Inhalt:
.Zwischen Hascherl und Heldin: Darstellung von behinderten Menschen in Massenmedien
A wie Auferstehung. Ein riesiges A zierte am Karsamstag die Titelseite der OÖ Nachrichten. Darunter ein Foto einer jungen Frau im Rollstuhl. Es ist Kira Grünberg, die gelähmte ehemalige Stabhochspringerin. Im Feuilletonteil ein großes Interview mit ihr, unter dem Titel „Das Leben ist jetzt auch schön“. Ob sie bete, wird sie gefragt. Tut sie nicht. Oder ab und zu. Vor dem Unfall.
Kira Grünberg bewegt die Menschen. Sie ist stark. Sie lässt sich vom Schicksal nicht unterkriegen. Sogar vom Krankenhausbett lächelte sie in die Kamera. Tapfer. Oder trotzig.
Die junge Frau steht seit ihrem Unfall im Mittelpunkt des Medieninteresses – weit mehr als eine andere junge Sportlerin, die kurz davor durch einen Autounfall querschnittgelähmt wurde, und unvergleichlich mehr als die vielen unbekannten Menschen, die ähnliche Herausforderungen bewältigen müssen. Es sind durchwegs Geschichten voller Respekt und Bewunderung. Und dennoch fühlt sich die Medienbeobachterin bisweilen unwohl. Benutzen die Medien Kira Grünberg? Muss sie denn wirklich zum Thema Auferstehung sprechen, auch wenn sie gar nicht religiös ist? Sollten wir sie nicht einfach in Ruhe lassen?
„Menschen mit Behinderung werden in den Massenmedien entweder als arme Hascherl hingestellt oder auf eine Art Podest gestellt, als etwas Heldenhaftes“, sagt der deutsche Autor und Schauspieler Peter Radtke. „Das Mittelmaß interessiert in den seltensten Fällen.“ Radtke leitete seit 1984 in Bayern die Arbeitsgemeinschaft Behinderung und Medien.
Auf den ersten Blick erscheine diese Art der Medienberichterstattung nicht als das große Problem, sagt Fritz Hausjell, Professor für Kommunikationswissenschaften an der Universität Wien. „Doch wer selber eine Behinderung hat, ist mit solchen Bildern immer unzufrieden. Denn diese überlebensgroßen Figuren bekommt man im eigenen realen Leben nur selten hin.“ Aber auch das andere medial vermittelte Bild von den „Armen, die an ihrer Behinderung leiden – so, als würden sie die ganze Zeit einen Weltschmerz vor sich hertragen“ sei vollkommen überzogen. „Dass einzelne Menschen leiden können – gar keine Frage, aber es leiden auch Menschen ohne Behinderung und sind mit ihrem Leben nicht glücklich.“
Die OÖ Nachrichten seien eigentlich eine sehr ordentlich gemachte Zeitung und hätten es wahrscheinlich gut gemeint, vermutet Hausjell zur österlichen Kira Grünberg-Berichterstattung. „Aber gut gemeint ist nicht wirklich das, was Journalismus leisten sollte.“
Für Daniel Nutz, stellvertretender Chefredakteur des Monatsmagazins „Die Wirtschaft“, spiegeln die Massenmedien den Fortschritt der Gesellschaft wieder. Da gebe es, bei aller Skepsis vor Stereotypen, doch eine positive Tendenz: weniger Geschichten über „Hascherl“, mehr über Helden. Was aber ist eine gute Geschichte? Nutz erhielt im Vorjahr den ÖZIV-Medienpreis für seinen Artikel „Barrieren im Denken“. Er porträtierte darin einen gehörlosen Apotheker und schilderte die eingeschränkte Sichtweise der Wirtschaft, die bei behinderten Menschen vorrangig die möglichen Probleme statt dem potentiellen Zugewinn für alle wahrnimmt.
Doch auch eine andere Art des Geschichtenerzählens kann spannend sein – wenn die Tatsache einer körperlichen Behinderung gar nicht mehr angesprochen wird. Etwa jene Geschichte über einen australischen Winzer, der spannende neue Rebsorten auspflanzt. „In der Geschichte hat man nur durch das Bild erfahren, dass der Winzer im Rollstuhl sitzt“, sagt Hausjell. „Offensichtlich arbeitet er nicht allein im Weinberg. Dafür hat er Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Er trifft die Gesamtentscheidungen, und da ist es wurscht, ob er im Rollstuhl sitzt oder mit den eigenen Füßen laufen kann.“
Was ist selbstverständlich, was muss ich erklären, was ist ein Stereotyp – das sind die Fragen, denen sich Journalisten und Journalistinnen stellen müssen.
Die gesamte Diskussion zwischen Peter Radtke, Fritz Hausjell und Daniel Nutz ist am Dienstag, 19. April, von 20 bis 21 Uhr auf Freak Radio/Ö1 Campus zu hören. Moderiert haben Christoph Dirnbacher und Margarete Endl.
Die Sendung ist von www.freak-online.at jederzeit downloadbar.