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Rubrik: Lesen statt Hören
28. Februar 2010

Zwei extreme Leben. Zwei Extreme leben.

von Redaktion

Ein Unternehmer und ein Extrembergsteiger im Porträt. Eine Sendung von Katharina Zabransky und Wolfgang Slapansky.

Andy Holzer hängt am Kletterseil. Das Bild stammt von der Expedition Carstensz Pyramide aus 2009. Die Carstensz-Pyramide in Indonesien ist mit 4884 m Höhe der höchste Berg Ozeaniens und damit der höchste Berg zwischen dem Himalaya und den Anden.

Copyright: Andreas Unterkreuter

Sandra Knopp: Wie jeden Tag sichtet Andy Holzer seine E-Mails am Computer. Ein besonderes Programm, "Screen Reader", liest ihm in Kurzform die Namen der Absender und die Betreff-Informationen vor. Der vierundvierzigjährige Tiroler ist ein gefragter Mann. Viele Einladungen zu Vorträgen kommen per E-Mail. Er steht im ständigen Kontakt mit seinem Verleger, denn er schreibt gerade ein Buch. Und er hat über Mails Kontakt zu Freunden und Bergkameraden. Er ist leidenschaftlicher Extrembergsteiger. Auf den ersten Blick ein ganz gewöhliches Szenario. Doch Andy Holzer ist völlig blind, und das seit Geburt.

Sandra Knopp: Retenitis pigmentosa, so lautete die Diagnose der Ärzte bereits kurz nach der Geburt im Jahr 1966. Eine vererbbare Netzhautdegeneration, durch die die Lichtrezeptoren zerstört werden. Ebenso wie bei seiner um drei Jahre älteren Schwester. Andy Holzer konnte keine Sekunde seines Lebens mit eigenen Augen sehen, dennoch: Bilder sind ihm nicht fremd.

Andy Holzer: Mein Sehzentrum wird eben nicht von fünf Sinnesnerven gespeist, von unseren fünf Sinnen, die der Mensch eben hat, sondern von vier Sinnen. Und alle Menschen, die glauben, dass ihr wahrgenommenes Bild nur aus dem Signal des Sehnervs kreiert wird, die liegen, glaube ich, weit, weit daneben. Denn unser Bild wird aus allen fünf Sinnen kreiert und da kommen noch andere hinzu: Aus Erinnerungen, aus Erfahrungen, aus Ängsten. Da kommen Bildfaktoren hinzu, die einem selber gar nicht bewusst sind. Das ist unser komplettes Bild.

Andy Holzer hat sozusagen sein ganz eigenes Bild von der Welt. Seit Kindheit an. Bald merkte er, dass er etwas anders war als seine Spielkameraden. Er hat sich seine Welt auf eine ganz spezielle Art und Weise angeeignet.

Andy Holzer: Damlach ist ein kleines Dorf mit 300 Einwohnern, zwei Kilometer südlich von Lienz, direkt am Fuß der Lienzer Dolomiten. Wenn man da aufwächst und da zur Welt kommt, dann ist das Bergsteigen quasi fast im Lebensmittelpunkt, weil die Berge hinter der Haustüre fast hochgehen und du eben Schritt halten möchtest mit deinen Spielkameraden. Da musst du eben auf- und abgehen können, über Stufen, im Wald, da ist nichts flach. Da hab ich vom ersten Lebensmonat an damit gearbeitet. Wenn die Kirchenglocken läuteten oder ein Böller zu hören war bei einem hohen Anlass, dann hat es weit ober mir den Widerhall gegeben und da wusste ich, da oben ist irgendetwas wo dieser Schall reflektiert wird.

Sandra Knopp: Der erste Schritt in ein selbstbestimmtes Leben war für Andy Holzer der Eintritt in die Schule. Was damals, Anfang der 1970er-Jahre, gang und gäbe war, nämlich eine Abschottung von der Familie, war bei ihm nicht der Fall.

Andy Holzer: Meine Eltern haben mich nicht als blinden Menschen aufwachsen lassen, und als ich zum Schulantritt kam, hab ich inbrünstig darum gebeten, mich nicht in die Ferne in eine Blindenschule zu geben, das ist ja hier von Osttirol aus eine halbe Weltreise damals gewesen in den frühen 70er-Jahren, und meine Eltern haben mich in die normale Schule gegeben. Dort hat es glücklicherweise eine Lehrerin gegeben, die die Verantwortung übernommen hat und den Versuch gestartet hat, einen Blinden in ihrer Klasse zu haben. Damals war noch nichts mit Integration und solchen Dingen, ich habe eben alles kompensiert. Vielleicht hab ich einige Gehirnzellen, die bei anderen Menschen eben brachliegen, aktivieren müssen, weil ich's notwendig habe. So habe ich mir alles gemerkt, was die Lehrerin jede Stunde und jede Minute gesagt hat, und bei Prüfungen runtergeplappert, was ich im Gehirn gehabt hab.

