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Weder vom Mars noch vom Jupiter
Diese Sendung beschreibt den (Arbeits-)Alltag von Menschen mit Lernschwierigkeiten. "Mit mir können's ganz normal reden", sagt Thomas Weissenbacher, von Vienna People First. Er ist es Leid immer wieder betonen zu müssen, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten keine Außerirdischen sind.
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Thomas Weissenbacher: Wenn der mit mir redt wie mit an Idioten, dann weis ich schon sehr oft darauf hin. Dann sag ich: kommen's wieder runter, ich komm weder vom Mars noch vom Jupiter, ich bin der Weissenbacher, mit mir können's ganz normal reden.
Anmoderation, Wolfgang Slapansky: Weder vom Mars noch vom Jupiter, mit mir können's ganz normal reden. Aus dem Leben von Menschen mit Lernbehinderungen, Lernschwierigkeiten und anderen Problemen. Eine Sendung von Gerda Ressl, Julia Wolkerstorfer und Katharina Zabransky.
Musik
Markus Samek: Das Lied "Aus meinem Leben" ist sehr intim von mir und ich hoffe, ihr hört das auch und euch gefällt es genauso wie mir.
Sprecher: Markus Samek ist 24 Jahre alt und Sänger in der Wiener Band "echt stoak". Er verarbeitet in seinen Liedern Szenen aus seinem Leben mit Down-Syndrom. Über die Musik findet er einen Weg zu mehr Selbstbewusstsein.
Markus Samek: Mir ist Musik wichtiger als Arbeit, weil ich in der Arbeit schon sehr enttäuscht worden bin. Daher vergrabe ich mich immer zu Hause, höre zum Beispiel Discman oder meine Anlage und höre Musik. Das hat mich dann auch dazu gebracht, Musik zu machen.
Sprecher: Eine Kegelbahn im Sportzentrum auf der Schmelz im 15. Bezirk in Wien: Hier treffen sich jeden Donnerstag Menschen mit Lernbehinderungen. Es sind ungefähr 15, die hier regelmäßig trainieren und sich unterhalten.
Michaela Ressl: Wir kegeln und fahren nach der Arbeit gleich her. Mein Freund kegelt auch, aber jetzt ist er auf Urlaub.
Sprecher: Für Michaela Ressl ist es ein Teil ihrer Selbstständigkeit, nach der Arbeit allein zum Kegeln zu fahren - und zwar mit dem Bus der Linie 10 A. Im Allgemeinen findet Michaela Ressl nicht ohne Begleitung durch Wien, den Weg zur Kegelbahn hat sie trainiert und kann ihn deshalb allein bewältigen. Rosemarie Blaschik hat neben ihren Lernschwierigkeiten auch eine Gehbehinderung. Sie muss ihren Weg zur Kegelbahn deshalb mit dem Fahrtendienst erledigen. Sie ist von Beginn an in dieser Kegelgruppe.
Rosemarie Blaschik: Ich bin die Rosemarie Blaschik, ich bin die Weltmeisterin. Am 23. Mai haben wir Kegelturnier und die Judith hat gesagt, sie nimmt einen von unserer Gruppe mit, aber ich kann leider nicht mitgehen, weil ich gerade eine Woche auf Urlaub bin. Ich freue mich schon wieder auf die nächste Meisterschaft und bin froh, wenn ich mit den anderen wieder spielen kann.
Sprecher: Das waren Ausschnitte davon, wie Menschen mit Lernbehinderung ihre Freizeit selbstbestimmt gestalten. Viele finden für sich Bereiche, die ihnen gefallen, andere bekommen Angebote von außen. Die Frage der Mit- oder Selbstbestimmung ist hier eine schwierige. Oft geht es um ein Erspüren von dem, was passen könnte, was man in der Begleitung von Menschen mit Lernbehinderungen erst einmal finden muss, wie es Chris Egger beschreibt. Er ist seit einigen Jahren in der Arbeit mit Menschen mit Schwer-Mehrfach-Behinderungen tätig.
