her, dass ich davon profitieren konnte. Das geht mir teilweise bis zum heutigen Tag so. In meiner Zeit in Berlin bin ich drei Mal dem ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder begegnet. Er erkannte mich bereits beim zweiten Mal wieder. Ich denke, man kann Behinderung wirklich ummünzen und als Vorteil nutzen. Ich habe übrigens damit auch kein Problem! Ich nutze nicht meine Behinderung aus im negativen Sinne, sondern ich nutze den vermeintlichen Nachteil und drehe ihn zum Vorteil um. Das habe ich in meiner gesamten beruflichen Laufbahn sehr zu schätzen gewusst.
Ich organisiere Dinge anders als meine KollegInnen - einfach aus praktischen Gründen. Ein Beispiel dafür ist, dass ich Leute bitte, in die Redaktion zu kommen. Wenn es wichtige Leute sind, kann es sogar manchmal sein, dass die sich freuen zur dpa, zu meiner Zeitung, oder wo auch immer hinzukommen. In der Mehrheit der Fälle kommen die Leute gerne. Ich musste gar nicht sagen, dass ich als Rollstuhlfahrerin dort schlecht hinkomme. Ich gehe ganz stark auf die Leute zu und sage: »Hört zu, ich brauche ein rollstuhlgerechtes Hotelzimmer. Wie läuft der Transport ab? Ist es im Bus?« Ich habe manchmal den Eindruck, dass mich diese Offenheit näher an die Menschen heranbringt und manchmal Barrieren senkt. Zwischen Leuten, die interviewt werden und JournalistInnen gibt es eine gewisse Barriere. Jeder hat Respekt vor dem anderen, die Leute haben gelegentlich Angst vor den JournalistInnen. Ich habe den Eindruck, sie nehmen es irgendwann gar nicht mehr wahr, dass ich Journalistin bin. Nicht weil sie glauben, dass ich eine Rollstuhlfahrerin bin und daher keine richtige Journalistin sein könnte, sondern weil ich sie vorher fragte, ob wir uns treffen können, weil es dort eine Stufe gibt. Das hat eine gewisse »menschliche Komponente«, die aber eigentlich für das Gespräch später positiv ist. Denn man hat sich schon über irgendwelche Nichtigkeiten unterhalten, und das hilft die Barriere zwischen JournalistInnen und InterviewpartnerInnen abzubauen. Ich habe den Eindruck, dass mir das sehr stark nutzt.
Bei Nachrichtenagenturen kommt es sehr stark auf Schnelligkeit an, jedenfalls bei extrem wichtigen Themen – wenn beispielsweise ein Politiker eine »eilige« Pressekonferenz einberuft. Als ich in Berlin war, haben sich die KollegInnen von der Konkurrenz grundsätzlich nicht beeilt, wenn sie gesehen haben, dass ich in der Pressekonferenz saß. Weil sie dieses Vorurteil hatten: »Die ist sowieso langsamer als ich, da kann ich mir ja dann Zeit lassen.« Es war in Berlin um das Jahr 2003: Viele Leute hatten zwar schon Laptops mit Internetverbindung, doch längst nicht alle. Ein Großteil der JournalistenInnen ist dann einfach nach der Pressekonferenz zurück ins Büro gefahren. Die Wege in Berlin sind im Regierungsviertel nicht so weit. Ich habe immer wieder gesehen, dass die KollegInnen in einem Schlenderschritt zurück zu ihrem Auto gegangen und ins Büro gefahren sind. Sie haben sich gedacht: »Ich bin ohnehin schneller als sie!« Was sie nicht wussten, war, dass ich damals schon ziemlich computer- beziehungsweise internetaffin war. Ich hatte einen Mini-Laptop mit einer UMTS-Karte und musste nicht zu meinem Auto, um den Text abzusetzen. Ich habe dann der Redaktion direkt von meinem Laptop aus den Text geschickt. Das haben zwar manche KollegInnen gemacht, aber längst noch nicht alle. Der dpa, die sowieso immer ein bisschen als behäbig gilt, hat man das erst recht nicht zugetraut. Ich habe dann immer alle meine Texte automatisch von der Pressekonferenz rausgeschickt. In den sieben Jahren bei der dpa habe ich keinen einzigen Wettlauf verloren, weil sie mich ständig unterschätzt haben!