Sandra Knopp: Nicht nur im relativ sicheren Umfeld der Schule und des Elternhauses wollte sich Andy Holzer bewegen, sondern auch in der freien Natur.

Andy Holzer: Wenn du als blinder Mensch durch die Welt steigst und das im flachen Gelände machst, du möchtest aber trotzdem irgendwie realisieren was vor dir liegt, dann musst du als blinder Mensch deine zehn Augen, wir Blinden haben ja zehn Finger die für uns schauen, dann musst du dich ja immer vornüber beugen und du wirst in wenigen Monaten wahrscheinlich einen Bandscheibenvorfall haben. Wenn der Boden und das Terrain ein wenig steiler werden, wird das schon ein wenig angenehmer, wenn die Wand dann senkrecht ist, dann wird's richtig komfortabel, dann hast du die Wand, sprich die Welt, schön vor dir in Griffweite. Das ist richtig hergerichtet für blinde Menschen. Du brauchst nur nach vorne zu fassen, wie auf einen Monitor, und du „siehst“ mit deinen zehn Fingern, was da abgeht. Das ist die Vollendung einer mittlerweile fast vierzigjährigen Leidenschaft, sich mit seinem Körper in steile Felswände zu wagen.

Sandra Knopp: Klettern und Bergsteigen wurde zur großen Leidenschaft von Andy Holzer. Bereits als Neunjähriger hat er – natürlich in Begleitung – den 2.700 Meter hohen Spitzkofel in den Lienzer Dolomiten bestiegen. Doch zum Extremklettern im siebten Schwierigkeitsgrad war es noch ein langer Weg. Denn vorerst konnte er keine Partner für waghalsige Touren finden. Mit einem Blinden in die Berge zu gehen, sei doch verrückt, hat es damals von den Einheimischen geheißen. So stand nach der Schule mit fünfzehn die berufliche Ausbildung im Zentrum. Da hat es damals, Anfang der 1980er-Jahre, auch nicht besonders gut ausgesehen, erzählt Andy Holzer.

Andy Holzer: Die Behörden haben zu meinen Eltern schon wie ich ein Kleinkind war gesagt: „Liebe Holzers! Macht euch um euren blinden Jungen, eure beiden blinden Kinder keine großen Sorgen, die bekommen eine Invalidenrente und werden sowieso nie einen Beruf ausüben können. Das funktioniert einfach nicht."

Sandra Knopp: Die Eltern und auch Andy Holzer wollten sich damit jedoch nicht abfinden.

Andy Holzer: So ist mein Vater eines Tages hierher gekommen und hat gesagt: „So, es gibt jetzt drei Möglichkeiten: Entweder du wirst Korbflechter, Bürstenbinder, das sind klassische Blindenberufe, oder du wirst Telefonist irgendwo in einer Vermittlung, das kann hier in Lienz auch sein, in der Kaserne oder am Postamt“ – das hat mich schon wesentlich mehr interessiert, etwas technisches, Telefon und so, „oder du wirst Masseur!“ Masseur war für mich ganz abstrakt, was macht ein Masseur? Ich habe aber dann bei den Sportübertragungen, ich weiß noch 1976 war die Olympiade in Innsbruck, und da ist jemand gestürzt. Der Sprecher im Fernsehen hat dann ganz aufgeregt gesagt: „Der ist schwer gestürzt, der Masseur eilt schon herbei, der hilft diesem Läufer jetzt, macht ihm die Muskeln wieder locker und biegt ihm die Beine zurecht!“ Das war dann eben meine Berufswahl. SO bin ich Heilmasseur geworden.

