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.Vorsicht: Gewalt und sexuelle Übergriffe!
Freak-Radio hat Anfang April 2010 eine Diskussion im ORF-KulturCafe veranstaltet. Davor wurden zahlreiche Fälle über Gewalt und sexuelle Übergriffe in der Kirche bekannt.
Doch nicht nur die katholische Kirche, auch Privatschulen, Alternativschulen und auch Behinderten-Einrichtungen waren von Missbrauch und Gewalt betroffen.
Um Gewalt gegen behinderte Menschen geht es in dieser Sendung. Aber auch um Strukturen, die Gewalt und Missbrauch nicht verhindert haben.
Nicht geheim bleiben!
Als erster Gast spricht die Professorin und Buchautorin Rotraud Perner. Zunächst berichtet sie über ihr neuestes Buch über Gewalt in der Kirche. Sie macht darauf aufmerksam, dass Täter ihre Opfer abhängig machen. Sie verwickeln sie in ihre eigenen Sex-Probleme oder Macht-Probleme. Die Einrichtungen, die eigentlich Menschen fördern sollten, müssen gegen Gewalt und Missbrauch etwas unternehmen und Miss-Stände abstellen.
Was in einer Einrichtung passiert, das darf nicht geheim bleiben. Professor Perner fordert, dass es größtmögliche Offenheit gibt.
Als nächste spricht Frau Gerda Ressl vom Verein Behindertenombudsmann. Sie sagt: Die Leute kommen dann zu mir, wenn sie verzweifelt sind. Wir gehen dann mit ihnen die Schritte, die ihnen weiterhelfen. Wenn sie Probleme haben, dann sieht man das den Menschen an. Erst dann, wenn sie ihre Erfahrungen mit Gewalt aufarbeiten können, dann geht es ihnen auch im täglichen Leben besser. Die schlimmen Erfahrungen können sie in einer Therapie aufarbeiten.
Halbnackt im Hof
Franz Hoffmann berichtet über seine Erfahrungen in einer Einrichtung. Er hat dort gearbeitet, Andreas Leber war dort Betreuer. Auch er ist in dieser Sendung anwesend.
Franz Hoffmann erzählt: Ein anderer Betreuer wollte nicht, dass die Werkstätten-Arbeiter auf fremde Tische greifen. Wenn das trotzdem vorgekommen ist, dann hat er ihnen auf die Hände geschlagen.
Wenn sie geschrien haben, dann hat er sie auch im Winter in den Hof gestellt – ohne Mantel oder Jacke. Bis zu einer halben Stunde mussten sie draußen blieben.
Der ehemalige Betreuer Andreas Leber ergänzt, dass er das auch beobachtet hat. Er hat gesehen, dass ein Mann sich eingenässt hat. Auch dieser wurde sofort mit nasser Hose in den Hof geschickt – im Winter. Das war gefährlich für seine Gesundheit!
Als der Betreuer Leber die Leitung darauf aufmerksam gemacht hat, hat die Einrichtung davon nichts wissen wollen. Dann haben sie versucht, ihn mit Angeboten auf ihre Seite zu ziehen. Aber er ist bei seiner Meinung geblieben, dass dieser Miss-Stand abgestellt werden muss. Daraufhin musste er gehen.
Grausamkeit zerstört die Betroffenen
Professor Perner kennt viele ähnliche Beispiele: Viele Einrichtungen möchten das intern regeln. Sie haben Angst, dass sie einen schlechten Ruf bekommen können. Das Problem ist, dass viele dann nicht weiter wissen, was sie tun sollen.
Aber sie müssen etwas tun: Denn Grausamkeit hat körperliche Folgen. Die Wissenschaft hat nachgewiesen, welch großen Schaden die Opfer haben. Sie müssen sich ihr ganzes Leben damit herumschlagen. Und weil die Opfer meistens glauben, dass sie selbst schuld sind, schweigen sie so lange.
Es geht nicht darum, dass andere dem folgen, was die Einrichtung sagt. Vielmehr muss sich die Einrichtung überlegen, was die Betroffenen brauchen und wollen.
Rotraud Perner sieht aber auch positive Entwicklungen: Es ist gut, dass viele Leute sagen: Das was mir passiert ist, ist nicht in Ordnung!
