Inhalt:
.Aktuelles:
Halloween: Freakige Friedhofsgeschichten
Zu Allerheiligen und Allerseelen, neudeutsch Helloween, gedenken wir unserer Verstorbenen....
Freak-Classic: Phönix aus dem Gips?
Anlässlich des 80. Geburtstags von Gerlinde Zickler wiederholen wir am 22. Oktober 2024 einen...
Von der Idee zur Firma - mit Behinderung?
Christiane Link, Journalistin: Wenn irgendwas schief läuft in meinem Unternehmen, ist immer völlig klar, wer das war: Ich! Da gibt es jetzt keinen Chef mehr, dem ich sagen kann: Warum hat denn der, die oder die Entscheidung getroffen? Oder: Warum ist das so und so gelaufen? … - die Strukturen sind falsch und was weiß ich… Das zieht alles nicht mehr, sondern es ist immer klar: Es gibt nur einen Schuldigen, ich selbst! Aber damit kann ich eigentlich relativ gut leben.
Sprecherin: Valerie Kattenfeld
Gestaltung und Sendungsverantwortung: Valerie Kattenfeld
Technik: Andreas Kalberger
Transkription: Sandra Knopp
Sprecherin: Christiane Link hat in London eine deutschsprachige Zeitung gegründet, die im März 2008 das erste Mal erschienen ist. Die im Rollstuhl sitzende Vollblutjournalistin ist die erste von vier Unternehmern, die in der heutigen Sendung präsentiert werden. Der Weg von der Idee zur eigenen Firma hat sich für jeden von ihnen auf eine andere Art und Weise gestaltet. Ein Psychologe, ein Trafikant, ein Hilfsmittelanbieter und eine Zeitungsherausgeberin erzählen, wie sie trotz, wegen oder mit ihrer Behinderung, den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt haben.
Christiane Link, Journalistin: Ich muss sagen: Ich wollte noch nie was anderes werden als Journalistin. Ich habe im Kindergarten und in der Grundschule schon immer gesagt: Ich möchte Journalistin werden! Ich bin in der Nähe von Mainz aufgewachsen. Das ZDF war immer sehr wichtig für mich, ich wusste das ist irgendwo bei uns in der Nähe. Ich kannte auch ein paar Leute, die beim ZDF arbeiteten und dies war für mich der Aufhänger. Als ich dann neun Jahre alt war, hatte ich eine sehr schwere Operation. Meine Eltern haben mir als Belohnung für diese Operation kurz vor der OP gesagt, dass wenn ich die OP gut hinter mich gebracht habe: Ich einen Tag beim ZDF verbringen darf. Nach dem Tag war absolut klar, dass ich Journalistin werden möchte! Dann war alles „verloren“, sozusagen.
Sprecherin: Christiane Link studierte Politikwissenschaften in Hamburg und war danach Volontärin und später Redakteurin bei der Deutschen Presseagentur. Bei einer Dienstreise in London stieß sie auf eine befristete Stelle bei der BBC. Dort hätte sie eigentlich nur ein halbes Jahr bleiben sollen, doch die Lebensverhältnisse für Menschen mit Behinderung in England erlebte sie als so optimal, dass sie darauf nicht mehr verzichten wollte. Sie kündigte den Job bei der DPA, vorerst noch ohne zu wissen, wie es weitergehen würde. Der nächste Schritt ergab sich dann folgendermaßen:
Christiane Link, Journalistin: Es gibt in London und Großbritannien eine Tradition von „Community“-Zeitungen. Die liegen kostenlos an U-Bahnstationen auf. Jede Sprachcommunity hat eigentlich mindestens eine Zeitung. Es gibt zwei französische Magazine, es gibt ein sehr großes australisches Magazin. Es gibt für australische Einwanderer Zeitungen, für Neuseeländer, Koreaner, Chinesen, Japaner. Ich habe wirklich alles gesehen an den U-Bahn Stationen, und ich habe irgendwie gedacht: Warum gibt es eigentlich nichts für die Deutschen, Österreicher und Schweizer? Ich habe dann angefangen zu recherchieren, was es eigentlich kosten würde, eine Zeitung zu starten. Es war schon immer ein Traum von mir, mein eigenes Projekt zu haben - und auch ein bisschen mehr Verantwortung zu haben, als ich das vorher hatte! Ich habe dann gesagt: OK. Es ist niemand auf dem Markt. Es ist ein Nischenmarkt, den noch niemand in dieser Form entdeckt hat: Ich versuche das!
