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Wie vier Menschen in Österreich mit ihrer Behinderung leben...
Vier Menschen werden in dieser Sendung besucht: Die einen leben bei ihrer Familie, die anderen leben im Heim, wieder andere haben Heimhilfen, und schließlich gibt es auch welche, die mit Persönlicher Assistenz leben.
Wie leben Menschen mit Behinderung in Österreich?
Früher haben die meisten Menschen mit Behinderung entweder im Pflegeheim gelebt oder waren abhängig von der Familie. Durch das Pflegegeld hat sich viel verändert.
Das Pflegegeld wird aber immer weniger, weil die Preise steigen, aber das Pflegegeld nicht. Dennoch können viele behinderte Menschen selbst bestimmen, wofür sie das Geld ausgegeben und welche Unterstützung sie sich organisieren.
Hier werden vier Menschen mit Behinderung vorgestellt, die unterschiedlich leben.
(Bitte die einzelnen Teile jeweils anklicken!)
Peter Singer
Peter Singer arbeitet an der Universität und lebt zu Hause. Er hat Heimhilfe, die ihn zweimal pro Tag bei wichtigen Dingen unterstützt.
Dr. Peter Singer ist 1950 geboren. Er wohnt in einer modernen Wohnhausanlage am Stadtrand. Er hat auch einen kleinen Garten. Den benützt er gern und erholt sich.
Wie unterstützt die Heimhilfe?
Peter Singer hat studiert und arbeitet an der Universität. Er lebt mit Unterstützung von Heimhilfen. Von Montag bis Freitag kommt meistens die gleiche Person. Sie reinigt die Wohnung, kauft ein, bereitet das Essen zu. Weil Peter Singer warme Speisen nicht allein essen kann, braucht er zu Mittag beim Essen Unterstützung.
"In der Früh gehe ich alleine in die Badewanne", erzählt Peter Singer, "dann kommt meine Heimhilfe. Die hilft mir dann noch Rückenwaschen und macht auch das Frühstück."
Das kalte Abendessen für Peter Singer wird auch zu Mittag vorbereitet. Wenn er krank ist, braucht Peter Singer auch nicht mehr Heimhilfe als sonst.
Pflegegeld und Waisenpension
Er hat kein eigenes Einkommen, sondern bezieht eine kleine Waisenpension mit Ausgleichszulage - und Pflegegeld. Davon muss er pro Monat ungefähr 300 Euro für die 55 Heimhilfestunden bezahlen.
Fahrtendienst
In Wien ist Peter Singer vor allem mit dem Fahrtendienst unterwegs. Manche Wege erledigt er mit dem Rollstuhl. Öffentliche Verkehrsmittel benutzt er nur, wenn die Haltestellen günstig liegen. Vor seiner Haustür hält eine Niederflurstrassenbahn. Mit der fährt er manchmal zur Arbeit.
Urlaub
Auf Urlaub war Herr Dr. Singer in den letzten fünf Jahren nicht. 2004, nach dem Tod seiner Mutter, ist er für 17 Tage zu seiner Cousine nach Deutschland geflogen - und dann zu einem Kongress (Veranstaltung von Wissenschaftern) nach Deutschland.
Zum ersten Mal ist er da auch alleine geflogen und war stolz darauf.
Beruf
An der Universität hat er heute ein gutes Verhältnis zu seinen Kollegen: zu seinem Professor und zu seinen Studenten. Sie kommen auch zu ihm nach Hause, um sich beraten zu lassen.
Freizeit
Seine Freizeit verbringt Peter Singer ohne viel Abwechslung oft und gerne zu Hause. So kann er sich gut von körperlichen Anstrengungen erholen. Es gibt aber immer wieder Anlässe, Einladungen oder Besuche.
Seine Behinderung sieht Peter als Herausforderung, zum Beispiel auch durch Computer und neue Geräte.
Michaela Ressl
Michaela Ressl ist über 40 und lebt bei ihren Eltern. Dass sie woanders leben könnte, das kann sie sich kaum vorstellen:
"Meine Eltern passen immer auf mich auf. Gut geht´s mir dann!"