Chris Egger: Ich kann, wie gesagt, nur von mir reden. Ich habe in meiner Tätigkeit nie versucht, Freizeit zu gestalten. Ich habe gelernt, Angebote zu machen und da zu sein, wenn man mit mir irgendetwas von Mensch-ärgere-dich-nicht spielen bis hin zu Kino gehen machen will.
In meiner Arbeit, in meiner Betreuungszeit war ich immer dafür zu haben. Ich habe aber diese sogenannte Freizeit immer bewusst offen gelassen. Für mich war es immer wichtig, den Menschen selbst diese Entscheidung zu überlassen und wenn Freizeit für sie war, dass sie von mir als Betreuer eine Ruhe haben wollten, dann war das für mich auch okay.
Das ist auch ein Lernprozess, den ein wirklich guter Betreuer meiner Meinung nach auch durchmachen muss: wann ist Schluss, wann muss ich auslassen, wann muss ich hingehen.
Sprecher: Selbstbestimmung ist und wird in der Zusammenarbeit mit Menschen mit Lernbehinderungen immer mehr zum Thema. In Werkstätten werden Werkstättenräte gewählt, ähnlich einem Betriebsrat. Es entstehen Selbstvertretungsgruppen von betroffenen Menschen, die sich zum Ziel gesetzt haben, für sich selbst zu sprechen.
So gab es vergangenen Mittwoch die Präsentation einer »KundInnenbefragung«. Menschen mit Lernbehinderungen, die in Werkstätten eines Trägervereins arbeiten, wurden dabei direkt befragt. Es wurden Fragebögen entwickelt, die für die Zielgruppe leicht verständlich waren und die Kommunikation erleichtern sollten. Für Willi Rychnovsky, von der Werkstätte in der Speckbachergasse, war es sehr wichtig, dieses Projekt zu planen und zu begleiten. Er hat selbst eine Lernbehinderung.
Willy Rychnovsky: Viele Menschen in den Werkstätten haben noch nie in ihrem ganzen Leben an einer schriftlichen Befragung teilgenommen. Vielen Kunden und Kundinnen müssen wir den Ablauf vorstellen und erklären, was eine Befragung überhaupt ist. Viele haben zum ersten Mal gesagt, was sie sich wirklich wünschen.
Sprecher: Menschen mit Lernbehinderungen sind, wie Menschen mit anderen Behinderungen auch, in vielen Lebensbereichen noch immer nicht gleichgestellt. Seit erstem Jänner 2007 gibt es das Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz, das darauf abzielt, Diskriminierungen im Alltag zu beseitigen.
Ob es die Probleme, die Menschen mit Lernbehinderungen haben, tatsächlich lösen kann, bleibt abzuwarten. Vielen Betroffenen geht das Gesetz jedoch nicht weit genug, sie sind skeptisch.
Hintergrundgeräusche, Laute sprachbehinderter Menschen
Sprecher: Auch in der Arbeit mit Menschen, die kaum oder gar kein Sprachverständnis haben, wird immer mehr nach Wegen gesucht, wie man trotzdem miteinander in Kontakt treten kann, sich Ausdruck verschaffen kann.
Gabriele Uher ist die Leiterin einer Werkstätte in der Lobenhauerngasse im 17. Bezirk in Wien. Sie arbeitet dort in basalen Fördergruppen. Hier ist Spüren, Tasten und Schmecken wichtig, um mit der Außenwelt überhaupt in Kontakt treten zu können. Im Zentrum steht die unterstützte Kommunikation.
Gabriele Uher: Ich muss mit diesem alten, abgedroschenen Satz "Man kann nicht nicht kommunizieren" anfangen. Ich denke, von meiner persönlichen Vorstellung her, muss es du schrecklich sein, wenn du so viel in dir hast und nie etwas rausgeben kannst oder du wirst nie verstanden.
