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.Portrait der Künstlerin Gerlinde Zickler auf Okto
Die Sendung ohne Barriere in Zusammenarbeit von Freak-Online und Zitronenwasser ist am 8.9.2015 ab 20.05 zu sehen. Hier gibt es das gesamte Interview ungekürzt zum Nachlesen.
Gerlinde Zickler: Ich stehe jetzt bei der Skulptur aus dem Film »Rosenmädchen Seelenclown«. Denn mein Künstlername ist »Rosenmädchen« – aber auch »Seelenclown«. Dieser Film wurde zu meinem sechzigsten Geburtstag gemacht und die Filmemacher wollten den Menschen näherbringen, wie man 29 Monate in so einem Gipsbett liegt und da wieder herauskommt. Ich wollte diese Skulptur retten – sie ist ja total aus Gips – und so steht sie nun in meinem Garten.
Interviewer, Gerhard Wagner: Gerlinde Zickler, können Sie uns erzählen, wer Sie sind?
Gerlinde Zickler: Gerlinde Zickler. Verheiratet. Eine Tochter, zwei Enkelkinder. Wohnhaft in Tulln. Geboren 1944, ich bin ein Kriegskind.
Interviewer: Und wo sind Sie geboren?
Gerlinde Zickler: Ich bin gebürtige Tirolerin aus Zams bei Landeck. Auch in die Schule gegangen bis zum fast 17.Lebensjahr Von der Schule bin ich mit meinen Eltern nach Niederösterreich gezogen und habe meine erste Arbeit begonnen.
Interviewer: In der Kindheit gab es ja etwas, das andere Kinder nicht erlebt haben. Was war denn da das Besondere?
Gerlinde Zickler: Ja, fünf, fast sechs Jahre meiner Kindheit war ich in Sanatorien, weil ich als Kleinstkind an Knochentuberkolose erkrankt war und war 29 Monate in einem Gipsbett und konnte erst mit fünf Jahren wieder zu meiner Familie und musste erst wieder laufen lernen.
Interviewer: Und dann war das ja auch noch ein zweites Mal…
Gerlinde Zickler: Ja, mit 13 Jahren hatte ich einen Rückfall, wurde wieder eineinhalb Jahre … in Vorarlberg in einem Sanatorium...
Als die Schulausbildung fertig war, wollte ich unbedingt Künstler, eine künstlerische Laufbahn begehen, das wurde mir aber leider von der Öffentlichkeit, also von zuständigen Schulen nicht zugesprochen: Weil sie wird nicht von der Kunst leben können, sie ist ja eine Frau, wird heiraten, wird sich nicht ernähren können von der Kunst, sie soll lieber etwas äh einen Brotberuf erlernen und so bin ich dann in die kaufmännische Schiene gegangen.
Interviewer: Und haben Sie da in einem Büro gearbeitet?
Gerlinde Zickler: Ja ich habe in einem Büro angefangen und habe dort fast 35 Jahre diese Laufbahn gemacht. Ich bin Abteilungsleiterin in Pension gegangen.
Doch zur Kunst bin ich dann doch mit 37 Jahren gekommen
Interviewer: Wie war denn das damals – oder wie ist es heute?
Gerlinde Zickler: Es war eigentlich so, dass ich bis 37 Jahren nie einen Bleistift oder einen Pinsel in die Hand genommen habe. Eine Freundin hat davon gewusst, dass ich Künstlerin werden wollte und hat an einer Volkshochschule einen Ölmalkurs gibt und hat mich überredet. Ich habe mir gedacht: OK, jetzt kannst du es einmal versuchen – wenn sie mitgeht. So hat es begonnen. Ich bin geblieben – und von da weg ist es in mir so richtig hervorgekommen… vorerst mit Zeichnungen: Ich habe meine Tochter gezeichnet, meinen Mann gemalt, Freunde gemalt und gezeichnet und von da weg habe ich in der Nacht, denn ich bin ja arbeiten gegangen, Samstag, Sonntag, habe jede freie Zeit der Kunst gewidmet.
Interviewer: Ja und mittlerweile, nach fast 35 Jahren, der zweite Hälfte Ihres Lebens als Künstlerin, haben Sie vor wenigen Wochen eine Ausstellung zu ihrem 70.Geburtstag gestaltet, quer durch die Kontinente – hinter uns sieht man ein Bild, das Sie gemeinsam mit einem australischen Maler gemalt haben, eben in Kooperation mit anderen Künstlern quer durch die fünf Kontinente: Wie war die Resonanz auf diese Ausstellung?
