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Vom Quotenfüller zum König
Harald Fiedler ist blind. Er beschreibt im folgenden Freak-Radio Interview seinen Weg vom Quotenfüller zum zufriedenen Mitarbeiter. Als er vor 19 Jahren anfing, hatte er nicht einmal ein eigenes Aufgabengebiet, jetzt macht ihm seine Arbeit Freude. Er ist, wie er selbst sagt, "König im eigenen Reich".
Freak-Radio: Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Arbeitsplatz?
Harald Fiedler: Mittlerweile sehr. Zu Beginn - ich arbeite seit 19 Jahren im Krankenhaus Mistelbach, - war ich nicht sehr zufrieden. Ich wurde mit dieser Arbeit zwangsbeglückt. Nach meinen 3 Jahren Handelsschule bekam ich während der letzten Schulwoche einen Anruf von meiner Mutter. Sie sagte, dass ich im Krankenhaus Mistelbach arbeiten kann. Ich hatte mir bis dahin keine Gedanken über meine Zukunft gemacht. Ich wollte zuerst die Handelsschule abschließen, 15 Jahre zu Hause faulenzen und dann irgendwann eine Arbeit suchen. Dass es so schnell mit der Arbeit ging, hat mich überrascht - und zu Beginn hatte ich eher den Eindruck, dass ich als Quotenfüller dienen sollte, dementsprechend wurde ich auch in ein Büro hineingesetzt. Mir wurde anfänglich kein Aufgabenbereich zugeteilt, sondern es hieß nur: "Herr Fiedler, Sie setzen sich in das Büro da hinein und um halb vier haben Sie Schluss".
Erst nach und nach musste ich mir ein Aufgabengebiet fast erkämpfen, was auch daran lag, dass ich nicht wusste, welche technischen und personellen Hilfen es am Arbeitsplatz gab oder gibt.
Auch die Akzeptanz meiner Kollegen war nicht gerade die Größte, die musste ich mir auch erst nach und nach erarbeiten: Das war anfangs etwas schwierig. Aber nach 5 bis 6 Jahren meiner Arbeit hatte ich alles zusammen: die Akzeptanz meiner Kollegen, einen blindenadaptierten Arbeitsplatz und ein sehr großes Aufgabengebiet. Dann konnte ich an meiner Zufriedenheit arbeiten.
Freak-Radio: Wie kann sich ein Aussenstehender Ihren Arbeitsplatz vorstellen?
Harald Fiedler: Ich habe ein Sprachausgabeprogramm auf meinem PC und dieses Programm liest mir den Bildschirminhalt vor: Wenn ich ein Word-Dokument öffne, beginnt dieses Sprachausgabeprogramm sofort zu lesen und liest mir das ganze Dokument vor, auch Menü-Einträge oder E-Mails.
Ich bediene den Computer ausschließlich über Tastenkombinationen. So kann man den Computer ganz normal bedienen. Neben meinem PC steht ein Vergrößerungsgerät. Ich kann also eine schriftliche Vorlage unter dieses Vergrößerungsgerät legen, das wird mittels einer Kamera erfasst und auf dem Bildschirm bis zu 32 mal vergrößert. Damit kann ich ganz normal arbeiten. Zusätzlich hab ich dann noch ein Telefon, aber das ist einfach ein normales Telefon, das ich abhebe, wenn es läutet.
Freak-Radio: Das war die technische Komponente. Was sind aber nun die Bereiche, für die Sie zuständig sind?
Harald Fiedler: Mein Aufgabengebiet ist vielfältig und gliedert sich in 3 Bereiche. Erstens betreue ich einen Teilbereich der Buchhaltung. Ich bin für Untersuchungen in fremden Anstalten zuständig. Wenn wir im Krankenhaus eine radiologische oder Laborleistung nicht durchführen können, weil uns die technischen Mittel fehlen, dann schicken wir diese Probe oder den Patienten in andere Häuser. Diese wollen natürlich Geld dafür. Die Rechnungen werden zu mir geschickt und ich prüfe dann, ob damit alles in Ordnung ist. Dann buche ich diese Rechnung.