Sprecherin: Um diesen Versuch zu starten, musste zuallererst einmal ein Unternehmen gegründet werden:
Christiane Link, Journalistin: Der Gründungsprozess in Großbritannien, wenn man eine „limited company“ – ein Unternehmen mit beschränkter Haftung – gründet, ist super simpel! Man kann in Großbritannien innerhalb von zwei Stunden über das Internet eine Firma gründen! Das ist nicht das Problem. Der Gründungsprozess ist so einfach, wie man es sich kaum vorstellen kann: Massenweise Webseiten, auf denen man einfach sagen kann: Ja, ich möchte gerne ein Unternehmen gründen. Dann kostet das vielleicht 80 Pfund und dann macht das jemand für einen. Man kann das auch selbst machen, dann dauert das ein bisschen länger und das kostet dann – glaube ich – 30 Pfund, das war es. Der Gründungsprozess selbst ist gar nicht so das Problem. Mir war aber von Anfang an klar, weil ich schon so ein bisschen Erfahrung aus Deutschland mitgebracht hatte. Ich hatte eine kleine Firma, wir haben während meines Studiums, um einfach ein paar Sachen abrechnen zu können, auch journalistisch eine Firma gegründet. Mir war klar, dass ich mich ganz dringend um die Buchhaltung kümmern muss, weil ich in einem fremden Land bin. Ich kenne mich nicht sehr gut aus, wie die Buchhaltungsgepflogenheiten in England sind und habe mir sofort ein Buchhalterunternehmen gesucht, die für mich die Buchhaltung machen.
Sprecherin: Nach einem halben Jahr erfuhr Christiane Link, dass von dieser Buchhaltefirma keine einzige Steuererklärung vorgelegt wurde, sie aber abgerechnet hatte. Der Schaden war zum Glück minimal, da noch keine Ausgabe der Zeitung erschienen war. Schnell organisierte sie sich eine neue und billigere Steuerberaterin und machte sich schlau im Fachgebiet Unternehmensmanagement.
Christiane Link, Journalistin: Es gibt sehr, sehr viele Kurse, die man hier belegen kann. Die sind alle kostenlos! Die werden von der Regierung, also vom Government – von der staatlichen Organisation angeboten: Wie gründe ich eine Firma? Wie erstelle ich einen Businessplan? Was mache ich im Marketing? Und so weiter… Man kann sich wirklich in allen Bereichen fortbilden! Ich hatte ja vorher keine Erfahrung in der Zeitungsproduktion - sage ich einmal. Ich habe zwar sehr viel für Zeitungen geschrieben, dadurch, dass ich für eine Nachrichtenagentur geschrieben habe… Alles was journalistisch war: Das war überhaupt kein Problem. Aber ich hatte keine Ahnung, was Zeitungsproduktion angeht.
Sprecherin: Besondere Unterstützung bekam Christiane Link durch ein Programm von Jena Tschescher und Barkeley’s Bank, welches mentalen Support für Existenzgründer mit Behinderung anbietet. Der Direktor der Barkeley’s Bank beriet sie in finanziellen Angelegenheiten und ein jamaikanischer Zeitungsverleger stand für medienspezifische Fragen zur Verfügung. Das Auffinden eines Büros hatte sie wiederum einer Frauenförderungsstelle zu verdanken.
Christiane Link, Journalistin: Ich habe dann gehört, dass gerade ein „Women Business Center“ an einem College in Ost-London gegründet wird, das Existenzgründerinnen Büroräume zur Verfügung stellt und noch andere Angebote hat. Es gibt breite Bildungsangebote… Ich habe die dann angerufen und habe eines der – ich glaube - sechs Büros bekommen.
Sprecherin: Um vom Büro auch problemlos überall hinzukommen, organisierte sich Christiane Link eine persönliche Assistenz. Wiederum ein Schritt, der genauso reibungslos verlief wie alle anderen...
Christiane Link, Journalistin: Das Antragsverfahren ist unglaublich niederschwellig im Vergleich zu dem, was ich aus Deutschland kenne. Man ruft dort an: Das ist eine telefonische Antragsstellung. Ich hatte die Möglichkeit, mir sofort Assistenz zu suchen. Wenn ich zu Kunden gehen wollte, die jetzt keine barrierefreien Räumlichkeiten hatten - um einmal eine Stufe hochgedrückt zu werden, … manchmal ist das einfach praktischer mit jemandem, wenn man Rollstuhlfahrer ist. Einfach jemanden zu haben, der dabei ist. - Und sei es nur, der einem etwas zu Trinken holt, wenn man selbst nicht daran kommt...