Gerlinde Zickler: Ja, die Resonanz auf diese Ausstellung: viele haben gemeint: Das ist eine Geburtstagsparty! Das ist gar nicht so eine richtige Ausstellung! … und sind natürlich, vor allem die aus Tulln
Also meine Freunde sind alle gekommen. Nur die Ausstellung – es war wirklich eine Ausstellung die länger gelaufen ist und fast jeden Tag geöffnet hatte – fünf Tage in der Woche war sie geöffnet – ich war auch immer dort: Es war mir ein Anliegen, damit die Menschen auch wirklich verstehen, was hier passiert ist – und ich bin draufgekommen, dass das die Leute meiner Stadt gar nicht so mitbekommen haben, weil sie offensichtlich gemeint haben: »Naja, die Gerlinde Zickler pinselt zwar irgendwie daher«, aber dass sie so etwas zustande bringt, mit dem haben sie offensichtlich überhaupt nicht gerechnet. Die wenigen, die dann schon aus Tulln gekommen sind, waren bewegt und beeindruckt und haben fast keine Sprache dazu gefunden.
Aber von Auswärts – es sind schon auch aus Wien und aus dem Ausland Menschen gekommen, ich habe auch ein Gästebuch aufgelegt – die haben Großes und Bewundernswertes hineingeschrieben. Vor allem, was sehr bewegend für mich war, haben sie gemeint, diese Ausstellung hat eine Energie, eine besondere Aura, man spürt das einfach und geht mit tollen Gefühlen hinaus, befreit, ermunternd: Also es ist ganz anders, als wenn man durch eine Ausstellung geht, wo nur einer ausstellt und die Bilder zeigt. Sie können es selbst gar nicht so schildern, was diese Ausstellung mit den Menschen macht. Jemand aus Deutschland ist drei Stunden in dieser Ausstellung gewesen und ist vor einem Bild gestanden und hat nicht weggehen können. Also, das hat mich schon sehr berührt.
Interviewer: Ist eigentlich geplant, diese Ausstellung vielleicht in Wien zu zeigen oder überhaupt auf den anderen Kontinenten, wo ja zum Teil Bilder entstanden sind?
Gerlinde Zickler: Das versuche ich natürlich schon. Ich habe deswegen auch unseren Landeshauptmann angeschrieben. Er konnte damals aus terminlichen Gründen nicht kommen und ich habe jetzt eine Zusage, dass sie bemüht sind, einen passenden Ort für diese Ausstellung zu finden und ich bin guter Dinge.
Interviewer: Aber es ist nicht so einfach…
Gerlinde Zickler: Es ist sehr schwierig, denn es sind 14 große Bilder, 1,40 x 1,90. Sie brauchen sehr viel Raum. Zusätzlich stellt jeder Künstler, der mit mir gemalt hat, auch ein paar seiner eigenen Bilder dazu, damit man sieht, was herauskommt, wenn man ein Bild zu zweit malt und was jeder selbst macht. So kriegt diese Ausstellung nochmals eine andere Dimension.
Interviewer: Warum wird so oft – vor allem bei behinderten Menschen – die Leistung relativiert und auf die Behindertenschiene geschoben? Hätten Sie dafür eine grundsätzliche Antwort?
Gerlinde Zickler: Das frage ich mich selbst bei jeder Ausstellung. Ich war im Kunstmuseum in Charkow in der Ukraine ausgestellt. Und dort war der österreichische Botschafter anwesend und hat erklärt, ich bin eine Größe der »Behindertenkunst« in Österreich. Ich habe geglaubt, ich muss versinken dort. Das hat mich tief im Herzen getroffen, weil ich mir gedacht habe: Was ist »Behindertenkunst«? Was stellen die Leute sich unter Behindertenkunst vor? Ich kenne »Art Brut«, die ist anerkannt – aber wenn ein Mensch mit einer sichtlichen Behinderung anerkannter Maler sein möchte, dann wird das einfach negiert! Der schafft es nicht oder das ist nichts – so ist das Empfinden.
