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.Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Behinderungen
»Wer einmal in Gugging war, der braucht keine Feinde mehr«, ist der Kommentar von Univ.-Prof. Dr. Heinz Katschnig, Vorstand der Wiener Universitätsklinik für Psychiatrie zur sozialen Ausgrenzung der Gesellschaft bzw. den Ängsten und Vorurteilen, die psychisch Kranken entgegen gebracht werden. Aus diesen und ähnlichen Gründen wird die niederösterreichische Landesnervenklinik Gugging nun aufgelöst und in andere Krankenhäuser integriert.
Auch Wien verfügt über vielfältige, teilweise abfällige Bemerkungen: Man denke etwa an den alten »Narrenturm« im früheren Allgemeinen Krankenhaus, oder die Bezeichnung »Guglhupf«. Doch nicht die vergleichsweise harmlosen Bezeichnungen der Krankenhäuser sind das Problem, sondern die negative Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Behinderungen.
25-50 Prozent haben Erfahrungen...
Dabei ist die Zahl der Betroffenen in den letzten Jahren ständig im Ansteigen begriffen. Die Zahlen sind unvorstellbar hoch: Laut Weltgesundheitsorganisation sind psychische Behinderungen dramatisch im Ansteigen begriffen. Insgesamt hat die WHO errechnet, dass 400 Millionen Menschen auf der Welt von einer schweren psychischen Behinderung betroffen sind. Wohl gibt es »leichtere Fälle« aber die Grenzen sind fließend zu Depression, sozialen Phobien und Ängsten, Schizophrenie, Alzheimer, ebenso zu Essstörungen, Drogensucht und Alkoholismus.
Von der Geburt bis zum 70. Lebensjahr haben laut internationalen Studien mindestens 25 Prozent aller Menschen wenigstens einmal im Leben eine psychische Behinderung, die einer Behandlung bedarf. In einigen Studien wird vermutet, dass die Dunkelziffer sehr hoch ist und bis zu 50 Prozent der Menschen davon betroffen sind.
Anti-Stigma-Programm
Österreich hat von der Weltpsychiatrieorganisation den Auftrag bekommen, als erstes Land ein globales Antistigma-Programm umzusetzen. Denn viele sind mit Vorurteilen konfrontiert, die teilweise von der Medizin selbst stammen. Eine andere Schwierigkeit besteht darin, dass sie von der Umgebung nicht mehr verstanden werden können und so zunehmend isoliert sind.
Vor allem Vorurteile könnten ausgeräumt werden und das Verständnis für psychischen Behinderungen könnte bestärkt werden. Um den Begriff »Schizophrenie« etwa ranken sich viele unberechtigte Mythen. Daher muss ein Antistigma-Programm durchaus in der Psychiatrie selbst ansetzen. Vielfach wird sogar schon die Frage gestellt, ob der Begriff »Schizophrenie« als diskriminierend gesehen werden soll und ob eine Änderung dieses Begriffs etwas ändern könnte.
Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Fleischhacker, Univ.-Klinik für Psychiatrie, Klinische Abteilung für Biologische Psychiatrie, Innsbruck bringt es auf den Punkt: Die Stigmatisierung ihrer Erkrankung ist wirklich ein Problem: Die Umgebung hat Angst vor psychischen Behinderungen und jenen Menschen, die solch eine Behinderung haben. Sie werden häufig diskriminiert: Es ist schwierig, Arbeit zu finden, selbst wenn jemand schon vor 20 Jahren einmal die Diagnose "Schizophrenie" hatte. Denn selbst unter gebildeten Menschen sind eine Fülle völlig falscher Vorstellungen über die Schizophrenie im Umlauf, etwa dass die Krankheit unbehandelbar wäre. Weiters denken viele, dass Menschen mit Schizophrenie überhaupt nicht arbeiten könnten, dass sie gefährlich seien, und, vielleicht das folgenschwerste Vorurteil, dass die Krankheit unheilbar sei.
Hier soll die "Anti-Stigma-Kampagne" aufklären: Schizophrenie ist eine Behinderung, die meist im jungen Erwachsenenalter - also im zweiten und dritten Lebensjahrzehnt - auftritt. Sie verläuft in Schüben und ist gut behandelbar. Bei Patienten mit Schizophrenie sind Denk- und Gefühlsprozesse beeinträchtigt. Sie können etwa Umweltreize, die auf sie einfluten, nicht "auswerten", Wichtiges nicht von Unwichtigem trennen.
