Inhalt:
.Status Barrierefreiheit e-Government-Sites in der Schweiz
Transkript von Freak-Online
Eine aktuelle Erhebung über den Status öffentlicher Websites
Markus Riesch ist Leiter Technologie, Accessibility und Forschung, Stiftung "Zugang für alle" (Zürich/Schweiz)
Eva Papst: Der nächste Redner ist Markus Riesch. Unter seiner Leitung ist 2007 eine sehr interessante Studie über Regierungsseiten in der Schweiz entstanden. Ich glaube, 50 Seiten wurden geprüft. Über die Ergebnisse dieser Studie und die generelle Situation in der Schweiz wird uns jetzt Herr Riesch jetzt berichten, ebenfalls 45 Minuten mit Fragemöglichkeit. Ich wünsche viel Interesse bei Ihnen und bin gespannt, wie es in der Schweiz aussieht...
Markus Riesch: Ich möchte Sie ganz herzlich begrüßen. Zuerst möchte ich mich für die Einladung hier nach Wien, nach Österreich bedanken. Wir haben ja auch sehr viele Gemeinsamkeiten, wenn ich da jetzt auch an die EURO (Fußball Europameisterschaft) im nächsten Jahr denke. Auch im Namen haben wir sehr viele Ähnlichkeiten, wir heißen nämlich auch Zugang für alle. Die Stiftung "Zugang für alle" ist eine schweizerische Stiftung zur behindertengerechten Technologienutzung.
Ich möchte heute eine Studie vorstellen, die wir vor kurzem veröffentlicht haben: Es ist, wie Frau Papst gesagt hat, eine Studie, eine Bestandsaufnahme zur Barrierefreiheit von e-Government Seiten in der Schweiz. Ich habe hier ein paar Exemplare mitgenommen, es wird nicht für alle reichen, die schnelleren werden hier vorne sein. Ich konnte nicht mehr mitnehmen, ich bin heute in der Nacht mit dem Zug hierher gekommen und da musste ich mich beschränken. Die Studie ist natürlich als relativ barrierefreies PDF-Dokument auf unsere Website downloadbar, Sie sehen nachher noch den Link: www.access-for-all.ch/de/studie/index.HTML
Ich möchte, wie eigentlich immer in meinen Präsentationen, mit dem Zitat von Tim Berners-Lee beginnen, er hat ja schon vor sehr langer Zeit einmal gesagt: »Die Macht des Internets ist seine Universalität« und dass eben jeder darauf zugreifen kann, unabhängig von seinen Einschränkungen, von seinen Fähigkeiten. Das ist ein ganz zentraler Aspekt. Das soll uns auch heute, wahrscheinlich den ganzen Tag und jetzt auch durch meine Präsentation führen.
Wenn Sie Fragen haben, Sie können mich auch gerne zwischendurch unterbrechen.
Die Stiftung "Zugang für alle" gibt es seit dem Jahr 2000. Wir sind eine relativ kleine Stiftung. Wir haben etwa sieben Mitarbeiter, davon sind mehr als die Hälfte Menschen mit Behinderungen. Wir sind auch die einzige Organisation in der Schweiz, die sich für dieses Thema einsetzt. Wir versuchen mit unseren beschränkten Ressourcen so gut wie möglich, Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen zu fördern.
Ich möchte in diesen 40, 45 Minuten zuerst noch einmal kurz den Begriff »Barrierefreiheit« aus unserer Sicht definieren, dann kurz die rechtlichen Aspekte durchleuchten, wie sie auch zu Beginn schon von Frau Staatssekretärin [Heidrun Silhavy] aufgezeigt wurden - und dann die teilweise ernüchternden Resultate der Studie vorzeigen, um dann auch ein paar Ausschnitte daraus, ein paar Beispiele bringen.
»Barrierefreie Webseiten« oder »Barrierefreiheit« überhaupt ist als Begriff nicht sehr gut geeignet, denn Barrierefreiheit gibt es in dem Sinn nicht. Es ist bestenfalls eine barrierearme Webseite, daher ist der englische Begriff »accessibility« oder auf Deutsch »Zugänglichkeit« viel besser geeignet. Aber ich verwende trotzdem den Begriff »barrierefreie Webseiten«. Das sind Webseiten, die von Menschen, unabhängig von ihren Fähigkeiten, unabhängig von ihren Einschränkungen, genutzt werden können: Diese Webseiten sind eben auch zwangsläufig geeignet für alternative Ein- und Ausgabegeräte, also assistierende Technologien, Screen-Reader... und sind damit natürlich auch geeignet für Suchmaschinen.