Sprecherin: Die persönliche Assistenz für Christiane Link wird komplett von der britischen Regierung finanziert. Für diese zahlt es sich schließlich auch aus: Mit den Assistenzgeldern aus dem so genannten „Access to Work“ Topf passiert laut einer Studie folgendes:
Christiane Link, Journalistin: Jedes Pfund, das aus diesem Topf „Access to Work“ heraus genommen wird, fließt mit drei Pfund wieder zurück als Steuergelder, weil die Leute Steuern zahlen. Mein Unternehmen zahlt Steuern, ich persönlich zahle Steuern, meine Mitarbeiter zahlen Steuern. Ich schaffe jetzt auch noch Arbeitsplätze. Durchschnittlich ist es eben so, dass jeder behinderte Mensch, der ein Pfund aus diesem Topf herauszieht, drei Pfund wieder zurückgibt. Ich bin ziemlich sicher, dass die Zahlen, wenn man das in Deutschland und in Österreich endlich untersuchen würde, ähnlich aussehen werden.
Sprecherin: Was in Österreich und Deutschland im Vergleich zu England allerdings nicht so ähnlich aussieht, ist die Einstellung zum Scheitern.
Christiane Link, Journalistin: Wenn mein Unternehmen im ersten halben Jahr gescheitert wäre, hätten die Deutschen gesagt: Ganz, ganz schlimm! Habe ich doch gleich gesagt - kann nicht funktionieren! Die Briten sagen: Ja, aber sie hat es wenigstens versucht. Jetzt versuchen wir es noch einmal und dann gründet sie einfach die nächste Limited!
Sprecherin: Eine so lockere Denkweise zu entwickeln, fällt vielen schwer und darin besteht auch Schwierigkeit. Wer sich selbstständig machen will, braucht den Mut zum Risiko.
Christiane Link, Journalistin: Wir kommen aus einer Kultur, die ein sehr großes Sicherheitsdenken hat! Dieses Sicherheitsdenken muss man in Teilen ablegen, wenn man ein eigenes Unternehmen gründet. Da ist eben kein großer Arbeitgeber mehr da, der einem jeden Monat Geld überweist, sondern man muss plötzlich selber gucken, dass das Unternehmen Geld verdient. Ich denke, da unterscheiden sich behinderte Menschen nicht so sehr von nicht-behinderten Menschen, was diese Ängste angeht. Ich habe den Eindruck, seit ich mein Unternehmen gegründet habe: Ich habe in meinem Leben, in so kurzer Zeit so viel gelernt, seit ich das gemacht habe! Allein das war das schon wert. - Das zu wagen! Selbst wenn ich jetzt... – das Unternehmen in den nächsten drei Monaten aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen bankrott gehen würde... - hätte ich trotzdem nicht das Gefühl, gescheitert zu sein. In den letzten 12 Monaten habe ich so viel geleistet und so viel gelernt, dass ich denke: Wow. Egal was passiert, ich kann stolz auf mich sein! Dass das Unternehmen scheitert, danach sieht es - abgesehen davon - noch nicht einmal aus!
Sprecherin: Wenn man, wie die Zeitungsherausgeberin Christiane Link, die Möglichkeit, neue Erfahrungen zu sammeln, als Bereicherung betrachtet, kann man bei dem Wagnis Unternehmensgründung eigentlich nur gewinnen. Wenn der Gewinn dann auch noch ein wirtschaftlicher ist, kommt das Leben als Angestellter vermutlich gar nicht mehr in Frage...
Christiane Link, Journalistin: Ich kann mir im Moment - ehrlich gesagt - nicht vorstellen, noch einmal angestellt zu arbeiten. Dafür genieße ich die Freiheit als Selbstständige viel zu sehr! Ich kann entscheiden, wo wir langgehen: Ob wir links oder rechts gehen, ob ich morgens um 9 Uhr ins Büro gehe oder später komme… oder wie lange ich abends arbeite. Ich arbeite zum Beispiel sehr gerne abends. Das ist meine persönliche Freiheit, wie ich das gestalte. Das ist ein Punkt, bei dem ich den Eindruck habe, dass ich mich auf meine Behinderung insofern besser einstellen kann. Ich habe gute und schlechte Tage. Ich habe einmal Rückenschmerzen, ich fühle mich einfach nicht so gut. Als Selbstständige kann ich einfach Dingen gerecht werden. Ich kann dann einfach sagen: OK, dann gehe ich nicht ins Büro. Oder ich kann sagen: OK, ich glaube es ist besser, wenn ich einmal einen Tag liege und mich mit meinem Laptop ins Bett lege. Das geht bei einem Arbeitgeber relativ schlecht.
Sprecherin: Für wen so ein Leben nun verlockend klingt, verrät Christiane Link ihr Erfolgsrezept.
Christiane Link, Journalistin: Grundsätzlich sollte man nur Dinge machen, an die man selbst glaubt! Kein Produkt verkaufen, das man selbst eigentlich fürchterlich findet und sich wirklich selbst vertrauen. Es werden so viele Leute auf dem Weg kommen, die sagen: Kannst du nicht machen! Du bist dafür nicht geeignet! Du kannst das nicht! - Einfach manchmal Augen und Ohren verschließen und durch die Wand rennen. Andererseits sich sehr gute Leute suchen, mit denen man sprechen kann und zu denen man Vertrauen hat. - Die vielleicht sogar Erfahrung in dem Bereich haben, in den man gehen möchte und sich Beratung holen.