Der Grund, warum ich in England geblieben bin, ist weniger meinem Job als der Lebensqualität geschuldet, die ich hier gewonnen habe. Ganz viele deutsche EinwanderInnen beklagen sich darüber, dass die Lebensqualität in London beziehungsweise in Großbritannien so schlecht sei. Ich muss betonen, dass es für mich nicht zutrifft. Meine Lebensqualität hat sich eher verbessert. Aber nicht nur, weil ich einen guten Job und jetzt meine eigene Firma habe – ich baue ein Medienunternehmen auf. Die eigentliche Lebensqualität hängt mit den Menschen zusammen, denen ich auf der Straße begegne. Man wird ernst genommen. Es spielt keine Rolle, ob man eine Behinderung hat oder nicht. Es versucht auch keiner einem zu erzählen, wie man das besser machen könnte, «weil man weiß ja alles besser, weil man keine Behinderung hat!« Es gibt im Englischen sogar ein Wort dafür: »Patronising«. Das ist absolut verpönt! Es gibt in der britischen Gesellschaft - das ist mein Gefühl - einen Grundkonsens, dass jeder Mensch, egal ob mit Behinderung, ohne Behinderung, ob schwarzer Hautfarbe, anderer Hautfarbe, anderer Religion, sexueller Orientierung... gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben kann. Es existiert ein sehr starkes Bewusstsein dafür, was Diskriminierung bedeutet. Das schlägt sich meines Erachtens auch in den Gesetzen nieder. Es gibt ein Behindertengleichstellungsgesetz in Großbritannien, das jeder auf der Straße kennt - würde ich behaupten. Die Mehrheit der BritInnen auf der Straße weiß das, wenn man sie fragt: »Wissen Sie, dass es ein Behindertengleichstellungsgesetz gibt?« Die Menschen wissen das, und sie wissen auch, was drinnen steht. Das heißt DDA – »Disability Discrimination Act«. Dieses Gesetz hat wirklich das Leben von behinderten Menschen im Land verändert. Ich war vor 1995, bevor es das Gesetz gab, in Großbritannien und habe das Land von meiner Landkarte gestrichen, weil ich dachte, dass dort nichts barrierefrei ist. Die waren bei weitem hinter Deutschland zurück. Ich kam dann per Zufall – ich glaube, das war auf einer Dienstreise 2005 - für zwei Tage wieder dort hin und habe gedacht: Ich erkenne die Stadt nicht mehr wieder!