Wenn das immer nur auf schnelle Interpretation hinausläuft: "Schau her, der lacht, dem geht's eh gut", das muss so schrecklich sein. Ich habe gerade mit hospitalisierten Klienten die Erfahrung gemacht, dass sie sich als Überlebensstrategie dieses oft sehr viel gehörte Lachen angewöhnt haben. Das heißt eben nicht immer, dass es ihnen gut geht.
Sprecher: Die Mitarbeiter lernen zu Beginn der Arbeit, über Gebärden zu kommunizieren, die dann bei allen Tätigkeiten angewandt werden. Auch Seminare für unterstützte Kommunikation sind verpflichtend.
Gabriele Uher beschreibt, dass Sprache und Kommunikation oft ganz unterschiedlich und speziell sein können.
Gabriele Uher: Es war total spannend: Es ist ein junger Mann, der ganz lange auf Station gelebt hat, der immer abgesaugt worden ist, weil er aspiriert, sich räuspert, schlatzt, schleimt, hustet.
Er ist zu uns gekommen, und es hat geheißen, der muss immer abgesaugt werden. Absaugen wollten wir nicht wirklich. Wir haben eine Videoanalyse gemacht, wir haben ihn ganz lange angeschaut, bis wir gemerkt haben, das ist ja seine Sprache.
Der spricht, der darf ja gar nicht abgesaugt werden, da nehmen wir ihm die Worte weg und er ist ein sehr basaler Klient, also sehr stark körperlich eingeschränkt. Jetzt ist es wirklich so, wenn man sagt: Was möchtest du? Ich möchte jetzt das und das mit machen, ist dir das recht? Möchtest du das mitmachen?
Es kommt überhaupt kein Muckser von ihm, wenn er es nicht will. Und wenn er dabei ist, merkt man richtig, wie er die Körperspannung annimmt und wie dann auf einmal das Schlatzen anfängt. Bis das da ist, das ist dann das Ja! Und wenn man dann fragt: "Ja, du willst das?", dann strahlt er über das ganze Gesicht.
Sprecher: Wichtig sei, dass für jeden Ausdrucksmöglichkeiten gefunden werden. Jeder solle gehört und verstanden werden können.
Gabriele Uher: Oder dass eben oft so originelle Ausdrucksweisen sehr schnell als Aggression ausgelegt werden. Das finde ich besonders schlimm, denn die haben ewig den Rucksack der Aggression, den sie mitnehmen. Und sie kommen nie wieder aus dem heraus. Man muss sich aber einmal vorstellen, man hat keine Möglichkeiten zu sagen: "Das stört mich" oder "Das hat mich jetzt gekränkt" oder "Das hätte ich gern".
Da habe ich mir gedacht, es ist ganz, ganz wichtig, dass die Klienten, mit denen wir zu tun haben, eine Ausdrucksmöglichkeit bekommen und vor allen Dingen, dass sie sich auch wirklich kompetent fühlen können. Ich sage etwas, auf das wird geachtet, das ist wichtig und ich kann etwas bewirken. Ich denke, dass das eine schlimme Situation sein muss, wenn man dem so ausgeliefert ist, was andere über einen denken oder was andere für einen entscheiden.
Sprecher: Das Team bemühe sich grundsätzlich um Mitbestimmung der Klientinnen, auch dann, wenn die Rahmenbedingungen einmal nicht so passen.
Gabriele Uher: Mein Ziel muss sein, dass die Selbstbestimmung so hoch wie möglich gehalten werden soll, dass unsere Klienten so gut wie möglich partizipieren können, wie im Alltag von einem gleichaltrigen nicht behinderten Erwachsenen.
Aber es ist schon klar, wir haben teilweise durch den Dienstplan Einschränkungen, das sind eben die Rahmenbedingungen, die ich meine. Aber solange unser Grundgedanke, unsere Haltung dahinter steht, dann werden auch nicht optimale Situationen so ausgehen, dass sie für den Klienten passend sind.