Sandra Knopp: Andy Holzer wurde Heilmasseur und Heilbademeister im Bezirkskrankenhaus Lienz. Doch sollten die Berge zu seiner ganz großen Leidenschaft werden. Mit 23 hat er einen Kletterpartner gefunden. Und von da an war er nicht mehr aufzuhalten. Die Besteigung von Großglockner, Großvenediger und Ortler sollten folgen. Mit der Bergsteigerkarriere ging es steil bergauf. Vor drei Jahren folgte die Bezwingung des bisher höchsten Berges in seiner Kletterkarriere. Gemeinsam mit seinem Freund Peter Mair hat er den 6.962 Meter hohen Aconcaqua bestiegen, den höchsten Berg Südamerikas. Da es immer schwieriger wurde, den Job als Heilmasseur mit dem Bergsteigen und den großen Expeditionenzu vereinbaren, hat sich Andy Holzer entschieden, sich am Krankenhaus karenzieren zu lassen und den Sprung in die Selbstständigkeit zu wagen. Heute ist er professioneller Kletterer und Vortragender.

Andy Holzer: Es sind immer wieder große Städte in Österreich und Deutschland: Wien, Graz, Salzburg, Hannover, München, Stuttgart. In Genf bin ich auch, Italien, Frankreich, Skandinavien ... Ich weiß jetzt gar nicht wo ich anfangen soll.

Musik Count Basie (Atmo Büro)

Sandra Knopp: Szenenwechsel von Lienz in Osttirol in die steirische Landeshauptstadt Graz.

(Atmo Büro)

Sandra Knopp: Ein Einfamilienhaus am südöstlichen Stadtrand von Graz im Bezirk St. Peter. Es ist kein gewöhnliches Einfamilienhaus, sondern die Firmenzentrale eines namhaften Familienunternehmens mit rund 300 Mitarbeitern. Von hier aus werden die europaweiten Geschäfte koordiniert. Das Unternehmen heißt "Hanlo", sein Produkt: Fertighäuser. Und der Firmengründer und -besitzer ist Hanno Loidl.

Hanno Loidl: Der Unfall war 1969 und das erste Haus wurde 1972 gebaut. Nachdem es meines war, war es klar, dass es rollstuhlgerecht war. Das war der Sinn und Zweck. Nachdem ich mich interessiert habe und das bei einigen Mitbewerbern gesucht und nicht gefunden habe, was ich wollte, habe ich gesagt: „Wenn es die anderen nicht haben, dann versuche ich, es so zu machen, wie man es braucht.

Sandra Knopp: Wie man es braucht. Das hat damals geheißen: rollstuhlrerecht, barrierefrei. Denn Hanno Loidl ist seit 1969 querschnittgelähmt. Es war ein Sportunfall in Marokko. Da war er 24 Jahre alt. Eine völlig neue Lebenssituation. Aber das Leben musste weitergehen. Wieder arbeiten können war das vordringlichste Ziel. Ans Aufgeben, sagt er, hat er nie gedacht.

Hanno Loidl: Das war überhaupt nie ein Thema. Ich war überhaupt nie bei einer Sozialberatung, das hat mich überhaupt nicht interessiert, ich hätte mir mein Leben nicht leisten können mit dem Einkommen, das ich da gehabt hätte. Ich hätte meine Haushälterin zahlen können, nicht mehr. Das Thema hat sich gar nie gestellt.

Sandra Knopp: Seit 35 Jahren gibt es die Firma Hanlo, und rund 50.000 Menschen wohnen derzeit in Hanlo-Häusern. In Österreich, Deutschland, der Schweiz, Liechtenstein, Italien, Spanien oder Griechenland. Begonnen hat alles ganz klein und improvisiert. Das erste Fertighaus, das Hanno Loidl errichten ließ, diente einige Jahre gleichzeitig als Büro, Wohnung und Musterhaus. Seine ganz persönlichen Erfahrungen mit ganz gewöhnlichen Barrieren im Alltag hat Hanno Loidl in seinen Fertighäusern umgesetzt. Vom Anfang an war für ihn die Barrierefreiheit ein ganz zentrales Thema. Der Begriff "Barrierefreiheit" ist für Hanno Loidl sehr weit gefasst. Stichwort: kinderwagengerecht.

Hanno Loidl: Ich will das gar nicht auf den Rollstuhl beziehen, es gibt so viele Bauten wo der Lift im Halbstock aufhört. Ein Credo von mir ist: Nicht an den Rollstuhl denken, an den Kinderwagen denken! Weil Babies gibt's immer und dort, wo eine Frau mit einem Baby hinkommt, ganz einfach und bequem, dort komm ich mit dem Rollstuhl hin. Dort, wo ich mit dem Kinderwagen hineinkomme und Windeln wechseln kann, komme ich mit dem Rollstuhl hinein.

