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Eine weitere Sendung zum Themenschwerpunkt Gewalt: Anlässlich des neuen Buches von Rotraud Perner "Missbrauch: Kirche-Täter-Opfer" geht es in einer Diskussion im ORF-KulturCafe um sexuellen Übergriff als psychische Behinderung.
Denn wer sexuelle Gewalt ausübt, hat ein Defizit. Gleichzeitig ist sexuelle Gewalt eine Schädigung des Potentials bei denen, die diese Gewalt erfahren. Rückzug, Suchtverhalten oder spätere Täterschaft können die Folge sein. Wenn Sie die Sendung als MP3 kostenlos hören wollen, klicken Sie bitte hier!
In einer Sondersendung im ORF-KulturCafe diskutieren neben der Herausgeberin Univ.Prof. Dr. Rotraud Perner auch der Psychotherapeut und Theologe Richard Picker, der Sexualberater und Sexualpädagoge Franz Babka, der früher auch Pastoralassistent war - und der Betroffene und Buchautor Sepp Rothwangl.
Pathologie des Täters/der Täterin
Rotraud Perner beginnt ihr Buch mit einer Bibelstelle über die Verführung von Kindern. Dort wird gesagt, für die Täter wäre es besser, mit einem Mühlstein versenkt zu werden. Dieser Mühlstein lastet eben auf den Tätern - aber auch auf den Opfern - oft ihr ganzes Leben.
Richard Picker sieht ein falsches bis mangelhaftes Weltbild der Täter. Täter und Opfer sitzen schicksalshaft in einem Boot. Die Kirche bringe aber mit den vielen kleinen Verboten und Einschränkungen und auch mit der Hierarchie das Gegenteil von Nächstenliebe.
Viele Täter waren auch einmal Opfer und holen sich die Lebendigkeit vom Opfer, töten aber genau diese Lebendigkeit beim Opfer ab. Große Verwirrung entsteht bei den Opfern und ein großer Aufwand, um den Täter zu schützen. Posttraumatischen Störungen als Folge sind sogar mit den rückkehrenden Soldaten des Vietnamkrieges zu vergleichen. Daraus wird die traumatische Dimension erkennbar.
Traumatisierung der Opfer
Sepp Rothwangl spricht von der tiefen Verwirrung der Opfer. Er selbst wurde psychotisch und konnte sich nur dadurch befreien, dass er einen Weg weg von der Kirche zur Naturwissenschaft gefunden hat.
Im Wort "Verführung" darf keinesfalls Mittäterschaft der Geschädigten gesehen werden. Ein Kind vor der Pubertät etwa, so Rothwangl, hat Sexualität noch nicht erlebt und ist völlig überfordert. Und für die Opfer ist es kein Missbrauch, sondern ein Gewaltakt.
Oft erzählen Geschädigte auch, dass sie sich ausgezeichnet und besonders anerkannt fühlen, berichtet Franz Babka. Viele Täter hätten ein besonderes Gespür dafür. Ganz schlimm ist es dann, wenn die Opfer danach plötzlich fallen gelassen werden, weil die Täter ihr Interesse verlieren.
Es gibt auch eine Identifikation mit dem Täter. Schnell glauben Geschädigte, dass bei ihnen etwas nicht in Ordnung ist. Dem Kind bleibt gar nichts anderes übrig, sich zu seinem Selbstschutz hinter die Person des Täters zu stellen. Deshalb wären dritte Personen, die sagen, was richtig oder falsch ist, so wichtig, meint Rotraud Perner. Aber das passiert so selten, weil es für die Geschädigten eine große Barriere gibt, die Wahrheit zu sagen und weil das Außenstehende oft nicht für wahr halten können.
Strukturelle Gewalt
Welche Rolle spielen Institutionen? Nützt Geheimhaltung dessen, was dort passiert, nicht nur den Mächtigen? Sowohl Kirchen als auch andere Organisationen glauben immer wieder, sich selbst schützen zu müssen und üben Druck auf jene aus, die die Wahrheit ans Licht bringen wollen.
Wenn aber die Geschädigten die Wahrheit sagen, dann geht man auf sie los, weil das nicht geglaubt werden kann oder die Organisation geschützt werden muss. Sepp Rothwangl nahm all seinen Mut zusammen, ging zum Präfekten, sagte ihm die Wahrheit und wurde gemobbt, durfte strafweise nicht nach Hause fahren und hatte viele negative Folgen zu tragen. Dass der Staat die Opfer heute explizit vom "Runden Tisch" ausschließt, empfinden viele Geschädigte erneut als entwürdigend.
Die Geschädigten werden künstlich pathologisiert, statt dass aufgezeigt wird, was Gewalt für Folgen für das spätere Leben hat. Auch viele, die die Opfer gutmeinend bevormunden, die immer wissen, was besser sei, vergrößern den Schaden noch mehr und entfernen die Geschädigten noch weiter von ihrer Autonomie. "Mundtot machen ist auch tot machen", sagt Rotraud Perner.
Heilung
Stattdessen sollten die anderen wertschätzend erkennen, was die Geschädigten brauchen. Es muss einen Raum geben, dass sich die Betroffenen selbständig artikulieren können.
Wir müssen uns auf dem Gebiet der faktischen Wahrheit wiederfinden - nüchtern, wie bei der Beschreibung etwa eines Verkehrsunfalls. Diese Wahrheit könnte heilend sein, postuliert Richard Picker.
Franz Babka setzt sich in seinem Schluss-Statement nochmals für die Stärkung der Geschädigten ein: "Der Weg, den die Opfer wählen, soll wertschätzend und respektvoll begleitet werden."
Literaturhinweise zur Sendung
Rotraud Perner (Hg. 2010): Missbrauch: Kirche-Täter-Opfer. Wien-Berlin: LIT-Verlag
Richard Picker (1998): Krank durch die Kirche? Katholische Sexualmoral und psychische Störungen. Wien: Böhlau
- Dateien:
- 10100511SexuelleTraumatisierung.MP3