Sprecher: Eine Möglichkeit, unterstützt zu kommunizieren, ist zum Beispiel die Software webspeech. Das ist eine Sprachausgabe am Computer, von der Texte vorgelesen werden, das hört sich zum Beispiel so an [Beispiel].
Gabriele Uher: Die Unterstützte Kommunikation hat unser Leben als Betreuer verändert, wobei ich das Wort »Betreuer« nicht so gern mag: Ich denke, wir müssen immer wechseln zwischen Betreuung, Begleitung und Assistenz. Das gelingt uns hier im Haus natürlich gut, nicht leichter gemacht, aber wesentlich spannender.
Wir werden viel mehr gefordert, wir müssen viel mehr hinschauen, interpretieren, gut interpretieren, gut beobachten lassen, viel Zeit lassen. Das heißt, du darfst nicht ungeduldig werden, du hängst oft ganz lange in der Schleife, bis sie dir sagen, was sie wirklich wollen, weil sie ja testen! Das ist spannend, also leichter ist es nicht geworden. Fröhlicher vor allen Dingen - genau das ist es!
Sprecher: Georg Paulmichl, ein Lyriker aus Südtirol hat eine Lernbehinderung, er arbeitet in einer Werkstätte, wo es sein Job ist, Gedichte zu schreiben. Paulmichl meint über sich selbst "ich bin nicht behindert, ich kann reden".
Freak-Sprecherin: Köpfe
Der Mensch braucht den Kopf zum Zähneputzen und zum Abnagen der Kau-Lust. In der Rübe ist der Sitz der Denkstrategie. Wenn der Mensch zu lange denkt, stimmt etwas nicht. Die Frauen tragen auf dem Kopf ein Tuch, damit die Frisur nicht herunterfällt. Der Kanzler Kohl hatte einen Schädel wie ein Dickkopf. Ohne Kopf wäre der Mensch ein zahnloses Rumpfgestell.
Sprecher: Leichte Sprache oder "easy to read" ist eine Sprache, die Menschen mit Lernschwierigkeiten besser verstehen können. Thomas Weissenbacher von Vienna People First beispielsweise, fordert ein, dass auch Behörden leichte Sprache verwenden.
Thomas Weissenbacher: Leichte Sprache ist zum Beispiel: ich verwende keine Fremdwörter, keine Wörter, die ich nicht verstehe. Sagen wir: sukzessive - nacheinander - ist ein Fremdwort, das der, der mich anspricht, nicht verwenden sollte, sonst nimmt er mir die Chance, ihn zu verstehen und eine wirklich gute Kommunikation zustande kommen zu lassen. Diskriminiert fühle ich mich dann, wenn ich Behördenwege machen und der mit mir redet wie mit einem Idioten! Da weise ich schon sehr oft darauf hin und sage: »Kommen's wieder runter! Ich komm weder vom Mars noch vom Jupiter, ich bin der Weissenbacher, mit mir können's ganz normal reden.« Dann besinnen sie sich doch eines Besseren und versuchen, in einer ganz normalen Sprache mit mir zu sprechen.
Sprecher: Thomas Weissenbacher wünscht sich auch, dass Menschen mit Lernbehinderungen von den Medien besser wahrgenommen werden.
Thomas Weissenbacher: Zum Beispiel, dass sie uns die Möglichkeit geben, unsere Forderungen an die Öffentlichkeit weiter zu transportieren. So wie »Heimat, fremde Heimat«. Das finde ich total toll, wie das funktioniert - und genau so könnte es auch für Menschen mit Behinderung passieren. Ich finde es ist wichtig, dass man für die Menschen eine Sendung macht. Die haben dann mehr Möglichkeiten, Gehör zu finden.
Sprecher: Partnerschaft ist ein anderer großer Lebensbereich, bei dem es oft noch viele Hürden auf dem Weg zur Gleichstellung gibt.