Mein zweites Aufgabengebiet sind die Krankengeschichtsanforderungen: Wenn beispielsweise die Allgemeine Unfallversicherung von einem Kunden eine Krankengeschichte haben will, der im Krankenhaus Mistelbach behandelt wurde, dann wird diese Anforderung zu mir geschickt und ich teile diese auf die verschiedenen betreffenden medizinischen Sekretariate auf.
Mein drittes Aufgabengebiet ist die Reparatur-Annahme. Wenn also irgendein Defekt im Krankenhaus Mistelbach auftreten sollte, etwa wenn eine Glühbirne defekt ist oder bei einem Schrank ein Scharnier ausgerissen ist, dann wird das bei mir gemeldet. Ich gebe das an die Professionisten in unserem Haus weiter.
Freak-Radio: Gibt es eine Strategie für ein erfülltes Arbeitsleben?
Harald Fiedler: Das Erfolgsrezept, das ich im Laufe der Jahre durch Beobachtung gewonnen habe, ist, auf die Leute zuzugehen. Sich nicht abzukanzeln, sich nicht in einen Raum zu setzen, sondern auf seine Kollegen zuzugehen.
Nicht mit einer Frage hinter dem Berg halten, sondern seine Kollegen durchaus löchern und den Kollegen zeigen, dass man kein Wesen von einem anderen Stern ist, dass man genauso Hunger, Durst hat wie sie - und dass man halt bloß eine Beeinträchtigung hat. Dass man auch nur da ist, um seine Arbeit zu tun und dass man kein Quotenfüller ist.
Freak-Radio: Sie gehen also gegenüber Ihren Kollegen und Vorgesetzten recht offen mit Ihrer Behinderung um?
Harald Fiedler: Ja, das auf jeden Fall. Das Erfolgsrezept, ein guter Arbeitnehmer zu sein, ist, mit seiner eigenen Behinderung fertig geworden zu sein, sie zu akzeptieren, sie anzunehmen: Auch mit seinen Kollegen, mit seinem Umfeld offen über seine Behinderung sprechen zu können, ihnen sagen zu können "Hört mal, ich brauch das und das - und dann können wir ins Geschäft kommen".
Aber wenn man seine eigenen Bedürfnisse nicht kennt und nicht weiß, was man braucht, um richtig arbeiten zu können; wenn man nicht weiß, dass es technische Hilfen gibt oder wenn ich irgendein handgeschriebenes Dokument nicht entziffern kann, dann gehe ich natürlich zu meinen Kollegen und frage die "Hey, sagt mir, was steht da drauf?".
Ich habe auch einen Scanner. Mit diesem Gerät kann ich Dokumente einscannen und mittels Texterkennungsprogramm liest mir der Computer das vor. Mit handgeschriebenen Unterlagen kann er aber nichts anfangen: Dann gehe ich schon zu meinen Kollegen und sage "Hört mal lest mir das vor, mein Scanner kennt sich da nicht aus".
Freak-Radio: Und wie reagieren Ihre Kollegen darauf?
Harald Fiedler: Äußerst positiv, weil sie inzwischen erkannt haben, dass ich nicht zu ihnen komme wegen jeder Kleinigkeit, sondern ich brauche nur die Information, die auf diesem Zettel steht und dann kann ich wieder selbständig und eigenverantwortlich arbeiten. Viele andere machen es so, dass sie wegen jeder Kleinigkeit zu ihren Kollegen laufen und sagen "Bitte, bitte helft mir, ich komm nicht weiter" und dann fürchte ich schon, dass die Kollegen sagen: " Na, der kann uns gestohlen bleiben, weil dann können wir die Arbeit gleich selber machen".