Sandra Knopp: Hanno Loidl ist mit dem eigenen, umgebauten PKW unterwegs. Im Büro sind die sanitären Einrichtungen behindertengerecht ausgestattet, bei den Treffen befindet sich auch ein Lift für den Rollstuhl. Ideale Voraussetzungen, um die Arbeit rein praktisch bewältigen zu können. Und Verbesserungsvorschläge für das Bauen und Wohnen gibt es immer wieder. Und werden wohl in Zukunft immer mehr nachgefragt werden. Bekanntlich wird die Bevölkerung – statistisch gesehen – immer älter. Deshalb werden auch beim Wohnen in der Zukunft neue Formen immer wichtiger. Stichwort: altengerecht.

Hanno Loidl: Ich kenne jede Menge Wohnungen, Häuser etc., die schön sind, hier und dort aber mit Schnickschnack versehen sind, weil es ja „so schön“ ist, zwei Stufen hinauf- oder hinabzugehen. Jeder, der sich schon mal ein Bein gebrochen hat, weiß, wie unangenehm das ist, diese zu umgehen. Wenn man gleich altengerecht baut, tut man sich später viel leichter. Altengerecht ist gleichzeitig rollstuhlgerecht – wenn man es richtig macht.

Sandra Knopp: Produziert werden die Fertighäuser in Deutschland, genauer gesagt in Freiwalde, 40 Kilometer südlich von Berlin. Heute ist Hanno Loidl im Büro in Graz vor allem im operativen Bereich tätig, er organisiert und dirigiert das Unternehmen.

Hanno Loidl: Ich mache weder Planung noch Beratungsgespräche. Das habe ich früher einmal gemacht, jetzt ist die Firma zu groß, um das selber zu machen. Das sind Mitarbeiter von mir, die das machen, Baumeister, Architekten, Bauleiter, Verkäufer. Ich selber bin für die Koordination, die Organisation der Firma zuständig.

Sandra Knopp: Hanno Loidl ist fünfundsechzig Jahre alt, er war verheiratet, ist geschieden und lebt in einer neuen Partnerschaft. Er hat eine erwachsene Tochter und einen halbwüchsigen Sohn. Wenn Hanno Loidl Zeit zur Entspannung bleibt, dann ist Musik angesagt. Auf die Frage nach seiner Lieblingsmusik kommt wie aus der Pistole geschossen ein Name: Frankyboy ...

Musikeinspielung ...

Sandra Knopp: Das eigene Haus: Für Hanno Loidl ist das seit über 35 Jahren sein Job, anderen eine barrierefreie Wohnmöglichkeit anzubieten. Seine Erfahrungen den Kunden zur Verfügung zu stellen.

Ebenso war für den blinden Extremkletterer Andy Holzer der eigene Hausbau wichtig, um mit seiner Blindheit im Alltag besser umgehen zu können. Er hat in der Nähe von Lienz ein Haus gebaut, in dem er jetzt gemeinsam mit seiner Frau lebt. Ober besser gesagt: bauen lassen.

Andy Holzer: Ich habe mein Haus geplant, im Kopf zuerst mal, und der Architekt hat den Plan dann gezeichnet. Er ist dann mit diesem großen Plan gekommen und hat erst dann realisiert, dass er es mit einem Blinden zu tun hat. Er war vor den Kopf gestoßen und hat gemeint: „Bitte, Herr Holzer, wie bringe ich diesen Plan jetzt in Ihren Kopf hinein?“ Ich habe gemeint: „Bitte locker bleiben! Lesen Sie mir jeden Winkel, jede Linie, die zu einer weiteren Linie führt, vor.“ Dann hat der gute Mann 60 oder 80 Minuten lang nur Zahlen vorgelesen. In meinem Kopf ist das Haus dann entstanden. Nach eineinhalb Stunden habe ich ihm gesagt, er soll den Raum verlassen, ich brauche jetzt mal eine halbe Stunde, um das zu realisieren, und dann bin ich virtuell durch mein Haus gestapft.

Sandra Knopp: Der im Kopf gespeicherte Plan des Hauses ist für Andy Holzer die Grundlage dafür, dass er sich ohne jegliche Hilfsmittel auf allen Stockwerken frei bewegen kann.

Andy Holzer: Mein Leben besteht ganz viel aus Mathematik. Für mich ist alles nur mit Koordinatensystem erfassbar. Ich könnte sonst nicht in meinem Haus 13 Meter und 24 Zentimeter rüberlaufen, 30 Grad nach rechts abbiegen, um nach drei Metern und 20 Zentimetern die Hand nach vorne zu strecken und dann hab ich die Türschnalle zur Hand. Unsere Welt besteht für mich vor allem aus Maßen und Winkeln etc.