Michaela Ressl wohnt in einer großen Dachbodenwohnung im obersten Stock.
Sie wohnt jetzt in einem großen Zimmer, in dem früher ihr Bruder gewohnt hat. Der ist schon ausgezogen und ist verheiratet und hat Kinder.
Sportliche Aktivitäten
An der Wand in ihrem Zimmer gibt es Pokale und Auszeichnungen. Michaela Ressl hat bei den Special Olympics mitgemacht und einiges gewonnen: Sie hat 16 Medaillen, die sie beim Schifahren und Kegeln gewonnen hat.
Michaela Ressl geht jeden Morgen zur Arbeit, das ist ihr wichtig. Auch sonst beginnt der Tag so wie bei vielen anderen:
Tagesablauf
Nach dem Anziehen, Frühstücken und Zähneputzen packt sie ihre Sachen in eine Tasche. Um halb verlässt sie das Haus und fährt mit dem J-Wagen drei Stationen. "Und wenn kein 10A kommt, dann geh ich ein Stückl!"
Dass Michaela Ressl diesen Weg alleine geht, ist für sie nicht selbstverständlich. Wege geht sie nicht gerne allein, seit sie einmal in eine Straßenbahn gelaufen ist. Aber wenn sie Wege alleine geht, dann ist sie sehr stolz.
Wege und Fahrten
Ihre Mutter hat vieles mit ihr eingeübt: "Sie kann nicht alleine irgend ein Ziel erreichen, das sie nicht kennt. Wege müssen sehr lange eingeübt werden und möglichst ohne Störungen verlaufen, dann kann sie Wege alleine gehen!"
Seit Michaela Ressl eine Handy hat, fühlt sie sich sicherer. In die geschützte Werkstätte geht sie recht gerne, aber dass es kaum mehr Aufträge gibt, das stört sie schon sehr.
Eine Arbeit, für die man bezahlen muss
Die Werkstätte wird von der Stadt Wien gefördert. Frau Ressl bekommt zwar ein Taschengeld, aber sie muss viel mehr dafür bezahlen als sie bekommt, erklärt ihre Mutter: "Für die Werkstätte zahlen wir 30 Prozent des Pflegegelds."
Dazu bekommt sie die "Dauerleistung", eine Art der Sozialhilfe. Von der muss alles bezahlt werden, was sie braucht.
Das Mittagessen ist nicht ganz so gut wie Zuhause. Früher hat sie auch selbst gekocht: "In der Lehrküche. Aber jetzt haben sie das abgeschafft."
Freizeit
Nach der Arbeit bemüht sie sich, wenigstens einen Teil der Arbeit im Haushalt selbst durchzuführen und hilft den Eltern. Einmal in der Woche fährt sie alleine mit dem Bus zu ihren Freunden zum Kegeln.
Zu ihrem Bruder und seiner Familie hat Michaela Ressl ein gutes Verhältnis. Für diesen ist die Behinderung seiner Schwester etwas ganz normales.
Auch für seine Kinder ist das selbstverständlich.
Immer wird Michaela Ressl nicht so wohnen. Die Eltern werden älter. Genau weiß sie noch nicht, wie sie leben wird. Wie wird die Zukunft sein? In der Nähe des Bruders? Oder woanders? Einen Wunsch hat sie jedenfalls:
"Dass ich mit meinem Freund z´sammbleib!
Martin Kopper
Martin Kopper hat 2000 das Studium der Geschichte und Philosophie abgeschlossen und studiert weiter. Er benutzt den E-Rollstuhl und lebt im Heim, dennoch sind ihm seine Freiräume ganz wichtig:
Für ihn ist Freizeit, wenn er machen kann, was er will. "Kleine Einschränkungen hat jeder Mensch, die sind aber ganz normal", sagt er.