Aber so haben meine Kollegen das Gefühl, dass ich arbeiten kann und arbeiten will und nur etwas Hilfe brauche. Ich habe meinen Kollegen zwar schon immer gesagt, sie sollen mir keine handschriftlichen Unterlagen geben und trotzdem machen sie es noch immer: Dann ist es allerdings ihre eigene Schuld, wenn ich komme und sie um Hilfe bitte.
Freak-Radio: Das heißt, es gibt sehr wohl Dinge, die Sie aufgrund Ihrer Behinderung nicht selbst machen können und die sie auch mit technischer Unterstützung nicht erledigen können. Sie holen also nur für diese "Spezialfälle" Unterstützung bei den Kollegen?
Harald Fiedler: Ja, es gibt einiges, das ich nicht kann und weswegen ich mir von meinen Kollegen oder anderen Hilfe holen muss.
Freak-Radio: Jetzt haben wir viel vonIhre Kollegen gehört. Wie gehen Ihre Vorgesetzten mit Ihnen und Ihrer Behinderung um?
Harald Fiedler: Der Verwaltungsdirektor des Krankenhauses ist sehr engagiert in der Einstellung von Menschen mit Behinderung. Wie Sie vielleicht wissen, besteht in Österreich die Beschäftigungspflicht, pro 25 Mitarbeiter muss ein Mensch mit Behinderung eingestellt werden. Im Krankenhaus Mistelbach wird diese Quote übererfüllt. Meine Vorgesetzten gehen sehr locker mit meiner Behinderung um, aber vielleicht liegt das an mir, denn "wie man in den Wald hineinruft, so schallt es wieder".
Ich habe keine Probleme, habe aber schon des Öfteren von Freunden und Bekannten gehört, dass deren Vorgesetzte sehr wohl Probleme mit ihren behinderten Arbeitnehmern haben. Doch bei mir trifft das zum Glück nicht zu.
Freak-Radio: Jeder Mensch hat Berufsträume. Was wollten Sie werden?
Harald Fiedler: Da erwischen Sie mich auf einem falschen Fuß. Ich wusste nicht, was ich werden wollte und weiß es eigentlich immer noch nicht. Ich arbeite noch an meinem Berufswunsch. Ich wollte irgendwas mit Menschen machen.
Worin diese Arbeit dann schlussendlich besteht oder bestehen würde, weiß ich noch nicht. Jedenfalls sollte es nicht mit Rechnungen zu tun haben, sondern mit Menschen.
Freak-Radio: Das heißt, weg vom Erbsenzähler hin zum Seelentröster?
Harald Fiedler: Sozusagen ja, ja.
Freak-Radio: Ist Ihre Arbeit für Sie Broterwerb oder Selbstverwirklichung?
Harald Fiedler: Inzwischen ist meine Arbeit mehr als Broterwerb, weil die Arbeit auch Selbstvertrauen bringt - und so dient es mir als Berufung und zur Selbstverwirklichung, weil mir mein eigenes kleines Aufgabengebiet zugestanden wird - und in diesem kleinen Reich bin ich König.
Wenn ich gerade keine Rechnungen kontieren will, weil es elend fad ist, dann erledige ich eben die Krankengeschichtsanforderungen. Deswegen kann keine Monotonie entstehen und das ist das Gute an meiner Arbeit. Ich bin von meinen Arbeitskollegen akzeptiert und habe sie inzwischen schon so sensibilisiert, dass sie mich nicht als das arme behinderte Kind ansehen, sondern als vollwertigen Mitarbeiter.
Freak-Radio: Wie war es denn eigentlich am Anfang? Sie haben geschildert, dass man Ihnen einfach irgendeinen Platz zugewiesen hat und Sie haben eigentlich gar nicht gewusst, was Sie machen sollen. Wie war das Gefühl am Anfang und wie ist das Gefühl jetzt?