Sprecherin: Wie aber sieht es mit der Beratung für potentielle Selbstständige in Österreich aus? Am 22. Oktober hat in Wien das „Grueze“ – GründerInnenzentrum für Menschen mit Handicap - eröffnet. Zuvor gab es dieses Projekt bereits seit 2000 in Graz, nun haben es die Projektleiter Elena Missethon und Josef Schrattner in die Hauptstadt erweitert. Bei der umfangreichen Betreuung von der Idee bis zur Unternehmensgründung werden laut Josef Schrattner folgende Fragen beantwortet:
Josef Schrattner, Projektleiter: Welche Art und Weise der Firma muss ich gründen? Was muss ich beim Marketing machen? Wo muss ich mich noch informieren? Wie ist das mit der Steuer? Wenn es um das ganze Rechtliche geht, um die Unternehmensform. Wenn es um den Förderteil geht und Sozialversicherungs-rechtliche Fragen… Wie ist das, wenn jemand den Bezug von Rente hat? Jetzt machen wir das seit vier Jahren gemeinsam in Graz und jetzt machen wir das schon gemeinsam ein Jahr in Wien.
Sprecherin: Der Dritte im Bunde des Wiener GründerInnenzentrums in der Zieglergasse im 7. Bezirk ist Peter Wöber. Der ausgebildete Sozialmanager erläutert die ersten Schritte in Sachen Unternehmensgründung.
Peter Wöber, Sozialmanager: Wenn jetzt jemand erstmals zu mir in die Beratung kommt, versuchen wir einmal zu eruieren: Wie schaut der Plan aus? Was ist die Gründungsidee? Wir versuchen dann auch, das „Umfeld abzuklopfen“, wie man so schön auf Wienerisch sagt. Zu schauen, wie die Leute, die diese Gründungsidee haben, derzeit abgesichert sind. Laufendes Einkommen einerseits und andererseits: Wie fundiert ist die Idee und welche Änderungen oder Bearbeitungen braucht die Idee noch? Damit sie in die Selbstständigkeit gehen können und beispielsweise auch Förderungen oder Sponsoringgelder oder ähnliches beantragen können. Das ist der Grund, warum wir mit den Leuten einen Business-Plan erstellen!
Sprecherin: Neben dem Erstellen des Business Plans, der Wahl der richtigen Unternehmensform und der Gewerbeanmeldung ist vor allem das Ansuchen um Förderungen ein wichtiger Punkt in der Gründungsphase.
Peter Wöber, Sozialmanager: Es gibt beispielsweise über das AMS das Gründungsförderungsprogramm, das ist das eine. Das andere ist, dass wir selbst auch bei dieser Gründung - wie schon erwähnt - unterstützen und, dass wir wiederum an die Wirtschaftskammer verweisen. Beispielsweise ist eine Gewerbeanmeldung bei der Erstanmeldung kostenlos, wenn man das über die Wirtschaftskammer über die „Neugründungsförderung“ tätigt.
Sprecherin: Die Wirtschaftskammer Wien führt derzeit eine Untersuchung durch, bei der die Bedürfnisse von behinderten Menschen als Arbeitgeber ermittelt werden sollen. Diese Bedarfserhebung erstreckt sich auf verschiedene Menschengruppen. Auch Faktoren wie Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierung oder Nationalität sollen näher beleuchtet werden. Es geht darum, den Unternehmer in seiner Diversität zu fördern und auf individuelle Bedingungen eingehen zu können. Der klinische Psychologe Georg Fraberger nimmt an dieser Untersuchung teil.
Georg Fraberger, klinischer Psychologe: So bin ich dann eigentlich auch auf die Wirtschafskammer... - Um den Leuten, die mit einer schweren Behinderung leben, die aber trotzdem jung sind und arbeiten können und denen auch zumindest die Vorstellung zu erlauben: „Ah, er kann wieder arbeiten“. Weil dieser Prozess, der beginnt sicher im Kopf! Dass man sich das überhaupt zutraut!