Interviewer: Ist es aber nicht vielmehr so, dass die Außenstehende immer wie durch eine Brille nur die »Behinderung« sehen und nicht in der Lage sind, den Menschen ganz zu sehen – und die Leistungen ganz zu sehen – oder welche Erfahrungen haben denn Sie gemacht?
Gerlinde Zickler: Ich weiß nicht, was wirklich der Grund ist, aber ich denke… ich kann es nur von mir aus sagen, wie ich es erlebe: Ich muss immer wieder zu Politikern gehen … aber von der Szene kommt niemand…
Ich bin ja auch im Internet ersichtlich und habe eine eigene Homepage. Es kommen keine Anfragen. Ich denke mir als Frau mit Behinderung, die macht vor allem Selbstdarstellungen das würde doch aber in unsere Zeit passen: öffnen, öffnen. Das war eigentlich auch ein Beweggrund, warum ich diese Ausstellung zu meinem Siebziger gemacht habe, dass ich mit Künstlern, wirklichen Künstlern zusammen Bilder mache und dann ausstelle, denn von außen bin ich ja akzeptiert. Doch in der eigenen Umgebung wird man dann so … weiß ich nicht … aber vielleicht ist das das Schicksal eines Malers.
Interviewer: Sie sind ja nicht nur Malerin, Sie sind vielseitige Künstlerin, wirklich vielseitig: Sie malen nicht nur, Sie machen bei ganz verschiedenen Projekten mit: Modeschau, Theaterstücke, jetzt kommt bald auch Tanz dazu, habe ich gehört – mit Laien noch dazu. Sie sind dabei auch sozial tätig. Was ist der Hintergrund bei einem weiteren Kunstprojekt,wenn man das so sagen kann, im weitesten Sinn, in die Rolle eines Clowns, eines Seelenclowns zu schlüpfen und was ist Ihnen dabei wichtig?
Gerlinde Zickler: Das ist mir wichtig, weil durch Ausdruck, egal wie, ob du jetzt etwas schreibst, malst, singst, oder etwas interpretierst… Das sucht immer einen Nächsten, ein Gegenüber!
Der wird dadurch angesprochen oder fühlt etwas. Wenn also ein Seelenclown, also ein Clown auftritt und irgendetwas macht, egal ob er jetzt stumm dasteht oder vielleicht nur ein Wort sagt oder nur ein Lied singt: Der andere, das Gegenüber fühlt etwas, denkt sich etwas und kommt in Kommunikation. Das ist schon einmal sehr wichtig.
Das gleiche Erlebnis habe ich beim Malen gehabt. wenn man zu zweit malt: Es ist ein Miteinander, ein Zueinander-Finden und Kommunizieren. Das, finde ich, ist das Wichtigste im Leben, dass man nicht engstirnig immer mit derselben Person kommuniziert, sondern möglichst mit vielen, weil Gott viele Menschen erschaffen hat: Jeder ist ein eigener Mensch – und man muss sich auf den anderen einlassen. Das erfüllt einen so mit vollen Herzen, das zu erleben, das bringt mich immer weiter, immer auf neue Ideen (lacht).
Interviewer: Wenn Sie sagen, im Leben ist Ihnen Kommunikation das Wichtigste, ist es Ihnen auch in der Kunst dann das Wichtigste?
Gerlinde Zickler: Das ist das Wichtigste. Das ist so. Das ist in einer Partnerschaft so, also in einer Ehe: Und so ist es auch unter Künstlern oder denen, die sich mit Kunst beschäftigen. Es gibt so viele Kunstformen vom Sprechen bis… bis Pantomime. Also es ist dadurch alles möglich.
Interviewer: Ein anderer Aspekt: Sie haben ja viel mit behinderten Menschen zu tun, Sie arbeiten ja immer wieder mit Ihnen zusammen: Glauben Sie, dass es heute für Menschen mit Behinderung leichter oder schwieriger ist als früher?
Gerlinde Zickler: Das haben mich schon so viele gefragt! Ich muss leider mit Enttäuschung sagen: Es ist noch immer sehr, sehr schwer!