Arbeit an der Uni, Leben im Heim
Martin Kopper studiert zurzeit Rechtswissenschaft an der Universität Wien. Er freut sich, eine Prüfung in Strafrecht bestanden zu haben.
Seit 1988 Jahren lebt er in einem Wohnheim mit anderen Mitbewohnern und Mitbewohnerinnen.
Der Gang zur Wohnung ist nicht sehr einladend, aber sauber. In der Wohnung fallen sofort die vielen Bücher auf.
Verein Balance
Martin Kopper wohnt im Verein Balance auf 40 Quadratmetern. Die Infrastruktur ist sehr gut, weil es ganz in der Nähe sehr viele Geschäfte gibt.
In Verein Balance arbeiten insgesamt 10 Betreuer und Betreuerinnen abwechselnd. Wenn Martin Kopper Unterstützung benötigt, kann er jeder Zeit nach dem Dienst habenden Personal läuten. Wer dann kommt, das kann er sich natürlich nicht aussuchen. Daran hat er sich längst gewöhnt.
Besucht man Martin Kopper in seinen Räumlichkeiten, muss man an der Sprechanlage bei Balance läuten. Obwohl er über einen Schlüssel verfügt, kann er die Türen von außen nicht alleine öffnen. Es ist kein automatischer Türöffner vorhanden.
"Ich empfinde das als angenehm, dass man Gesellschaft hat, wenn man Gesellschaft wünscht." Wenn er alleine sein will, kann er das auch sein. Denn seine Wohnung ist sehr ruhig.
Betreutes Wohnen
Eigentlich müsste er gar nicht einkaufen gehen, das machen auch die Betreuer: "Wenn ich nicht unbedingt will, kann ich es mir mitnehmen lassen oder ich nehme es von zuhause mit. Normalerweise essen wir in der Wohngruppe im Verein Balance. Einmal in der Woche hat er Tischdienst. Aber es gibt auch angestellte Putzfrauen.
Seinen Tagesablauf bestimmt Martin Kopper selbst und kann ihn sich einteilen. Die meiste Zeit des Tages verbringt er an der Universität.
"Ich kann relativ wenig alleine tun, ich bin aber eigentlich sehr gut betreut da. Man ist völlig frei." Wenn er am Nachmittag duschen will, kann er am Nachmittag duschen. Und er kann auch aufstehen, wann er will.
Wenn es einmal später wird...
Wenn Martin Kopper einmal spät nach Hause kommen will, muss er die Betreuer benachrichtigen. Er muss weder um 10 Uhr Abends, noch um Mitternacht daheim sein. Nur kommt dies in seinem Leben selten vor.
Martin Kopper hat einen recht großen Hilfebedarf, er fühlt sich aber nicht besonders abhängig.
Drei Mal die Woche braucht er außerdem einen Assistenten über die Wiener Assistenzgenossenschaft für ungefähr 13 Stunden. Dieser unterstützt ihn beim Toilettengang oder beim Kopieren von Studienmaterialien an der Universität. Ihn hat er sich selber ausgesucht.
Fahrten und Reisen
Martin Kopper benützt gelegentlich die U-Bahn. Für den Anfahrtsweg zu den Vorlesungen bestellt er meistens den Fahrtendienst.
Er besucht auch gerne eine ältere Frau in einem Pflegeheim der Caritas. Die Wochenenden verbringt er zu Hause bei seinen Eltern. Mit denen unternimmt er viel und fährt auch gern auf Urlaub mit ihnen.
Diesen September wird er aber mit der Wohngruppe nach Tunesien reisen.
Gedanken über die eigene Behinderung
Seine Mutter arbeitet auch bei Balance. Mit ihr macht er eine Zeitung.
Er findet: "Man kommt immer mehr drauf, dass behinderte Menschen selbst mehr in ihrem Leben selbst bestimmen sollen. Das ist auch im Verein ein Lernprozess, der erst langsam in Gang gekommen ist."
Für ihn ist seine Behinderung völlig normal. Er will sich nicht jeden Tag den Kopf darüber zerbrechen, was wäre, wenn er keine hätte. Dafür hat er zu wenig Zeit.