Gitti Wallner: Am Anfang haben's g´sagt: »Er muss um 18 Uhr gehen!« Und ich hab ihnen g´sagt: »Nur wegen dem scheiß-duschen muss er nicht um 18 Uhr gehen!«
Sprecher: Gitti Wallner lebt in einer betreuten Wohnform in Wien. Für eine Partnerschaft, wie sie es will, ist hier nicht immer Platz.
Gitti Wallner: Dann bin ich fragen gegangen, ob er vielleicht einmal im Monat bei mir schlafen darf, ich meine für den Anfang reicht es, wenn man erst kurz zusammen ist. Jetzt ist mir das aber auch zu wenig, weil ich merke, dass das Vertrauen immer mehr wird - und ich möchte schon haben, dass er mehr bei mir schlafen kann. Diese Vorschriften, die gehen mir auch auf den Wecker.
Sprecher: Das Projekt "Libida - mehr Lust im Leben" in Graz beschäftigt sich mit dem Thema Sexualität von Menschen mit Lernbehinderungen.
Doris Krottmeier: Sexualität ist eine Lebenskraft, wir können sie nicht nur besprechen, wir können nicht nur darüber reden, wir können sie nicht in Konzepten niederschreiben - Sexualität will gelebt sein. Deshalb haben wir das Projekt Libida ins Leben gerufen. Wir wollen dort ganz konkrete Angebote zu entwickeln, hauptsächlich im Gebiet der Sexualassistenz, um Frauen und Männern mit Lernschwierigkeiten zu ermöglichen ihre Sexualität auch weitgehend selbstbestimmt und lustvoll wirklich erleben zu können.
Sprecher: Für Dr. Doris Krottmeier sei es wichtig, dass Menschen mit Lernbehinderungen eben auch im Bereich der Sexualität gleichgestellt und selbstbestimmt leben können. Ihr Kollege Ludwig Niederhammer-Deutsch unterstreicht die Vorurteile, die in den Köpfen von Menschen immer noch vorhanden sind:
Ludwig Niederhammer-Deutsch: Noch dazu haben wir gesellschaftliche Haltungen, die bis heute mehr als gültig sind, beispielhaft etwa: "Menschen mit Beeinträchtigung haben gar keine Sexualität" oder "Es ist eh besser für sie, keine zu entwickeln" bis hin zu "Menschen mit Beeinträchtigungen können die Sexualität nicht beherrschen" oder das sei sogar gefährlich. Das ist die Basis für sehr
großes Unwissen, nicht Ausgangsposition dessen, was wir in unserer Werthaltung vertreten, dass jeder Mensch Sexualität hat.
Doris Krottmeier: Die wirkliche Sexualassistenz als Dienstleistung muss - ganz klar -von außenstehenden Sexualassistentinnen und -assistenten geleistet werden. Also, es darf nie diese Dienstleistung innerhalb eines Betreuungsverhältnisses, eines Abhängigkeitsverhältnisses angeboten werden!
Wir haben auch nicht den Anspruch, alle Menschen mit unserer Dienstleistung glücklich machen zu wollen - oder alle sexuellen Bedürfnisse innerhalb dieser Dienstleistung befriedigen zu wollen oder zu können. Sondern diese Dienstleistung soll eine ganz wesentliche Bereicherung werden, in der Möglichkeit von Frauen und Männern mit Behinderungen, ihre Sexualität auch lustvoll zu erleben.
Sprecher: Ein weiteres Problem bleiben, wie bei Markus Samek, Beziehungsängste.
Markus Samek: Ich habe auch immer Beziehungsängste, denn ich habe schon ein paar Mal versucht, mit Frauen klar zu kommen und sie darauf anzusprechen und mein Problem war immer das, dass mich die Menschen durch meine Behinderung einfach immer links liegen gelassen haben.