Dies trifft auch zu, wenn ich jetzt auf Pressekonferenzen gehe oder mich mit InterviewpartnerInnen treffe. Es ist vollkommen selbstverständlich, dass da eine Rollstuhlfahrerin kommt. Ich werde auch als Chefin angesehen. Sie wissen auch, dass es die Frau ist, der die Firma gehört. Ich trete jetzt auch als Unternehmerin auf. Das ist alles völlig normal, weil es eben Menschen gibt, die weit schlechtere Startchancen in ihrem Leben hatten als ich, weil ich einen Hochschulabschluss habe und in Deutschland aufgewachsen bin. Ich komme nicht aus einer bildungsfernen Familie. In Großbritannien gibt es Familien, die erheblich benachteiligter sind und erheblich schlechtere Startchancen hatten als ich. Darüber sind sich die BritInnen durchaus im Klaren. Es wird nicht behauptet, dass ich wahnsinnig benachteiligt sei. Im Gegenteil, die nehmen erst einmal wahr, dass ich Deutsche bin und sagen: »Oh, die kommt aus Deutschland, das ist schon mal Vorteil Nummer eins.« Deutsche zu sein in Großbritannien gilt erst einmal als Qualitätsmerkmal - »Made in Germany«. Dass ich eine Behinderung habe und Journalistin bin, stellt überhaupt niemand in Frage. Mir ist in Großbritannien noch nicht ein einziges Mal jene Situation begegnet, die ich in Deutschland zum wiederholten Male erlebte, wie »die Pressemappe ist nur für Journalisten«. Als ich bei der BBC war, hatte ich keine einzige Mittagspause - in einer großen Kantine - in der ich keinen anderen behinderten KollegInnen getroffen hätte und zwar KollegInnen aus dem redaktionellen Bereich. Ehrlich gesagt, ich musste mich ein wenig daran gewöhnen. Ich hatte einen enormen Bekanntheitsgrad in dem Bereich, in dem ich mich bewegte. Wenn ich einmal da war, wusste man, wer ich bin. Da war eine Pressekonferenz mit 150 Leuten und ich konnte sicher sein, dass die Pressesprecherin 100%ig meinen Namen wusste. In England war das plötzlich anders. Ich war dann plötzlich auf einer Pressekonferenz, in der jemand saß, der blind war. Ich habe einen Korrespondenten bei der BBC kennen gelernt, der sagte mir, er sei Parlamentskorrespondent für BBC Millbank. Das ist das Parlamentsstudio, es berichtet aus dem Parlament. Da habe ich gesehen, wie sozialisiert ich selbst war. Ich habe ihn gefragt: »Für welchen Radiosender arbeitest du denn?« Er hat mir geantwortet: »Nein, nein, nicht das Radio. BBC News - ich bin der Fernsehkorrespondent.« Da habe ich selbst gemerkt: »Wow!« Das war für mich so unvorstellbar, weil ich so sozialisiert wurde und mir selbst immer alle Leute gesagt haben: »Du kannst nie Journalistin werden!« Da habe ich dann gedacht. »Ja, okay. Wenn er blind ist, macht er Radio.« Weil wenn überhaupt, dann machen die blinden JournalistInnen natürlich immer Radio. Nein, er war der Fernsehkorrespondent. Ich habe ihn zwei Tage später im Parlament gesehen und die Zuschauer sehen auch, dass er blind ist. Es ist nicht so, dass der dann so hingestellt oder hingedreht wird, so dass keiner sieht, dass er blind ist. Nein, es weiß auch jeder, dass er blind ist. Das ist auch überhaupt kein Problem! Auch der Sicherheitskorrespondent der BBC, Frank Gardner, der sich mit Terrorismus beschäftigt, ist Rollstuhlfahrer. Die Gesellschaft nimmt aus meiner Sicht Behinderung ganz anders wahr. Das wahrzunehmen ist schon eine Herausforderung. Es ist aber nicht so, dass jeder meint: »Irgendwie ist jeder Mensch behindert!«. Die Leute sind sich darüber im Klaren, das Behinderung eine Herausforderung ist. Dass man Dinge eben anders organisieren muss. Das soziale Modell von Behinderung, die Gesellschaft, die baulichen Bedingungen müssen verändert werden. Nicht die Behinderung muss negiert, abgeschafft oder geheilt werden. Das ist definitiv der Grundkonsens in der britischen Gesellschaft. Natürlich gibt es Leute, die anders denken und die sich komisch verhalten. Ich will nicht sagen, dass ich nie diskriminiert werde. Doch die Anzahl derartiger Vorkommnisse hat sich enorm reduziert, weil die Gesellschaft generell anders denkt. Eine Behinderung zu haben ist in England relativ normal. Die Leute schauen sehr stark darauf, was man erreicht. Ich werde jetzt viel mehr als Unternehmerin in Großbritannien wahrgenommen. Zum Beispiel kommt das Statement »Oh, da baut jemand aus Deutschland ein Unternehmen bei uns auf« früher als die Bemerkung: »Ach ja, und übrigens, sie sitzt auch noch im Rollstuhl.« Das kommt dann hinterher, ist jedoch nicht das, was im Fokus steht. In Deutschland war ich immer die behinderte Journalistin: »Weißt du, die Rollstuhlfahrerin von der dpa...« Ich war nie zuerst Journalistin, die das und jenes entdeckt und darüber geschrieben hat, stattdessen wurde ich immer sehr stark über meine Behinderung definiert. Das ist in Großbritannien definitiv anders!