Macht-Strukturen
Bei Gewalt und Missbrauch geht es nicht nur um Taten von einzelnen, es geht auch um Macht-Strukturen: Jemanden, der mächtiger ist und diese Position ausnutzen kann - und jemanden, der nicht so mächtig ist. Die Täter können dann alle möglichen Personen sein: vertrauenswürdige Personen wie Priester, aber auch Frauen, die sonst nicht mit Gewalt und sexuellen Übergriffen in Zusammenhang gebracht werden.
Von einem solchen Beispiel erzählt Gerda Ressl: Eine Betreuerin einer Werkstätte hat mit einer Frau mit Lernbehinderung, für die sie zuständig war, ein Liebesverhältnis angefangen. Und nach einiger Zeit, als sie sehr verliebt war, hat sie die Betreuerin eiskalt wieder stehen gelassen.
Die junge Frau wurde mit dieser Situation nicht fertig und musste in Spital gebracht werden. Sie wollte Selbstmord begehen. Die Ursache war dieser Missbrauch. Das Spital hat keine Anzeige gemacht.
Erst nachdem die junge Frau eine Therapie gemacht hatte, ging es ihr besser. Aber sie musste diese Therapie selbst zahlen, obwohl das jemand anderer verursacht hat... Erst nach langer Zeit wurde die Therapie bezahlt.
Heute ist die Frau darüber hinweg und es geht ihr wirklich besser.
Rote Karte
Herr Hoffmann berichtet über seine Ex-Freundin: Die Einrichtung machte Probleme, wenn er sie besuchen wollte. Vor allem, nachdem er bestimmte Dinge kritisiert hatte, durfte er sie überhaupt nicht mehr besuchen. Er hat unter anderem darauf aufmerksam gemacht, dass die stellvertretende Heimleiterin ganz wichtige Dokumente zu sich nach Hause genommen hat. Und sie war auf Urlaub, sodass die Freundin nicht die Dokumente bekommen konnte. Obwohl sie diese, also ihre eigenen Dokumente, ganz dringend brauchte. Diese stellvertretende Leiterin gibt es übrigens bis heute.
Rotraud Perner sagt dazu: Das ist wie beim Fussball: Rote Karte wegen Kritisierens, Herr Hoffmann! Statt dass sich jemand bedankt, um zu wissen, wo man aufpassen muss! Derjenige wird abgewürgt, der wahrnimmt, was nicht funktioniert.
Das zeigt, wie unsicher die Einrichtungen sind. Sie können oder wollen nicht dazu lernen oder ihre Qualität verbessern. Und das kann man ja nur von der Kundschaft erfahren!
Frau Gerda Ressl macht darauf aufmerksam, dass früher die Klienten immer das machen mussten, was die Einrichtungen wollten. Doch heute wird es besser. Oft sind die Einrichtungen nicht gewillt, ihre eigenen Fehler zuzugeben. Das wäre ein zu großer Machtverlust. Aber es gibt immer mehr Menschen, die etwas aufzeigen und sich nicht mehr unterdrücken lassen. Deshalb lassen sich die Fehler nicht mehr so leicht verheimlichen.
Sexualität ist ein Menschenrecht!
Rotraud Perner setzt sich auch gegen ein Verbot der Sexualität von behinderten Menschen ein. Wie in der katholischen Kirche gibt es auch heute noch viele Menschen, denen die Sexualität verboten wird. Dabei gehört diese zu den Menschenrechten!
Wie kann man am besten reagieren? Rotraud Perner sagt: Das wichtigste ist die Wahrheit. Die Wahrheit macht frei.
Und wichtig ist es auch zu fragen: Was tust du denn da? Ist das nicht vielleicht ein Missbrauch?
Klare Maßnahmen müssen für die Menschen gesetzt werden, die Grenzen anderer Menschen nicht akzeptieren wollen. Missbrauch und Gewalt hat eben immer etwas mit Grenzen zu tun: Nicht nur mit körperlichen, sondern auch mit geistigen Grenzen.
Dieser Beitrag ist im Rahmen des Projektes "Lebens- und Arbeitswelten" erschienen.