Links:
Österreichische Schizophrenie-Gesellschaft (OESG); Hilfe: Antistigma
Universität München: Open the doors - das Programm der World Psychiatric Association gegen Diskriminierung und Stigmatisierung psychisch Erkrankter
Sollen Ärzte ihren Patienten überhaupt die »zerstörende« Diagnose Schizophrenie »antun«?
Wenn der Begriff derart mit falschen Vorstellungen belastet ist, dann fragt sich, ob es überhaupt sinnvoll ist, ihn weiter zu verwenden. Prim. Dr. Heinrich Donat, Kaiser-Franz-Josef-Spital, Wien: "Wir haben monokausal zu forschen begonnen, was notgedrungen zu falschen Erklärungsversuchen geführt hat, die dogmatisch weitervermittelt wurden und zum Teil immer noch wirksam sind." So gehen "Mythen" der Unbehandelbarkeit schizophrener Psychosen (Krepelin) auf Sigmund Freuds Feststellung, psychotische Patienten wären nicht übertragungsfähig, zurück. Hartnäckig hält sich daher auch das "Märchen", dass Psychotherapie nicht helfe. Dem hält Prim. Donat entgegen, dass unterstützende Psychotherapie wichtig sei, »es darf nur nicht schulspezifisch vorgegangen werden, denn die Patienten brauchen eine störungsspezifische Therapie.«
Weitere Vorurteile wie Erblichkeit, die pathogene Rolle der Familie, Krankheitsuneinsichtigkeit, Gefährlichkeit und sexuelle Ungezügeltheit belasten ebenfalls. Derartige Mythen führen in eine "therapeutische Sackgasse", die auch Pessimismus bei den Angehörigen nach sich zieht. Dabei weiß man heute, so Prim. Donat, dass ein wesentlicher Prädiktor für einen positiven Ausgang einer Behandlung der Optimismus der Betreuer ist - auch wenn noch nicht ganz klar ist, warum.
Ein langjährig Betroffener kritisiert das unerbittliche Festhalten am Begriff der Schizophrenie so: "Dieser Begriff belastet nicht, er zerstört!" Diese Meinung kommt aber nicht nur von Seiten der Patienten. Auch Univ.-Prof. Dr. Michael Musalek, Abteilung für Sozialpsychiatrie und Evaluationsforschung, Univ.-Klinik für Psychiatrie, Wien, fragt: "Warum tun wir den Patienten diese Diagnose an?" Selbst die WHO (World Health Organisation) hat einen Arbeitskreis gebildet, der darüber diskutiert, ob das Wort "Schizophrenie" beibehalten werden solle.
Natürlich könne man darüber diskutieren, den Begriff zu ändern, wendet beispielsweise Univ.-Doz. Dr. Werner Schöny, Wagner-Jauregg-Krankenhaus Linz, ein: »Aber wenn man sonst nichts ändert, ändert sich nichts.« Letztendlich, so ist auch der Präsident der Österreichischen Psychiatrie-Gesellschaft, Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Fleischhacker überzeugt, könne man mit einer Begriffsänderung jedoch nicht die Einstellung gegenüber der Behinderung und den Menschen ändern.
Wenig gesichertes Wissen, aber viele Mythen umranken das Wort Schizophrenie: Univ.-Prof. Dr. Heinz-Eberhard Gabriel, Psychiatrisches Krankenhaus Baumgartner Höhe, Wien, gibt zu: »Es ist erschreckend, wie wenig wir wissen und wie wenig umgesetzt ist.« Vor allem Langzeiterfahrungen gibt es kaum, bedauert auch Univ.-Prof. Dr. Heinz Katschnig. "Das Langzeitwissen ist sehr gering, und manches lässt sich gar nicht erfassen."