Google arbeitet eigentlich genau wie ein Screen-Reader - und das ist bei uns in unserer täglichen Arbeit ein ganz wichtiges Argument: Sobald man hört, Suchmaschinenoptimierung, da spielt dann auch das Geld schnell einmal keine Rolle mehr, wenn es ein bisschen mehr kostet. Ich denke, das ist ein wichtiger Punkt, ein Argument, um barrierefreies Internet zu fördern.
Ich habe versucht, das auf dieser Folie darzustellen: Wir haben in der Mitte eine barrierefreie Webseite, durch die wir eben mit verschiedenen assistierenden Technologien, ein Screen-Reader, einer alternativen Eingabemaus oder eben auch einer Vergrößerungssoftware arbeiten, aber auch mobile Ausgabegeräte wie ein Handy oder PDA, problemlos oder einfacher auf die Inhalte zugreifen können. Das ist eigentlich unser Verständnis von einer barrierefreien Website.
Nun zu den rechtlichen Rahmenbedingungen: Ich werde versuchen, mich da so kurz wie möglich zu halten. Es gibt ja die UNO Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Ich denke, das ist eine gute, eine wichtige Konvention, die wirklich die Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderungen umfassend regelt. Darin wird konkret auch die Verpflichtung für die Forschung, für die Entwicklung, für den Betrieb von barrierefreien Dienstleistungen, barrierefreien Produkten angesprochen - und auch ganz konkret der barrierefreie Zugang zum Internet für Menschen mit Behinderungen.
Österreich und Deutschland haben diese Konvention so rasch wie möglich unterzeichnet, auch das Protokoll dazu. Die Schweiz leider nach wie vor nicht, das ist ein bisschen beschämend für uns. Es sieht auch nicht so aus, dass es in nächster Zeit soweit sein wird. Wir müssen das jetzt alles abklären: Was hat das für Auswirkungen, was bedeutet das also? Ich finde, das ist der falsche Ansatz:
Die Rechte von Menschen mit Behinderung oder allgemein Menschenrechte sollten primär im Vordergrund stehen. Dann geht es darum, die Hindernisse, die die Gesellschaft, die Behörden schaffen, zu beheben. Diese Konvention haben über 120 Staaten bereits unterzeichnet, Schweiz und USA - vielleicht bezeichnenderweise - noch nicht. Aber ein fast wichtigeres Dokument ist die Ministerdeklaration von Riga 2006, die wahrscheinlich auch viele von Ihnen kennen. Es geht dort um eine integrative Informationsgesellschaft.
Es geht nicht primär um barrierefreies Internet, das wird viel weiter gefasst. Es geht darum, dass alle Menschen an der immer stärker werdenden Digitalisierung der Informationsgesellschaft teilhaben können. Wie auch Dr. Schuster heute morgen bereits erwähnt hat, geht es auch um Migranten, es geht um die kulturelle Integration über Informationstechnologien, aber es geht vor allem auch um die Integration von Menschen mit Behinderungen.
In dieser Deklaration, die die Schweiz jetzt erfreulicherweise auch unterschrieben hat - also es ist eine EU-Deklaration - plus weitere europäische Staaten, wie EFTA-Staaten oder die Schweiz, da werden jetzt ganz konkret Ziele definiert: dass bis 2007 durchgängige Standards in den Ländern definiert sein müssen und dass bis 2010 alle öffentlichen Webseiten barrierefrei zugängig sein müssen.
Wie das jetzt konkret umgesetzt wird, ist noch fraglich. Wir in der Schweiz versuchen jetzt jedenfalls, zusammen mit verschiedenen Bundesämtern, diese Deklaration umzusetzen. Es ist kein Staatsvertrag, aber es ist eine Absichtserklärung - und mit diesem Dokument kann man sicher viel Druck für eine rasche Umsetzung machen. Diese Deklaration enthält übrigens auch ein paar ganz interessante Zahlen: Es geht allgemein um die Informations- und Kommunikationstechnologien und man geht davon aus, dass 50 Prozent des Produktivitätswachstums eben auf EKT (Elektro- und Kommunikationstechnik) zurückzuführen sind.
Also ist das ein ganz wichtiger Punkt - und wenn da viele Menschen ausgeschlossen sind, dann ist das natürlich sehr tragisch und die Chancengleichheit wird immer kleiner. EKT fördert auch die Integration, ganz klar, und man geht davon aus, dass rund fünfzehn Prozent der Bevölkerung von einer Einschränkung betroffen sind und bis jetzt nur drei Prozent der Webseiten barrierearm zugänglich sind. Ein ähnliches Resultat hat auch unsere Studie ergeben.