Ich werde auch ein wenig über den Bewerbungsprozess bei BBC erzählen, den ich sehr interessant finde. In fast allen großen Unternehmen in Großbritannien wird darüber Buch geführt, wer sich bewirbt. Als ich mich bei der BBC beworben hatte, bekam ich einen Fragebogen mit etwa schätzungsweise 15 Fragen. Da wurde gefragt: »Haben Sie eine Behinderung? Wenn ja, welche Behinderung? Welche Hautfarbe haben Sie? Welchen ethnischen Hintergrund? Welche Religion?« Sexuelle Orientierung wird oft gefragt, und so weiter. Man muss das das nicht beantworten, man hat immer die Möglichkeit zu sagen, dass man das nicht beantworten möchte. Doch ich beantworte das immer, weil ich das für ein tolles System halte. Dieser Fragebogen wird dann von der Bewerbung weggenommen – das Gleiche passiert übrigens auch bei Veranstaltungen der Regierung. Wenn von der Regierung oder von anderen Stellen finanzierte Fördermaßnahmen eingeführt werden, die sich an die breite Masse richten, dann wird bei der Anmeldung alles abgefragt, um zu sehen, ob die Steuergelder auch wirklich bei den »Minderheiten« ankommen. Es wird überprüft, wie viele Leute sich beworben haben, die behindert, schwul, eine Frau und so weiter waren. Sogar nach einem Jahr oder später wird gefragt, wie viele Leute wirklich bei ihnen arbeiten. Wo muss man nachjustieren? Ich kann mich daran erinnern, dass es bei der BBC einmal eine Debatte über zu wenig schwarze MitarbeiterInnen in Führungspositionen gab. Das wurde in der Zeit, als ich dort war, nachjustiert. Die gleiche Diskussion gibt es mit behinderten MitarbeiterInnen. Ich kann mich nicht mehr genau an den Prozentsatz erinnern, doch ich glaube, die BBC hatte zum Ziel, 8 % behinderte MitarbeiterInnen einzustellen, als ich dort angefangen habe. Es geht dabei aber nicht um die Quote. Das heißt nicht, dass sie 8 % MitarbeiterInnen einstellen. Sondern sie schauen sich an, wer sich dort bewirbt. Sie stellen nach Qualifikation ein und überprüfen, wo sie nachjustieren müssen, ob Leute durch das Netz gefallen sind und woran es eigentlich liegt, ob die Rekrutierenden besser geschult werden müssen und so weiter. Ich hatte in meinem Leben noch nie so stark das Gefühl, ausschließlich nach reiner Qualifikation eingestellt worden zu sein als bei der BBC. Das fand ich unglaublich, wie das Bewerbungsverfahren verlief – im absolut positivem Sinne! Sie haben keine einzige Frage zu meiner Behinderung gestellt. Bei der BBC haben sie sich meinen Lebenslauf angeschaut und haben mir ganz viele fachliche Fragen gestellt - unter anderem über meine Erfahrungen. Ich wurde rein nach fachlicher Qualifikation eingestellt und übrigens auf das Praktikum angesprochen, dass ich wie erwähnt schon mit 15 Jahren gemacht hatte. Ich würde jedem empfehlen, wenn es nur irgendwie möglich ist, ein Praktikum zu machen! Unbezahlt – so früh, wie es nur geht. Das hat zwei Vorteile: Man baut Hemmungen ab, die ein potenzieller Arbeitgeber haben könnte, und man schließt Kontakte. Ich kann es nur jedem händeringend empfehlen. Ich weiß, dass es die Diskussion über die »Generation Praktikum« gibt. Ich will aber keineswegs dafür plädieren, dass jemand dauerhaft Praktika macht. Doch für mich waren die Praktika definitiv sehr wichtig.