Auch durch medikamentöse Behandlung konnten deutliche Fortschritte erreicht werden: Durch weniger Nebenwirkungen hätten die atypischen Neuroleptika hier einiges verbessert. Außerdem sind in der Remissionsphase weniger "aggressive" pharmakologische Interventionen erforderlich, betont Univ.-Prof. Dr. Dipl. Psych. Wulf Rössler, Univ.-Klinik für Psychiatrie, Zürich, sodass hier mit niedriger Dosierung und Zieldosierung gearbeitet werden kann. Die Folge seien außerdem eine kürzere Dauer der Psychosen und eine erfolgreichere soziale Integration.
Begriff
Das Wort "schizophren" kommt aus dem Griechischen und heißt Spaltung der Seele, womit nicht die Spaltung des Menschen in zwei Persönlichkeiten gemeint ist. Es wird damit der Umstand beschrieben, so Dr. Christian Geretsegger, Oberarzt an der I. Psychiatrischen Abteilung der Landesnervenklinik Salzburg, dass Menschen mit Schizophrenie zwei Wirklichkeiten kennen, nämlich die reale Wirklichkeit, wie wir sie alle erleben, und seine zweite Wirklichkeit.
»Diese Menschen empfinden Erfahrungen, nehmen Sinneseindrücke wahr, die andere nicht nachvollziehen können. Das zentrale Syndrom, das in allen Kulturen anzutreffen ist, ist gekennzeichnet durch das Erlebnis der Eingebung von Gedanken, der Gedankenübertragung und des Gedankenentzugs, durch Stimmen, die der Betroffene in der dritten Person über sich sprechen hört. Diese Stimmen begleiten die Handlungen und Gedanken des Patienten und verzerren seine Wahrnehmungen. So kann beispielsweise die ganze Welt in einen so intensiven persönlichen Bezug zu ihm treten, dass sich jedes Geschehen speziell auf ihn zu beziehen scheint und eine besondere Mitteilung enthält.«
Diese zweite Wirklichkeit, die weggerückt, verrückt gegenüber dem Empfinden anderer Menschen ist, ist für den Kranken seine veränderte Wirklichkeit, seine Realität. Die Verarbeitung und Bewältigung solcher Erfahrungen ist unterschiedlich. Angst ist eine logische Reaktion, verständlich das Bedürfnis nach einer Erklärung dieser Erlebnisse und Wahrnehmungen, deren Ergebnis häufig ein Wahn ist. Zu Beginn einer Erkrankung bemerken die Betroffenen beide Realitäten häufig, können jedoch meist nicht unterscheiden, was wirklich und was unwirklich ist.
Im Vollbild der Psychose ist dies nicht mehr möglich, die Betroffenen sind von einer starken inneren Gewissheit erfüllt. Verständlich ist, dass der Betroffene sich bedroht oder verfolgt fühlt, sich zurückzieht, Schutz sucht.
Symptome und Therapie
Das Risiko, im Laufe des Lebens an einer Schizophrenie zu erkranken, beträgt etwa ein Prozent, ist in allen Regionen und Kulturen gleich, unabhängig von sozialem Status, Intelligenz und anderen Faktoren, auch beide Geschlechter sind gleich betroffen. Die Erkrankung kann in jedem Alter erstmals auftreten, am häufigsten zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr.
Sehr schwierig ist es, Frühwarnsymptome (Prodromalerscheinungen) vor Ausbruch der ersten Erkrankung zu erkennen und zu interpretieren. Sie sind meist unspezifisch, Unruhe, Nervosität, Konzentrationsstörungen, Gereiztheit, Misstrauen, Geräusch- und Lärmempfindlichkeit sind die häufigsten.
Die Behandlung der schizophrenen Störungen folgt heute einer Kombination von Psychopharmakotherapie, Psychotherapie und Soziotherapie. Entgegen einem weitverbreiteten Vorurteil sind schizophrene Psychosen in jeder Phase gut behandelbar.
Selbstmord
Psychische Behinderungen enden häufig auch in Selbstmord, betont WHO-Beauftragter Wolfgang Rutz. Die WHO geht davon aus, dass sich etwa alle 40 Sekunden ein Mensch auf unserem Globus das Leben nimmt. In Österreich, an sich traditionell ganz oben in der Selbstmord-Statistik, ist derzeit allerdings die Situation einigermaßen zufriedenstellend: "Wir hatten noch nie eine so geringe Selbstmordrate wie jetzt", vermerkt der Psychiater Univ.-Prof. Gernot Sonneck vom Wiener Kriseninterventionszentrum. Erstmals seit 1945 liege die Suizidrate seit drei Jahren unter 20 je 100.000 Einwohner. Bei Männern über 80 Jahre betrage sie indes mehr als 100. "Das macht uns ziemlich große Sorgen."