In der Schweiz ist es ähnlich geregelt wie in Österreich, wir haben in der Grundverfassung grundsätzlich die Rechte von Menschen mit Behinderung geregelt und das geht dann hinunter bis zu einem konkreten Standard, den wir auf WCAG 1.0 (Web Content Accessibility Guidelines, Richtlinien für die Zugänglichkeit von Webinhalten) referenzieren, also Webseiten in der Schweiz müssen nach WCAG 1.0 AA konform sein. Das gilt aber nur für Bundesseiten, das gilt nicht für Seiten der Kantone, also der Länder, wie man hier sagen würde, und der Kommunen. Das ist ein Problem des Förderalismus, der das ganze sehr stark hemmt.
Wir hatten eine Frist, die Ende letzten Jahres abgelaufen ist - und das war dann auch ein Auslöser, dass wir gesagt haben: Wir möchten einmal testen, ob diese Frist eingehalten wurde, ob die Standards auch wirklich umgesetzt wurden. Ich komme nachher nochmals dazu.
Soweit zu den gesetzlichen Rahmenbedingungen, viele Abkommen, Konventionen, aber wie sieht es in der Praxis aus?
Das wollten wir anhand einer Bestandsaufnahme wirklich einmal testen. Wir haben bereits 2004 so eine Studie durchgeführt. Dazumal waren die Resultate natürlich noch schlechter, wir haben sicher auch Verbesserungen festgestellt. Wir haben dieses Jahr auch versucht, viele weitere informative Artikel einzufügen, in denen es eben auch um die Umsetzung geht, wie man eine barrierefreie Webseite im Projekt begleiten kann. Ziel war es natürlich, einmal eine Bestandsaufnahme zu machen.
Ein anderes wichtiges Ziel war die Sensibilisierung und Information. Wir haben auch heute morgen schon gehört: Es fehlt nach wie vor das Bewusstsein von den Entscheidungsträgern, dass man überhaupt eine Seite für blinde Menschen zugänglich machen soll.
Nach wie vor, ich bin überzeugt und kenne das auch aus meiner Arbeit, wissen viele Entscheidungsträger überhaupt nicht, dass blinde Menschen das Internet überhaupt benutzen. Das ist primär ein Problem, das wir und viele von Ihnen auch durch verschiedene Aktionen zu beheben versuchen: damit eben das Bewusstsein da ist, dass gerade für Menschen mit Behinderungen das Internet und speziell e-Government viel wichtiger ist als für Menschen, die problemlos einen Schalter aufsuchen oder ein Formular von Hand ausfüllen können...
Wir haben für diese Studie auch verschiedene Sponsoren und Träger gebraucht: Das ist ganz klar, es ist sehr aufwändig, es braucht sehr viele Ressourcen, um das durchzuführen. Ohne finanzielle Unterstützung wäre das natürlich niemals möglich gewesen. Wir sind sehr froh, dass wir dann auch von Seiten des Staates Unterstützung bekamen, weil wirklich erkannt wurde, dass das Problem umgesetzt werden muss und auch kontinuierlich ein Benchmarking erfolgen muss: »Wie ist der jetzige Stand?« Wir machen das jetzt alle drei Jahre.
Denkbar wäre natürlich, dass man das immer wieder, auch jedes Jahr überprüft und die Probleme aufzeigen kann. Ich denke, das ist ein ganz wichtiger Punkt.
Wir haben nur öffentliche Seiten getestet, also Seiten von Bund, Kantonen und Gemeinden. Wir haben in der Schweiz 26 Kantone, das ist also schon eine ganze Menge von diesen 50.
Wir haben auch Radio und Fernsehen getestet und die fünf größten Schweizer Städte sowie bundesnahe Betriebe. Bei uns sind diese Post, Telekom, eidgenössische Hochschulen, die wir mit einbezogen haben.
Testkriterien war ganz klar die Web Content Accessibility Guideline WCAG 1.0, das war unser Testkatalog. Damit haben wir das getestet, mit den Tools die zur Verfügung stehen. Ich denke, Sie kennen die meisten dieser Tools, wissen auch, wie eingeschränkt diese nutzbar sind. Wir haben auch durch Experten getestet und vor allem eben auch durch Menschen mit Behinderung: also durch behinderte Accessibility-Spezialisten.
Das ist bei uns ein ganz wichtiger Punkt, dass man eben auch anschaut: Funktioniert das auch wirklich in der Praxis mit einem Screen-Reader, mit einer inversen Darstellung, nur über die Tastatur...? Da helfen Tools wie Bobby gar nichts! Das macht auch allgemein den Aufwand von Accessibility Tests aus: Wir haben heute morgen auch gehört ein BIK (Barrierefrei Informieren und Kommunizieren)-Test, den kann man auch nicht für 200 Euro kaufen. Es bedarf dieses Aufwandes, weil es eben nicht maschinell geht, vielleicht müsste man diese CAPTCHAs-Hacker einmal einsetzen, die scheinen da recht fleißig zu sein.
