Inhalt:
.Was bringt das Erwachsenenschutzgesetz - ein Resumee von Martin Marlovits
Am 1. Juli 2018 trat das neue Erwachsenenschutzgesetz in Kraft. Doch was hat das den Betroffenen gebracht? Wo liegen die Knackpunkte des neuen Regelwerks? Darüber sprechen wir mit Martin Marlovits vom Verein Vertretungsnetz. Erste Tendenzen zeichnen sich jetzt bereits ab, so ist die Zahl der gerichtlichen Erwachsenenvertretungen deutlich gesunken.
Um diese Sendung zu hören, klicken Sie hier!
Seit mehr als zwei Jahren ist das neue Erwachsenenschutzgesetz nun in Kraft. Die gerichtliche Erwachsenenvertretung trat an die Stelle der stark kritisierten Sachwalterschaft. Zum 1. Juli 2020 gibt es in Österreich rund 44.000 gerichtliche Erwachsenenvertretungen, das entspricht einem Rückgang von 17 Prozent seit der Neuregelung.
Erste positive Tendenzen zeichnen sich ab: Für nur knapp 7 Prozent der gerichtlichen Erwachsenenvertretungen gilt aktuell ein so genannter „Genehmigungsvorbehalt“, d.h. dass die Betroffenen für Entscheidungen in bestimmten Angelegenheiten die Zustimmung ihres Erwachsenenvertreters einholen müssen.
Viele Verfahren werden eingestellt
„Die Zahl der Anregungen bei Gericht, also die Mitteilung, dass eine bestimmte Person eine gerichtliche Erwachsenenvertretung brauchen könnte, ist zwar etwa gleich hoch wie vor Inkrafttreten des Erwachsenenschutzgesetzes. Es werden aber deutlich mehr Verfahren eingestellt,“ sagt Martin Marlovits, stellvertretender Fachbereichsleiter Erwachsenenvertretung bei VertretungsNetz. Dieser Verein besteht seit 1980 und berät bzw. unterstützt Menschen mit psychischer Erkrankung oder intellektueller Beeinträchtigung.
In 44 Prozent aller neuen Verfahren kommen die im „Clearing“ tätigen MitarbeiterInnen von VertretungsNetz zum Ergebnis, dass keine gerichtliche Erwachsenenvertretung nötig ist. Warum? „Weil es zum Beispiel Unterstützung aus dem sozialen Umfeld oder eine andere Vertretungsmöglichkeit gibt, die der oder dem Betroffenen mehr Selbstbestimmung ermöglicht“, so Marlovits.
Im Freak-Radio Interview erläutert Marlovits, dass bis Ende 2021 auch alle "alten“ Sachwalterschaften auf ihre Notwendigkeit überprüft werden müssen. In fast einem Drittel der Fälle kann eine Einstellung des Verfahrens empfohlen werden. „Für viele Menschen öffnet sich hier ein Tor zu mehr Wahlfreiheit und Selbstbestimmung, das vorher oft fest verschlossen war“.
Rechtzeitig selbstbestimmt wählen
Bedenklich findet man bei VertretungsNetz jedoch die vergleichsweise hohe Anzahl der errichteten „gesetzlichen Erwachsenenvertretungen“ durch Angehörige – eine der insgesamt vier möglichen Vertretungsarten im Erwachsenenschutzgesetz. Allein vom Verein VertretungsNetz wurden in den letzten zwei Jahren rund 6.170 Registrierungen im Österreichischen Zentralen Vertretungsverzeichnis (ÖZVV) vorgenommen, davon rund 4.550 gesetzliche Erwachsenenvertretungen. Diese Form der Vertretungsbefugnis wird oftmals für Menschen eingerichtet, die nicht (mehr) selbst wählen können, wer sie vertritt, weil der Verlust der Entscheidungsfähigkeit schon zu groß ist, beispielsweise für ältere Personen.
Dieses Interview wurde unter Einhaltung der Corona Schutzbestimmungen geführt. Die Fragen stellte Christoph Dirnbacher.
- Links: