Seitenanfang:

Link zum InhaltLink zum MenüLink zur Suche

Inhalt:

Rubrik: Leichter Lesen
22. Februar 2010

Menschen mit Lernbehinderungen
in Deutschland und Österreich

von Franz Hoffmann und Gerhard Wagner

Für Freak-Radio berichten zwei Frauen mit Lernschwierigkeiten über ihr Alltags- und Berufsleben. Gemeinsam mit einer Unterstützerin erzählen sie von Selbstbestimmung für Frauen, vom Wohnen und vom Kinderwunsch.
Politikerinnen und Betroffene aus Wien berichten über Kindergartenbetreuung und eigenes Wohnen für Menschen mit Lernbehinderungen.

Straßenplan von Deutschland und Österreich

Kassel und Wien
(Fotos: Googlemaps,
Pixelio.de und Gerhard Wagner)

Kassel - Löwenburg

Wien - Riesenrad

"Mensch zuerst" in Deutschland

Die Idee der Selbstbestimmung kam aus Amerika. In den 1990er-Jahren ist sie auch nach Deutschland und Österreich gekommen. Im Zentrum von Menschen mit Lernbehinderungen steht die Idee: Wir vertreten uns selbst. Also soll man Menschen mit Lernbehinderungen auch zuerst hören - vor allem bei Dingen, die sie betreffen. Im Englischen heißt es auch: Die Leute zuerst! Das heißt übersetzt: "People first" (sprich: Piepl föast)
Deshalb nennt sich die Gruppe in Deutschland: Mensch zuerst.

Petra Groß und Anita Kühnel arbeiten bei "Mensch zuerst" mit: Sie machen Projekte in einfacher Sprache und Projekte für Frauen. Sie sind auch im Verein "Weibernetz" dabei: Dort geht es um Mädchen und Frauen mit Behinderung. Und sie arbeiten auch mit den Frauenbeauftragten für behinderte Menschen zusammen. Die Frauenbeauftragten setzten sich speziell für die Anliegen von Frauen ein.
Es gibt auch Frauen mit Lernbehinderungen, die als Unterstützerinnen arbeiten. Diese unterstützen andere Frauen in Wohnheimen oder Werkstätten.

Auch "Mensch zuerst" ist ein eingetragener Verein und eine Selbstbestimmt-Leben-Bewegung. Besonders setzt sich dieser Verein für folgende Themen ein: Sexualität, Partnerschaft, Kinder und Wohnen.  Es gibt auch Selbst-Verteidigungs-Kurse:  So können sich Frauen wehren, wenn sie sich verteidigen müssen.
Und es gibt auch Beratungen:  Damit Frauen so wohnen können, wie sie es sich wünschen. Die Selbstvertreterinnen leben teilweise im Betreuten Wohnen. Es gibt in den Wohnheimen Heimbeiräte. Für diese organisieren die Selbstvertreterinnen wichtige Schulungen. Dann können Bewohner ihre Wünsche gegenüber der Heimleitung oder Heimaufsicht besser ansprechen.

Frauenpower (sprich Frauenpaua) in Kassel

In der Vertretung der Heimbeiräte stehen vor zwei Themen im Mittelpunkt: Alleine zu wohnen und besser zu essen.
Die Selbstvertreterinnen hören auch manchmal etwas zu den Themen Sexualität oder Kinderwunsch. Das sind für sie große Themen. Aber die Vertreterinnen erzählen: Bis jetzt sind zu uns zwei Anfragen gekommen, aber dann haben wir dann nichts mehr davon gehört. Offenbar haben das die Stellen nicht wichtig genommen, die dafür zuständig sind. Es gibt Mütter mit Kindern in der Gegend von Kiel - ganz im Norden Deutschlands.

Haben Frauen mit Lernschwierigkeiten andere Probleme als Männer? Frauen können sich nicht so leicht durchsetzen. Die Unterstützerinnen von "Mensch zuerst" können Frauen bestärken: Sie unterstützen sie, sprechen Probleme an und beraten sie.
Eine Unterstützerin berichtet: Frauen haben es oft ein bisschen schwerer: Denn sie müssen erst lernen, für sich selbst einzutreten. Oft sind sie es in den Einrichtungen nicht gewohnt, für sich selbst zu entscheiden.