Bernadette Feuerstein
Bernadette Feuerstein benutzt den Rollstuhl. Seit ihrem Studium lebt sie mit persönlicher Assistenz. Sie arbeitet im Sozialministerium und ist derzeit in Mutterschutz (=Karenz) für Ihre kleine Tochter Lea:
Die Tochter Lea
"Wenn sie zu mir will, kommt sie und fragt: "Mama rauf?", denn immer habe ich nicht Zeit. Und wenn ich dann ja sag, geht sie dann zur Assistentin und sagt "Mama rauf" und die Assistentin hebt sie dann zu mir, weil ich sie nicht vom Boden hochheben kann."
Dann schauen sich beide ein Buch an oder singen gemeinsam.
Eigene Wohnung
Bernadette Feuerstein wohnt in einer geräumigen Wiener Wohnung, die extra für sie umgebaut worden ist: Die Türen müssen eine bestimmte Breite haben oder das Bad muss groß genug sein.
Sie wohnt gemeinsam ihrem Partner und der gemeinsamen Tochter Lea. Diese bestimmt derzeit den Tagesablauf ihrer Mutter.
"In der Früh ist es so, dass als erstes die Lea zu uns ins Bett kommt. Die holt dann meine Hand unter der Bettdecke hervor, damit ich sicherlich aufwache und drückt mir ein Buch in die Hand. Als erstes muss ich also ein Buch vorlesen."
Dann kommt die Assistentin, die den Frühdienst hat, und holt sie aus dem Bett, hilft ihr bei Waschen, beim Anziehen und beim Frühstück.
Persönliche Assistenz am Arbeitsplatz
Die Assistenz bei der Arbeit ist sehr wichtig. Denn sie und auch die anderen Mitarbeiterinnen brauchen Unterstützung bei praktischen Handgriffen: Also bei Ordnen, Wegräumen oder beim Tippen von längeren Texten. Assistenz braucht sie auch bei Teambesprechungen. Diese bringt sie hin oder hilft ihr dort, auf die Toilette zu gehen.
Bernadette Feuerstein arbeitet gerade bei einem Film: "Unser Beitrag in diesem Projekt ist es, den "Selbstbestimmt-Leben-Aspekt zu verbreiten. "Wir sagen, dass eigentlich wir die Expertinnen sind und nicht die Lehrer, Pfleger oder Ärzte wissen, was gut für uns ist!"
Was gut für sie ist, weiß sie selbst am besten.
Tagesablauf
Bernadette Feuerstein ist sehr vielseitig. Am Vormittag macht sie ganz normal Hausarbeit: Einkaufen, Kochen, Essen vorbereiten und Arbeiten für den Film und die Selbstbestimmt-Leben-Bewegung.
Man sagt oft: behinderungsbedingter Mehraufwand: Durch die Behinderung muss sie viel organisieren und Zeit verplanen.
Für Hilfsmittel, die Planung und Abrechnung der Assistenten: All das kostet viel Zeit. Das versucht sie, am Vormittag zu machen.
Am Nachmittag gibt es manchmal eine Körpertherapie - und zweimal im Monat fährt sie mit einer Assistentin und ihrem Lebensgefährten zum Schwimmen.
Manchmal geht sie einfach mit ihrer Tochter auf den Spielplatz oder macht mit ihr einen kleinen Ausflug. Dort begleiten sie Assistentinnen in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Deshalb braucht sie dann kein Auto.
Freizeit
Wenn sie am Abend nicht arbeitet, trifft sie Freunde, geht ins Kino oder bleibt manchmal "ganz einfach vor dem Fernseher hängen".
Manchmal, wenn das Geld für Assistenz nicht mehr reicht, bringt sie auch ihr Partner ins Bett.
Sie möchte auch in Zukunft die Assistenz bekommen, die sie braucht.
Denn sie organisiert Leben momentan gut und ist zufrieden.
Sendungsverantwortlich: Bernhard Hruska