Nun, das ernüchternde Resultat war, dass keine der 50 Webseiten nach WCAG 1.0 AA konform war. Das hat dann auch für die Darstellung der Resultate ein Problem gegeben, wir konnten da nicht sagen erfüllt oder nicht erfüllt, man musste da auch die Resultate in einer gewissen Weise visualisieren. Das haben wir versucht mit einer Skala von einem bis fünf Sternen zu machen, wir haben auch verschiedene Gruppierungen vorgenommen.
Wir haben alle Punkte, bei denen es um alternativen Text geht, zusammengefasst, weil das ein ganz wichtiger Punkt ist. Wir haben Punkte bezüglich semantischer Elemente, wie auch Jan-Eric Hellbusch heute morgen schon gesagt hat, also Dinge wie Überschriften, die eine große Navigationshilfe, gerade für Screen-Reading sind, in einer Gruppe zusammengefasst.
Dann die Darstellung: Da geht es um Kontrast, um Layout, auch um die Trennung zwischen Inhalt und Darstellung. Elemente sind eine Gruppe, eine mit weiteren HTML aber auch HTML -fremden Elementen. Jede Webseite hat dann schlussendlich eine halbe A4-Seite Platz bekommen, mit den Resultaten und da haben wir dann einen bis drei Sterne vergeben, wir haben die wichtigsten positiven und die wichtigsten negativen Aspekte aufgeführt. Wir haben damit eigentlich sehr gute Erfahrungen gemacht, denn für Entscheidungsträger, für Politiker ist wichtig, wie viele Sterne oder auch wie viele CAPTCHAs oder so eine Seite hat.
Das ist entscheidend für die Politiker: Wenn da nur ein, zwei oder drei Sterne sind, dann gehen sie natürlich zu ihren entsprechenden Stellen und fragen, was da los ist. Es geht bei einem Politiker dann auch um das Image - und da ist dann eigentlich wichtig, dass man selbst gut abschneidet. Von da her haben wir bei unserer Bewertung auch extra auf eine Rangliste verzichtet. Da hatten wir sehr große Bedenken, weil man damit die einen gegen die anderen ausspielt, aber eine gewisse Bewertung braucht es und WCAG kann man ja auch nicht nach Punkten bewerten, deswegen haben wir das so gelöst.
Nun zu den Resultaten: Wie gesagt, von diesen 50 Webseiten war eigentlich keine AA. Wir haben 16 Seiten, die eigentlich mit vier, fünf Sternen schon recht zugänglich sind, aber der größte Teil der Webseiten hatte dann ein, zwei oder drei Sterne und war in dem Sinn nur sehr bedingt oder nur sehr schlecht zugänglich für Menschen mit Behinderungen.
Ich habe vorher erwähnt, dass wir auf Ebene des Bundes eine Frist bis Ende 2006 hatten, zu der das umgesetzt werden musste. Da haben wir erfreulicherweise erkannt, dass dort diese Seiten der Departemente diese Zugänglichkeit eigentlich schon sehr gut umsetzen. Also mit einem konkreten Standard und einer konkreten Frist, also in diesem Fall WCAG 1.0 und einer Frist bis Ende 2006, ist das ein sehr gutes Mittel, dass es auch umgesetzt wird, wenn natürlich nachher auch die Kontrolle gewährleistet ist.
Bei den übrigen Seiten gibt es bei uns zwar ein Gesetz: Man muss es barrierefrei anbieten. - Aber es fehlt dort eine Frist, es fehlt dort eine konkrete Messlatte, was erfüllt sein muss. Das können eben die WCAG-Richtlinien sehr gut übernehmen. Da haben wir erkannt oder festgestellt, der Stand bei diesen Webseiten, also von Kantonen und Kommunen, ist nach wie vor sehr schlecht.
Wir haben sieben Webseiten mit fünf Sternen, das sind vor allem Webseiten von Ebene des Bundes und zwei Kantone, die mit fünf Sternen auch schon sehr gut sind. Ich habe da nur so ein Beispiel, das ist die Webseite des eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements, wo eben die Trennung von Inhalt und Darstellung sehr gut gelungen ist, wo man eigentlich sieht: Das hier eignet sich schon sehr gut für alternative Ausgabegeräte.