Sandra Knopp: Nach diesem Prinzip erarbeitet sich Andy Holzer immer wieder neue Räume in seinem Leben.

Andy Holzer: Ich bin mittlerweile jede Woche mehrere Male in Hotels bei meinen Auftritten. Es ist da natürlich überall anders, ich habe aber noch nie irgendwas Barrierefreies gebraucht. Das ist für mich nicht notwendig. Ich muss klare Linien haben und die präge ich mir ein. Das geht ganz, ganz schnell. Ich fahr da mit meiner Hand alles ab im Zimmer und gehe das ganz kurz ab. Dann kann ich in der Nacht aufstehen und auf die Toilette gehen, ohne irgendwo anzustoßen oder ein Problem zu haben.

Sandra Knopp: Einen ganz speziellen Raum hat sich Andy Holzer im Keller seines Hauses eingerichtet. Hier befindet sich sozusagen die Kommandozentrale für alle Kontakte nach außen. Ein Computer und eine Funkausrüstung.

Andy Holzer: Hier links von mir steht eine große Funkstation, ich habe in den 80er-Jahren die Amateurfunkerei sehr intensiv betrieben und habe meine Funksignale über den Globus geschickt. Wo ich heute meinen Körper hinbringe, war ich schon vor 20 Jahren mit Funkwellen unterwegs. Genau über dieses Medium habe ich meine Frau kennengelernt. Sie war damals auch Funkerin und ich habe sie über viele Monate lang nur der Stimme nach gekannt. Ich kenne sie heute auch nur der Stimme nach. Als wir uns dann damals das erste Mal gegenüberstanden, haben wir praktisch alles gewusst voneinander. Sie hat nur zwei oder drei Kilometer von mir entfernt gewohnt, aber damals gab es eben noch kein Internet oder Handy, und so haben wir uns über die Funkerei kennengelernt.

Sandra Knopp: Seit 20 Jahren sind nun Andy und Sabine Holzer verheiratet. Sie ist Begleiterin und Organisatorin bei Reisen und Expeditionen. Und von diesen soll es noch viele geben. Andy Holzer ist voller Tatendrang. Die Ziele sind hoch gesteckt. Der Mount Everest soll bezwungen werden, ebenso der Mount Vinson in der Antarktis. Holzers ganz großes Ziel: Die höchsten Berge aller sieben Kontinente zu besteigen. Fünf dieser "Seven Summits" hat er schon geschafft, die beiden genannten fehlen noch. Vor etwas mehr als drei Jahren, am 8. November 2006, ist Andy Holzer in Wien eine ganz spezielle Erstbesteigung gelungen.

Andy Holzer: Ich möchte natürlich auch etwas bewegen für meine gleichgesinnten Freunde und Kollegen. Da hab ich für Kinder was gemacht. Ein Unternehmen ist an mich herangetreten und hat mich gefragt, ob ich irgendeine Charityaktion für blinde Kinder machen würde. Ich habe sofort zugestimmt und bin dann tatsächlich in Wien den Donauturm als erster Kletterer an der Außenfassade diese 125 Meter hinaufgeklettert und bin dann oben unter dieser Plattform rausgeklettert und oben auf der Plattform gelandet. Das war eine riesen Publicity-Aktion, sie hat für die blinden Kinder viel Geld für ein Blindenheim eingebracht. Ich musste mich dafür vorbereiten. Ich bin es ja nicht gewohnt, auf künstlichen Griffen zu klettern. Den Donauturm hat man künstlich präpariert, solche Griffe gibt es in der Natur eben nicht, und wenn du da unvorbereitet nach Wien kommst zu so einem Spektakel und dann vielleicht nur daran scheiterst, dass du dich nicht vorbereitet hast, das ist nicht meine Sache. Da hab ich zum ersten und einzigen Mal in einer Halle trainiert.

Sandra Knopp: Schitouren im Winter, Klettern in der restlichen Zeit des Jahres, und das praktisch täglich. Das ist das derzeitige Leben von Andy Holzer. Bis vor kurzem gab es noch einen anderen wichtigen Eckpfeiler in seinem Leben.

Musik

 

Sandra Knopp: Als "Dolomitenduo" war Andy Holzer gemeinsam mit einem Freund auf den Bühnen der volkstümlichen Musik zu Hause.