Sprecherin: Es geht also darum, die eigenen Kompetenzen in den Vordergrund zu stellen und nicht darüber nachzudenken, was man aufgrund seiner Behinderung nicht oder nicht mehr leisten kann. So hat es auch Georg Fraberger gemacht: Neben seiner Anstellung als klinischer Psychologe in der Universitätsklinik für Orthopädie im AKH hat er sich vor zweieinhalb Jahren mit einer eigenen Praxis selbstständig gemacht. Beim Interview in der Lounge der Wiener Wirtschaftskammer erzählt er vom Entstehen dieser Idee:
Georg Fraberger, klinischer Psychologe: Ich bin einfach immer öfter von Patienten gefragt worden, ob eine Betreuung auch außerhalb des Spitals möglich sei. Nachdem das im Spital nicht möglich ist, habe ich beschlossen, mich einmal in der Woche „selbstständig zu machen“.
Sprecherin: Nachdem Georg Fraberger seine eigene Praxis nur montags von 17h bis 19h führt, steht sie in keiner Konkurrenz zu seinem Angestelltenverhältnis, welches für ihn Priorität hat. Die Praxis befindet sich im Ordinationszentrum Döbling, das von mehreren Ärzten nach einem Time Sharing Prinzip genutzt wird. Durch die barrierefreien Räumlichkeiten und dem institutseigenen Hilfs- und Empfangspersonal sind die Bedingungen für den Rollstuhlfahrer Georg Fraberger optimal. Als neuer Selbstständiger war der Gründungsprozess für ihn weniger umfangreich als der von Christiane Link.
Unter die Rubrik „Neue Selbstständige“ fallen alle gewerblichen Tätigkeiten, für die kein Gewerbeschein notwendig ist, wie beispielsweise Psychotherapeuten, Autoren oder Vortragende. Als psychologischer Berater gehört Georg Fraberger somit nicht zu den Mitgliedern der Wirtschaftskammer und hat auch um keine finanzielle Unterstützung angesucht. Wichtiger wäre für ihn der mentale Zuspruch gewesen.
Georg Fraberger, klinischer Psychologe: Aufgrund des Grades meiner Behinderung haben mir eigentlich alle überhaupt vom Arbeiten abgeraten. Was mich schockiert hat: Wofür habe ich dann studiert, wenn ich jetzt nicht arbeiten kann? Der Punkt ist, wenn man eine Behinderung hat - das ist irgendwie das Blöde daran - dass alle anderen für einen oft wissen, was gut für einen ist. - Und dass man dann irgendwann nicht mehr an sich glaubt: Weil ohnehin alle anderen wissen… Irgendwie habe ich Glück gehabt, dass ich dann nicht zu sehr von der Meinung anderer abhänge. Ich habe das eigentlich nicht Frage stellen wollen.
Sprecherin: Georg Fraberger ist ohne Arme und Beine geboren worden. Auf seine Erscheinung reagieren auch die Patienten unterschiedlich.
Georg Fraberger, klinischer Psychologe: Manche fragen. Manche trauen sich nicht zu fragen. Ich glaube, sie warten einfach nur, wie ich eigentlich umgehe mit meiner Behinderung. Wenn sie sehen: Aha, das ist eh normal. Der ist eh normal. - Dann können sie mich auch als normal einstufen, als normal einschätzen. Es geht ja nicht um meine Behinderung. Ich behandle die Leute ja nicht mit Händen und Füßen, sondern mit dem Kopf. Insofern spielt die Behinderung bei der Behandlung selbst überhaupt keine Rolle. Oder wenn, dann würde ich sagen, ist sie bei der psychologischen Beratung gar nicht einmal von Nachteil. - Weil ich zumindest einige Sorgen kenne.
Sprecherin: In seinem AKH Job in der Universitätsklinik für Orthopädie betreut Georg Fraberger Patienten, die durch ihre Krankheit oft in eine Lebenskrise geraten.
Georg Fraberger, klinischer Psychologe: Ich kenne viele, die nach einer Tumorerkrankung ihren Job verloren haben und, die sich dann einfach nichts mehr zutrauen. Ich kenne auch einige, die selbstständig geworden sind und die sehr erfolgreich sind. Aber es ist schon dieses „an sich zweifeln“. Das ist schon ausschlaggebend dafür, dass man sich nichts mehr zutraut!
Sprecherin: Um dem entgegenzuwirken, bietet der 35-jährige Psychologe in seiner bis Ende Jänner ausgebuchten Praxis für zwei bis drei Patienten in der Woche Beratung an. Auf seiner Homepage www.leib-seele-geist.at kann man das umfangreiche Behandlungsangebot, welches vom Umgang mit permanentem Schmerz bis zu Angst und dem Leben mit Krebs reicht, nachlesen.
Der Internetauftritt ist ein wesentlicher Teil des Marketings. Die Möglichkeiten zum Erreichen einer definierten Öffentlichkeit müssen von Existenzgründern genau durchdacht werden, erläutert Peter Wöber vom GründerInnenzentrum Wien.