Wir haben hier jetzt, nach dem Vortrag von Herrn Purgathofer hätte ich diese Folie besser herausgenommen? wahrscheinlich ist diese Erkennbarkeit auch bei 100 Prozent dieses CAPTCHAs. Aber dennoch, wir haben dieses CAPTCHA nicht nach der Sicherheit getestet, sondern nach der Barrierefreiheit und wenn man sich dieses Audiofile hier anhört versteht man das sehr gut, aber es ist natürlich nicht so sicher. Aber ich hatte keine Zeit, diese Folie herauszunehmen, deshalb habe ich das erwähnt.
Hier zwei besonders schlechte Webseiten, nur kurz ein Aspekt, warum sie so schlecht sind. Beispielsweise die Webseite des Schweizer Bundesgerichtes, eine sehr wichtige Seite, weil man dort auch alle Entscheide beispielsweise bezüglich Klagen von Menschen mit Behinderungen nachlesen kann. Die Seite selbst ist aber nicht zugänglich, man kann sich also als Behinderter die Information gar nicht beschaffen, welche Rechte man hätte.
Man sieht hier sehr altes Design, ich habe hier diese Layout-Tabellen visualisiert. Man sieht auf der Folie, dass man hier sehr viele Layout-Tabellen verwendet, um die Seite darzustellen und Sie können sich vorstellen, dass man auf dieser Seite mit einem Screen-Reader nicht weit kommt. Ein weiteres Beispiel ist vom Kanton Jura, das ist ein französisch sprechender Kanton, wir müssen also auch noch auf Französisch testen, was das auch noch erschwert. Da haben wir eine Navigation, die nur mit der Maus bedienbar ist. Herr Hellbusch hat es auch heute morgen erwähnt: Ein ganz wichtiger Punkt ist die Tastaturbedienbarkeit. Diese Seite ist also, wenn jemand keine Maus bedienen kann oder bedienen will, nicht zugänglich.
Ich möchte nun ein paar Punkte ansprechen: Ich habe da versucht, die häufigsten Accessibility-Mängel aufzuzeigen, beziehungsweise den Grad der Erfüllung.
Der erste Punkt sind barrierefreie PDF-Dokumente, also null von 50 Webseiten hatten barrierefreie PDF-Dokumente! Bei barrierefreien PDF-Dokumenten gibt es im Gegensatz zu HTML keine WCAG Richtlinien, was barrierefreie PDF-Dokumente sind. Aber im übertragenen Sinn ist es eigentlich genau das gleiche wie bei HTML. Wir haben zuerst einmal geschaut, ob es eine Alternative gibt, idealerweise in HTML. Wenn nicht, haben wir untersucht, ob das Dokument barrierefrei ist. Also haben wir diese gesamten Strukturinformationen [untersucht], wie Überschriften, alternative Bildbeschriftungen, Liste..., ist das auch im PDF-Dokument vorhanden, ist das korrekt vorhanden, ist die Reihenfolge korrekt, kann man das Ganze umfließend vergrößern?
Das haben wir untersucht und leider ist es so, ich denke das ist in Österreich und in Deutschland auch nicht anders, barrierefreie PDF-Dokumente sind nach wie vor ein ganz großes Problem und ich denke, der Grund liegt darin, dass die Technologie zwar gemäß Adobe alles hundertprozentig erfüllen würde, aber dass die Werkzeuge noch bei weitem nicht ausgereift sind.
Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal versucht haben, ein größeres PDF-Dokument barrierefrei zu machen. Ich habe das eben mit dieser Studie versucht, kam auch aus dem Design, ohne große Tags, ich war sehr lange daran, das einigermaßen barrierefrei zugänglich zu machen. Und ich muss selber sagen, es ist nicht hundertprozentig barrierefrei, also es ist eigentlich nicht möglich.
Ich habe da ein Beispiel, da sieht man ein PDF-Dokument aus dem Staatskalender, also ein offizielles Dokument - und bei uns ist das jetzt innerhalb des Dokumentes dreisprachig, also wir haben immer einen Absatz auf deutsch, dann auf französisch und dann auf italienisch. Das Dokument hat etwa 700 Seiten und es ist ausgeschlossen, dieses Dokument zugänglich zu machen. Ich müsste da Zehntausende von Tags von Hand bearbeiten, damit ich nur die Sprache definieren kann. Hier muss man sagen, auf diese Art geht es nicht, man braucht hier eben eine andere Lösung. Soweit zu den PDF-Dokumenten, da gibt es noch viel zu tun.