Andy Holzer: Ich hab nämlich seit 1981 als Tanzmusiker gespielt, immer zu zweit, im Duo, ich als Gitarrist oder Bassist. Da hab ich von einer Kirchenorgel ein großes Pedal am Boden stehen. Mit den Füßen spiele ich den Bass, mit den Händen die Gitarre, mit dem Mund singe ich auch relativ viel. Da hab ich viele viele Jahre damit verbracht und sozusagen zwei Jobs gleichzeitig ausgeübt – Masseur und Musiker. Das geht sich halt zeitlich nicht aus, ich kann nicht einen Vortrag in Hamburg halten und gleichzeitig bei einer Hochzeit in Osttirol Musik machen. So musst du eben auch wieder Prioritäten setzen. Aber dieses Talent möchte ich niemals missen. Ich weiß ganz genau, dass ich meine musische Begabung wieder mal auffrischen werde und vielleicht in einer anderen Art wieder mal ganz groß als Musiker rausgehen möchte.

Musik

Sandra Knopp: Zu Hause, zur Entspannung, ganz im Privaten, klingt es jedoch ganz anders.

Musik Count Basie

Sandra Knopp: Swing und Jazz sind es auch, die den Unternehmer Hanno Loidl im Autoradio begleiten, wenn er in seinem behindertengerechten Auto zu Geschäftsterminen unterwegs ist. Die wenige Zeit, die Hanno Loidl nicht im Büro verbringt, gehört einigen wenigen Hobbys. Früher, vor seinem Unfall, war er ein begeisterter Sportler. Schifahren und Tennis waren seine großen Vorlieben. Heute, nach vierzig Jahren und einem schweren Unfall, haben sich die Interessen natürlich verlagert.

 

Hanno Loidl: Kultur sicherlich, gereist bin ich eine Zeit lang sehr viel, heute vielleicht etwas weniger. Sport, wenn Schwimmen Sport ist ... etwas Bewegungstherapie.

Sandra Knopp: Es seien weniger die Barrieren im Alltag, die dafür verantwortlich sind, dass für Hanno Loidl nicht so viele Hobbys reizvoll sind. Bei den Barrieren im Alltag für einen Rollstuhlfahrer habe sich vieles zum Positiven verändert, Stichwort: Gehsteigkanten oder Rampen. Seine große Leidenschaft ist und bleibt seine Firma. Dass er in seinem Job durch den Rollstuhl Nachteile gehabt habe, glaubt Hanno Loidl nicht.

Hanno Loidl: Ohne Rollstuhl kommt man in gewisse Positionen schwerer hin, weil man in der Position des Rollstuhls sich mehr anstrengt und mehr Zeit hat, sich mit Themen auseinanderzusetzen, die ein anderer nicht so intensiv macht, weil er Freizeitinteressen hat. Das ist der Vorteil der Behinderung, dass man sich mit einem Thema mehr auseinandersetzt als ein Nicht-Behinderter.

Sandra Knopp: Auch für den Extrembergsteiger Andy Holzer ist seine Blindheit subjektiv alles andere als eine Behinderung in seinem Job. Mit seinen Klettertouren und Vortragsreisen will er die Menschen aufrütteln.

Andy Holzer: Es kann ja nicht sein, dass einer, der kein Augenlicht besitzt, überhängende 7.000 Meter hohe Wände hochklettert, das sogar noch genießt und alles selbst organisiert hat und seine Freunde quasi da unterstützt, und andere Menschen mit ihren fünf Sinnen nicht von der Stelle kommen und irgendwo in einem Büro in Hamburg ihre Arbeit nicht erledigen können. Ich weiß nicht, wie das Wort „Behinderung“ da einzuschätzen ist, es gibt das Wort gar nicht. Ich glaube, jeder ist behindert.

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Wolfgang Slapansky: In der heutigen Ausgabe von "Freak Radio" hörten Sie: Zwei extreme Leben. Zwei Extreme leben. Die Porträts des blinden Extrembergsteigers Andy Holzer und des Rollstuhlfahrers und Unternehmers Hanno Loidl.

Gestaltung der Sendung: Katharina Zabransky und Wolfgang Slapansky.

Redaktion: Christoph Dirnbacher, gesprochen hat Sandra Knopp.

Sie hörten eine Sendung aus der Reihe "Lebens- und Arbeitswelten". Das gleichnamige Projekt wird vom Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz gefördert. Nähere Informationen dazu finden Sie auf www.freak-radio.at.

Dieser Beitrag ist im Rahmen des Projektes "Lebens- und Arbeitswelten" erschienen.


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