Harald Fiedler: Am Anfang vergoss ich - und dazu kann ich durchaus stehen, weil ich jetzt darüber stehe - mehrere Tränen und ging manchmal weinend aus meinem Büro, weil ich keine Zukunft sah und trotzdem wusste, dass das meine Zukunft ist. In der Zwischenzeit hat sich das geändert. Seit 10, 15 Jahren gehe ich gerne in die Arbeit, weil ich weiß, dass ich da ein Aufgabengebiet habe und von meinen Kollegen akzeptiert bin.
Jetzt weiß ich am Freitag, was ich am Montag zu machen habe. Es ist ein ständiger Fluss von Arbeit hereinkommen und Arbeit erledigen. Das hatte ich früher eben nicht. Da saß ich eben einfach nur da und drehte Däumchen. Es wird Menschen geben, die sagen: Rechnungen zu erledigen ist nicht sinnvoll, aber für mich ist es eine erfüllende Tätigkeit, weil ich "sehe", was ich getan habe. Da habe ich einen Postkorb, und wenn der leer ist, habe ich meine Arbeit erledigt.
Freak-Radio: Damit sind wir am Ende eines Arbeitstages angelangt. Was machen Sie, um den Kopf wieder freizubekommen?
Harald Fiedler: Ich bin in der wunderbaren Gelegenheit - inzwischen kann ich das auch sagen, dass das eine wunderbare Situation ist - bei der Arbeit einen langen Arbeitsweg vor mir und hinter mir zu haben. Denn ich wohne in Wien und arbeite in Mistelbach. Also setze ich mich nach der Arbeit in die Schnellbahn und fahre eine Stunde nach Wien und diese eine Stunde nutze ich, um abzuschalten und umzuschalten, um auf andere Gedanken zu kommen und komme sozusagen erfrischt von der Arbeit nach Hause.
Dann mache ich Haushaltssachen, wenn meine Freundin noch nicht zu Hause ist oder setze mich einfach ins Wohnzimmer und drehe mir ein Hörbuch auf.
Freak-Radio: Gab es in Ihrem Leben Situationen, in denen Sie gesehen haben, dass das, was Sie ursprünglich vorhatten, so nicht funktioniert? Waren Sie gezwungen, die "Strategie" zu ändern?
Harald Fiedler: Ich bin nicht ein Mensch, der sagt, "Es muss so gehen". Nur wenn es so nicht geht, dann gibt es einen anderen Weg, den man einschlagen kann und muss. Es gab Situationen, in denen ich mir gesagt habe: "Verdammt, so geht's nicht!" Aber dann hab ich sofort geschaut, wie es doch gehen kann.
Das Gefühl, dass es nicht mehr weitergeht, hatte ich seit meiner zweiten Geburt nicht mehr.
Freak-Radio: Zweite Geburt? Was meinen Sie damit?
Harald Fiedler: Mit meiner zweiten Geburt meine ich das: Zwischen meinem 20. und 30. Lebensjahr haderte ich mit meinem Schicksal, indem ich mir sagte: "Halt, ich bin behindert, ich bin nichts wert, ich kann nichts". Ich war nicht alkoholabhängig, aber öfters betrunken. Mit 30 Jahren lernte ich andere blinde Menschen kennen und "sah", dass sie ein ganz normales Leben führten und dass sie am Leben, am Gesellschaftsleben, am Arbeitsleben teilnehmen konnten und teilnahmen. Dann begann ich, ein Mobilitätstraining zu machen.
Das Mobilitätstraining bestand darin, dass ich den Umgang mit dem Stock erlernte. Mein damals noch größerer Sehrest erlaubte es mir, keinen Stock verwenden zu müssen. Ich wollte eher als Betrunkener gelten denn als Behinderter. Und dann, so mit 30 habe ich dann auch erkannt "Halt, bist eigentlich deppert, warum stellst dich nicht deiner Behinderung, warum nimmst du deine Behinderung nicht an? Du stehst Dir nur selbst im Weg!".
Und als diese Barriere fiel, begann eigentlich mein richtiges Leben.
Freak-Radio: Was haben Sie eigentlich als schlimm an einer Behinderung gesehen? Was war es denn, was gestört hat?