Dann auch sehr schlecht erfüllt wurden klare Linkziele, dazu habe ich nachher noch ein paar Beispiele. Access Keys und Sprunglinks sind doch bei etwa 30 Prozent eingesetzt, wir haben Zeilen- und Spaltenüberschriften bei Tabellen. Wenn es Datentabellen gab, haben wir geschaut, ob die barrierefrei zugänglich sind, es sind auch nur die wenigsten, die das erfüllen.
Dann die Verwendung von Listen und Überschriften, das ist ein wichtiger semantischer Punkt, häufig wird das dann eben im HTML nicht mit dem HTML -Text gemacht, sondern mit irgendwelchen Grafiken, Strichen oder ähnlichem gelöst. Das ist aber dann im Hintergrund eben semantisch nicht barrierefrei zugänglich. Auch der Kontrast ist bei den meisten Seiten nicht ausreichend.
Ich habe da jetzt ein paar Beispiele vom Punkt 13.1 der WCAG Richtlinien:
Identifizieren Sie das Ziel jedes Links auf klare Weise. Da haben wir zwei große Probleme gesehen, diese ganzen Weitermailings: »Lesen Sie hier«, »lesen Sie dort«, die sind natürlich ein Problem, das man sehr häufig antrifft und dann [gibt es auch] unklare Linkziele gerade bei grafischen Links.
Da haben wir ein Beispiel, wo man versucht hat, das möglichst gut zu machen, aber da ist dann der Schuss eher nach hinten losgegangen: Wir haben da ein Icon, das visuell zeigt, es wird ein externes Fenster geöffnet und da steht jetzt darauf: »Dieses Symbol soll Sie darauf hinweisen, dass der Link auf eine externe Seite geleitet wird und Sie sich somit außerhalb unseres Dienstes befinden und wir keinerlei Gewährleistung für folgende Inhalt geben können.«
Für sehende Benutzer ist das nicht so problematisch, ich sehe das ja nur, wenn ich den Tooltip mit der Maus aktiviere, aber für blinde Menschen mit einem Screen-Reader ist das, wenn das immer vorgelesen wird, bei jedem externen Link zwar gut gemeint, aber doch wirklich eine Zumutung!
Ein weiteres Beispiel, eine Unart, die in letzter Zeit häufiger aufgetreten ist, in Bezug auf Content Management Systeme, ist: Wenn kein Alternativtext vorhanden ist, wird einfach der Dateiname des Bildes genommen und in den Alternativtag hinein geschrieben. Dann bin ich gefeit vor Bobby, der reklamiert da nicht, aber das haben wir dann eben auch mit unseren Testern gefunden, die dann selber blind und sehbehindert waren. Die haben das dann schnell festgestellt, es hat zwar einen Alternativtag aber auf diesem Bild wird beispielsweise adnminicircle_s.jpg als Alternativtext hineingeschrieben, das ist natürlich in dem Sinn auch unzugänglich. Man hat zwar den Punkt theoretisch erfüllt, man hat einen Alternativtext, aber der ist nicht sinnvoll und in dem Sinn natürlich nicht erfüllt.
Hier haben wir auch ein ganz schönes Beispiel, das ist auf der Seite des Finanzdepartementes. Auch wieder zu gut gemeint, wir haben da einen grafischen Link, das ist nicht nur ein Bild, das ist verlinkt. Da sieht man zwei Hände, die eine kleine Pflanze halten und der Text dazu ist eigentlich nicht schlecht: »Kleine Hände halten ein junges Pflänzchen, es ist bereit in die Erde gepflanzt zu werden.« Das ist eigentlich nicht schlecht, aber wenn man jetzt auf den Link klickt, dann kommt man zu weiteren Informationen zu nachhaltiger Finanzpolitik. Dieses Linkziel ist nicht gerade sehr aussagekräftig und da sieht man auch das Problem: Viele Leute denken, da muss ich das Bild beschreiben.
Es fehlt da natürlich auch wieder an Bewusstsein, an der Schulung, was muss man da hineinschreiben, wenn das verlinkt ist oder wenn das nicht verlinkt ist. Das haben wir eben auch bei der Studie versucht, auf solche Sachen Wert zu legen.
Ein weiterer Punkt, wo die meisten Seiten versagt haben sind Gebärdenvideos für gehörbehinderte Menschen. Wir haben das auch zusammen mit Behindertenverbänden von hörbehinderten Menschen angeschaut und es gibt hier das Problem, dass wir ein Informationsdefizit für Gehörlose haben, wenn diese Informationen nicht als Gebärdenvideos dargestellt werden.