Atmo Alm-Film
Ausschnitt aus Alm-Film, Sprecher: Angenommen, die hätten mich da gar nicht, hätten die Betreuer sicher, da kann man sich ganz, ganz sicher sein, da wieder ein Drittel mehr Arbeit, statt mir, wenn ich nicht da wäre. Und ich kann das unterteilen, wer wie wo arbeitet, ich kann das einschätzen, ich hab ein Einschätzungsvermögen, wie wer wo arbeitet.
Sprecher: Im Stadtkino am Schwarzenbergplatz in Wien läuft derzeit der "Alm-Film". Gundula Dachsecker, die Regisseurin dieser feinfühligen Dokumentation über Menschen mit Lern- und anderen Behinderungen hat über Monate hinweg das Team auf der Alm begleitet. Die »Alm« in Wien ist eine betreute Arbeitsstätte mit viel Arbeit in den Weinbergen und einem Alltag am Bauernhof. Es ist ein Alltag, der nicht alltäglich ist.
Gundula Dachsecker: Es ist auf jeden Fall um die Leute selbst gegangen. Mich stört das, wenn Leute erklärt werden, egal um sie jetzt geistig behindert sind oder wenn über andere Leute gesprochen wird, als könnten sie nicht über sich selbst sprechen.
Ich brauche niemanden, der mich erklärt und, so gesehen, brauchen die Leute von der Alm auch niemanden, der sie erklärt. Wenn man ihnen die Zeit gibt, können sie sich ganz phantastisch ausdrücken - und ich finde sie können sich besser ausdrücken als viele andere. Sie haben so eine eigene Sprache und eine tolle Ausdrucksform.
Ausschnitt aus Alm-Film, Julia: Sie haben es nicht akzeptiert, wie ich wollte. Sie wollten es einfach gar nicht. Sie wollten, dass ich mit ihnen feiere, und nicht mit Freunden. Ich meine, ich bin eine erwachsene Frau, ich bin 20, ich kann tun und lassen was ich will. Ich habe eine Wohnung, so ist es wieder auch nicht, sie müssen lernen zu akzeptieren, dass ich halt mit Freunden feiere. Aber sie verstehen es nicht.
Gundula Dachsecker: Bei der Julia war eindeutig die Beziehungsgeschichte ihr Hauptthema. Sie ist auf der Suche nach dem richtigen Mann und hat auch einen Kinderwunsch und ich finde das auch sehr berechtigt und wichtig. Warum sollte sie das nicht haben dürfen.
Ausschnitt aus Alm-Film, Julia: Die sind jetzt alle im Stall drinnen und wollen jetzt gar nicht mehr hinaus.
Ausschnitt aus Alm-Film: Bei dem Wetter wäre ich auch lieber im Stall.
Julia: Ich würde gern ein bisschen im Heuschober liegen.
Gundula Dachsecker: Wir haben die Interviews eben so geführt, dass die Leute reden konnten über die Themen, über die sie reden wollten und dass es da keine Einschränkung gegeben hat. Dadurch sind halt auch alle Themen, die sie betreffen, besprochen worden.
Ich habe beim Schnitt versucht, das Wesentliche aus den Geschichten, die die Leute erzählt haben, herauszufiltern und das zu erzählen. Ich hätte natürlich viele andere Sachen auch nehmen können, sie haben über so viele Sachen geredet, aber ich habe geschaut, wo gibt es da eine Entwicklung, was zieht sich durch und was ist das eigentliche, das wichtigste Thema im Leben oder in der Zeit im Leben der Protagonistinnen.
Ausschnitt aus Alm-Film, Julia: Da ist schon wieder ein Viech.
Ausschnitt aus Alm-Film, Sprecherin: Alm. Was ist Alm? A und dann lm. Das ist nur kurz, das Alm. A und was noch.. l und dann m und dann fertig.
Gundula Dachsecker: Der Bernhard praktiziert diese Gleichstellung sehr. Er nimmt sich, obwohl er der Leiter der Alm ist, so weit zurück, dass er sagt, die Betreuer könnten sich alle selbst wegrationalisieren. Sein Ziel wäre, dass die Klienten die Alm selbständig, ohne Betreuer, führen. Er weiß natürlich schon, dass es schwierig ist und wahrscheinlich nicht geht, aber er möchte das den Leuten immer vermitteln: Das ist euer Projekt, macht etwas daraus!