Harald Fiedler: Ich wuchs in einem kleinen Ort mit 400 Einwohnern auf - dementsprechend gering und klein war auch die Weltsicht und dann galt Behinderung als etwas Schlechtes, zwar nicht als Strafe Gottes - diese Zeiten sind zum Glück vorbei - aber trotzdem waren Menschen mit Behinderung oder Behinderte, wie man sie abfällig nannte und noch immer nennt, nicht gern in der Öffentlichkeit gesehen: Und deswegen hat sich auch dieses Selbstverständnis, dieses Gefühl für mich als behinderte Person in mir gefestigt und deswegen habe ich auch mit meinem Schicksal gehadert. Weil ich sagte: "ich bin behindert und deswegen bin ich kein Mensch".
Freak-Radio: Zusammengefasst hieße das, dass Sie sich selbst nicht als behindert gefühlt haben, Ihre Umwelt aber sehr wohl?
Harald Fiedler: Ja, ich war damals noch ein sehr für Beeinflussung zugänglicher junger Mann und dachte, wenn die sagen, dass ich kein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft bin, dann müssen sie Recht haben und habe dann deren Meinung übernommen. Jetzt ist es mir egal, jetzt denke ich mir: Wenn sie sagen du bist behindert, du bist kein Mensch, dann können sie mich gern haben!
Freak-Radio: Wie sind Sie zu dieser selbstbewussten Erkenntnis gelangt?
Harald Fiedler: Ich war immer schon ein sehr abenteuerlustiges Kerlchen und in der Zeit, wo ich mit meinem Schicksal gehadert habe, musste ich mir immer jemanden suchen, der mit mir etwas unternahm und als ich meine blinden Bekannten kennengelernt habe, erkannte ich, dass sie auch selber etwas unternahmen, dass sie nicht immer wegen jeder Kleinigkeit zu jemandem laufen und sagen "Hilf mir, hilf mir", sondern dass die ihr Leben selbst meistern und nur in wenigen Fällen um Hilfe bitten. Dieses um Hilfe bitten hat mich auch lange Zeit beschäftigt, denn ich war noch in dem Wahn verfangen, mir etwas beweisen zu müssen, beweisen zu wollen und keine Hilfe zu brauchen.
Deswegen stand ich dann längere Zeit mit meinem Stock gut eine halbe, dreiviertel Stunde irgendwo herum, weil ich den Weg nicht kannte. Heute frage ich sofort, wenn ich nicht weiter weiß, weil ich mir sage: "Es ist eigentlich deine Entscheidung, ob du wartest oder nicht. Die Menschen wissen ja nicht, dass du dich nicht auskennst".
Freak-Radio: Jetzt dreh ich den Spieß um und frage Sie, was Sie sich von der Gesellschaft oder von der Politik für die Zukunft erwarten. Was wünschen Sie sich?
Harald Fiedler: Das ist eine gute Frage, die sich leider mit zwei Worten nicht beantworten lässt, aber ich will es versuchen. Ich wünsche mir, dass Menschen mit Behinderung akzeptiert werden und dass die Barrieren im Kopf abgebaut werden. Die technischen und baulichen Barrieren sind nur eine Folge des Abbaus der Barrieren im Kopf.
Es soll nicht so getan werden, als ob Menschen mit Behinderung Wesen von einem anderen Stern sind, die nur zu Hause vor dem Radio herumsitzen. Menschen mit Behinderung wollen aktiv am Leben und an der Arbeitswelt teilnehmen.
Freak-Radio: Gibt es etwas, was Sie sich ganz persönlich wünschen?
Harald Fiedler: Es gibt nichts, das ich mir persönlich wünsche.
Freak-Radio: Gehören Sie etwa nicht zu jenen, die gelegentlich von einer Villa am Meer und einem Royce mit Chauffeur träumen?