Peter Wöber, GründerInnenzentrum: Die Frage, wie mache ich mein Business bekannt? Wie sage ich es den Leuten draußen? Wie können Sie mich erreichen? - Relativ banale Fragen. Die müssen aber sehr professionell geklärt werden. Gerade in einer Großstadt wie Wien gibt es sehr oft in verschiedenen Bereichen unterschiedlichste Anbieter. Da ist durchaus die Frage: Wie kann ich mich am Besten von diesen abheben? Beziehungsweise wie kann ich die Menschen davon informieren, dass ich gute Dienstleistungen, Produkte, was auch immer, anbiete?
Sprecherin: Je nach Unternehmer sind auch die Maßnahmen und die jeweilige Zielgruppe verschieden.
Peter Wöber, GründerInnenzentrum: Es ist so, dass die Menschen mit durchaus unterschiedlichen Gründungsideen zu uns kommen. Das reicht von handwerklichen Tätigkeiten, beispielsweise haben wir jemanden gehabt, der sich mit dem Herstellen von Holzspielzeug selbstständig gemacht hat. Anderseits gibt es aber auch – und das ist die Mehrzahl Menschen - die sich im Dienstleistungsbereich selbstständig machen. Da ist die Palette angefangen von EDV-Dienstleistungen, über die Gründung eines Vereins im Bereich der Gehörlosen und geht bis zur Trafik. Auch Leute, die sich mit einer Trafik selbstständig machen, kommen zu uns. Da muss man aber dazu sagen, dass sie sich im Vergleich zu anderen Menschen, die eine Gründungsidee haben, in relativ gesicherten Bahnen bewegen.
Sprecherin: Ein Vertreter dieser Gruppe ist Karl Mick, der seit dem 1. März 1983 Inhaber einer Trafik im 16. Wiener Gemeindebezirk ist. Dass er Vorzugsberechtigter mit 50%iger Invalidität ist, sieht man dem 57-jährigen nicht an.
Dialog im Geschäft:
Karl Mick: Grüß Gott! Bitte sehr!
Kundin: Gibt es schon die Dezembernachlese?
Karl Mick: Dezembernachlese? Aber selbstverständlich! Sonst noch Wünsche? 2,70 bitte. Schönen Tag noch, Auf Wiedersehen!
Sprecherin: Karl Mick hat eine kaputte Hüfte. In seiner Pubertät löste sich der Hüftkopf vom Schenkelhals des Oberschenkelknochens, was in der Regel eine Lageveränderung des Hüftkopfes zur Folge hat. (Anm.: In der Fachsprache spricht man von einer Epiphyseolysis capitis femoris juvenilis. Ihre Ursachen bleiben oft ungeklärt.)
Karl Mick, Inhaber einer Trafik: Die Hüfte wurde operiert. Ich war ein Jahr im Krankenstand. Dann habe ich einen Beruf erlernt und bin Friseurmeister geworden. Das viele und das gebückte Stehen war nicht das Optimale. Deshalb bin ich dann umgesattelt auf eine Trafik. Wobei man dort genauso viel stehen muss. - Aber nicht so gebückt.
Sprecherin: Derzeit werden Trafiken nur an Vorzugsberechtigte vergeben. Laut Karl Mick, der auch Obmann Stellvertreter der Wiener Tabaktrafikanten ist, sind in Wien mittlerweile 55% der Inhaber Zivilinvalide.
Karl Mick, Inhaber einer Trafik: Trafiken sind für Leute mit Behinderung oder Invalidität ein sicheres Einkommen! Sie fallen dem Staat nicht zur Last. Pension, Notstand... – Sozialhilfe... - fällt alles weg. Man ist selbstständig. Wenn man eine Behinderung hat, kann man auch eine Trafik führen. Es gibt viele Behinderte, die Trafiken haben - die wirklich schwer behindert sind. Da habe ich keine Behinderung, wenn man das sagt und es ist aber doch eine Existenz für die Leute. Ich muss sagen, das ist sehr optimal! Da muss ich dazu sagen: Man kriegt auch jede Unterstützung, wenn man irgendwelche Probleme hat. Wirtschaftskammer Österreich, Wirtschaftskammer Wien... - also wirklich alles kein Problem.
Sprecherin: Die Kehrseite der Unterstützungsmedaille ist möglicherweise die erhöhte Einsatzbereitschaft, die Selbstständigen immer abverlangt wird. Karl Micks Trafik hat jeden Tag von 5 Uhr 30 bis 18 Uhr geöffnet. Er steht um 4 Uhr Früh auf und teilt sich die Arbeit mit nur einer Mitarbeiterin.
Karl Mick, Inhaber einer Trafik: Wenn man selbstständig ist, ist es egal in welcher Branche man ist. Als Selbstständiger muss man schon mehr arbeiten, als viele andere. Wenn jetzt meine Angestellte krank ist, muss ich auch arbeiten. Oder umgekehrt ist das auch so. Das wird dann auch so… - Wenn ich krank bin, dann geht das auch nicht anders. Da muss man halt sagen: Wenn man gute Angestellte hat, muss man Vertrauen. Sonst geht das in dieser Branche gar nicht!