Es wäre gut, wenn das in der Öffentlichkeit öfter vorkommt. Ich meine, dass jetzt der Alm-Film im Stadtkino läuft und eben die Leute von der Alm eben diese Öffentlichkeit bekommen und eben Menschen mit geistiger Behinderung diese Öffentlichkeit bekommen ist für mich irrsinnig schön und ich habe mir das immer gewünscht. Es müsste vielleicht mehr Projekte in die Richtung geben oder dass sie als Interviewpartner ernst genommen werden und ihnen die nötige Zeit gegeben wird.
Wie man sieht, können sie sich ganz toll ausdrücken. Aber es geht halt nicht, wenn man sich die Zeit nicht nimmt. Interview hinhalten und zwei Minuten Zeit eine Antwort zu geben, so wird es nicht funktionieren und so wird man den Leuten auch nicht gerecht. Ich kann sie alle als spannende Interviewpartner empfehlen und als Menschen, die sehr viel zu sagen haben und sehr viel vermitteln können.
Sprecher: Der Alm-Film läuft zur Zeit im Stadtkino in Wien. Die Regisseurin schafft eine respektvoll distanzierte Auseinandersetzung mit Fragen über Selbstbewusstsein und Integration.
Selbstbewusst geht auch Georg Paulmichel in seinen Gedichten vor, Behinderungen scheinen im kreativen Raum keine Rolle mehr zu spielen.
Sprecherin: Der Papst
Der Papst wohnt in den vatikanischen Katakomben.
Streng sein ist die Aufgabe des Papstes.
Ich kenne den Papst persönlich, am Fernseher hat er mir zugewinkt.
Er muss die Gottesstrafen in den Diözesen verteilen, damit im Himmel die Buße nicht ewig dauert.
Der Papst hat einen langen Talar zur Abdeckung der Leib-Eigenschaft.
Der Papst lebt nicht zum Spaßvergnügen auf der Welt.
In Deutschland wurde der Papst als kleines Kind in die Wiege gezeugt. Aufgewachsen ist er in der gehorsamen Ordensbruderschaft.
Zornig sein dürfen die Päpste nicht, weil es in der Bibel verboten ist.
Der Papst darf nicht schreien, nicht lügen, nicht unkeusch sein, nicht rauchen und nicht streiten. Weinen dürfen die Päpste auch nicht, lachen schon.
Die Ungläubigen mag der Papst nicht, weil sie keine Kirchensteuer abzahlen.
Freak-Abmoderation, Wolfgang Slapansky: Sie hörten "Weder vom Mars noch vom Jupiter - mit mir können's ganz normal reden" aus dem Leben von Menschen mit Lernbehinderungen, Lernschwierigkeiten und anderen Problemen. Eine Sendung von Gerda Ressl, Julia Wolkerstorfer und Katharina Zabransky. Gesprochen hat Ernst Kostal, technische Betreuung Chris Egger, Studiotechnik Christian Michel, Günter Hunold und Anton Reininger. Das Audiomaterial entstammt dem Alm-Film. Wir danken der Regisseurin Gundula Dachsecker. Am kommenden Sonntag, den 20. Mai können Sie in Freak-Radio hören, wenn Hausbriefkästen behindern, eine Freak-Sendung von Bernhard Hruska.
Freak-Selbstebestimmt Jingle
Freak-Sprecherin: Sie hörten eine Sendung der Schwerpunktreihe:
»Selbstbestimmt mit allen Sinnen - ...
Freak-Sprecher: ...Wege zur Gleichstellung. Wege ohne Diskriminierung« ...
Freak-Sprecher: ...die vom Bundessozialamt aus Mitteln der
Beschäftigungsoffensive der österreichischen Bundesregierung gefördert
wird.