Ich denke, was man ändern muss, sind die beruflichen Möglichkeiten, die behinderte Menschen in der Gesellschaft vorfinden. Ich verstehe nicht, warum immer noch das Vorurteil existiert, dass behinderte Menschen keine JournalistInnen werden können. Bei der BBC habe ich viele behinderte JournalistInnen mit den unterschiedlichsten Behinderungsarten kennen gelernt. Auch ich selbst habe erkannt, was für eine Denkbarriere ich eigentlich habe, wenn mir selbst ständig jemand erzählt, dass das eigentlich nicht geht, aber bei mir möglich sei. Ich werde als Ausnahme dargestellt, welche die Regel bestätigt. Ich habe gehörlose JournalistInnen, blinde Fernsehleute und RollstuhlfahrerInnen kennen gelernt. Ich kann mir mittlerweile keine Behinderung mehr vorstellen, mit der man kein Journalist, keine Journalistin werden könnte, schon gar nicht im IT-Zeitalter, in dem vieles via Computer erledigt wird und ortsunabhängig funktioniert. Ich würde mir wünschen, dass ein bisschen mehr Offenheit herrscht und vor allen Dingen, dass es selbstverständlicher wird, behinderte Menschen zuzulassen. Das betrifft unter anderem die Ausbildungsmöglichkeiten. In Deutschland habe ich als Volontärin keine Ausbildungsstätte für Theoriekurse gefunden, die »barrierefrei« war. Die dpa lässt bei der Akademie für Publizistik ihre VolontärInnen ausbilden. Die Leiterin der Schule sah sich außer Stande, den Kurs zu verlegen, weil ihr eigenes Haus nicht barrierefrei war. Ich bin wahrscheinlich die einzige Volontärin in der Geschichte der dpa, die keinen Theoriekurs hatte. Solche grundlegenden Dinge müssen einfach geklärt werden und es muss auch dahin gehen, dass der Organisationsaufwand den einzelnen Leuten aus der Hand genommen wird. Bei der BBC gibt es eine Abteilung, die ist mittlerweile ausgelagert, die machen nichts anderes, als die Barrierefreiheit ihrer ArbeitnehmerInnen am Arbeitsplatz sicherzustellen. Natürlich hat die BBC auch relativ viele behinderte ArbeitnehmerInnen. Es gibt jedoch eine Person, die für die einzelnen ArbeitnehmerInnen Anträge stellt und ihnen so den gesamten organisatorischen Aufwand abnimmt. In meinem Fall musste nachgesehen werden, wie der Fluchtweg ist, weil ich in einer baulich schwierigen Redaktion saß, die über zwei Ebenen ging. Das Television Center in London ist ein wenig ein merkwürdiges Gebäude, weil es im Kreis gebaut ist. Die haben sich daher um einen Fluchtweg, gekümmert. Ich hatte einen Ansprechpartner und eine Hotline. Mein Ansprechpartner war selbst blind und hat für die Barrierefreiheit seiner KollegInnen gesorgt. Das war eine optimale Situation! Erst als ich bei der BBC war, wurde mir bewusst, wie viel Organisationsaufwand ich eigentlich bei der dpa hatte und wie sehr es mich belastet hat, weil das Agenturleben an sich sowieso relativ stressig und anstrengend ist. Ich hatte schon sehr viel Organisationsaufwand zu betreiben, und dieser fiel bei der BBC einfach komplett weg, weil es eine Abteilung gab, die das gemacht hat – die mir »zugearbeitet« hat.


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