Sprecherin: Die Sache mit dem Vertrauen kann auch in anderen Branchen ein wichtiger Faktor sein. Peter Wöber macht auf Situationen aufmerksam, in denen die Geschäftsführung aufgrund einer Behinderung mit einer zweiten Person geteilt werden muss.
Peter Wöber, GründerInnenzentrum: Beispielsweise ist es naheliegenderweise schwierig, wenn jemand Gehörlos ist, dann eine Geschäftsführung alleine durchzuführen. Da ist es einmal wichtig, dass man abklärt in der Beratung: Gibt es eine Person, eine zweite Person, die Aufgaben übernehmen kann, die man aufgrund der Hörbehinderung oder aufgrund der Gehörlosigkeit nicht durchführen kann?
Sprecherin: Manfred Kapfenberger ist seit 1997 alleiniger Geschäftsführer der Kommandit Erwerbsgesellschaft AvisoCom, die Hilfsmittel für Hörbeeinträchtigte anbietet. In den zwei Jahren davor leitete er die Firma gemeinsam mit seinem Geschäftspartner Helmut Klein.
Manfred Kapfenberger, Geschäftsführer AvisoCom: Ich hätte es selbst nicht geschafft, die Firma zu gründen. Ich habe diesen Partner gebraucht, der hörend ist. Er ist mir immer zur Seite gestanden. Ich hätte wahrscheinlich alleine diesen Sprung vom Angestellten zum Selbstständigen nicht geschafft. Aber, weil ich jemanden bei mir gehabt habe, war das für mich ein Leichteres.
Sprecherin: Das Interesse von Manfred Kapfenberger an Elektronik bestand von seiner Kindheit an und intensivierte sich durch eigene Experimente.
Martin Kapfenberger, Geschäftsführer AvisoCom: Ich wollte auch - weil ich selbst das Handicap habe - schwerhörig mit Hörgerät zu sein. Ich wollte das Fernsehen, Radio für mich besser verständlich machen. Ich hatte ein Hörgerät, das einen Audioeingang hatte. Ich habe diesen Audioeingang, der eigentlich für einen Zweck gedacht war - habe ich den missbraucht um mit dem Fernsehgerät zu koppeln. So ein Gerät habe ich dann gebaut. Eine Kabelverbindung mit einem Kästchen, mit dem ich umschalten kann zwischen verschiedenen Frequenzen. Damit war für mich das Verstehen besser möglich. Das habe ich dem Bundessozialamt präsentiert und ich habe gesagt: Ich brauche noch einen Verstärker, einen Walkman mit Mikrofoneingang und Kopfhörerausgang - weil neu bauen möchte ich nicht! Das haben sie mir prompt gefördert. Das war eigentlich der Beginn, dass ich mich für Hilfsmittel interessiert habe... - dass ich auch selbst etwas machen möchte. Und so hat sich das entwickelt.
Sprecherin: Die Entwicklung verlief vorerst aber noch über Umwege. Nach einer polytechnischen Lehre hat der von Geburt an hörbeeinträchtigte Manfred Kapfenberger im Supermarkt gearbeitet, wo es im täglichen Kundenkontakt immer wieder zu Schwierigkeiten kam.
Martin Kapfenberger, Geschäftsführer AvisoCom: Ich kann mich noch sehr gut erinnern, als ein Kunde gefragt hat, wo ein Artikel liegt und gesagt hat: „Weißt eh na…“ Ich habe verstanden: Meisena... - ist eigentlich ein Kartoffelstärkemittel und das habe ich vorher nicht gewusst. Da sind sicher oft Kommunikationsschwierigkeiten entstanden.
Sprecherin: Da das Selbstvertrauen unter solchen Situationen leidet und der Supermarkt sowieso nicht mehr als „ein Job zum Geldverdienen“ war, war Manfred Kapfenberger dankbar, als Helmut Klein ihn von dort in eine EDV Firma holte. Gemeinsam hatten sie bereits Pläne geschmiedet, ein eigenes Unternehmen zu gründen, als äußere Umstände einen günstigen Einfluss nahmen.