Angehörige
Prof J.K. Wing (London) entwickelte 1974 die sogenannte "Present State Examination", ein strukturiertes Interview, mit dem psychische Behinderungen recht klar definiert werden konnten. Damit war ein sehr wichtiger Schritt geglückt, die Psychiatrie konnte mit anderen wissenschaftlichen Zweigen der Medizin gleichziehen. Prof. Wing war aber selbst auch Angehöriger. Die Gründung der englischen Angehörigenvereinigungng "National Schizophrenia Fellowship" kam durch einen Angehörigen so richtig ins Rollen: Dieser hatte einen Leserbrief an die Tageszeitung TINMS geschrieben, in dem er sich über die Ignoranz der Regierung gegenüber der Psychiatrie beschwerte und die Schließung von Krankenhäusern beklagte. Die Reaktion darauf waren Hunderte von Leserbriefen, die diese Erfahrungen teilten. Endlich war die Sensibilität für die Probleme im psychiatrischen Bereich geweckt.
Er erlebte, wie in dieser Angehörigenvereinigung gearbeitet wurde, wie die Angehörigen sich gegenseitig Unterstützung geben konnten, eine eigene Zeitschrift herausgaben, Professionelle als Gäste zu sich einluden, um sich Anfassend zu informieren, und wie der Einfluss dieser Vereinigung in der psychiatrischen Landschaft wuchs. Diese Idee gefiel ihm so gut, dass er sie mit nach Österreich brachte.
Er brachte ein Buch mit dem Titel: "Die andere Seite der Schizophrenie" heraus, in dem neben fachlichen Beiträgen auch Angehörige ihr Los schildern und Patienten berichten, wie sie die Krankheit erlebt haben. Es wurde erstmalig klar, dass betroffene Menschen nicht ihr ganzes Leben lang "Verrückte" sind.
Die Rolle, die man den Angehörigen vor 20 Jahren zuschrieb, war zum einen ebenfalls die von "Anamnese-Lieferanten"; sie waren als Auskunftspersonen notwendig, wurden danach aber links liegengelassen. Zum anderen hatten sie eine Rolle in der genetischen Forschung, sie wurden als Träger einer "Erbkrankheit" gesehen. Die dritte Rolle, die man ihnen zuschrieb, war die des "Täters", des Verursachers der Erkrankung, für die es überhaupt keine wissenschaftlichen Beweise gab und gibt. Dies war eine ganz gefährliche Rolle für das weitere Krankheitsschicksal, weil die Schuldgefühle der Angehörigen, die ohnehin durch die Konfrontation mit einer psychischen Erkrankung in der Familie schon bestanden, noch weiter verstärkt wurden. Anfang der 70er Jahre wurden dann Studien durchgeführt, die sich mit der Frage beschäftigten, welchen Belastungen die Angehörigen ausgesetzt sind. Diese Studien kamen zu dem Ergebnis, dass die Angehörigen vielfach depressiv sind, mehr körperliche Krankheiten haben als andere, in finanziellen Schwierigkeiten sind, weil eine Mutter etwa nicht mehr arbeiten kann, die Familie nicht mehr auf Urlaub fährt, sich isoliert, um den Fragen nach dem Betroffenen zu entgehen usw. Diese Opferrolle, die nun entstand, war sozusagen das Spiegelbild der zugeschriebenen Täterrolle. Das Schicksal der Angehörigen machte betroffen, und so führte diese Sichtweise erstmals zu etwas mehr Verständnis für die Angehörigen.
Negative und konstruktive Rollenbilder
Alle diese Rollen sind aber passive und negative Rollen. Die konstruktivste Rolle, die Angehörige übernehmen können, ist die Rolle eines Akteurs, eines Handelnden. Die Probleme können nicht mit Herumgrübeln gelöst werden, sondern nur indem man zielführend daran arbeitet, auch mit und trotz der Krankheit Lebensqualität zu erreichen. Diese neue Rolle ist mit der Zeit zur zentralen Rolle geworden. "Tun wir was!", das ist Angehörigenselbsthilfe.