Das kann ich bei mir selbst erleben, aber mir erzählen das auch sehr viele behinderte Menschen, besonders jetzt 2o15: Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderung zu finden ist sehr schwer geworden. Da war es vor 40 Jahren, als ich zu arbeiten begonnen habe, noch sehr leicht: Ich hab sofort einen Job gehabt und auch die Firma, die mich beschäftigen wollte, hat selbst 20 Menschen mit Behinderung beschäftigt. Also da frage ich mich jetzt: Wo können heute behinderte Menschen arbeiten? – Es ist schwierig.
Ich bin eine Frau mit einer sichtbaren großen Buckelbildung. Wenn heute ein sechzehnjähriges Mädchen das Gleiche hat wie ich, dann frage ich: Glauben Sie, wenn Sie als Sekretärin in Ihre Firma kommen will, ob die einen Job bekommt?
Ist es heute anders? Ich weiß es nicht. Ich traue mich nicht mit vollem Herzen zu sagen: Ja, wir nehmen Sie! Ob das passiert? Ich kann es nicht sagen. Mir sagt zwar jeder, dass es heute viel leichter ist, aber ich kann das wirklich nicht so bestätigen, was schade ist!
Was ich wirklich gerne haben würde, dass behinderte Menschen so weit kommen und ich glaube, es gibt schon einige, die diesen Weg eingeschlagen haben, Schauspieler werden oder Sprecher werden, an die Öffentlichkeit gehen wollen, aber man sieht sie nicht bei uns in Österreich! Wo sind die alle? Ich schaue immer im ORF. Ich verstehe das überhaupt nicht. Warum sieht man da keine Sendung für behinderte Menschen, oder behinderte Moderatoren? Da frage ich mich schon. Wir haben 2015. In anderen Ländern passiert das, aber bei uns in Österreich? Das verstehe ich gar nicht!
Interviewer: Zum Abschluss noch einmal zurück zu Ihnen selbst: Was hat Sie in Ihrem bisherigen Leben am meisten geprägt? Und gibt es Dinge, die sie heute vielleicht anders machen würden?
Gerlinde Zickler: Geprägt haben mich am meisten die Menschen: Also für mich sind die Menschen das Wichtigste! Ich könnte nicht allein sein. Ich war in meinem ganzen Leben noch nie allein. Ich rede nicht von ein paar Stunden, aber sagen wir einen Monat: Da würde ich wie eine Pflanze, die nicht gegossen wird, verwelken. Für mich sind die Menschen das Wichtigste!
Und anders machen: Das ist eine eigenartige Frage, weil ich glaube, dass man wieder das Gleiche macht.
Interviewer: Sich nicht mehr abhalten lassen von der Kunst und vielleicht früher beginnen?
Gerlinde Zickler: Das weiß ich nicht. Vielleicht habe ich wieder das gleiche Schicksal. Ich kann das wirklich nicht beantworten
Denn ich müsste ja wieder als Kind oder als 15- , 16-Jährige diesen Weg gehen. Ich weiß nicht ob meine Eltern, wenn Sie jetzt leben würden und ich wäre 15 wieder sagen, dass es besser wäre, einen Brotberuf, also einen sicheren Job zu finden.
Interviewer: Wenn Sie von diesem Standpunkt, wo Sie jetzt stehen, zurückschauen, sind Sie trotzdem, obwohl sie erst relativ spät begonnen haben, obwohl Sie es schon früher wollten – aber sind Sie mit dem, was Sie in den letzten Jahren künstlerisch bewirkt haben, soweit man das denn überhaupt sagen kann, zufrieden?
Gerlinde Zickler: Nein, zufrieden, kann man nicht sein.
Interviewer: Als Künstler ohnehin nie, oder?
Gerlinde Zickler: Nein, es ist immer ein Weg bis zum letzten Atemzug.
Interviewer: Anders gefragt: Könnten Sie sagen, so wie es jetzt gelaufen ist, ist es eigentlich gut?
Gerlinde Zickler: Ja, ich bin zufrieden. Zufrieden war ich eigentlich immer, ich war nicht verzweifelt. Das kenne ich überhaupt nicht! Ich bin immer in meiner Seele glücklich. Ich kenne keine Verzweiflung – außer vielleicht ein paar Stunden – aber wirklich verzweifelt, vor allem auch was Kunst betrifft: es gibt immer ein Vorwärts – und ich mache auch nicht immer das Gleiche, das ist auch das Nächste. Es gibt immer etwas Neues, das herausfordernd ist und da bleibt man dran. Mich macht so etwas glücklich!