Martin Kapfenberger, Geschäftsführer AvisoCom: Das war ein zufälliger Zeitpunk, als der Gehörlosenkongress in Wien stattgefunden hat: 1995. Da war auch dieser Schweizer Hersteller dort – als Aussteller und ganz eigenartig. Zu dem Zeitpunkt war mein Partner auch bei mir zuhause und plötzlich bekam ich ein Fax von dem Hersteller, der in der Hofburg ausgestellt hat: Dass ich hinkommen soll und über die weiteren Geschäftsabläufe besprechen soll. Das heißt die Geschäftsübernahme…
Sprecherin: Unterstützt durch eine einmalige Jungunternehmerförderung durch das Bundessozialamt wurde also ein Geschäft mit Hilfsmitteln für Hörbeeinträchtige eröffnet. An zwei Nachmittagen in der Woche hat der Laden in der Otto Bauergasse 16 in Wien geöffnet. Es gibt dort Licht- und vibrationssignalanlagen für Telefon, Türglocke und andere Alltagsgegenstände.
Martin Kapfenberger, Geschäftsführer AvisoCom: Für gehörgeschädigte Personen, die im Berufsleben sind und rechtzeitig auch aufstehen müssen, um zur Arbeit zu kommen, gibt es optische und praktische Wecker. Praktisch heißt mit Vibration. Dann möchte ich das demonstrieren (zeigt es vor, Anm.) Das Vibrationskissen wird unter den Kopfpolster gelegt oder zwischen die Matratze: Hoffentlich wird er wach! Das ist nicht ein Massenmarkt, sondern ein spezieller Hilfsmittelmarkt für eine kleine Gruppe. - Für 10.000 Gehörlose in Österreich und ca. 500.000 Hörbeeinträchtigte, Schwerhörige, CI (Cochlea Implantat, Anm.) von Kindern bis Pensionisten, gemischt.
Sprecherin: Wie die Kunden, sind auch die täglichen Begegnungen gemischt. Je nachdem, mit wem Manfred Kapfenberger kommuniziert, ist er selbstbewusst oder verunsichert.
Martin Kapfenberger, Geschäftsführer AvisoCom: In der „hörenden Welt“ habe ich immer Barrieren gehabt. Hier habe ich keine Barriere. Wenn ein Schwerhöriger kommt, fürchte ich mich nicht mehr davor und bin ganz locker. Aber siehe da, wenn ein Hörender kommt: Geht es schon wieder los. Dann bin ich, sind alle Schalter eingeschaltet: Ich muss jetzt mein Ohr öffnen. Jetzt kommt der Mensch, der gut Hörende spricht. - Spricht er schnell, spricht er langsam? Verstehe ich ihn? Da kommt schon wieder diese Blockade.
Sprecherin: Das Risiko der Blockaden ist Manfred Kapfenberger aber eingegangen, um Unternehmer werden zu können. Seit 1995 vertritt er die Schweizer Firma AvisoCom in Österreich. 2000 schaffte er den Turn around, den Wechsel von den roten zu den schwarzen Zahlen. Auch 1997 war ein wichtiges Jahr in dieser Entwicklung.
Martin Kapfenberger, Geschäftsführer AvisoCom: Wir haben vorher vereinbart: Wenn ich das soweit alles selbst schaffen kann, dann wird er abtreten. Dann war eben dieser Zeitpunkt, an dem ich mich entschlossen habe: Du, jetzt ist es soweit! Jetzt mache ich es! Dann hat er gesagt: OK. Und ich bin dann zum Geschäftsführer bestellt worden. So mache ich das von 1997 bis jetzt.
Sprecherin: Heute ist Manfred Kapfenberger 39 Jahre alt. Abgesehen von der Buchhaltung macht er alles selbst und macht Gewinn. Wie er das geschafft hat?
Manfred Kapfenberger, Geschäftsführer AvisoCom: Ich habe immer daran festgehalten! Man muss wirklich daran glauben und immer bei der Sache bleiben. Nicht ein Jahr und dann aufgeben und etwas anderes machen. So schnell geht das nicht. Weil ich so lange geblieben bin, weil ich geduldig bin und weil ich darauf gewartet habe, hat sich das so entwickelt. Ich habe auch Werbung gemacht, meistens auch Mundpropaganda. So sind dann immer mehr Kunden zu mir gekommen.
Sprecherin: Manfred Kapfenberger, Karl Mick, Georg Fraberger und Christiane Link – vier Menschen voller Elan und Unternehmergeist, die den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt haben und Erfolg damit hatten. Die Zutaten: eine Sache, an die man glaubt, Unterstützung auf finanzieller und – im Idealfall – mentaler Ebene, Mut und Hartnäckigkeit. Die Ängste: eigentlich genau die gleichen wie die der Menschen ohne Behinderung.
Valerie Kattenfeld, die Gestalterin und Moderatorin dieser Sendung, bedankt sich fürs Zuhören und verabschiedet sich mit einem Zitat von Christiane Link: „Meine Erfahrung bislang zeigt, dass man belohnt wird und dass das Scheitern, vor dem alle Menschen Angst haben, eigentlich gar kein Scheitern ist!“