Menschen ohne Behinderungen arbeiten als Unterstützerinnen bei "Mensch zuerst" partnerschaftlich mit den Betroffenen: Denn Betroffene und Unterstützer arbeiten im Team zusammen. Am Ende entscheiden die Menschen mit Lernschwierigkeiten. Es wichtig, dass die Unterstützerin dafür sorgt, dass die Betroffenen das tun, was sie selbst wollen.

Wünsche aus Deutschland

Die Frauen in Deutschland haben für die Zukunft noch weitere Anliegen: In Wohnheimen und Werkstätten sollen Werkstättenbeauftragte gewählt werden. Das sollten keine Zivildiener sein. Die Frauen sollen sich selbst bestimmen. Vor allem bei den Dingen täglichen Lebens: Wer sie wäscht oder wer sie begleitet.
Viel öfter als bisher sollen Menschen den Frauen mit Lernschwierigkeiten zuhören und sie ernst nehmen. Jede Frau mit Lernschwierigkeiten soll dieselben Rechte haben wie alle anderen auch.

Ein Frauentreffen mit Österreich und Deutschland oder mit anderen Ländern wäre jedenfalls sehr interessant. Denn viele Länder haben andere Gesetze: Manche sind besser. Es gibt schon Kontakte zwischen Mensch zuerst in Kassel People First Wien. Der Verein "Mensch zuerst" arbeitet in Projekten, die vom Ministerium bezahlt werden.

Leben mit Lernbehinderung in Wien

Frau Neira  schätzt an Wien die Kunst. Sie und ihr Mann beschäftigen sich mit Musik. Auch ihr Sohn mit Down-Syndrom ist Musiker. Er musiziert in der Band (sprich Bänd) "Echt Stoak". Er tanzt auch: im Verein "Ich bin OK".

Der Sohn arbeitet mit 30 Stunden als geprüfter Fachhelfer im biologischen Gemüseanbau. Er ist an der Universität für Bodenkultur in Wien beschäftigt. Alle Strecken, die er kennt, fährt er mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Bei neuen Strecken braucht er am Anfang Unterstützung.

Die Politikerin Klaudia Smolik in Wien verlangt:  Die Stadt Wien soll auch Texte in Einfacher Sprache verfassen: Wichtige Gesetzestexte und Formulare muss es auch in Leichter Sprache geben. Dann verstehen es wirklich alle!

Schwierigkeiten bei der Kinderbetreuung

Kinder mit Autismus finden in Wien sehr schwer einen Kindergartenplatz. Autismus ist eine Form von Behinderung. Menschen mit Autismus verhalten sich oft anders als gewohnt. Viele mögen etwa Berührungen nicht.
Daher müssen Eltern von behinderten Kindern oft bitten und betteln. Sonst kommt ihr Kind nicht in den Kindergarten. Manche Eltern sind deshalb sehr zornig. Sie wollen durchsetzen, dass auch Kinder mit Behinderung einen Kindergartenplatz haben - wie alle anderen auch.

Auch Frau Neira musste sich erst durchsetzten - sowohl für den Kindergarten ihres Sohnes als auch für die Schule. So hat sie 1990 dafür gesorgt, dass ihr Sohn mit Behinderung in einer Schule gemeinsam mit Kindern ohne Behinderung war.

Wohn-Wünsche aus Wien

Wohnen ist ein grundlegendes Menschenrecht. Warum sollen nicht auch Menschen mit Behinderungen wählen können: Mit wem will ich in meiner Küche, meinem Bad und meinem Wohnzimmer zusammenleben? Und wer unterstützt mich in meiner Wohnung?
Dafür gibt es gute Modelle in Deutschland. In Wien ist Frau Neira dabei, solch ein Wohnmodell aufzubauen. Denn das Thema Wohnen ist in Österreich und in Deutschland für Menschen mit Lernbehinderung sehr wichtig.

Sendungsverantwortliche:
Katharina Zabransky (5.7.2009)
und Gerhard Wagner (22.11.2009)

Dieser Beitrag ist im Rahmen des Projektes "Lebens- und Arbeitswelten" erschienen.


Seitenanfang