Der Umgang der Polizei
Es gibt nun einen dreitägige Polizistenweiterbildungskurs "Umgang mit psychisch kranken Menschen": Ein Mensch mit psychischer Behinderung erklärt den Polizisten die "Welt des Wahnsinns". Eine Welt, in der Menschen mit Schizophrene vor Angst verrückt werden, weil sie beispielsweise glauben, dass Giftgas durch die Wände sickert. "In einer solchen Paniksituation wird man von verständnislosen Polizisten niedergerungen, in Handschellen gelegt, auf die Baumgartner Höhe geschliffen und dort niedergespritzt", schildert Harry Hofer.
Rabiat und "springen an die Gurgel"
Die Beamten haben es aber auch nicht leicht. Sie beklagen die Unberechenbarkeit mancher psychisch Kranker: "Die werden rabiat und springen einem an die Gurgel." Für solche Situationen wurden die Psychiatrieseminare geschaffen. Gesetzeshüter werden seit 1996 von Ärzten, Sozialarbeitern, Angehörigen und Betroffenen unterrichtet. Sie erfahren, was eine Psychose ist und wie man sich verhalten soll, wenn ein verwirrter Mensch am Fensterbrett steht und mit Hinunterspringen droht, sodass man als Polizist keinen Schritt vor und keinen zurück wagt.
Initiiert wurden diese freiwilligen Schulungen von Major Friedrich Kovar, der damit zur Würde von Menschen mit psychischen Behinderungen beitragen wollte: "Bei den Seminaren stelle ich die Menschenrechte an oberste Stelle, weil Psychiatriepatienten keine Lobby haben." Seine Weiterbildungen sind zum Hit geworden: Das erste Seminar dauerte einen Tag. In der Zwischenzeit wurde es auf drei Tage ausgedehnt, findet viermal jährlich statt, und es gibt eine lange Warteliste von Schulungswilligen. Seit 1996 haben 180 Polizisten das Psychiatrieseminar absolviert. Kovar hofft auf einen Dominoeffekt bei den 6000 Polizeibeamten Wiens.
Die meisten Teilnehmer sind Streifenpolizisten. Gerade sie werden in Krisensituationen häufig gerufen. Oft fühlen sie sich überfordert, wenn sie abschätzen sollen, ob jemand mit einer psychischen Behinderung zum Amtsarzt gebracht werden muss oder ob man ihn zu Hause lassen kann. So etwas zu beurteilen wäre eigentlich Aufgabe erfahrener Psychiater. Doch in Wien existiert kein mobiler Krisendienst mit Psychiatern, die ins Haus kommen, obwohl eine solche Institution von Polizeibeamten, Ärzten, Angehörigen und Betroffenen seit langem gefordert wird. Der Unmut richtet sich gegen den PSD, den Psychosozialen Dienst, der in Wien für das Netz psychosozialer Einrichtungen zuständig ist. Es gibt zwar einen psychiatrischen Notdienst, der Hausbesuche macht - aber nur in Ausnahmefällen - nach Ermessen des diensthabenden Psychiaters.
PSD-Leiter Stephan Rudas lehnte eine Stellungnahme dazu ab.
In Kärnten ist man da fortschrittlicher. Dort hat der Verein Pro Mente schon vor drei Jahren ein mobiles Team von Ärzten und Therapeuten eingerichtet. Dadurch wird auch die Gendarmerie entlastet. Oft bringt sie bei Einsätzen das Team gleich mit, berichtet Kriseninterventionist Wolfgang Hopfgartner: "Die Anzahl der Krankenhausaufenthalte wurde reduziert, weil viele Krisen zu Hause abgefangen werden."
Lesen Sie auch: Zum Nachhören:
"Das weiße Rauschen". Ein Film von Hans Weingartner über Schizophrenie (öffnet in neuem Fenster).
(Quelle: Salzburger Nachrichten, 5. Oktober 1998; Festvortrag der 7. Angehörigentagung - Univ. Prof. Dr. Heinz Katschnig, ein bedeutender Wegbereiter für die Gründung der österreichischen Angehörigenvereinigung, über die Entwicklungsschritte von HPE; Bearbeitung: Gerhard Wagner)