Auf der anderen Seite haben wir WCAG Richtlinien, die das nicht vorschreiben, wir haben auch Gesetze, die das nicht vorschreiben. Hier kommen wir schon an einen Punkt, wo wir sagen: Es ist wirklich eine Barriere, aber können wir das überhaupt verlangen, alle Webseiten mit Gebärdenvideos zu versehen? Ich denke, man kann das sicher nicht für alle Informationen machen, denn das geht ja auch noch nicht in Realtime, aber gerade für zentrale Informationen, wenn es darum geht, wichtige Bereiche zu erklären, wichtige Informationen zu übermitteln, dann sind Gebärdenvideos sehr gut geeignet.
Ich denke, Sie kennen diese Beispiele. Fazit für unsere Studie war, wir haben das auf einer einzigen Webseite gefunden, das ist für Seiten von Behörden oder der Regierung viel zu wenig!
Alternativtexte: da haben wir auch ein paar lustige, eigentlich traurige, Beispiele gefunden. Beispielsweise haben wir eine tolle Webseite der Stadt Zürich, da haben wir Informationen zur Entsorgung und zum Recycling und am Ende der Seite haben wir ganz gut immer die Adressen darauf geschrieben. Leider sind die als Bild implementiert und der Alternativtext ist einfach "Adresse ERZ". Man erfüllt damit zwar einen Teil der Richtlinie?
Zwischenruf aus dem Publikum: Vielleicht ist so etwas als CAPTCHA eingesetzt worden.
Markus Riesch: Ja, das wäre natürlich ein interessanter Aspekt, dass man alle diese Bilder mit dieser Möglichkeit integriert, dass dann eben menschliche User das interpretieren und dass man so die Barrieren abbauen kann, vielleicht viel schneller.
Oder grafische Navigation, die nicht beschriftet ist, eben eine Hürde, wo man sagt, da ist von Anfang an kein Weiterkommen, oder nur durch Raten. Unsere Tester haben sich dann immer einfach mit Raten durchgehangelt, aber das kann es ja nicht sein, es geht ja um einen chancengleichen Zugang, nicht um einen Zugang durch Raten und viel Üben.
Oder hier noch gegen Ende ein gutes Beispiel vom Schweizer Fernsehen: Wir haben da die Wetterprognosen als Bild dargestellt und als Alternativtext dann wirklich ausgeschrieben: Mittwoch zeitweise sonnig, einzelne Regenschauer, etwas Gewitter, Nebel, 24 Grad. Das ist für alle Tage so beschrieben und wird generisch erstellt, eben für jeden Tag neu. Das schreibt niemand hinein, aber man sieht hier; Es ist auch für solche generischen Bilder möglich, die Information als Alternativtext eben auch sinnvoll zu hinterlegen.
Jetzt habe ich noch eine Minute bis zum Buffet, da werde ich mich sputen müssen, aber keine Sorge, ich komme schon zum Ende.
Wir haben mit dieser Studie eigentlich eine sehr gute Resonanz erhalten: Wir haben auch die Organisationen, die wir getestet haben, persönlich angeschrieben und die sind jetzt bereits daran, das umzusetzen oder möchten das jetzt endlich in die Hand nehmen.
Es gibt natürlich nach wie vor verschiedene Hürden, aber gerade diese kurze Visualisierung auf einer halben Seite ist das, was ein Entscheidungsträger braucht. Der braucht da keinen 20-seitigen Bericht, das machen dann die verantwortlichen Entwickler. Wir haben viele begleitende Maßnahmen gemacht, eine Pressekonferenz, wir hatten da ein sehr gutes Medienecho, Radio, Fernsehen, Printmedien.... Es ist ganz wichtig, dass die Problematik breit gestreut wird.
Wir werden auch die Organisationen mit den detaillierten Resultaten versorgen, ihnen auch bei der Umsetzung helfen.
Was wir auch begonnen haben, ist im Bereich Ausbildung, dass man beispielsweise PDF richtig erstellt, dazu braucht man eine Schulung.
Es braucht natürlich eine Schulung für Webspezialisten, aber auch für CMS- Autorinnen und Autoren, also alle, die im CMS Texte schreiben oder Bilder hineinkopieren, die müssen eben wissen, wie man so Bild beschreibt, die müssen den Unterschied wissen, ob so ein Bild verlinkt ist oder nicht.
Es braucht da Ausbildung und Sensibilisierung. Es braucht die Richtlinien, da sind wir gespannt auf den Nachmittag, Shadi Abou-Zahra wird uns sicher sagen können, wie das beispielsweise mit WCAG 2.0 aussieht. In der Schweiz ist es so, wenn WCAG 2.0 offiziell erlassen wird, wird in der Schweiz innerhalb von drei Monaten eine Kommission zusammenkommen und man wird also diese neuen Richtlinien adaptieren und wird schauen, was es für Übergangsfristen gibt...