Harald Fiedler: Nein, eigentlich nicht, weil alles, was ich will, von dem will ich das Gefühl haben, dass ich es mir erarbeitet habe. Wenn ich ein Hörbuch habe, eine Pfeife rauchen kann und ein Viertel Wein trinken kann, das sind eigentlich die Genüsse, nach denen ich strebe.
Freak-Radio: Sie haben vorhin geschildert, was Sie sich von der Politik wünschen. Jetzt haben wir ja ein Gleichstellungsgesetz. Was bedeutet eigentlich Gleichstellung für Sie?
Harald Fiedler: Für mich bedeutet Gleichstellung in einem höheren politischen Kontext auch den Abbau des erhöhten Kündigungsschutzes. Durch den erhöhten Kündigungsschutz sind Menschen mit Behinderung meiner Meinung nach nicht gleichgestellt.
Freak-Radio: Sie haben jetzt neben Ihrer Arbeit eine Ausbildung zum Profit-Berater gemacht. Was steckt hinter diesem Begriff?
Harald Fiedler: Profit NÖ war, oder ist noch ein Projekt, das in Niederösterreich stattfindet, wo sich 15 Integrationsfachdienste zusammengeschlossen haben, um mit arbeitspolitischen Maßnahmen die Beschäftigung Menschen mit Behinderung zu fördern. Wir Profit-Berater haben eine Ausbildung gemacht, die uns befähigt, Arbeitgeber und auch Menschen mit Behinderung zu beraten. Wir halten Vorträge, in denen wir über personelle, technische, finanzielle Förderungen informieren. In ganz Niederösterreich gibt es 16 Profit-Berater.
Freak-Radio: Welche Maßnahmen gibt es, die Ihrer Meinung nach dazu beitragen, dass die Menschen mit Behinderungen einen Arbeitsplatz bekommen?
Harald Fiedler: Da gibt es eine ganze Reihe, beispielsweise die Arbeitsassistenz oder Persönliche Assistenz am Arbeitsplatz, das Job Coaching und die Förderungen des Bundessozialamtes.
Freak-Radio: Und was halten Sie in diesem Zusammenhang von Quotenregelungen?
Harald Fiedler: Ich hatte die Gelegenheit, nach England zu fliegen und mir die Situation dort anzuschauen. Die hatten bis vor kurzem eine 3 Prozent-Quote: Also 3 Prozent der Beschäftigten eines Betriebes mussten behindert sein. Inzwischen ist das abgeschafft.
Die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung wird dem freien Spiel der Kräfte überlassen. Dort funktioniert das. Unternehmer können behinderte Mitarbeiter ganz normal kündigen, aber auch ganz normal einstellen. Die Akzeptanz in der Gesellschaft ist auch viel höher. Es wird dem behinderten Arbeitnehmer viel mehr zugetraut als in Österreich. Hierzulande sind - ich will nicht verallgemeinern - Arbeitgeber der Meinung, dass Menschen mit Behinderungen nichts leisten können.
Freak-Radio: Woran liegt das, glauben Sie?
Harald Fiedler: Wieder will ich zurückkommen auf die Barrieren im Kopf. Viele Arbeitgeber haben noch nie einen Menschen mit Behinderung getroffen, ihn kennengelernt, mit ihm gesprochen. Es ist eben das Unbekannte, das Arbeitgeber fürchten.
Freak-Radio: Wir danken Ihnen für das interessante Gespräch!
Zur Person:
Harald Fiedler ist 37 Jahre alt und wohnt mit seiner Lebensgefährtin im 20. Wiener Gemeindebezirk. Er arbeitet in einem Krankenhaus im 60 km entfernten Mistelbach und pendelt täglich. Harald Fiedler ist in der Verwaltung tätig. Er ist hochgradig sehbehindert, verfügt aber über einen unerheblichen Sehrest. Der passionierte Pfeifenraucher und Hörbuchliebhaber teilt sich die Wohnung mit einem Blindenhund und zwei Kanarienvögeln.
Interviewführung: Christoph Dirnbacher und Gerhard Wagner (Bild: www.pixelio.de)