Aber es ist bereits geregelt, dass WCAG 2.0 dann in die Gesetzgebung integriert wird.
Ein wichtiger Punkt ist eben der Druck auf Anbieter, es braucht Druck. Mit unserer Studie als Benchmark kann man sicher Druck machen, aber es braucht ganz verschiedene Maßnahmen.
In der Schweiz sind wir noch nicht so weit, dass es da Klagen gegen Anbieter gibt, aber früher oder später muss das dann halt geschehen, wenn die Situation nicht rasch verbessert wird.
Nun zur letzten Folie: Hauptgründe für das doch ernüchternde Abschneiden ist zum einen der Föderalismus. In der Schweiz ist es so, dass Kantone und Gemeinden fast uneingeschränkte Autonomie haben. Also, Gemeinden müssen nicht machen, was der Kanton sagt. Kantone müssen nicht das machen, was der Bund sagt - und da wird es sehr schwierig, da auch nationale Standards, eine nationale Richtlinie zu definieren.
Es fehlt das Bewusstsein, die Sensibilisierung nach wie vor, ich weiß nicht, wie lange das noch gehen muss.
Kosten werden häufig als Hürde vorangeschoben, aber ich denke, viele von Ihnen kennen die wirklichen Kosten, die Mehrkosten sind nicht hoch. Wenn man das gesamte Projekt betrachtet, hat man wahrscheinlich nicht einmal mehr Kosten, sondern man spart noch Geld ein, indem man später geringere Wartungskosten, bessere Suchmaschinenergebnisse und so weiter hat. Es gibt da natürlich noch sehr viele weitere positive Aspekte.
Es besteht weiterhin großer Handlungsbedarf, das Gesetz, das bei uns 2004 in Kraft getreten ist, wird nach wie vor zu wenig umgesetzt. Da werden wir als kleine Stiftung "Zugang für alle" weiterhin unser ganzes Engagement hineinlegen um die Förderung des barrierefreien Internets umzusetzen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!
Eva Papst: Trotz des wartenden Buffets soll es noch die Möglichkeit geben, Fragen zu stellen, falls jemand welche hat.
Erster Fragesteller: Nehmen wir jetzt an, ich würde gerne, wir haben an die 700 Studenten in einer Erstsemestrigen-Veranstaltung sitzen, so eine Accessibilityevaluation von jeweils einer Website durchführen lassen. Haben Sie so etwas wie eine Checkliste oder eine Vorgehensweise kurz zusammengefasst, die man den Leuten in den Hand geben kann, damit sie ein beurteilbares Resultat liefern, oder gibt es so etwas? Haben Sie von Ihrem Vorgehen so etwas wie Checklisten?
Markus Riesch: Ja wir haben natürlich auch versucht, das Ganze systematisch mit Checklisten zu machen. Aber ich denke, wenn man das mit Studenten macht, kann man sehr viel abdecken, es braucht dort aber sicher noch die Zusammenarbeit mit Betroffenen und das ist dann natürlich sicher auch sehr wertvoll für die.
Erster Fragesteller: Das ist natürlich schwer mit 800 Studenten.
Markus Riesch: Man kann sicher sehr gute Resultate machen, ich kann Ihnen das nachher gerne zukommen lassen.
Eva Papst: Auf den BIK-Test möchte ich natürlich auch noch einmal hinweisen, der ja heute schon erwähnt wurde. Der ist natürlich auch eine Möglichkeit und hat den Vorteil, wenn man das jetzt nicht von BIK durchführen lässt, sondern das runterlädt und selber macht, man wird selbst zumindest teilweise auch zum Accessibility-Experten und ich denke, wir können in Zukunft welche brauchen.
Zweiter Fragesteller: Nur eine kurze Frage: Sie haben vorhin einen Vergleich zum Jahr 2004 der 2003-Studie angesprochen, was haben Sie da für Erfahrungen, wie hat sich das Ganze verbessert - hoffentlich?
Markus Riesch: Wir haben vor allem auf Ebene des Bundes eine markante Verbesserung festgestellt. Im Jahr 2004 gab es noch nicht die Referenz zu WCAG 1.0, diese Richtlinie kam erst 2005 und musste bis Ende 2006 umgesetzt werden. Da konnte man wirklich vergleichen und die Verbesserungen waren signifikant. In den übrigen Bereichen gab es einzelne Projekte, die deutlich besser waren, aber ein großer Teil war leider noch etwa auf dem gleichen Stand.
(Transkription: Christine Schubert und Gerhard Wagner, www.freak-online.at)